Ludwig Bechstein

Ludwig Bechstein

wurde am 24 November 1801 in Weimar geboren.
Die arme Mutter muss das Kind in Pflege geben und die Kinderjahre verlaufen glücklos.
Bei den Zieheltern hörte der Bub in der Gesindestube die ersten Thüringer Sagen.
Nach seiner Lehre war Bechstein als Apothekergehilfe tätig. Der Meininger Herzog Bernhard II ermöglichte ihm – auf den poetisch begabten jungen Mann aufmerksam geworden – ein Universitätsstudium. Nach dessen Abschluss trat er als Archivar und Bibliothekar in die Dienste des Herzogs.
Der „Märchenonkel“ Bechstein war mit seiner Heimatstadt so stark verwurzelt, wie kaum ein anderer Dichter. Durch seine Märchen- und Sagensammlungen wurde Bechstein aber auch außerhalb Thüringens berühmt.
Viele Grimmsche Märchenstoffe kehren bei Bechstein wieder. Aber sie klingen bei ihm anders und andere Figuren treten auf: Statt Frau Holle – der grobschlächtige Türschemann und als Schwan – „Die goldene Gans“.
Ludwig Bechstein stirbt am 14. Mai 1860.

Aschenpüster mit der Wünschelgerte

Die verzauberte Prinzessin

Der goldene Käse

Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel

Zwergenmützchen

Die drei Musikanten

Die Spinnerin im Mond

Dornröschen

Der Teufelsweg auf Falkenstein - Eine Sage

Die goldene Schäferei

Undank ist der Welt Lohn

Der Wandergeselle

Das Natterkrönlein

Goldener

Das göttliche Zeichen

Der goldene Rehbock

Das Nusszweiglein

Der weiße Wolf

Bruder Sparer und Bruder Vertuer

Die schöne junge Braut

Der Mann ohne Herz

Die Rosenkönigin

Das Märchen vom Schlaraffenland

Der wandernde Stab

Das Bergmanndli

Goldmarie und Pechmarie

Die Wünschdinger

Das winzige, winzige Männlein

Der starke Gottlieb

Die Wiesenjungfrau

Der Hase und der Fuchs

Die beiden kugelrunden Müller

Das Unentbehrlichste

Ritter Blaubart

Der Mann im Monde

Das Kätzchen und die Stricknadeln

Der alte Zauberer

Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte

Der kleine Däumling

Schneider Hänschen und die wissenden Tiere

Der Müller und die Nixe

Schäfersknecht und Königssohn

Der redende Esel

Das blaue Flämmchen

Seelenlos

Vom Hühnchen und Hähnchen

Die Adler und die Raben

Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Der Hase und der Elefantenkönig
Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Der Hase und der Vogel
Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Der Einsiedler und die drei Gauner
Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Der Dieb und der Teufel

Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Die verwandelte Maus

Fortsetzung von Die Adler und die Raben: Der Raben Arglist und Rache

Tischlein deck dich

Vom tapferen Schneiderlein

Schneeweißchen

Schwan, kleb' an!

Die Königstochter vom Rhein

Aschenpüster mit der Wünschelgerte

Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine einzige Tochter, welche er über alle Maßen liebte. Seine Frau war gestorben. Die Tochter war außerordentlich schön, und was sie nur immer wünschte, das gab ihr der Vater, weil er kein größeres Glück kannte, als sein Mägdlein zu erfreuen, vielleicht auch, weil sie ein Wünschmädchen war, dem jeder Wunsch erfüllt wurde. - "Schenke mir ein Kleid, Vater, das von Silber steht, ich will dir auch einen Kuss dafür geben!", sprach eines Tages die Tochter zum Vater, und sie empfing bald das Kleid.
"Schenke mir ein Kleid, lieber Vater, das von Golde steht!", sprach die Tochter bald darauf, "und ich will dir zwei Küsse geben."
Auch diesen Wunsch erfüllte der Vater dem Mädchen. "Schenke mir ein Kleid, das von Diamanten steht, liebster Vater, und ich will dir drei Küsse geben!", bat wiederum die Tochter, und der Vater sagte ihn "Du sollst es haben, aber du machst mich arm."
Der Vater schaffte das Kleid, und die Tochter fiel ihm dankend um den Hals, küsste ihn dreimal und rief: "Nun, herzgoldener, herzallerliebster Vater, schenke mir eine Glücksrute oder Wünschelgerte, so will ich stets dein Goldkind sein und alles tun, was ich dir an den Augen absehen kann!"
"Mein Kind", sprach der Vater, "eine solche Gerte habe ich nicht, auch wird sie schwerlich zu bekommen sein. Doch will ich mein Heil versuchen, auf dass ich dich ganz glücklich mache."
Da verreiste der Vater und nahm sein letztes Vermögen mit und forschte nach einer Wünschelgerte, aber kein Kaufmann hatte dergleichen feil. So kam der Mann weit in ein fernes Land, da fand er von ungefähr einen alten Zauberer und hörte, dass dieser eine Wünschelgerte besitze. Diesen Zauberer suchte der nur zu gute Vater auf und trug ihm sein Anliegen vor und fragte, was die Gerte kosten solle.
Der alte Zauberer sprach: "Wenn die Menschen Wünschelgerten mit Gelde kaufen könnten, so würde es auf Erden bald keinen Wald mehr geben, und wenn auch jedes Bäumlein und jedes Zweiglein eine solche Rute wäre. Wer eine solche Gerte empfängt, opfert seine Seele und stirbt drei Tage nachher, wenn er sie aus der Hand gegeben, es wäre denn, er gäbe sie jemand, der auch seine Seele dafür zu opfern gelobt und bereit ist. Dann geht die Seele des Besitzers frei aus."
"Gut", sprach der Vater, "meinem Kinde zuliebe scheue ich das verlangte Opfer nicht. Gib mir die Gerte!" Der alte Zauberer ließ den Mann seinen Namen in ein Buch schreiben und erfüllte sein Verlangen. Die weite Reise nach der Gerte zehrte den letzten Rest des Vermögens des reichen Mannes auf. Aber es war ihm einerlei, denn sein einziger Wunsch und Gedanke war, der Tochter alle ihre Wünsche zu erfüllen und sie glücklich zu sehen. Es ist gut, dachte er, wenn ich sterbe; denn sie würde doch noch mehr wünschen, und wenn ich ihr keinen Wunsch mehr erfüllen könnte, würde ich selbst sehr unglücklich sein.
Mit größter Freude empfing die Tochter aus ihres Vaters Hand, den sie mit Sehnsucht zurück erwartet hatte, die Wünschelgerte und wusste nicht, wie sie ihm danken sollte.
Aber nach drei Tagen hatte die Tochter einen neuen Wunsch.
Sie hatte von einem überaus schönen Prinzen gehört, der in einem fernen Lande wohne und aller Liebe würdig sei. Den wollte sie gern zum Gemahl haben. Der Vater aber sprach: "Meine geliebte Tochter, ich gab dir alles, was ich besitze, und für deine Wünschelgerte gab ich Leib und Leben, ja meine Seele dahin. Ich scheide von dir; schaffe du dir den Prinzen selbst, den du dir wünschest, lebe glücklich und denke mein in Liebe." Mit diesen Worten neigte der Vater sein Haupt und verschied. Seine Tochter beweinte ihn aufrichtig und schmerzlich und sprach: "Einen bessern Vater hat es nie gegeben!" Und darin hatte sie allerdings recht.
Als nun der Vater zur Erde bestattet war, blieben der Tochter nicht Verwandte, nicht Geld und Gut. Da tat sie ein Alltagskleid an, das war ein Krähenpelz, nahm ihr Silberkleid, ihr Goldkleid und ihr Diamantkleid und hängte alle drei über ihre Schulter. Dann nahm sie die Wünschelgerte in die Hand und schwang sie und wünschte sich in die Nähe des Schlosses, darin der gerühmte Prinz wohnte. Da war es, als ob ein Wind sie sanft erhöbe, und sie schwebte, von der Luft getragen, eilend zur Ferne und war bald in einem Parkwalde, in dessen Nähe sie das Prinzenschloss zwischen den dicken Eichbaumstämmen schimmern sah. Sie schlug mit der Gerte an die dickste dieser Eichen und wünschte, dass da drinnen ein Schrein wäre, in dem sie ihre Kleider aufhängen könne, und ein Stübchen, sich darin umzukleiden, und das geschah auch gleich alles. Sie verstellte nun ihre Gestalt in die eines Knaben und trat, mit dem Krähenpelze angetan, in das Prinzenschloss. Der Geruch feiner Speisen führte sie der Küche zu; dort bot sie dem Koch ihre Dienste an als ein eltern- und heimatloser Knabe.
"Wohlan", sprach der Koch, "du sollst mein Aschenpüster werden, sollst früh die Feuer anschüren und am Tage unterhalten und sorgen, dass keine Asche umher falle; dafür sollst du dich alle Tage satt essen. Musst aber auch des gnädigsten Herrn Röcke ausbürsten und seine Stiefel putzen und glänzend machen."
Das Mädchen waltete als Knabe ihres Amtes und sah nach einigen Tagen den Prinzen, der von der Jagd kam, den Küchengang entlang schritt und einen Vogel, den er geschossen, in die Küche warf, damit derselbe gebraten werde. Der Prinz war schön und herrlich von Gestalt und Ansehen, und Aschenpüster fühlte alsbald eine heftige Liebe zu ihm. Gar zu gerne wäre sie ihm genaht, doch wollte sich das nicht schicken. Da hörte sie, drüben auf einem Nachbarschlosse werde eine fürstliche Hochzeit gehalten, die dauere drei Tage lang, und da sei der Prinz der vornehmste Gast und fahre täglich hinüber zum Tanze. Alles Volk und wer vom Schlossgesinde nur immer konnte, lief hinüber, die Pracht der Festlichkeiten mit anzusehen. Da bat Aschenpüster den Koch, ihr doch auch zu erlauben, hinüberzugehen und dem Tanze zuzusehen, denn die Küche sei in Ordnung, jedes Feuer gelöscht, jedes Fünklein tot und die Asche wohl verwahrt. Der Koch erlaubte seinem Diener, sich das erbetene Vergnügen zu gewähren. Aschenpüster eilte nach ihrer Eiche, kleidete sich in das silberne Kleid und verwandelte ihre Knabengestalt in die eigene; dann schlug sie an einen Stein mit ihrer Wünschelgerte, da wurde ein Galawagen daraus, und rührte an ein paar Rosskäfer, daraus wurden stattliche, pechschwarze Rosse, und ein Grasfrosch wurde zum Kutscher und ein grüner Laubfrosch zum Leibjäger. In den Wagen setzte sich Aschenpüster, und heidi, ging es fort, als flögen sie davon. In den Tanzsaal trat die stattliche Jungfrau, und von ihrer Schönheit war alles geblendet. Der Prinz gewann sie gleich lieb und bat sie zum Tanze; sie tanzte entzückend und war sehr glücklich, aber nach einigen Reigen schwand sie aus dem Saale, bestieg ihren draußen harrenden Wagen, schwang ihre Gerte und rief:
"Hinter mir dunkel und vor mir klar,
dass niemand sehe, wohin ich fahr!"
Es sah niemand, wohin sie fuhr; aber der Prinz war über das schnelle Verschwinden seiner schönen Tänzerin sehr unruhig. Doch auf alle seine Fragen, wer sie gewesen und woher sie sei, konnte niemand Auskunft geben, und so verbrachte er die Nacht in großer Unruhe, die sich am Morgen in einen schrecklichen Missmut und in üble Stimmung verwandelte.
Der Koch brachte des Prinzen Stiefel in die Küche und klagte über die Misslaune, indem er die Stiefel Aschenpüster zum Putzen und Wichsen übergab. Sie übernahm diese Arbeit und wichste die Stiefel so schön, dass der Kater sich mit Wohlgefallen darin spiegelte und seinem Ebenbilde einen Kuss gab; davon verschwand an der Stelle, wo er sich geküsst, der Glanz.
Als Aschenpüster nun in ihrer Knabengestalt und im Krähenpelze in des Prinzen Zimmer trat und die Stiefel hineinstellte, sah der Prinz gleich den matten Fleck, nahm den Stiefel, warf ihn nach ihr und schrie: "Du Schlingel von Aschenpüster! Wirst du wohl besser Stiefel putzen lernen?"
Aschenpüster hob den Stiefel auf und machte ihn wieder durchweg glänzend und schwieg.
Abends fuhr der Prinz abermals zum Tanze, und Aschenpüster erbat sich noch einmal Urlaub. Da Aschenpüster am vorigen Abend bald wiedergekommen und nicht über die Zeit ausgeblieben war, so gewährte der Koch wiederum die Bitte; und nun ging Aschenpüster wiederum zu ihrem Schrein und Kämmerlein in der Eiche und tat das goldene Kleid an, schuf nun mit der Wünschelgerte einen neuen Wagen, neue Rosse, neue Bedienung, und fuhr zum Schlosse hinüber. Dort war bereits der Prinz; aber er war missmutig und verstimmt, denn er sah sich vergeblich nach jener schönen, wunderbaren Jungfrau um.
Da trat sie ein, strahlend wie eine Königin. Er eilte voller Freude auf sie zu und führte sie zum Tanze. 0, wie glücklich machte ihn ihr holdes Lächeln, ihr sinniges Gespräch, ihre heitere schelmische Necklust! Viel hatte er zu fragen, unter anderem, wo sie her sei. Lachend antwortete Aschenpüster: „Aus Stiefelschmeiß."
Eine kurze Stunde weilte Aschenpüster beim Tanze. Mit einem Male war sie aus dem Saale verschwunden, rasch saß sie wieder in ihrem Wagen und sprach ihr Zauberwort:
"Hinter mir dunkel und vor mir klar,
dass niemand sehe, wohin ich fahr!"
Des Prinzen Blick suchte vergebens die schöne Unbekannte.
Nach ihr fragend, wandte er sich an diesen und jenen der Hochzeitsgäste; niemand kannte sie. Er fragte seinen Geheimrat, der mit ihm als Begleiter gekommen war: "Sagen Sie mir doch, mein lieber Geheimrat, wo liegt der Ort oder das Schloss Stiefelschmeiß?"
Der Geheimrat machte eine tiefe Verbeugung und antwortete: "Durchlauchtigster Prinz! Höchstdieselben geruhen? Stiefelschmeiß - O ja, das liegt - das liegt - in - in fatal, nun fällt es mir im Augenblicke nicht ein, wo es liegt. Sollte es wirklich einen Ort oder ein Schloss dieses seltsamen Namens geben? Wo sollte selbiges liegen, Euer Durchlaucht?"
Der Prinz drehte dem Sprecher den Rücken zu und murmelte ärgerlich durch die Zähne: "Ich lasse diesem Geheimrat jährlich tausend Goldstücke Gehalt auszahlen, und nun weiß er nicht einmal, wo Stiefelschmeiß liegt! - Es ist schauderhaft!" -
Daraus erklärte sich von selbst, dass, als die Morgenröte des nächsten Tages rosig emporstieg, die Laune des Prinzen dennoch keine rosenfarbene war. Er hatte keine Ruhe, wollte früh schon ausgehen, zog seinen Rock an, den Aschenpüster reingebürstet hatte, entdeckte darauf einige Stäubchen, rief nach einer Bürste und stampfte mit dem Fuße. Eilend lief Aschenpüster im Krähenpelze mit der Bürste herbei; der Prinz war aber so schrecklich böse, dass er ihr die Bürste aus der Hand riss, sie ihr an den Kopf warf und ihr zuschrie, sie solle ein anderes Mal gleich besser bürsten.
Am letzten Abende des Hochzeitsfestes lief wieder alles hinüber zum Nachbarschlosse, und auch der Prinz fuhr wieder hin. Da bat Aschenpüster zum dritten Mal um Erlaubnis, auch zusehen zu dürfen. Darüber schüttelte der Koch sehr den Kopf, dass der Junge so neugierig sei, doch dachte er: Jugend hat nicht Tugend, und sagte: "Es ist heute das letzte Mal; lauf hin!"
Aschenpüster lief geschwind in den Park an die Eiche, zog das Demantkleid an, zauberte sich wieder Rosse und Wagen, Kutscher und Lakaien und erschien wie ein lebendiger Schönheitsstrahl beim Feste. Der Prinz tanzte vor allem mit ihr und fragte sie zärtlich, wie sie denn heiße. Aschenpüster lächelte schelmisch und antwortete: "Cinerosa Bürstankopf."
Den Vornamen fand der Prinz, zumal er kein Latein verstand, sehr schön, den Zunamen aber gar sonderbar. Er hatte diese gewiss reiche und angesehene Familie noch nie nennen hören. Doch sprach er, indem er ihr seinen Ring an den Finger schob: "Wer du auch sein magst, schöne Cinerosa! Mit diesem Ringe verlobe ich mich dir!" - Mit holder Schamröte auf den Wangen blickte Aschenpüster zur Erde und zitterte. Gleich darauf entfernte sie sich, als der Prinz nur einen Augenblick seine Augen anderswohin wandte. Schnell saß sie im Wagen. Aber der Prinz hatte Befehl gegeben, seinen dicht hinter dem ihren aufzufahren, damit er ihr folgen könne. Aschenpüster schwang ihre Wünschelgerte und sprach.
"Hinter mir dunkel und vor mir klar,
dass niemand sehe, wohin ich fahr!"
Und da rollte sie hin. - Rasch saß jetzt auch der Prinz in seinem Wagen und rollte ihr nach, aber da war ihr Wagen nicht mehr zu sehen; gleichwohl hörte man dessen Räder rollen, und so folgte der Wagenlenker des Prinzen diesem Schall. Der Tanz hatte diesmal am längsten gedauert, schon zog der frühe Morgen dämmernd heran; die Stunde war bereits da, in der die Küchenarbeit begann. Aschenpüster zauberte schnell ihren Wagen und ihre Bedienung fort und hatte nicht Zeit, sich erst umzukleiden; sie verbarg daher eiligst ihr Demantkleid unter dem Krähenpelze und eilte in die Küche. Der Prinz aber, welcher dem Wagen des herrlichen Mädchens nachgefahren war, sah sich mit Verwunderung dicht vor dem eigenen Schlosse und wusste nicht, wie ihm geschah. Er war daher wieder sehr missmutig und vor Verdruss beinahe krank.
"Unser Prinz ist gar nicht wohlauf!", sagte zu Aschenpüster der Koch. "Er muss ein Kraftsüpplein haben, zünde rasch Feuer an."
Der Morgenimbiss wurde schnell bereitet, Aschenpüster warf des Prinzen Ring hinein, der Koch trug die Tasse auf. Der Prinz trank und fand am Boden mit Erstaunen seinen Ring und fragte hastig: "Wer war so früh schon in der Küche?"
"Euer Durchlaucht, niemand als ich und der Aschenpüster", antwortete der Koch.
"Schicke mir diesen Burschen gleich einmal herein!", gebot der Prinz, und als Aschenpüster kam, sah ihn der Prinz ganz scharf an, aber der Krähenpelz verhüllte alle Schönheit.
"Komm her, tritt näher, Aschenpüster!", gebot der Prinz.
"Komm, kämme mich, mein Friseur liegt noch in den Federn!"
Aschenpüster gehorchte; sie trat ganz nahe an den Prinzen heran und strählte ihm mit elfenbeinernem Kamme das volle, weiche Haar. Der Prinz befühlte den Krähenpelz ; derselbe war an einigen Stellen abgetragen, daher etwas mürb und fadenscheinig, und durch die abgeschabten Fäden blitzte es so funkelklar wie Morgentau; das war der Demantglanz des Prachtgewandes, das Aschenpüster noch unter ihrem Krähenpelze trug.
"Jetzt kenne ich dich, o Liebe!", rief voll unaussprechlicher Freude der Prinz. "Jetzt bist du mein, jetzt bin ich dein!" Und er schloss die Braut in die Arme und küsste sie.
Kurz vor der Hochzeit bat die schöne Braut sich von ihrem geliebten Bräutigam noch eine Gnade aus. Der gute Koch, der Aschenpüster so wohlwollend aufgenommen und so freundlich und gütig behandelt hatte, empfing von dem Prinzen den Ritterschlag und wurde zum Erbtruchsess erhoben. Das war ihm recht, da brauchte er das Essen nicht mehr zu kochen wie sonst, sondern konnte es an der fürstlichen Tafel in aller Ruhe selbst mit verzehren helfen, und als die Hochzeit prachtvoll gefeiert wurde, da trug er im vollen Glanze seiner neuen Würde, geschmückt mit Stern und Orden, dem prinzlichen Paare selbst mit eigener Hand die Speisen auf.

Die verzauberte Prinzessin

Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in der Welt, der Vater hatte den bösen mehr lieb als den guten.
Nun begab es sich, dass das Jahr einmal ein mehr als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel leer ward. Ei, dachte er, man muss zu leben wissen. Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun ist es an dir, höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen. Gesagt, getan! Frühmorgens zog er aus und klopfte an manche stattliche Tür; aber wie es sich denn so trifft, dass die stattlichsten Herren nicht die besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und matt des Abends in seine Heimat, und trübselig setzte er sich vor die Türe der Schenke ganz allein; denn er hatte weder das Herz, mit den Zechgästen zu plaudern, noch freute er sich auf das lange Gesicht seines Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken, konnte er nicht lassen, hinzuhören auf das Gespräch, das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, dass die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer gefangen gesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr Leben lang, wenn nicht jemand sich fände, der die drei Proben löste, welche der Zauberer gesetzt hatte. Fände sich aber einer, so wäre die Prinzess sein und ihr ganzes Schloss mit all seinen Schätzen. Das hörte der Meister an, zuerst mit halbem Ohr, dann mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er dachte:
Mein Sohn Helmerich ist ein aufgeweckter Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, wenn das einer von ihm heischte; was gilt's, er löst die Proben und wird der Gemahl der schönen Prinzessin und Herr über Land und Leute. Denn also hatte der König, ihr Vater, verkündigen lassen. Schleunig kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er zum Helmerich, dass er ihn mit Ross und Wehr ausrüsten wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder Hans gleich holen lassen in seinem sechsspännigen Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig, wie er dahin zog, ließ er seinen Mutwillen aus an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit Gesang, wie sie es verstanden, scheuchte er mit der Gerte von den Ästen, und kein Getier kam ihm in den Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen hätte. Zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen; den ließ er sein Ross zertreten, und die Ameisen, die erzürnt an sein Ross und an ihn selbst krochen und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam. Endlich traf er einen schönen Bienenstock; da machte er es den Bienen, wie er es den Ameisen gemacht. Und so war seine Freude, die unschuldigen Kreaturen nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer Tücke zu plagen und zu zerstören.
Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige Schloss erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte. Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter. Endlich tat sich ein Schiebefenster auf, und hervor sah ein altes Mütterlein mit spinnwebfarbigem Gesichte, das fragte verdrießlich, was er begehre. "Die Prinzess will ich erlösen", rief Helmerich, "geschwind, macht mir auf!"
"Eile mit Weile, mein Sohn", sprach die Alte; "morgen ist auch ein Tag; um neun Uhr werde ich dich hier erwarten." Damit schloss sie den Schalter.
Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner gewärtig mit einem Fässchen voll Leinsamen, den sie ausstreute auf eine schöne Wiese. "Lies die Körner zusammen", sprach sie zu dem Reiter, „in einer Stunde komme ich wieder, da muss die Arbeit getan sein."
Helmerich aber dachte, das sei ein alberner Spaß und lohne es nicht, sich darum zu bücken; er ging derweil spazieren, und als die Alte wiederkam, war das Fässchen so leer wie vorher.
"Das ist nicht gut", sagte sie. Darauf nahm sie zwölf kleine goldene Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in den tiefen, dunklen Schlossteich. "Hole die Schlüssel herauf", sprach sie, "in einer Stunde komme ich wieder, da muss die Arbeit getan sein."
Helmerich lachte und tat wie vorher.
Als die Alte wiederkam und auch diese Aufgabe noch nicht gelöst war, da rief sie zweimal: "Nicht gut! Nicht gut!" Doch nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen Saal des Schlosses; da saßen drei Frauensleute, alle drei in dichte Schleier gehüllt. "Wähle, mein Sohn", sprach die Alte, "aber sieh dich vor, dass du recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder." Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam, als da sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohl: "Die zur Rechten wähle ich!"
Da warfen alle drei die Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzess, rechts und links zwei scheußliche Drachen, und der zur Rechten packte den Helmerich mit seinen Krallen und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.
Ein Jahr war nun verflossen, seit Helmerich ausgezogen, die Prinzess zu erlösen, und noch immer war bei den Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. –
"Ach", sprach der Vater, "wäre nur der ungeschickte Hans ausgezogen statt unseres besten Buben, da wäre das Unglück doch geringer."
"Vater", sagte Hans, "lasst mich hinziehen, ich will's auch probieren." Aber der Vater wollte nicht, denn was dem Klugen misslingt, wie führt das der Ungeschickte zu Ende? Da der Vater ihm Ross und Wehr versagte, machte sich Hans heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war. Aber er fürchtete sich nicht und schlief des Nachts auf dem weichen Moos unter den grünen Zweigen so sanft wie unter dem Dach seiner Eltern; die Vögel des Waldes scheuten sich nicht vor ihm, sondern sangen ihn in den Schlaf mit ihren besten Weisen. Als er nun an die Ameisen kam, die beschäftigt waren, ihren Bau zu vollenden, störte er sie nicht, sondern wollte ihnen helfen, und die Tierchen, die an ihm hinauf krochen. las er ab, ohne sie zu töten, wenn sie ihn auch bissen. Die Enten lockte er auch ans Ufer, aber um sie mit Brosamen zu füttern; den Bienen warf er frische Blumen hin, die er am Wege gepflückt hatte. So kam er fröhlich an das Königsschloss und pochte bescheiden am Schalter. Gleich tat die Tür sich auf, und die Alte fragte nach seinem Begehr. "Wenn ich nicht zu gering bin, möchte ich es auch versuchen, die schöne Prinzess zu erlösen", sagte er.
"Versuche es, mein Sohn", sagte die Alte, "aber wenn du die drei Proben nicht bestehst, kostet es dein Leben."
"Wohlan, Mütterchen", sprach Hans, "sage, was ich tun soll." Jetzt gab die Alte ihm die Probe mit dem Leinsamen. Hans war nicht faul, sich zu bücken, doch schlug es drei Viertel, und das Fässchen war noch nicht halb voll. Da wollte er schier verzagen; aber auf einmal kamen schwarze Ameisen, mehr als genug, und in wenigen Minuten lag kein Körnchen mehr auf der Wiese. Als die Alte kam, sagte sie: "Das ist gut!" und warf die zwölf Schlüsseln in den Teich, die sollte er in einer Stunde herausholen. Aber Hans brachte keinen Schlüssel aus der Tiefe; so tief er auch tauchte, er kam nicht auf den Grund. Verzweifelt setzte er sich ans Ufer; da kamen die zwölf Entchen herangeschwommen, jede mit einem goldenen Schlüsselchen im Schnabel, die warfen sie ins feuchte Gras. So war auch diese Probe gelöst, als die Alte wiederkam,
um ihn nun in den Saal zu führen, wo die dritte und schwerste Probe seiner harrte. Verzagend sah Hans auf die drei gleichen Sch1eiergestalten; wer sollte ihm hier helfen? Da kam ein Bienenschwarm durchs offene Fenster geflogen, die kreisten durch den Saal und summten um den Mund der drei Verhüllten. Aber von rechts und links flogen sie schnell wieder zurück, denn die Drachen rochen nach Pech und Schwefel, wovon sie leben; die Gestalt in der Mitte umkreisten sie alle und surrten und schwirrten leise: "Die Mittlere, die Mittlere." Denn da duftete ihnen der Geruch ihres eigenen Honigs entgegen, den die Königstochter so gern aß. Also, da die Alte wiederkam nach einer Stunde, sprach Hans getrost: "Ich wähle die Mittlere." Und da fuhren die bösen Drachen zum Fenster hinaus, die schöne Königstochter aber warf ihren Schleier ab und freute sich der Erlösung und ihres schönen Bräutigams. Und Hans sandte dem Vater der Prinzess den schnellsten Boten, und zu seinen Eltern einen goldenen Wagen, mit sechs Pferden bespannt, und sie alle lebten herrlich und in Freuden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

Der goldene Käse – nach Bechstein

Auf einer Alpe wohnte ein reicher Bauer, der besaß viel Vieh und viele Wiesen. Im Tal wohnte eine arme Verwandte von ihm; sie war Witwe und hatte eine Tochter. Die beiden lebten kümmerlich, denn die Witwe war krank und konnte nicht arbeiten.
Da entschloss sich das Mädchen, hinauf auf die Alpe zum reichen Verwandten zu gehen und ihn um Unterstützung zu bitten. Kaum hatte sie das Haus erreicht, da stieg ein schreckliches Gewitter am Himmel auf. Sie bekam es richtig mit der Angst zu tun und war froh, Unterkunft zu finden. Doch der reiche Onkel jagte sie aus dem haus, als sie ihn um Hilfe für ihr Mütte4rchen bat. Sie musste sich bei Regen und Sturm auf den Heimweg machen. Gottlob kam sie an einer Alphütte vorbei. Der Senne ließ sie gern eintreten und schenkte ihr sogar einen runden Käse.
Als das Unwetter vorbei war, machte sich das Mädel auf den Heimweg. Da es aber so stark geregnet hatte und die Wege so glatt waren, rutschte es unterwegs aus. Dabei verlor das Mädchen den runden Käse, der bergab rollte. Da fing das Mädchen bitterlich zu weinen an.
Plötzlich erschrak es. Jemand fasste seine Hand, und als das Mädchen hinsah, stand ein kleiner Zwerg neben ihm und hielt den Käse in der Hand. Aber er war jetzt viel größer.
„Hier, nimm den Käse“. Sprach der Zwerg, „und auch dieses Bündel Kräuter. Koch deiner Mutter davon einen Tee, und sie wird gesund werden.“
Als das Mädchen mit dem Käse und den Kräutern heimkam, war der Käse zu Gold geworden. Ein Sud von den Kräutern half der kranken Mutter sofort. Sie konnte schon am Abend aufstehen und war gesund.
Am nächsten Tag hörten sie, dass das Gewitter auf der Alpe die Wiesen verwüstet hatte. Der reiche Verwandte aber war von einem käsegroßen Stein getroffen worden und lag krank zu Bett.

 

Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel

Diese Geschichte ist ganz lügenhaft zu erzählen, Jungens, aber wahr ist sie doch, denn mein Großvater, von dem ich sie habe, pflegte immer, wenn er sie erzählte, dabei zu sagen!" Wahr muss sie doch sein, meine Söhne, denn sonst könnte man sie ja nicht erzählen." Die Geschichte aber hat sich so zugetragen:
Es war einmal an einem Sonntagmorgen in der Herbstzeit, just als der Buchweizen blühte. Die Sonne war goldig am Himmel aufgegangen, der Morgenwind ging frisch über die Stoppeln, die Lerchen sangen in der Luft, die Bienen summten in dem Buchweizen, und die Leute gingen in ihren Sonntagskleidern nach der Kirche, kurz, alle Geschöpfe waren vergnügt und der Swinegel auch.
Der Swinegel aber stand vor seiner Türe, hatte die Arme übereinander geschlagen, guckte dabei in den Morgenwind hinaus und trällerte ein Liedchen vor sich hin, so gut und so schlecht, als es nun eben am lieben Sonntagmorgen ein Swinegel zu singen vermag. Indem er nun noch so halbleise vor sich hin sang, fiel ihm auf einmal ein, er könne wohl, während seine Frau die Kinder wüsche und anzöge, ein bisschen im Felde spazieren und dabei sich umsehen, wie seine Steckrüben stünden. Die Steckrüben waren ganz nahe bei seinem Hause, und er pflegte mit seiner Familie davon zu essen, und deshalb sah er sie denn auch als die seinigen an. Der Swinegel machte die Haustüre hinter sich zu und schlug den Weg nach dem Felde ein. Er war noch nicht sehr weit vom Hause und wollte just um den Schlehenbusch, der da vor dem Felde liegt, herumschlendern, als ihm der Hase begegnete, der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war, nämlich, um seinen Kohl zu besehen.
Als der Swinegel des Hasen ansichtig wurde, bot er ihm einen freundlichen "guten Morgen". Der Hase aber, der nach seiner Weise ein gar vornehmer Herr war und auch grausam hochfahrig dazu, antwortete nicht auf des Swinegels Gruß sondern sagte zu ihm, wobei er eine gewaltig höhnische Miene annahm: "Wie kommt es denn, dass du schon bei so frühem Morgen im Felde rum läufst?"
"Ich gehe spazieren", sagte der Swinegel.
"Spazieren?" lachte der Hase, "mir deucht, du könntest die Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen."
Diese Antwort verdross den Swinegel über alle Maßen, denn alles kann er vertragen, aber auf seine Beine lässt er nichts kommen, eben weil sie von Natur schief sind. "Du bildest dir wohl ein", sagte nun der Swinegel, "dass du mit deinen mehr ausrichten kannst?"
"Das denke ich", sagte der Hase."
„Nun, es käme auf einen Versuch an", meinte der Swinegel, "ich wette, wenn wir wettlaufen, ich laufe dir voraus."
"Das ist zum Lachen, du mit deinen schiefen Beinen!" sagte der Hase, "aber meinetwegen mag es sein, wenn du so übergroße Lust hast. Was gilt die Wette?"
"Einen goldenen Louisdor und eine Flasche Schnaps", sagte der Swinegel.
"Angenommen!" sprach der Hase, "schlag ein, und dann kann's gleich losgehen."
"Nein, so große Eile hat es nicht", meinte der Swinegel, "ich bin noch ganz nüchtern; erst will ich nach Hause gehen und ein bisschen frühstücken. In einer halben Stunde bin ich auf dem Platze." Darauf ging der Swinegel, denn der Hase war es zufrieden.
Unterwegs dachte der Swinegel bei sich: der Hase verlässt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn schon kriegen. Er dünkt sich zwar ein vornehmer Herr zu sein, ist aber doch ein dummer Kerl und bezahlen muss er doch. Als nun der Swinegel zu Hause ankam, sagte er zu seiner Frau: "Frau, zieh dich eilig an, du musst mit ins Feld hinaus."
"Was gibt's denn?", sagte die Frau.
" Ich habe mit dem Hasen um einen goldenen Louisdor und eine Flasche Schnaps gewettet, ich will mit ihm um die Wette laufen, und da sollst du dabei sein."
"Oh, mein Gott, Mann!", schrie dem Swinegel seine Frau, "bist du nicht klug, hast du den Verstand verloren? Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?"
"Sei still, Weib!", sagte der Swinegel, "das ist meine Sache. Mische dich nicht in Männergeschäfte. Marsch, zieh dich an und komm mit!" Was sollte dem Swinegel seine Frau machen? Sie musste wohl folgen, sie mochte wollen oder nicht.
Als sie nun miteinander unterwegs waren, sprach der Swinegel zu seiner Frau also: "Nun pass auf, was ich dir sagen werde. Sieh, auf dem langen Acker dort wollen wir unsern Wettlauf machen. Der Hase läuft nämlich in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fangen wir an zu laufen. Nun hast du weiter nichts zu tun, als du stellst dich hier unten in die Furche, und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt, so rufst du ihm entgegen: „Ich bin schon da!'
Damit waren sie beim Acker angelangt; der Swinegel wies seiner Frau ihren Platz an und ging nun den Acker hinauf. Als er oben ankam, war der Hase schon da.
"Kann es losgehen?", sagte der Hase.
" Jawohl", erwiderte der Swinegel. "Dann man zu!" Und damit stellte sich jeder in seine Furche. Der Hase zählte: "Eins, zwei, drei!" und los ging es wie ein Sturmwind den Acker hinunter. Der Swinegel aber lief nur ungefähr drei Schritte, dann duckte er sich in die Furche nieder und blieb ruhig sitzen. -
Als nun der Hase in vollem Laufe unten ankam, rief ihm des Swinegels Frau laut entgegen: "Ich bin schon da!" Der Hase stutzte und wunderte sich nicht wenig. Er meinte nicht anders, es wäre der Swinegel selbst, der ihm das zurufe, denn bekanntlich sieht Frau Swinegel geradeso aus wie ihr Mann.
Der Hase aber meinte: "Das geht nicht mit rechten Dingen zu." Er rief: "Noch einmal gelaufen, wieder herum!" Und fort ging es wieder wie der Sturmwind, so dass ihm die Ohren am Kopfe flogen. Des Swinegels Frau aber blieb ganz ruhig auf ihrem Platze. Als nun der Hase oben ankam, rief ihm der Swinegel entgegen: "Ich bin schon da!" Der Hase aber, ganz außer sich vor Eifer, schrie: "Noch einmal gelaufen, wieder herum !" –
"Mir recht!", antwortete der Swinegel, "meinetwegen sooft du Lust hast." So lief der Hase dreiundsiebzig Mal, und der Swinegel hielt es immer mit ihm aus. Jedes Mal, wenn der Hase unten oder oben ankam, sagte der Swinegel oder seine Frau: "Ich bin schon da!"
Zum vierundsiebzigsten Male aber kam der Hase nicht mehr zu Ende. Mitten auf dem Acker stürzte er zur Erde, das Blut floss ihm aus dem Halse, und er blieb tot auf dem Platze. Der Swinegel aber nahm seinen gewonnenen Louisdor und die Flasche Branntwein, rief seine Frau aus der Furche ab, und beide gingen vergnügt nach Hause, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.
So begab es sich, dass auf der Buxtehuder Heide der Swinegel den Hasen zu Tode gelaufen hat, und seit jener Zeit hat es sich kein Hase wieder einfallen lassen, mit dem Buxtehuder Swinegel um die Wette zu laufen.
Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist erstens, dass keiner, und wenn er sich auch noch so vornehm dünkt, sich soll beikommen lassen, über den geringen Mann sich lustig zu machen, und wäre es auch nur ein Swinegel. Und zweitens, dass es geraten ist, wenn einer freiet, dass er sich eine Frau aus seinem Stande nimmt, die just so aussieht wie er selbst. Wer also ein Swinegel ist, der muss darauf sehen, dass seine Frau auch ein Swinegel sei.

Zwergenmützchen

Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter liebte er sehr, aber mit den Söhnen war er stets unzufrieden; sie konnten ihm nie etwas recht machen. Darüber waren die Brüder sehr bekümmert. Sie wünschten sich weit weg von ihrem Vaterhaus und saßen oft klagend und seufzend beisammen und wussten nicht, was sie anfangen sollten.
Eines Tages, als sie wieder so betrübt beieinander waren, seufzte der eine von ihnen: "Ach, hätten wir nur ein Zwergenmützchen, da wäre uns allen geholfen."
"Was ist's damit?", fragte der eine von den beiden anderen Brüdern. –
"Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen", erklärte der erste, "haben Mützchen, die man auch Nebelkäpplein nennt; mit denen kann man sich unsichtbar machen, wenn man sie aufsetzt. Das ist gar eine schöne Sache, liebe Brüder. Da kann man den Leuten aus dem Wege gehen, die nichts von einem wissen wollen und von denen man nie ein gutes Wort empfängt. Man kann hingehen, wohin man will, nehmen, was man will; niemand sieht einen, solange man mit dem Mützchen bedeckt ist." –
"Aber wie gewinnt man solch ein rares Mützchen?", fragte der Jüngste.
"Die Zwerge", antwortete der Älteste, "sind ein kleines, drolliges Völklein, das gern spielt. Da macht es ihnen große Freude, bisweilen ihr Mützchen in die Höhe zu werfen. Wupp dich sind sie sichtbar, wupp dich fangen sie das Mützchen wieder, setzen es auf und sind wieder unsichtbar. Nun braucht man nichts zu tun, als aufzupassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Höhe wirft. Man muss dann rasch den Zwerg packen und das Mützchen geschwind selbst fangen. Da muss der Zwerg sichtbar bleiben und man wird Herr der ganzen Zwergsippschaft. Nun kann man entweder das Mützchen behalten und sich damit unsichtbar machen oder von den Zwergen so viel dafür fordern, dass man für sein Leben lang genug hat; denn die Zwerge haben Macht über alles Metall in der Erde und kennen alle Wunderkräfte der Natur.“
"Ei, das wäre!“, rief einer der Brüder. "So gehe doch hin und verschaffe dir und uns solche Mützchen oder mindestens dir eins und hilf dann auch uns, dass wir von hier fortkommen."
"Ich will es tun", sagte der Älteste, und bald war er auf dem Wege nach den grünen Bergen. Es war ein etwas weiter Weg und erst 'gegen Abend kam der gute Junge bei den Zwergenbergen an. Dort legte er sich in das grüne Gras an eine Stelle, wo im Grase die Ringelspuren von den Tänzen der Zwerge im Mondschein sich zeigten. Nach einer Weile sah er schon einige Zwerge ganz nahe bei sich übereinander purzeln, Mützchen werfen und spaßige Kurzweil treiben. Bald fiel ein solches Mützchen neben ihm nieder, schon haschte er danach - aber der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, war ungleich behänder als er, erhaschte sein Mützchen selbst und schrie: "Diebio ! Diebio!" Auf diesen Ruf warf sich das ganze Heer der Zwerge auf den armen Knaben und es war, als wenn ein Haufen Ameisen um einen Käfer krabbelt. Er konnte sich der Menge nicht erwehren und musste es geschehen lassen, dass die Zwerge ihn gefangen nahmen und ihn tief hinab in ihre unterirdischen Wohnungen brachten.
Als nun der älteste Bruder nicht wiederkam, bekümmerte und betrübte das die beiden jüngeren Brüder gar sehr. Auch der Schwester war es leid, denn sie war sanft und gut und es schmerzte sie oft, dass der Vater gegen ihre Brüder so hart und unfreundlich war und nur sie allein bevorzugte. Der alte Müller aber murrte: "Mag der Schlingel von einem Jungen beim Kuckuck sein, was kümmert's mich? 's ist nun ein unnützer Kostgänger weniger im Hause. Wird schon wiederkommen - ist ans Brot gewöhnt - Unkraut verdirbt nicht."
Aber Tag um Tag verging und der Knabe kam nicht wieder. Der Vater aber wurde gegen die beiden Zurückgebliebenen immer mürrischer und härter. Da klagten die zwei Brüder oft gemeinsam und einst sprach der mittlere: "Weißt du was, Bruder? Ich werde mich jetzt selbst aufmachen und nach den grünen Bergen gehen, vielleicht erlange ich ein Zwergenmützchen. Ich denke mir die Sache gar nicht anders als so: Unser Bruder hat solch ein Mützchen erlangt und ist damit in die weite Welt gegangen, erst sein Glück zu machen, und darüber hat er uns vergessen. Ich komme gewiss wieder, wenn ich Glück habe. Komme ich aber nicht zurück, so bin ich nicht glücklich gewesen, und für diesen Fall lebe wohl auf immer!"
Traurig trennten sich die Brüder und der eine wanderte fort nach den grünen Bergen. Dort erging es ihm in allen Stücken genau so, wie es seinem Bruder ergangen war. Er sah die
Zwerge, haschte nach einem Mützchen, aber der Zwerg war flinker als er, 'schrie: "Diebio! Diebio!" und der ganze Haufen der Unterirdischen stürzte sich auf und über den Knaben, umstrickte ihn, dass er kein Glied regen konnte, und führte ihn tief hinab in die unterirdischen Wohnungen.
Mit der sehnsüchtigsten Ungeduld harrte der jüngste Bruder daheim in der Mühle auf des Bruders Wiederkehr, aber vergebens. Da wurde er sehr traurig, denn er wusste ja nun, dass der zweite Bruder nicht glücklich gewesen war, und die Schwester wurde auch traurig. Der Vater aber blieb gleichgültig und sagte nur: "Weg ist weg - wem es daheim nicht gefällt, der wandre -- die Welt ist groß und weit - in meinem Hause hat der Zimmermann ein Loch gelassen. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, tanzt und bricht ein Bein - lasst den Guck-in-die-Welt nur laufen, was grämt ihr euch um den Schlucker? Ich bin froh, dass er mir aus den Augen ist."
Der jüngste Bruder hatte bisher im gemeinsamen Ertragen des Leides Trost gefunden; als aber nun seine bei den älteren Brüder fort waren, fand er seine Lage ganz unerträglich und sagte zu seiner Schwester:
"Liebe Schwester, ich gehe nun auch fort, und schwerlich werde ich wiederkommen, wenn es mir ergeht wie unsern Brüdern. Der Vater liebt mich einmal nicht und ich kann nichts dafür. Die Scheltworte, die früher auf uns drei niederfielen, fallen jetzt auf mich allein, das ist mir denn doch eine zu schwere Last. Lebe wohl und lass es dir wohlergehen!"
Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst nicht fortlassen, denn sie hatte ihn am allermeisten lieb, allein er ging dennoch, und zwar heimlich, von dannen.
Unterwegs überlegte er sich recht genau, wie er es anfangen wollte, sich ein Zwergenmützchen zu verschaffen. Als er auf die grünen Berge kam, erkannte er bald an den grünen Ringeln im Grase den Ort der nächtlichen Zwergentänze und ihren Spiel- und Tummelplatz; er legte sich in der Dämmerung hin und wartete ab, bis die Zwerglein kamen, spielten, tanzten und Mützchen warfen.
Eines derselben kam ihm ganz nahe, warf sein Mützchen, aber der kluge Knabe griff gar nicht danach. Er dachte: ich habe ja Zeit und muss die Männlein erst recht sicher machen. Der Zwerg sah, dass nichts zu machen war, nahm sein Mützehen, das nahe bei dem Knaben niedergefallen war, und ging weg. Es dauerte gar nicht lange, so fiel ein zweites Mützchen neben den Jüngsten. Ei, dachte der Knabe, da regnet's Mützehen, griff aber nicht danach, bis endlich ein drittes ihm gar auf die Hand fiel. Schnell hielt er's fest und sprang rasch empor. "Diebio! Diebio, Diebio!", schrie laut der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit feiner, gellender Stimme, die durch Mark und Bein drang, und da wimmelte das Zwergvolk herbei. Aber der Knabe wurde unsichtbar, weil er das Mützchen hatte, und sie konnten ihm gar nichts anhaben. Allesamt erhoben sie ein klägliches Jammern und Gewinsel um das Mützehen und baten den unsichtbaren Dieb, er solle es doch um alles in der Welt wieder hergeben.
"Um alles in der Welt?", fragte der kluge Knabe die Zwerge.
"Das wär' mir schon recht! Aus dem Handel könnte etwas werden. Will aber erst sehen und hören, worin euer ,Alles' besteht. Vorerst frage ich: Wo sind meine bei den Brüder?"
"Die sind drunten im Schoß des grünen Berges!", antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte. –
"Und was tun sie?"
"Sie dienen!" _
"So! Sie dienen - und ihr dient nun mir. Auf! Hinab zu meinen Brüdern! Ihr Dienst ist aus und eurer fängt nun an!"
Da mussten die Unterirdischen dem irdischen Menschen gehorsam sein, weil er durch das Mützchen Macht über sie erlangt hatte.
Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten nun ihren Gebieter an eine Stelle, wo sich eine Öffnung in dem grünen Berge befand; sie tat sich klingend auf und es ging rasch hinein und hinunter. Drunten waren herrliche und unermesslich weite Räume, große Hallen und kleine Zimmer und Kämmerchen, je nach des Zwergvolks Bedarf. Aber der Knabe verlangte sogleich, ehe er sich nach etwas anderem umsah, nach seinen Brüdern. Die wurden herbeigebracht. Sie waren in Dienertracht gekleidet und riefen ihm, sobald sie ihn erblickten, wehmütig zu:
"Ach, kommst auch du, lieber, guter Bruder, unser Jüngster! So sind wir drei nun doch wieder beisammen, aber in der Gewalt dieser Unterirdischen, und sehen nimmermehr wieder das himmlische Licht, den grünen Wald und die goldenen Felder!"
"Liebe Brüder", erwiderte der Jüngste, "harret nur, ich vermeine, das Blättlein soll sich wohl wenden."
"Herrenkleider und Prunkgewänder für meine Brüder und mich!", herrschte er den Zwergen zu, hielt aber dabei wohlweislich das wertvolle Mützchen fest in der Hand. Als seinem Befehl augenblicklich gehorcht und das Umkleiden vollzogen war, befahl der Zwergengebieter eine Tafel mit auserlesenen Speisen und trefflichen Weinen. Dann heischte er Gesang und Saitenspiel nebst Tanz und Theater, in welchen Künsten die Zwerge das Ausgezeichnetste leisteten, was einer nur sehen konnte, dann kostbare Betten zum Ausruhen, dann Illumination des ganzen unterirdischen Reiches, dann eine gläserne Kutsche, mit prächtigen Pferden bespannt, um in den grünen Bergen überall herumzufahren und alles Sehenswerte in Augenschein zu nehmen. Da fuhren die drei Brüder durch alle Edelsteingrotten und sahen die herrlichsten Wasserkünste, sahen die Metalle als Blumen blühen, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen, und alles strahlte von Glanz und Pracht und Herrlichkeit.
Dann begann der Gebieter mit den Zwergen über die Zurückgabe des Mützchens zu unterhandeln und legte ihnen schwere Bedingungen auf. Erstens heischte er einen Trank aus den köstlichsten Heilkräutern, die mit allen ihren Kräften den Zwergen nur zu wohl bekannt sind, für seines Vaters krankes Herz, dass es sich umkehre und Liebe zu den drei Söhnen gewinne. Zweitens forderte er einen Brautschatz, so reich wie für eine Königstochter, der war für seine liebe Schwester bestimmt. Drittens verlangte er einen Wagen voll Edelsteine und Kunstgeräte, wie sie nur die Zwerge zu verfertigen verstehen, einen Wagen voll von gemünztem Golde, weil das Sprichwort sage "Bares Geld lacht", und die Brüder gern auch lachen wollten. Endlich wollte er noch je einen Wagen für die drei Brüder, höchst bequem eingerichtet, mit Glasfenstern versehen, und zu diesen drei Wagen alles Nötige: Kutscher, Pferde, feine Geschirre und Riemenzeug.
Die Zwerge wanden sich und krümmten sich bei diesen Forderungen und taten so jämmerlich, dass es einen Stein erbarmt haben würde; es half ihnen aber all ihr Gewinsel nichts.
"Wenn ihr nicht wollt", sagte der Gebieter, "so ist es mir auch recht, so bleiben wir da; es ist ja recht schön bei euch,. ich nehme euch allesamt, wie ihr da seid, eure Mützchen. Dann seht, was aus euch wird, wenn euch jeder erblicken kann - tot werdet ihr geschlagen, wo sich nur einer von euch sehen lässt. Noch mehr! Ich fahre hinauf auf die Oberwelt und sammle Kröten, die geb' ich euch dann, jedem eine, vor dem Schlafengehen mit ins Bett."
Wie der Gebieter das Wort Kröten aussprach, stürzten alle Zwerge wie verzweifelt auf ihre Knie und riefen: "Gnade! Gnade! Nur das nicht! Um alles in der Welt! Nur das nicht!" - denn die Kröten sind ja der Zwerge Abscheu und Tod. Seufzend willigten sie in sein Begehr und gingen alsobald ans Werk, um alles Gewünschte herbeizuschaffen und alle Gebote ihres strengen Gebieters zu vollziehen. -
Aber in der Mühle des alten grämlichen Müllers droben war jetzt nicht mehr gut sein. Denn als der jüngste Bruder auch davongegangen war, murrte der Müller: "Nun, der ist auch fort - bleibt auch aus wie das Röhrenwasser - so geht es - das hat man davon, wenn man Kinder großzieht - sie wenden einem den Rücken zu. Nun ist nur noch das Mädchen da, mein Augapfel, mein Liebling."
Der Liebling aber saß da und begann zu weinen.
"Weinst du schon wieder!", murrte der Alte, "denkst, ich soll meinen, du weinst um deine Brüder? Um den armen Schlucker weinst du, der dich freien will. Er hat nichts, du hast nichts, ich habe nichts, haben wir alle drei nichts. Hörst du was klappern? Ich höre nichts. Die Mühle steht - ich kann nicht mahlen - du kannst nicht heiraten, oder wir halten des Bettelmanns Hochzeit. Wie?" –
Solcherlei Reden hatte die Tochter fast täglich anzuhören und sie verging fast in stillem Leide.
Da kamen eines schönen Morgens drei Wagen angefahren und hielten vor der Mühle; kleine Kutscher fuhren, kleine Lakaien sprangen vom Tritt und öffneten den Schlag des ersten Wagens; drei junge hübsche Herrchen stiegen aus, fein gekleidet wie Prinzen.
Viel Dienerschaft wimmelte um die übrigen Wagen, lud ab, packte ab, schnallte ab: Kisten, Kasten und schwere Truhen, und sie trugen alles in die Mühle. Stumm und staunend standen der Müller und seine Tochter da.
"Guten Morgen, Vater! Guten Morgen, Schwester! Da wären wir wieder!", riefen die drei Brüder. Die beiden aber starrten sie verwundert an. -
"Trink uns den Willkomm zu, lieber Vater!", rief der Älteste und nahm aus eines Dieners Hand eine Flasche und schenkte einen überaus künstlich gearbeiteten Goldpokal voll edlen Trankes und hieß den Vater trinken. Dieser trank und gab den Pokal weiter und alle tranken. Dem Alten strömte Wärme in das kalte Herz und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der - Liebe. Er weinte und fiel seinen Söhnen in die Arme und küsste sie und segnete sie. Da kam auch der Bräutigam der Tochter dazu und durfte ebenfalls mittrinken.
Darüber fingen vor Freude die Mühlräder, die so lange stillgestanden hatten, an, sich rasch zu drehen, klipp di klapp, um und um, klipp di klapp, um und um.

Die drei Musikanten

Es zogen einmal drei junge Musikanten aus ihrer Heimat in die Fremde; sie hatten alle drei bei einem Meister der Musik gelernt und wollten nun auch vereint bleiben und ihr Glück in fremden Landen versuchen. Von Ort zu Ort wanderten sie fröhlich dahin, spielten auf zu Kirmes- und Festtagstänzen und gewannen durch ihre lustigen Musikstücklein gar manchen schweren Batzen neben dem stillen und lauten Beifall. So kamen sie denn auch einmal in ein Städtchen und belustigten am Abend die Gesellschaft mit schöner Musik. Endlich hörten sie auf, aufzuspielen, sondern tranken eins, taten manchem Bescheid und gaben auch zum Gespräch der Gäste ihren Teil. Da ward mancherlei Verwunderliches durcheinander geplaudert und erzählt. Zunächst ging die Rede von einem Zauberschloss, welches sich in der Nähe des Städtchens befände und von welchem ebensoviel Wunderschönes als Wunderbares erzählt wurde. Bald hieß es: ja, dort sind ungeheure Schätze, dort ist stets Überfluss an den köstlichsten Lebensmitteln, obgleich keine Menschenseele darinnen wohnt - bald hieß es wieder: aber dort ist ein schrecklicher Geisterspuk. Wer seinen Buckel weiß hineinträgt, bringt ihn braun und blau gefärbt wieder heraus, ohne die Schätze gehoben oder den Zauber gelöst zu haben. Dies und vieles andere wurde hin und her geredet über das verzauberte Schloss. Die drei Musikanten waren nicht sobald allein in ihrem Sch1afkämmerlein, als sie sich lange unterredeten und zugleich den Gedanken erfassten, das rätselhafte Schloss sich näher zu besehen, ja, sogar sich hineinzuwagen, um möglicherweise die dort verborgenen und verzauberten Schätze zu heben. Nun wurden sie einig unter sich, dass jeder einzeln, einer nach dem andern, sich hineinwagen sollte, je nach dem Alter, und dass einem jeden ein ganzer Tag dazu vergönnt sein sollte, sein Abenteuer zu bestehen. Der erste Glücksversuch fiel dem Geiger zu. Der machte sich mutvoll und ohne Säumen auf das Schloss und fand, als er dort anlangte, die Eingangspforten schon offen, als ob man seiner geharrt hätte. Doch als er über die Schwelle geschritten war, schlug hinter ihm die schwere Türe zu, und es sprang ein riesiger Eisenriegel vor, obgleich kein lebendes Wesen zu erblicken war, doch als wenn ein strenger Pförtner hier sein Amt verrichte und Wache halte und den Geiger kam ein Grausen an, so dass sein Haar sich auf dem Wirbel sträubte. Aber er konnte weder umkehren noch verweilen, und es kräftigte ihn wieder der Gedanke an das zu hoffende Glück, an Gold und Schätze. Treppe auf, Treppe ab wanderte der Jüngling, durch herrliche Zimmer, kostbare Säle, trauliche Kabinettchen - alles prachtvoll ausgestattet und in der schönsten Sauberkeit erhalten. Aber überall war eine Totenstille, auch nicht das kleinste Mückchen lebte und wohnte hier. Doch dem Jüngling wuchs der Mut aufs neue, zumal als er den untern Räumen, Küche und Gewölben, sich zuwandte, wo in Fülle die seltensten und köstlichsten Speisevorräte vorhanden waren, in den Gewölben die Weinflaschen hoch aufgespeichert lagen und alle Sorten süßer eingemachter Früchte in großen Gläsern nach der Reihe standen. In der schönen, blanken Küche knisterte traulich ein helles Feuerlein, und darüber ward von unsichtbarer Hand ein Bratrost gesetzt, und ein ausgesuchtes Wildbretfleisch tanzte aus dem Gewölbe herein in die Küche und auf den Rost; und viele andere Speisen, feine Gemüse und Pasteten und köstliches Backwerk wurde ebenso schnell als lecker von unsichtbaren Händen zubereitet und dann in eins der schönsten Zimmer, wohin der Jüngling sich begeben hatte, ihm nachgetragen und auf einer gedeckten Tafel vor ihm ausgesetzt. Der Jüngling ergriff zuerst sein Instrument und ließ klangvoll seine schönen Melodien durch die stillen Räume schallen, worauf er sich dann ohne Zaudern zur einladenden Tafel setzte und zu schmausen anfing. Doch nicht lange, so öffnete sich die Türe, und es trat ein Männlein herein, etwa drei Ellenbogen hoch, mit einem Scharlachröcklein angetan, mit verwelktem Gesichtlein und einem grauen Bart, der bis auf die großen silbernen Schuhschnallen reichte. Und das Männlein setzte sich schweigend neben den Geiger und schmauste mit. Als nun die Reihe an den schönen Wildbretbraten kam, nahm der Geiger die Schüssel und nickte dem Männlein zu, doch zuerst zuzulangen, und dieses spießte lächelnd ein Stück Fleisch an die Gabel und nickte wieder und ließ dabei das Bratenstückchen unter den Tisch fallen. Gefällig bückte sich da gleich der gute Geiger, um es wieder aufzuheben; aber im Nu saß ihm schon das Bartmännlein auf dem Rücken und bläute so unbarmherzig auf ihn los, als ob es ihm das Lebenslicht ausblasen wollte. Und auch des Geigers Mund wurde zugehalten, bis unter unaufhörlichem Prügeln derselbe endlich zur großen Eingangspforte geschoben wurde. Draußen schöpfte der halbtote Geiger frischen Odem und schlich dann ächzend dem Gasthof zu, wo die Kameraden geblieben waren. Es war schon Nacht, als er ihn erreichte, und jene schliefen bereits. Am andern Morgen sahen sie ganz erstaunt den Geiger ebenfalls im Bett liegen und bestürmten ihn bald mit vielen Fragen; doch er kraute sich Kopf und Rücken, gab sehr kurze Antworten und sprach! "Gehet hin und sehet selber zu. Es ist eine kitzliche Sache."
Der zweite Musiker, ein Trompeter, trat nun den Gang nach dem Zauberschloss an, fand alles ebenso wie das gebläute Geigerlein. und wurde auch ebenso bewirtet mit Pasteten und Prügeln, so dass er am folgenden Morgen ebenfalls wie ein geprellter Fuchs auf seinem Lager lag und klagte, es sei ihm absonderlich aufgespielt worden, aus grober Tonart. Dennoch hatte der dritte, ein Flötenbläser, noch Mut genug, um sein Heil im Zauberschloss zu versuchen. Er war der pfiffigste. Furchtlos durchwanderte er das ganze Schloss, es deuchte ihm recht angenehm, diese schönen Räume für immer zu besitzen; in Küche und Keller war ja Vorrat an Lebensmitteln die Hülle und Fülle. Bald ward auch für ihn eine kostbare Tafel gedeckt, und als er lange genug fröhlich singend und flöte blasend herumgewandert war, nahm er Platz und ließ es sich behagen. Da trat wieder das Bartmännlein herein und setzte sich neben den Gast. Und der unerschrockene Musikant ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein und tat gerade, als ob er ihn schon hundertmal hier getroffen, doch war das Männlein nicht sehr redselig. Endlich kam es wieder an den Braten, und das Männlein ließ wieder mit Absicht sein Stück fallen; gutmütig war eben der Flötenbläser im Begriff, es aufzunehmen, als er gewahrte, dass das Zwerglein flugs auf seinen Rücken springen wollte. Da wandte er sich alsbald rasch um, riss es von sich und packte und schüttelte das Männlein an seinem Bart so derb, bis er denselben zuletzt ganz herausriss und der kleine Alte ächzend niederstürzte. Aber sowie der Jüngling den Bart in seinen Händen hatte, überkam ihn eine außerordentliche Kraft, und er erschaute im Schloss noch viel wunderbarere Dinge als vorher; dagegen hatte das Männlein fast alles Leben verloren; es winselte und flehte: "Gib, o gib mir meinen Bart wieder, so will ich dir allen Zauber, der dieses Schloss umfasst, kundtun und dir dazu verhelfen, den Zauber zu lösen, so dass du dadurch reich und ewig glücklich werden wirst." Der kluge Flötenbläser aber sprach:
"Deinen Bart sollst du wieder haben, doch musst du mir zuvor alles dies kundtun, sonst bist du ein Schalk. Und eher gebe ich den Bart nicht aus meinen Händen." Da musste der Alte sich bequemen, erst sein Versprechen zu erfüllen, ob er es gleich nicht willens gewesen war, sondern nur mit List seinen Bart wieder an sich bringen wollte. Der Jüngling musste ihm nun folgen durch dunkle geheime Gänge, unterirdische Gewölbe und grauliche Felsklüfte, bis sie endlich auf ein freies Gefilde kamen, das gänzlich aussah wie eine viel schönere Welt als die unsrige. Und an einen Strom kamen sie, der brauste wild; doch das Männlein zog einen kleinen Stab hervor und schlug ins Wasser, worauf alsobald die Flut stille stand und auseinander trat, bis beide trockenen Fußes hinüber waren. Drüben war es eine Pracht! - Da ging es weiter durch grüne, herrliche Laubgänge, überall waren Blumen, Vöglein mit Silber- und Goldfedern, die sangen wundersam, und glänzende Käfer und Schmetterlinge gaukelten und tanzten herum, und andere niedliche Tiere schäkerten in Büschen und Hecken; und der Himmel über ihnen sah nicht blau aus, sondern wie pure Goldstrahlen, und die Sterne waren viel größer und kreisten wie in verschlungenen Tänzen durcheinander.
Der Jüngling staunte; und staunte noch mehr, als er von dem grauen Zwerglein in ein noch weit prachtvolleres Gebäude als das Wunderschloss geführt wurde. Auch hier herrschte neben aller Herrlichkeit die tiefste Stille in den Gemächern, und als sie deren viel durchwandert, kamen sie in eins, welches ganz mit Schleiern behangen war, wo in der Mitte des Zimmers ein dicht verhülltes Bett stand, darüber ein schöner Vogelbauer hing mit einem Vögelein, welches gar helle Lieder durch die einsame Stille schmetterte. Das graue Männlein hub die Schleier und Hüllen vom Bette und führte den Jüngling näher; dieser sah hier auf weichen seidenen Kissen, die reich mit Goldtroddeln behangen waren, ein gar liebliches Mädchen schlafend daliegen, das war so schön wie ein Engel, hatte ein weißes Kleidchen an, und über ihre Brust und Schultern wallten die goldenen Locken herab, und auf dem Haupte blitzte eine demantne Krone; aber ein tiefer, totenähnlicher Schlaf hielt die sanften Züge gefangen, und kein Geräusch vermochte die holde Schläferin zu erwecken. Da sprach das Männlein zu dem verwunderten Jüngling: "Siehe hier dieses schlafende Kind! Es ist eine hohe Prinzessin. Dieses schöne Schloss und dieses gesegnete Land ist ihr Erbgut, wann sie erlöst ist; aber seit Jahrhunderten schläft sie den festen Zauberschlaf, und auch seit Jahrhunderten fand noch keine menschliche Seele den Weg, der hierher führt, den nur ich täglich zurücklegte, um dort im Schloss, welches meine Wohnung ist, zu speisen und etwa die goldbegierigen
Menschen, die sich einfanden, mit einem Gericht Prügel zu bedienen. Ich bin der Wächter über diese Schläferin und musste sorgfältig verhüten, dass kein Fremder hier eindringe, und dazu ward mir mein Bart, in welchem solche übermäßigen Kräfte wohnen, dass auch ich ebenfalls seit Jahrhunderten diesen Zauber zu üben vermag. Doch nun, wo mir der Bart entrissen, bin ich kraftlos und muss dieses überschwängliche Glück, welches mit der holden Prinzessin erwacht, dir entdecken und überlassen. Und so schicke dich rasch zur Ausführung des Erlösungswunders. Nimm diesen Vogel, der über der Prinzessin hängt und der sie einst in den Zauberschlummer gesungen hat und seitdem jene Melodien auch immerfort singen musste - nimm ihn, schlachte ihn und schneide ihm das kleine Herz aus, brenne es dann zu Pulver und gib dieses der Prinzessin in den Mund, alsobald wird sie davon erwachen und wird dich beglücken mit Hand und Herz, mit Land und Schloss und allen ihren Schätzen." Das Männlein schwieg erschöpft, und der Jüngling säumte nicht, an das Werk der Erlösung zu gehen. Schnell und gut wurde alles getreu nach der Angabe des kleinen Alten ausgeführt und das Pülverlein bereitet. Nach wenigen Minuten, als es der Prinzessin gegeben war, schlug sie frisch und lächelnd die Augen auf, erhob sich vom Lager, sank dem glücklichen Jüngling liebkosend an die Brust, dankte ihm und nahm ihn zu ihrem Gemahl an. Und in demselben Augenblick zog ein Donnern und Krachen durch das Schloss, auf allen Treppen wurde es laut, und in allen Zimmern wurde es geräuschvoll. Und endlich kam eine Schar Diener und Dienerinnen mit freundlichen Gesichtern in das Zimmer getreten, in welchem das glückliche Paar weilte, und alle freuten sich und flogen dann flink und froh in die Küchen- und Kellerräume, in Zimmer und Säle und Gänge an ihre Arbeit, und waren alle wie neugeboren.
Das graue Zwerglein aber heischte nun streng seinen Bart von dem Jüngling und gedachte immer noch in seinem boshaften Herzen, dem Glücklichen einen Possen zu spielen. Denn, wenn ihm der Bart erst wieder am Kinn saß, hatte er Macht, alle Sterblichen zu überwältigen. Allein der kluge Flötenbläser gebrauchte noch immer Vorsicht mit dem tückischen Männlein, er sprach: "Oh, deinen Bart sollst du wieder haben, sei nicht bange, ich will ihn dir zum Abschied überreichen, aber erlaube, dass wir beide, meine holde Braut und ich, dich eine kleine Strecke begleiten dürfen." Das konnte das Männlein nicht verweigern. Sie gingen nun weit durch schöne Laubgänge und Blumenbeete mit dem Zwerg und kamen endlich an das ungeheuer tiefe, rauschende Wasser, welches viele, viele Meilen weit in der Runde um das Land der Prinzessin strömte und gleichsam die Grenzscheidung bildete. Keine Brücke und kein Nachen waren rings vorhanden, worauf Menschen das jenseitige Ufer erreichen konnten; auch kein Schwimmer hätte es errungen, denn die Wellenflut war zu tosend und wild. Da sprach der Jüngling zu dem Männlein: "Gib mir deinen Stab, auf dass ich dir diesmal noch zur Ehre das Wasser auseinander scheide." Und das Männlein musste gehorchen, weil es seine Bartkräfte noch nicht wieder hatte, und dachte auch im stillen noch in hämischer Freude: wenn er mir drüben über dem Wasser den Bart überreicht, so bekomme ich ihn doch in meine Gewalt, nehme ihm dann den Stab wieder ab, und beide können ihr wunderschönes Land nie betreten. Aber nicht also gingen des Zwerges boshafte Gedanken aus. Der kluge, glückliche Jüngling schlug mit dem Stab ins Wasser, es teilte sich behände und stand stille, und der Zwerg ging voran und ging hinüber, und schnell hinter ihm brauste die Flut zusammen; aber der Jüngling war mit seiner lieben Braut am andern Ufer zurückgeblieben, er behielt den Zauberstab und schleuderte nur den Bart übers Wasser hinüber, so dass ihn der Zwerg drüben auffing und sich ihn wieder ansetzte; und so ward der Alte doch um seinen Zauberstab betrogen und durfte hinfort nimmer wieder das herrliche Gebiet betreten. Und der glückliche Jüngling kehrte zurück ins Schloss mit seiner Holden zu steter Freude und Glückseligkeit; und keine Sehnsucht kam ihm in sein Herz, je wieder zu seinen Kameraden zurückzukehren.

Die Spinnerin im Mond

In einem Dorfe bei Salzwedel lebte ein altes, armes Weiblein mit ihrer einzigen Tochter. Diese, mit Namen Marie, war ein gar geschicktes Kind und half der Mutter, soviel sie nur konnte, über die Armut hinweg. Marie konnte täglich beinahe zwei Zahlen Garn spinnen und ihr Faden war über die Maßen gleich und fein. Aber so fleißig Marie war, so lebensfroh war sie auch und in der Spinnstube stetig die Lustigste, zumal wenn die Rädlein beiseite gesetzt wurden und der Tanz anging, der regelmäßig spät genug aufhörte. Der Mutter war es freilich gar nicht lieb, dass das Töchterlein so oft bis nach Mitternacht tanzend herum sprang und ihre Ermahnungen sich so gar wenig zu Herzen nahm, jedoch, da sie den Tag über unermüdlich spann und schaffte, ließ sie sie gewähren.
Nun war wieder ein Winter fast zu Ende, in dem Marie wie immer außerordentlich fleißig gewesen war, und es kam der Abend von Mariä Lichtmess heran. Da sollte noch einmal Spinnenkoppel - so nennt man dort die Spinnstube - sein, den Winter zu beschließen, denn „Lichtmess muss man die Wurst bei Tag ess" lautet das Sprichwort.
Als Marie an diesem Abend ihr Spinnrädchen nahm, um fortzugehen, sprach die Mutter: "Liebes Kind, heute ist ein Marientag, da darf kein Kind ungehorsam gegen die Eltern sein, sonst wird es vom Himmel sofort bestraft. Darum versprich mir, dass du heute nicht wieder bis nach Mitternacht ausbleibst, sondern vor Mitternacht heimkommst, und dass du heute nicht zum Tanze gehst. Sei also gehorsam, Marie, ich verlasse mich darauf."
Marie versprach, was ihre Mutter verlangte, nahm ihr Spinnrad und ging von dannen.
Es wurde sehr fleißig gesponnen, aber bald kamen die jungen Burschen, die im Wirtshaus ein paar Prager Musikanten getroffen und als etwas ganz Neues mitgebracht hatten, und nun ging das Tanzen los. Marie wollte fort und der alten Mutter das gegebene Wort halten, allein die Burschen und die Mädchen ließen sie nicht fort. Anfangs wehrte sie sich nach Kräften dagegen, doch gar bald wurde ihr Widerstand überwunden, die alte Tanzlust siegte, und sie musste mit an den Reigen: die Spielleute pfiffen und fiedelten eben auch gar zu schön. Und als Marie einmal im Tanzen war, da ging sie nimmer davon, da konnte die Mutter lange warten, denn das Tanzen war Mariens Wonne und ihr Glück.
So ging die Mitternachtsstunde vorüber, ehe Marie es nur dachte, und als der lustige Kreis das Haus verließ, wurden die Mädchen mit Musik nach Hause gebracht und bekamen schöne Ständchen; das hallte gar lieblich durch die helle Mondnacht und die tiefe Stille. Da kamen sie auch am Kirchhof vorbei, dessen Tor offen war und auf dem eine alte Linde stand. Unter dem Baume war ein freier ebener Raum. Sofort hatten die jungen Burschen den tollen Einfall, auf diesem Platz ein Schlusstänzchen zu machen. Kaum gesagt, gingen auch schon die Tänzer und die Spielleute hinein, und der Tanz begann von neuern. Erst schauerten und scheuten sich die Mädchen ein wenig, dann folgten sie aber doch, halb gezwungen, und endlich ließ sich auch Marie dazu herbei, mitzutanzen.
Die alte Mutter daheim aber wartete und weinte über ihr Kind, und da sie von weitem die Musik hörte, dachte sie gleich, dabei werde die Marie nicht fehlen; und sie machte sich auf und kroch aus dem Häuschen, ihr Kind zu holen. Da sah sie nun zu ihrem Schreck und Zorn ihre Marie unter den Kirchhofspringern und rief ihr mit strengem Gebote zu, sogleich nach Hause zu folgen. Aber die Maid rief: "Ei, Mutter, der Mond scheint ja noch so hell und schön! Geh' nur heim, ich komme bald!" Da überkam die Alte ganz plötzlich der helle Zorn. Sie wusste nicht mehr recht, was sie tat, hob ihre beiden dürren Hände zum Himmel auf, schüttelte ihre grauen Haare, die ihr wild um das Haupt hingen, und schrie im wilden Grimme: "Ei, dass du Rabenkind im hellen Mond säßest fort und fort und hättest immer und ewig deine Spinnenkoppel droben!" Als die Alte diesen Fluch gesprochen, schlug sie hin und war tot. Marie aber behielt nicht Zeit zum Jammern und Klagen, denn samt ihrem Rädchen ward sie schnell entrückt hinauf in den Mond. Da sitzt sie nun, da sinnt sie, da spinnt sie fort und fort. Wenn der Mond recht hell scheint, kann man sie gar deutlich sehen. Und all ihr wunderzartes, überfeines Gespinst streut sie vom Mond herab. Zum Frühlingsbeginn, wenn die Spinnenkoppeln enden, und im Herbst, wenn sie beginnen und die Abende sich verlängern, da führt es der Wind an hellen Tagen dahin und dorthin, und es schwimmt weiß durch die Luft und zieht regenbogenfarbig glänzend von Strauch zu Strauch, von Blume zu Blume, und die Leute nennen es Marienfäden, Marienseide, fliegenden Sommer. Nur die nichts davon wissen, dass die Tanzmarie, die wegen ihres Ungehorsams im Mond sitzt, die feinen Fäden spinnt, nennen das Gespinst Altweibersommer.

Dornröschen

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder, wünschten sich aber tagtäglich ein Kind. Zu einer Zeit geschah es, dass die Königin badete und seufzte, als sie so allein war: "Ach, hätte ich doch ein Kind!" Da hüpfte ein Frosch aus dem Wasser und sprach: "Was du wünschest, soll dir werden?" Und darauf hat die Königin ein Töchterlein bekommen, das war schön über alle Maßen, und der König hatte darüber die größte Freude, dass sein liebster Wunsch erfüllt war, und stellte ein großes Fest an, zu dem er alle seine Freunde einlud. Nun lebten in dem Lande auch weise Frauen, die waren begabt mit Zauber- und Wundermacht und genossen große Ehrfurcht vor allem Volke; die lud der König auch ein, und sie sollten auf goldenen Tellern essen. Damals hatten aber die Könige nicht so viele Schüsseln und Teller wie jetzt, und der weisen Frauen waren dreizehn; da konnte er auch nur zwölf einladen, und die dreizehnte blieb uneingeladen, was sie aber übelnahm.
Die weisen Frauen begabten das Königskind mit gar köstlichen Gütern, nicht mit Schönheit, denn die besaß es schon, sondern mit Liebenswürdigkeit, Heiterkeit, Anmut, Sanftmut, Bescheidenheit, Frömmigkeit, Sittsamkeit, Tugend, Aufrichtigkeit, Verstand und Reichtum; und eben wollte die zwölfte weise Frau auch noch ihren Wunsch aussprechen, als die dreizehnte, die nicht eingeladen worden war, in das Zimmer trat und zornig ausrief: "In fünfzehn Jahren soll die Königstochter sich in eine Spindel stechen und tot hinfallen!" Mit diesen Worten war die böse Alraune verschwunden; die andern standen starr vor Schrecken, denn die weisen Frauen machten keine vergeblichen Worte. Ein Glück, dass die zwölfte weise Frau ihren Wunsch noch nicht ausgesprochen hatte. Sie konnte zwar, was eine weise Frau gedroht hatte, nicht abändern, aber ihm doch eine mildernde Wendung geben und rief: "Die Königstochter soll nur in einen Schlaf fallen, der soll nur hundert Jahre dauern und nicht länger."
Der König ließ sogleich ein Regierungsgebot im ganzen Lande ergehen, kraft dessen alle Spindeln abgeschafft und dafür die Spinnräder eingeführt wurden. Indes erwuchs die schöne Königstochter zu einem Fräulein, das an Schönheit, Holdseligkeit, Freundlichkeit, Milde, Demut, Züchtigkeit, Herzensgüte, Tugend und Verstand seinesgleichen suchte, und so kam es zu seinem fünfzehnten Jahre, von allen, die es kannten, geliebt, ja angebetet.
Und da bekam die Prinzessin gerade Lust, sich im Schloss ein bisschen umzusehen, ging durch mehrere Gemächer und kam an eine Treppe, die zu einem alten Turm führte; diese stieg es hinan und kam an ein niedrig Kämmerlein, da steckte ein alter verrosteter Schlüssel daran, und neugierig, wie die ganz jungen Mädchen sind, drehte die Prinzessin an dem Schlüssel, und die Türe ging gleich auf.
Da saß ein uraltes Spinnweiblein und spann emsig auf einer Spindel; es mochte wohl des Königs Gesetz nicht gehört oder gelesen oder es längst vergessen haben. Die umhertanzende, auf und nieder wirbelnde Spindel machte der jungen Königstochter viel Freude, sie haschte nach der Spindel, wollte auch spinnen und stach sich damit, denn es war gerade der Tag, an welchem die Prophezeiung der erzürnten weisen Frau in Erfüllung gehen sollte.
Und die Königstochter fiel nieder in einen tiefen Schlaf. Und da überkam derselbe Schlaf auch den König und die Königin und das ganze Schloss.
Da mag es schön langweilig gewesen sein; der ganze Hofstaat schlief ein, vom Hofmarschall bis zum Küchenjungen, den der Koch wegen eines Versehens gerade in den Haaren zauste und ihm eine Ohrfeige geben wollte, und Koch und Kellner, Kammerfrau und Kammerjungfer, Kind und Kegel, Hund und Katze, ja die Tauben und Sperlinge auf dem Dache, die Pfauen und Papageien und selbst die Fliegen an der Wand, die schliefen alle. Und das Feuer auf dem Herd legte sich und schlief ein, und der Wind legte sich auch, und alles wurde piepstill, dass man kein Mäuschen im ganzen Schloss mehr knuspern hörte, dieweil die Mäuslein auch schliefen. Und da kam kein Mensch mehr in das verzauberte Schlummerschloss, um welches rund herum eine mächtige Dornhecke emporwuchs, jedes Jahr einige Schuh höher, bis sie den höchsten Turm überwachsen hatte, dass man nicht einmal die Fahne und den Wetterhahn mehr sah, und so dicht, dass kein menschliches Wesen eindringen konnte.
Und da wurde das Schloss allmählich ganz vergessen, und es ging nur die Sage, hinter den Dornen stehe ein Schloss, darin schlafe das Dornröschen, die verzauberte Prinzessin, wie lange schon und wie lange noch, wisse niemand.
Zwar kamen von Zeit zu Zeit Königssöhne, die wollten hindurch dringen durch die Hecke, allein dieselbe war allzu dicht, und so konnten sie es nicht erlangen, blieben wohl gar in den Dornen verstrickt und kamen elendiglich darin um.
Und so waren nun hundert Jahre vergangen, und die Zeit war da, dass das Dornröschen wieder erwachen sollte. Es wusste dies aber niemand genau, und da kam ein Königssohn, der hörte auch die Mär von dem schlafenden Dornröschen aus dem Mund eines Alten, der sie ihm als gewiss versicherte, denn sein Vater und Urgroßvater hatten ihm oft davon erzählt, und der Alte musste den Königssohn hin an die verrufene Dornhecke führen. Und das geschah just am hundertsten Jahrestag, seit das Dornröschen in seinen Zauberschlaf gefallen war. Die Dornhecke stand über und über voll Rosenblumen, das war seit Menschengedenken nicht der Fall gewesen, auch konnte der Königssohn frei durch die Dornhecke gehen, kein Dorn berührte sein Gewand, aber gleich hinter ihm schloss sich die Hecke wieder. Und da fand er alles unversehrt; kein Wind hatte geweht und kein Regen genässt, das Jahrhundert war über den Häuptern der Schlummernden so leise hinweggeflogen wie ein Schwan über einen stillen See voll träumender Wasserlilien. Da schliefen noch alle Fliegen und alle Mäuschen, da schliefen Huhn und Hahn, Katz und Hund, Magd und Zofe, Kammerherr und Kammerknecht, und auch König und Königin. Das alles sah der Königssohn mit großer Verwunderung, ging nun hinauf in den Turm und kam in die Kammer, wo das süße Dornröschen lag und so sanft schlief, umflossen vom Glanze seiner Schönheit. Da beugte der Prinz sich nieder und küsste das Dornröschen, und alsbald schlug es die Augen auf. Der Königssohn sagte ihm, wie alles sich zugetragen, und führte es herab in das Schloss.
Da erwachte alles, König und Königin, Zwerg und Zofe, Hund und Pferde, Feuer und Wasser, Wind und Wetterhahn, und der Koch gab dem Küchenjungen die Ohrfeige, die er ihm vor hundert Jahren schuldig geblieben war, und alles ging wieder seinen Gang, und eine stattliche Hochzeit wurde ausgerichtet, nämlich des Dornröschens mit dem Königssohn, Oder es aus dem Schlummer erlöst, und beide lebten glücklich und zufrieden miteinander, bis an ihr Ende.

Der Teufelsweg auf Falkenstein - Eine Sage

Ein Ritter von Sayn warb - es ist jetzt viele hundert Jahre her - um die Hand der Tochter eines Herrn von Falkenstein. Aber der Vater war ihm abhold und wies des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab: "Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegemahl geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst. Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gang- und reitbaren Weg um - das ist mein Beding und mein Bescheid!"
Unmögliches hatte der hartherzige Vater begehrt, und hätten tausend und aber tausend Hände zugleich gearbeitet an dem harten Felsgestein, es wäre nicht möglich gewesen, in so kurzer Frist das Werk zu vollenden.
Traurig ritt der Ritter von Sayn, Kuno geheißen, von dannen und zog nach dem Heiligen Lande. Dort focht er tapfer in vielen Sarazenenschlachten und suchte den Tod, fand ihn aber nicht. Dabei blieb er stets eingedenk der von ihm geliebten und umworbenen Jungfrau und kehrte endlich in die Heimat zurück, wo er außer seiner Ritterburg ein großes Silberbergwerk besaß.
Mit schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten Falkenstein, hätte gern Kunde gehabt von seiner Geliebten und starrte trübe die Felsen an, die ihn mit ihrer Härte an sein eigenes hartes Geschick erinnerten.
"Hier hilft keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese Felsen zum Wege bahnen!", seufzte der Ritter. Horch, da war es ihm, als hörte er seinen Namen rufen, und wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner Kutte, eisgrau und mit verschrumpftem Gesicht, aus einer Felskluft herauf und redet ihn mit tiefer Stimme also an: "Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst unsere Ruhe? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt sehen? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein, die droben noch einsam um dich trauert und sich nach dir sehnt, dein nennen? Dann gelobe nur eins und schwöre es zu halten!"
Dem Ritter ward seltsam zumute bei dieser Erscheinung und Rede; er dachte, es sei eine Versuchung des bösen Geistes und was er geloben sollte, möchte etwa zum Schaden seiner Seele sein. Er fragte daher nicht ohne Zagen: "Was ist dein Begehr?"
Da sprach das Erdmännchen: "Versprich mir auf dein ritterlich Wort, dass du morgen alle deine Gruben, Schächte und Stollen zuschütten lassen willst, die wir ohnedies, wenn wir wollten, ersäufen könnten - so wollen wir heute Nacht noch die Felsen ebnen, dass du,. wenn du getan hast, was ich heische, am lichten Tag hinauf reiten und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen kannst."
Darüber war der Ritter hocherfreut, er sagte gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und begab sich zur Ruhe.
Als es Nacht geworden war, regte sich's wunderbar um die Burg, es krachte, es polterte, es hackte, es schaufelte, denn tausend kleine Berggeister, die, obschon zwerghaft gestaltet, mit Riesenkräften begabt waren, förderten das verheißene Werk. Und als der Hahn den Morgen ankrähte, war's vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen Spessart heraufstieg, da ritt schon Kuno von Sayn den neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, dass sich der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht wenig verwunderte. Noch mehr aber verwunderte sich der Falkensteiner selbst. Doch freute er sich auch des so lange ersehnten Weges, hielt sein ritterliches Wort und gab seine Tochter dem treuen Kuno zur Gemahlin. Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen sein dem Zwerge gegebenes Wort und ließ die Schächte, darinnen er nach Silber graben hatte lassen, zuwerfen und eingehen. Der Felsenpfad aber, den die Erdgeister bahnten, heißt noch heute der Teufelsweg.

Die goldene Schäferei

Es war einmal eine schöne Jungfrau, Ilsa geheißen, eines rauen Ritters einzige Tochter, die liebte den Wald mit seinem Vogelgesang, seinen Blumendüften und seinem Quellenrieseln, und lustwandelte nur zu gerne mit ihrer alten Amme, der einzigen Pflegerin ihrer Jugend - Ilsas Mutter war nämlich früh gestorben - oder auch allein; denn es drohte ihr keine Gefahr, und sie fürchtete keine, weil sie nicht wusste, was Gefahr ist. Eines Tages erging sich Ilsa nun auch ganz allein im grünen Haine, der um ihres Vaters Burg sich zog und in welchem uralte Bäume, malerische Felsen, geschmückt; mit hohen Farnkrautstängeln und seltenen Pflanzen und Blumen, gar anmutig wechselten. Da gelangte die jugendliche Maid an eine Felsengrotte, welche ihr neu war, indem sie sich nicht erinnern konnte, dieselbe schon früher einmal gesehen zu haben oder ihr nahe gekommen zu sein. Aus dem Innern dieser Grotte klang ein melodisches Summen wie von Windharfen, und dieses lockte Ilsa, immer weiter nach hinten in den trockenen Höhlengang hineinzuschreiten, der freilich immer enger und enger wurde und folglich auch immer dunkler. Doch just da, wo der Grottengang am engsten und düstersten war, zeigte sich durch eine Spalte hindurch eine sanfte Helle und manches funkelnde Licht, und Ilsa widerstand nicht dem Drange, diesem Schimmer nachzugehen sie zwängte sich durch die Felsenspalte hindurch und sah sich mit Staunen in einer ganz anderen Welt. Die Töne schwollen und rauschten mächtiger an ihr Ohr, der Schimmer wurde klarer, Blumenglanz leuchtete auf; aber alle Blumen waren von funkelnden Edelsteinen, und von anderen grünen Steinen in mannigfaltiger Schattierung waren die Blätter. Kleine, höchstens zwei Fuß hohe Wesen wimmelten auf einer Wiese, ein zahlloses Völklein, und bald sah sich Ilsa von einer Schar derselben umringt und willkommen geheißen; denn zutraulich, vielleicht zudringlich sogar, nahten sich ihr die kleinen Geschöpfe.
"Wer seid Ihr?", fragte Ilsa voller Verwunderung. "Nie sah ich, nie hörte ich von euch!"
"Wir sind das Bergvolk, die Heimchen!", antwortete eines der niedlichen Wesen mit feinem schrillendem Stimmchen, das in der Tat dem Laute einer Grille glich. "Dass du uns nicht kennst, lass dich nicht wundern. Nicht jeden Tag sind unsere Grotten aufgetan, nicht einmal zu jeder Stunde des Tages, an welchem ein Menschenauge sie zu erblicken vermag."
"Nie hörte ich von einem Bergvolke, nie von Heimchen", sprach Ilsa, die wie von einem Traume befangen stand.
"Lerne uns kennen, und du wirst uns lieben!", versetzte der Sprecher dieser Unterirdischen. "Und liebst du uns, so wirst du eine der Unsern werden, vielleicht unsere Königin!"
Königin! - Wie dies Wort durch Ilsas junges Mädchenherz zuckte. Von Königinnen hatte Ilsa wohl gehört auf der Burg ihres Vaters; dass sie sehr reich und meist auch sehr schön seien, dass ihnen alles diene und gehorche, ja davon hatte ihr die Amme viel erzählt. Warum hätte Ilsa nicht auch eine Königin werden sollen oder können? - Daher ließ sie sich willig leiten von ihren niedlichen, neckischen neuen Bekannten und durchwandelte mit ihnen das unterirdische Reich, das mit allem Zauber sie umgab, mit aller Prachtfülle sie blendete, durch melodische Töne ihre Seele mit Entzücken füllte. Dazu das leise Gemurmel rollender Bäche, das ferne Rauschen von Wasserfällen, deren Flut nach dem Lichte der Oberwelt hindrängte, die milde Dämmerung, heller als Mondlicht und doch nicht so hell wie Sonnenlicht, alles befing Ilsas Sinne, die ja noch halb ein Kind war; und die Freundlichkeit der Heimchen, mit denen sich so allerliebst spielen ließ, wie Ilsa glaubte, erregte in ihr den Wunsch, immerdar in diesem unterirdischen Reiche zu bleiben. Denn nach oben zog sie keine Liebe. Ihr Vater war ein rauer und finsterer Ritter, der sich niemals sonderlich um sie bekümmert hatte, und ihre Amme war alt und konnte sterben, dann hätte Ilsa ihre Tage ganz allein und freudenlos auf der einsamen, von den Menschen gemiedenen Burg ihres Vaters vertrauern müssen.
Und zu diesen Gedanken gesellte sich noch der Heimchen verlockendes Wispern und Flüstern:

"Bleibe bei uns, so alterst du nimmer!
Immerdar blühest du im Jugendschimmer.
Jeder Tag wird dir zum neuen Feste –
Was du dir wünschest dein wird das Beste!"

So bestrickt und hingerissen erblickte Ilsa jetzt eine Herde Schafe, die freilich nicht größer als Lämmer waren, aber jedes derselben trug ein goldenes Vlies, und auch der kleine muntere Hund, der diese Herde umsprang, hatte Goldhaar. Einen Schäfer erblickte Ilsa nicht, wohl aber lag ein goldener Schäferstab am Boden.
Und da regte sich in Ilsa der Wunsch, diese Herde zu hüten, und sie dachte, da kannst du ja die Heimchen sogleich auf eine Probe stellen, und sprach: "Wenn ich nun bei euch bliebe, ihr guten Heimchen, und wünschte, dass diese goldene Herde mein sei, und ich selbst sie hüten dürfte - würdet ihr mir das wohl gewähren und erfüllen?"
Da scholl es "ja, ja!" von vielen hundert zarten Stimmchen, und nur das bedingten die Heimchen, dass Ilsa mit keinem Schritt wieder die Oberwelt betrete und der goldenen Schäferei mit Sorgfalt vorstehe, auf dass keines der unschätzbaren Schäflein verloren gehe. Dann übergaben sie ihr den goldenen Hirtenstab, schmückten ihn mit silbernen Bändern und hießen sie mit lautem Jubel nunmehr als die Ihrige willkommen.
Ilsa nahm nun im Reiche ihrer unterirdischen Unschuldswelt nichts mehr wahr von den vorüber gleitenden Tagen, Monden und Jahren auf der Oberwelt, von der Jahreszeiten Wechsel und der Geschicke mächtiger Wandlung, welche die Herzen der Menschen bewegen. Droben war sie vermisst, verloren geglaubt, betrauert und dann vergessen worden. Ihre Amme war gestorben, ihr Vater war in einer Fehde gefallen, seine Feinde hatten seine Burg verheert und zerstört; sie starrte nur noch als ein öder Trümmerhaufen empor auf dem Bergesscheitel, den der Hain umgrünte. Aber es war längst nicht mehr der alte Hain; dessen Bäume waren alle abgeschlagen worden, und jetzt grünte ein neuer Wald und doch auch schon mit ziemlich starken Stämmen. Ilsa hütete immer noch ihre goldene Herde, spielte mit den kindlichen Heimchen, lernte von ihnen viel Heimliches aus der Natur und dem unterirdischen Reiche, und die Erinnerung an eine andere Welt, in der sie früher gelebt, war ihr wie ein Traum. Dennoch entschlief diese Erinnerung nicht, vielmehr begann sie mächtiger zu erwachen - zur Sehnsucht zu werden. Ilsa hatte allmählich wahrgenommen, dass dieses und jenes Heimchen auf der Oberwelt sich zu tun gemacht, während man ihr den Verkehr mit jener streng untersagt hatte - und allmählich gelangte sie dahin, Betrachtungen anzustellen, die ihr bisher das genossene harmlose Glück zerstörten.
Was nützt mich meine Herde? dachte Ilsa. Ich hüte sie, aber sie ist doch nicht mein; ich kann nichts mit ihr beginnen. Eine Königin des Heimchenvolkes sollte ich werden, so wurde mir vorgespiegelt, und das schroffe Gegenteil einer solchen bin ich geworden, eine arme Hirtin. Alles drängt nach oben, zum schönen, herrlichen Sonnenlicht! Die Wurzeln sammeln nur Kraft im Erdenschoße, um diese hinaufzudrängen und zu treiben bis in der Bäume höchste Wipfelkronen. Die Quellen, die unterirdischen Wasser, nach außen hin drängen sie alle, brechen sich Bahn mit Ungestüm. Wo ist der blaue Himmel hin, den einst ich sah? Wo ist das Fächeln der Frühlingsluft? Wo ist der Kirchenglocken feierlicher Klang? Die Heimchen haben keinen Gott, keine Kirche, keinen Himmel. Ich aber will den Himmel wieder sehen - ich will, ich will!“
Und nun offenbarte Ilsa den Heimchen ihre Wünsche. Diese ließen ihre Köpfe traurig hängen, sie ahnten alles, was und wie es kommen werde.
"Du versprachst uns, immer bei uns bleiben zu wollen", wandten die Heimchen ein.
"Ihr verspracht mir Erfüllung aller Wünsche", sagte Ilsa. "Wir machten aber zur ersten Bedingung, dass du nicht zur Oberwelt zurückkehrest", erinnerten die Heimchen.
"Ich will auch nicht auf sie zurückkehren" sprach Ilsa.
"Ich will sie nur wiedersehen, sie und den blauen Himmel, und ihre wundersamen Frühlingsdüfte atmen."
"Dann bist du keine der Unsern mehr", warfen die Heimchen ein. "Berührt dich nur der Lufthauch der Oberwelt, so verfällst du auch dem Los der sterblichen Menschen, welche dahinfahren wie der Mensch! Du verblühst, wirst alt, und stirbst. Nur allein in unserem Reiche blüht ewige Jugend."
Ilsa schwieg - aber sie trauerte - ihre Sehnsucht wurde immer stärker - sie achtete ihrer goldenen Schäferei nicht mehr, und die Heimchen klagten: "Sie ist für uns verloren, so oder so - lasst uns daher ihre Wünsche erfüllen."
Ilsa trat in ihre hochgelegene Grotte, durch welche sie eingegangen war in das Reich der Unterirdischen, an das sonnige Licht des schönen Erdentages. Ach, wie mächtig war dessen Strahl! Weithin flogen entzückt ihre Blicke über einen Teil des Gaues, in dem sich ihre väterliche Burg erhob - doch ward es ihr bald seltsam zu Sinne. Der Sonnenstrahl zitterte goldgrün durch die Baumwipfel, der Himmel lachte dunkelblau durch sie herab; die alten Felsen waren noch dieselben; aber die Bäume waren die alten nicht mehr - der gebahnte Weg, der Ilsa einst nach der Grotte geführt, war nicht mehr; auf dem Waldboden des Haines war alles eine Rasendecke voll hohen Grases.
Ilsa blickte zur Höhe, auf der sie das stattlich erbaute Vaterhaus mit Zinnen, Türmchen und Erkern stehen wusste, empor - und erschrak; denn da war nichts, gar nichts mehr zu erblicken als ein Rest der Umfassungsmauer, überragt von einer hohen, grauen Warte, um deren fast ganz zerbröckelte Zinnen die Mauerfalken schwebten und kreischten.
Was ist das? fragte sich Ilsa. Dünkt mein Verweilen drunten mich doch nur eine ganz kurze Zeit, und so viele Jahre sind darüber vergangen! Wie alt bin ich wohl dann? Ilsa blickte weiter; sie sah neuentstandene Ortschaften, neue Burgen in der Ferne; und andere, deren Lage sie sich genau erinnerte, waren nicht mehr.
Ilsa wagte nicht, ihren Fuß weiterzusetzen. Sie blieb in der Grotte - denn das hatte sie dem Volke der Heimchen gelobt, als ihr endlich mit Widerstreben erlaubt wurde, die Oberwelt wiederzusehen - und weilte manchen Tag ernst und sinnend in derselben. Auch die kleine goldene Herde herauszuführen und sie auf der Matte vor der Grotte weiden zu lassen, wurde ihr gestattet, doch nur zu gewissen Tagen und Stunden, am ersten Tage des Maimondes, am Himmelfahrtstage, am Pfingstsonntage, am goldenen Sonntage und am Johannistage, zur Mittagszeit, wann die Sonne am höchsten stand, oder in den Mitternachtsstunden der Vorabende dieser geweihten Festtage. An diesen Tagen wandelte gern ein Teil der Bewohner jener Gegend auf die Berghöhen, wie es Sitte war schon aus alten heidnischen Zeiten her, und suchte Heilkräuter und grub zauberkräftige Wurzeln. Da geschah es bisweilen, dass Ilsa von den Menschen erblickt wurde - sie, die den Menschen fremd geworden war, eine bleiche, ruhige und ernste Erscheinung im schneeweißen, nimmer alternden Kleide -, und manche sahen auch ihre goldene Herde, vermochten aber nie, wie gern sie es auch getan, ein Stück derselben zu erhaschen; denn der Hund hütete die Schafe mit den goldenen Vliesen gar wachsam, und sowie er den leisesten Laut gab, hob Ilsa ihren goldenen Hirtenstab, worauf augenblicklich Hund und Herde unsichtbar wurden.
Wenn gute und reine Menschen Ilsa erblickten und ihr furchtlos nahe traten, gab sie ihnen wohl auch auf Fragen, die an sie gerichtet wurden, Antwort, doch nur auf ernste und die Ernstes bezweckten; bisweilen war ihre Rede auch doppelsinnig, oder warnend und abmahnend oder prophetisch. Da erinnerte sich das Volk, dass vor grauen Zeiten schon in altheiligen Götterhainen weissagende Priesterinnen gewohnt, und nannte Ilsa nach jener Gesamtnamen eine Alraune. Solche Alraunen waren alle die weisen Jungfrauen, welche nach alten Sagen um verfallene Schlösser und in den Hainen der Burgberge wandeln und auf ihre Erlösung hoffen. Auch Ilsa hoffte auf ihre Erlösung aus dem Bann und Zauber der unterirdischen Welt und der unheimlichen Heimchen, in den sie selbst sich gegeben; sie wusste aber nicht, dass ihre Erlösung aus dem Heimchenbanne an schier Undenkbares geknüpft war.
Einst als Ilsa wieder im Dämmerlichte ihrer Felsengrotte saß und ihre Herde vor derselben weiden ließ, trat ein irdisches Weib auf die Matte, das war eine Bilbze oder böse Hexe, ein Weib, welches durch heimliche Zaubermittel Schaden tat an Menschen und Vieh. Die rief Ilsa an und sprach: " Was weilest du ewig einsam in deiner Höhle hier oben, hohe Alraune? Geselle dich wieder dem Geschlechte der Menschen zu! Fühle menschlich und teile mit ihnen Lust und Leid! Liebe und werde geliebt!" - Trauervoll antwortete Ilsa: "Mich bindet mein Wort, sonst zöge ich gerne durch den Gau mit meiner Herde!"
"Du darfst nur wollen! Die Macht ist dein!", rief die Bilbze.
"Schlage mit deinem Hirtenstabe gegen den Höhlenspalt in der Tiefe deiner Grotte nur ein Kreuz, so schließt er sich alsbald für immer zu. Keines der Heimchen kann dir folgen, und du bist völlig frei."
Noch zögerte Ilsa, ihres Wortes eingedenk, den Zauber zu üben, als ein Jüngling von großer Schönheit sich zeigte und sie ansprach: "Vertraue dich mir an, schöne Jungfrau! Droben sollst du thronen in deiner Väter Burg, die ich neu erbaue. An meiner Seite sollst du herrschen über diesen ganzen blühenden Gau. Diese Frau, welche zu dir sprach, ist meine Mutter, und groß ist unsere Macht." Ilsa schlug mit dem Stabe das Kreuz gegen den Höhlenspalt. Drinnen erscholl nicht mehr das sanfte Tönen sondern ein klagendes Gewimmer des um seine goldene Herde betrogenen Heimchenvolkes. Die Bilbze stieß ein widrig gellendes Jubelgeschrei aus, und ihr Sohn stürzte sich mit Heftigkeit auf Ilsa zu und wollte sie in seine Arme schließen. Solches Tun war Ilsa fremd; ernst hielt sie dem Bilbzensohne ihren Stab entgegen und schlug mit ihm auch gegen den Jüngling ein Kreuz, das brach den ganzen Zauber, und er brach zusammen und zeigte hässliche, abscheuliche Gesichtszüge, er, der so schön geschienen. Und auch die Bilbze stürzte nieder, wand sich in Zuckungen und erschien ganz als ein hässliches, grässliches Hexenweib.
"Harre nur deines Lohnes, du Verruchte! Harre, nur!", schrie die Bilbze, indem sie sich wütend vom Boden aufraffte, rannte dann an Ilsa vorüber nach dem Grottengrunde und hielt die Springwurz an die Felsenspalte. Alsbald öffnete sich wieder das Reich der Unterirdischen, und die Bilbze schrie: "Heraus, ihr Heimchen! Holt eure Herde wieder, straft diese Wortbrüchige und Treulose! Straft sie mit ewiger Sehnsucht und ewiger Täuschung!"
Schon umwimmelten die Heimchen Ilsa in Scharen und drängten sich zahllos zwischen sie und die Bilbze samt deren Sohn.
"Du bist und bleibst die Unsere!", sprach der Atteste des Heimchenvolkes. "Wann dereinst keine Glocke mehr klingt, keine Kirche mehr steht und böse Menschen wie diese Bilbze nicht mehr sind, dann schlägt dir die Stunde der Erlösung; früher nicht! So lange harre und hüte! Den Erdentag schaust du bis dahin nicht wieder, außer je einmal nach sieben Jahren! Da darfst du außerhalb unseres Berges dich samt deiner Herde zeigen."
Und so geschah's; noch immer wird - alle sieben Jahre zur Mittagsstunde - die so hart verwünschte Jungfrau samt ihrer Herde erblickt, einsam, bleich und traurig in schneeweißem Kleide. Böse Menschen leben noch, und die Guten rufen noch die Kirchenglocken in die Tempel Gottes.

Undank ist der Welt Lohn

Es war einmal ein armer, braver und fleißiger Bäckergeselle, der kam mit seinem Herrn in Streit, weil er immer die Semmeln und Fastenbrezeln dem Meister zu groß machte. Endlich sprach der undankbare Meister: "Ich bin der Herr und vor der Tür ist dein."
Da seufzte der Bursche: "Jawohl, Meister!", schnürte sein Bündel und zog von dannen.
Als der Bäckergeselle eine Weile gegangen war, sah er einen Esel schwerfällig und gebeugt sich entgegenkommen. Er grüßte ihn und fragte, wohin er zu wandern gedenke.
Der Wanderer sprach: "Ach Freund! Ich bin ein armer alter Esel. Lange Zeit habe ich meinem Herrn, einem Müller, treu gedient, die schweren Säcke geschleppt, Korn in die Mühle und Mehl aus der Mühle getragen. Dabei habe ich hin und her viele Schläge bekommen und bin darüber alt und kraftlos geworden; darum hat mich der Müller fortgejagt, denn: Undank ist der Welt Lohn."
"Ging mir's doch kaum besser als dir, armer Langohr!", sagte der Bäckergeselle. "Komm, lass uns zusammen wandern, Müllerlöwe. Bäcker und Müller gehören zusammen und zu zweien trägt sich bekanntlich ein Leid viel leichter."
Die beiden Reisegefährten waren noch nicht weit gekommen, als sie auf einen Hund stießen, der ganz erbärmlich winselte, denn ihn fror und hungerte zugleich. Er lag am Wege, konnte kaum fort und blickte aus matten, doch treuherzigen Augen die beiden Wanderer an.
"Dir scheint es auch nicht zum Besten zu gehen, alter Sultan oder wie du sonst heißen magst. Siehst aus, als wäre dir schon dein letztes Brot gebacken!", sprach der Bäcker zum Hunde.
"Ach, wenn du doch wahr sprächst!", seufzte der Hund, "wenn doch nur ein Stückchen Brot für mich gebacken wäre, möcht' es immerhin mein letztes sein, dass ich nur nicht Hungers sterben müsste. Lange Jahre bewachte ich meines Herrn Haus und Hof, rettete ihm sogar einmal mit Gefahr meines eigenen Lebens das seine vor einem Raubmörder. Aber nun, da meine Stimme schwach und heiser geworden ist von vielem Bellen und meine Zähne stumpf sind, hat er mich mit Prügeln fortgejagt, denn: Undank ist der Welt Lohn!"
"Du armer Schlucker!", bedauerte der Bäckergeselle den Hund, indem er ihm ein Stück Brot reichte. "Komm mit uns, denn gleich und gleich gesellt sich gern." Das Brot gab dem Hunde neue Kraft und er schloss sich den beiden Wanderern an.
Wie nun alle drei weitergingen, sahen sie auf einem Seitenweg ein seltsames Pärchen daherkommen und blieben vor Verwunderung stehen. Es war eine alte hinkende Katze und ein alter Gockelhahn, der fast nur noch eine Feder im Schweife hatte. Beide waren sehr ermattet und vermochten sich nur langsam zu bewegen.
Als die drei Wanderer sich mit den zweien, mit denen sie jetzt zusammentrafen, höflich begrüßt hatten, erzählte auch die Katze, die aussah, als wenn sie an der Dürrsucht leide, die Geschichte ihres Unglücks. Nach einem kläglichen Miau begann sie: "Mit allem Fleiß und größtem Eifer habe ich mich im Hause meiner Frau dem Mäusefang gewidmet. Aber nun, da die Mäuse alle sind und ich alt geworden bin, meint meine Frau, eine Katze lebe stets nur von Mäusen, und sie hat mir auch keinen armseligen Brocken zu essen gegeben. Wie ich nun in meiner Verzweiflung aus Hunger und schrecklichem Durst den Versuch machte, etwas Weniges aus einem Milchtopf zu naschen, ertappt mich die Frau und ich stoße in meinem Schrecken und ganz ohne Vorsatz an den Milchtopf und werfe den Topf um. Gleich fährt doch die Frau in wildem Zorn auf mich arme, unschuldige Katze los und schlägt unbarmherzig nach mir mit der eisernen Feuerzange. Nur dadurch konnte ich mein Leben retten, dass ich durch eine Fensterscheibe brach, wobei ich mir meine Glieder an dem Glase jämmerlich zerschunden habe. Ach!", schloss die Katze mit einem tiefen Seufzer, "Undank ist der Welt Lohn!"
Nach dieser traurigen Erzählung berichtete auch der Hahn, wie er allezeit munter und wachsam, auch tapfer, furchtlos und treu auf seinem Hofe gewesen sei. Weil aber das Hühnervolk aus Faulheit und Trotz und ganz ohne sein, des Gockels, Verschulden, nicht mehr recht Eier legen wollte, und das faule Gesinde, wenn es sich verschlafen gehabt, die Schuld auf ihn geschoben und gesagt habe, er wecke sie nicht durch sein Krähen, so sei ein junger Hahn angeschafft worden. Dann habe die Köchin gesagt: „Den alten Gockel kann man nun schlachten; sein zähes Fleisch wird zwar nicht zwischen die Zähne taugen, aber eine gute Hühnersuppe gibt es doch noch.“
"Da beschloss ich", sagte der Hahn weiter, "auszuwandern und stieß unfern des Dorfes, wo ich wohnte, auf meine Gefährtin, die Katze. Wir klagten uns unser gemeinsames Leid und seufzten oft dabei: Undank ist der Welt Lohn!"
Den guten Bäckergesellen rührte das traurige Schicksal dieser Tiere und er beschloss, in ihrer Gesellschaft zu bleiben und zu sehen, ob nicht die Tiere dankbarer seien als die Menschen.
Da nun die kleinen Tiere sehr schlecht auf den Beinen waren, wollte ihnen der Bäcker gern helfen. Er redete daher dem Esel liebreich zu, er möge doch den Hund auf sich reiten lassen, und der Esel sagte: "Pah - meinetwegen. Der Hund ist noch lange nicht so schwer, als drei Säcke Korn, nicht einmal so schwer wie einer." So kletterte der Hund auf des Esels Rücken, setzte sich fest und lachte seit langer Zeit zum ersten mal wieder.
"Nun aber wirst du die Katze tragen", sagte der Bäckergeselle zum Hunde. Dies war dem Hunde nicht ganz lieb, weil er von Natur kein Katzenfreund war; er schabte sich mit seiner rechten Vorderpfote hinter dem linken Ohre, antwortete aber doch: "Wenn sie die Krallen hübsch einzieht, so mag sie aufsitzen."
Nun wollte der Hahn noch auf die Katze fliegen. Die wollte es zuerst auch nicht zulassen, willigte aber endlich auf des Bäckers Zureden darein. So kam es denn, dass nach dem Sprichwort ,Eintracht macht stark' der Esel den Hund, der Hund die Katze, die Katze den Hahn trug, und es war lustig anzusehen, wie sich die Viere nun so einträchtig betrugen.
Mittlerweile kam die Nacht heran. Hunger und Durst hatten sich indessen schon früher bei den Wandergefährten eingestellt, aber weit und breit zeigte sich kein wirtliches Dach zur Einkehr und Labung, denn der Weg führte durch einen öden Wald. Endlich spitzte die Katze die Ohren und rief: "lch höre von fern einen Lärm, der fast wie der Jubel eines Gelages klingt." Da schnupperte der Hund mit seiner Nase in die Luft und sprach: "Ich rieche schon den Braten!", und der Esel stimmte bei: "Ich schmecke schon im voraus eine gute Abendmahlzeit und die Süßigkeit der Nachtruhe!"
Darauf flog der Hahn vom Rücken der Katze hinweg auf einen Baum, freute sich, wieder einmal krähen zu dürfen und krähte fröhlich: "Kikeriki! Ich sehe ein Haus, darin alle Fenster lichthell sind und darin sicherlich ein Schmaus gehalten wird! Kikeriki!"
"Wohlan", rief der Bäckergeselle, "dorthin wollen wir uns wenden!" Rasch nahm der Hahn seine hohe Stellung auf dem Rücken des Katzenbuckels wieder ein, und der Esel trabte sacht mit seiner Tierpyramide nach dem Hause, das der Hahn gesehen hatte. Das war ein einsam gelegenes, unheimliches Waldwirtshaus. Wenn aber jemand ernstlich Hunger hat, so fragt er wenig nach der Unheimlichkeit eines Ortes. Es wurde nun in diesem Wirtshaus wirklich ein Fest gefeiert. Die Füchse nämlich hielten allda eine Hochzeit und auf dieser ging es hoch her; es fehlte nicht an allerhand Braten und sonstigen guten Sachen, auch nicht an allgemeiner Heiterkeit. Welch ein Schreck entstand aber, als unsere Wandergesellschaft plötzlich mitten unter die Hochzeitsgäste trat! Durch Fenster und Tür gab alles schleunigst Fersengeld.
Die fünf ungebetenen Gäste setzten sich, ohne erst viel zu fragen, an die verlassene Tafel und ließen sich's sattsam schmecken. Darauf suchte jeder Gast die ihm passende Schlafstätte: der Bäckergeselle legte sich in das Bett des Wirtes, die Katze wählte die Ofenbank, der Hund die Türschwelle vor der Kammer, in welcher sein Schutzherr schlief, der Hahn klomm die Stiege des Hühnerhauses hinan und der Esel trabte bedächtig dem offenen Stalle zu, alle aber fanden sich ungeheuer wohl dabei.
Nun aber kam der Wirt geschlichen, der wollte doch sehen, wie es um sein Hauswesen stehe und ob es der böse Feind vielleicht wieder verlassen habe. Sowie er aber in seinen Hof trat, krähte der Hahn. Davon erwachte der Hund und biss den Wirt, als er in den Flur des Hauses trat, tüchtig in das Bein. Der Wirt flüchtete in die Stube, da fuhr die Katze fauchend auf ihn ein und kratzte ihn. Eiligst entfloh der Wirt und suchte im Stalle Schutz, da stand aber der Esel und feuerte hinten hinaus, dass dem Wirte gar wehe ward und er heulend von dannen rannte.
Als es nun Tag geworden war, erwachte der Bäcker, und die Tiere erzählten ihm, was es in der Nacht noch zwischen dem Wirt und ihnen für einen Spektakel gegeben habe. Der Bäcker tadelte dieses feindselige Benehmen gegen den rechtmäßigen Besitzer des Waldhäuschens und entsandte den Hund, den Wirt zu suchen und herbeizubringen.
Da nun der Wirt auf die Einladung des Hundes mit Zittern und Beben wieder erschien, entschuldigte sich der Bäckergeselle höflich über das Vorgefallene und sagte, er sei mit seinen Tieren gar nicht in feindseliger Absicht gekommen. Der Wirt solle fortan die Wirtschaft in dem stillen Waldhäuschen nur auf Rechnung des Bäckers weiterführen, aber, des Hahnes wegen, den Fuchsen das Haus fernerhin verbieten; denn der Hahn müsse gänzlich in Ruhe bleiben, krähen oder nicht krähen dürfen, wie es ihm gefalle. Der Esel solle im Stalle Gnadenheu erhalten und gutes Stroh zur Streu. Die Katze solle Mäuse und Ratten in gehöriger ansehnlicher Entfernung vom Hause halten und alle Tage Wecken und Milch speisen. Der Hund aber solle und dürfe, solange es ihm beliebe, in der Sonne liegen und in der Nacht mit dem Monde sprechen. Er selbst aber wolle für alle arbeiten, das Brot backen, dem Wirte beim Bierbrauen und Biertrinken helfen, auch den Küchengarten bestellen und das Essen kochen.
Mit dieser Einrichtung waren alle Beteiligten wohl zufrieden und sie lebten fortan vergnüglich beisammen und vergaßen den schnöden Lohn der Welt: den Undank.


Der Wandergeselle

Es lebte einst die Witwe eines Metzgers, die nur einen einzigen Sohn besaß. Dieser hatte, als der Vater starb, bereits angefangen, das väterliche Handwerk zu erlernen. Die Mutter ließ den Sohn vollends auslernen und sandte ihn dann in die Fremde. Er sollte drei Jahre lang reisen, sich die Welt besehen und etwas Tüchtiges draußen lernen. Sie stattete den Sohn für seine Wanderschaft aus, so gut sie konnte, und gab ihm auch ihren besten Hund mit, der hieß Faßan.
Auf der Wanderschaft kam der junge Metzgergeselle in einen dichten Wald, darinnen Räuber hausten, die ihn anfielen und ihn berauben wollten. Der junge Geselle aber wehrte sich kräftig, und sein Faßan stand ihm wacker bei und verwundete die Räuber mit wütenden Bissen. Darüber geriet der eine der Räuber so in Zorn, dass er. den treuen Faßan tot schoss.
Der junge Metzger entrann den Räubern und lief immer tiefer in den Wald, der sehr groß war, hinein, und verirrte sich völlig und wusste nicht mehr, wo er war. Endlich erblickte er von fern ein kleines Häuschen und traf darin ein altes graues Mütterlein, das sich nicht regte. Aber der junge Gesel1e begann frischweg der Alten zu erzählen, was ihm alles begegnet sei, und bat, ihm den Weg aus diesem Wald zu zeigen. Dabei klagte er sehr um den armen Faßan, den die Räuber ihm ersch0ssen hätten. Da sprach das alte Mütterlein: "Hab' auch schöne Hunde, kannst dir einen aussuchen und mitnehmen." Dabei rief sie: "Reißebeiß!" Auf diesen Ruf trat ein großer Hund in das Häuschen, und das Mütterlein fragte:' "GefäIlt er dir?"
"Es ist ein schöner Hund", antwortete er, "aber der meine war schöner."
Da rief die Alte abermals: "Sprengalleband!" Und da kam ein noch größerer und noch schönerer Hund herein, und die Alte fragte: "Wie gefällt dir der?"
"Er gefällt mir recht gut", antwortete der junge Metzger, "aber meiner war mir halt doch noch lieber."
Da riet die Alte abermals: "Hurtigundgeschwind!" und jetzt sprang ein ganz großer und mutiger, sehr schön gebauter Hund herein. Da wartete der Gesel1e gar nicht erst die Frage des Mütterleins ab, ob dieser ihm gefalle, sondern rief alsbald: "Den lass' ich mir gefallen! Gerade so wie er hat mein Hund ausgesehen, und hätten sie den guten Faßan nicht vor meinen Augen totgeschossen, so schwür' ich drauf, der sei es selbst."
"Ich will dir die Hunde alle drei schenken", sprach die Alte, "du musst aber auch an mich arme, alte Waldfrau denken und dich meiner Armut nicht schämen."
Da der junge Bursche dies versprach, zog die Alte auch noch ein Pfeifchen hervor, gab ihm dies und sagte: "Dieses Pfeifchen verwahre recht gut, denn damit kannst du die drei Hunde jederzeit zu deiner Hilfe herbeirufen."
Mit vielem Danke schied der Wandergeselle von der guten Alten und ging den Weg, den sie ihm als den richtigen bezeichnet hatte, wohlgemut fort. Die drei schönen Hunde aber sprangen munter bald vor, bald hinter ihm und hetzten sich und spielten miteinander, woran der Geselle eine große Freude hatte.
Als der Abend zu dunkeln begann, erreichte der Wanderbursche ein einsames Wirtshaus, das auch noch in dem großen Walde, der gar kein Ende nehmen zu wollen schien, stand. Vor dem Hause stand eine junge Magd, die hölzerne Gefäße scheuerte. Als diese den hübschen jungen Gesellen erblickte, schien sie zu erschrecken und machte ihm eine abwehrende Gebärde, als wollte sie ihn vom Eintritt zurückhalten. Da ging die Tür auf und der Wirt trat heraus und lud den späten Wanderer ein, doch ja bei ihm einzukehren, zumal er, der Wirt, auch ein Metzger sei.
Dem Jüngling kam ein argwöhnisches Gefühl in das Herz, allein er war einmal da, hatte Hunger und Durst, und die Nacht war vor der Tür. Er setzte sich in der Stube nieder und seine drei Hunde lagerten sich um ihn her; nun bestellte er sich etwas zu essen. Nicht lange musste er warten, da brachte man ihm ein großes Stück Fleisch in einer fetten Brühe und gutes Brot dazu.
Der Wandergeselle aß und der Wirt hatte sich auf die Ofenbank gesetzt und sah ihm zu; denn es war niemand von Fremden weiter im Hause.
Als nun der junge Mann mit seiner Mahlzeit beinahe fertig war, ging die Tür auf und die Wirtin trat mit einem Teller, auf dem drei Fettbrote lagen, herein. Sogleich stand der Wirt auf und redete leise mit seiner Frau.
"Wünsche gesegnete Mahlzeit!", sprach jetzt die Wirtin zum Wanderburschen, der seine Schüssel weg schob, und er antwortete: "Großen Dank, Frau Wirtin!"
„Nun wollen wir ihm seine Schlafkammer zeigen", sprach die Wirtin und gab ihrem Mann ein Licht in die Hand. "Die Hunde kommen in den Stall!"
"Ich behalte meine Hunde bei mir", versetzte darauf der junge Metzger.
"Das wird sich finden", erwiderte die Frau.
Der Wirt öffnete jetzt ein Nebenzimmer und schritt mit dem Lichte voran, hinter dem Gaste ging die Wirtin. Sie trug immer noch die drei Fettbrote, zeigte sie heimlich den Hunden des Fremden und reizte so deren Verlangen nach den Broten. Man trat in ein Zimmer, das hing voller Waffen aller Art, daneben sah man auch Ketten, Stricke, Handschellen und solcher Dinge mehr, womit man die Leute wehrlos macht.
"Da sind ja gar viele Waffen", sprach verwundert der Gast.
"Ja, man wohnt hier im Walde so einsam“, meinte der Wirt; "man muss sich vorsehen; meine Leute können mit diesen Waffen gut umgehen."
Während dieser Worte öffnete der Wirt eine zweite Tür und schritt durch dieselbe voran, die Wirtin aber warf eines der Fettbrote auf den Boden und Reißebeiß schnappte danach. Aber indem der Hund das Brot fraß, warf die Frau die Tür in das Schloss und Reißebeiß war in der Waffenkammer eingesperrt.
Gar sonderbar sah es in dem zweiten Zimmer aus, ganz wie in der Vorratskammer eines Kleiderhändlers in einer großen Stadt. Da waren an allen Wänden Gestelle, die hingen voll der kostbarsten Kleider für Männer und Frauen und Kinder. Verwundert blickte sich der Geselle um und konnte gar nicht begreifen, wozu alle diese Gewänder dienen konnten. Doch der Wirt hatte schon eine dritte Tür geöffnet und winkte dem Gesellen. Da warf die Wirtin das zweite Fettbrot hin; danach schnappte Sprengalleband, und wie er an dem Bissen fraß, schloss sie rasch die Tür und auch der zweite Hund war gefangen.
Das dritte Zimmer, in das nun der Geselle dem Wirte gefolgt war, war herrlich ausgestattet. Es standen Fässer von Geld darin und an den Wänden waren Glasschränke, in denen alles von Schmuck, von Gold- und Silbergeräten und von edlen Steinen starrte. So etwas hatte der junge Metzger noch nie gesehen und konnte sich gar nicht genug darüber verwundern, noch es sich zusammenreimen, wie das alles hierher in die einsame Waldherberge komme.
Der Wirt erschloss jetzt ein viertes Gemach und die Wirtin warf das dritte Fettbrot hin. Danach sprang hastig und hungrig Hurtigundgeschwind, und schnapp war die Tür im Schlosse und der gute Hund war in der Schatzkammer gefangen. Der Herr der drei Hunde merkte aber nicht, dass keines von den treuen Tieren mehr bei ihm war, und folgte dem Wirte neugierig auch in das vierte Gemach. Aber da sah es schaurig und öde aus, wie in einem Kerker, und die Wände waren mit Blut bespritzt und Blutflecken zeigten sich allenthalben auf dem Boden.
Dem Gesellen ging ein Schauer durch Mark und Bein. Der Wirt aber sprach. mit harter Stimme: "Mein Bursche, hier hat schon gar mancher Gast sein Leben gelassen und auch du sollst hier den Tod erleiden, es sei denn, dass du unser Raubund Mordgeselle zu werden versprichst.“
Dem armen Gesellen ward in der Seele bange bei diesen Worten, doch fasste er Mut und sprach: „Lieber will ich sterben als euer Genosse sein!"
"Wie du willst", sagte der Wirt. "Mach' dich also bereit, denn du musst jetzt sterben!" Dabei ergriff er ein schweres, blinkendes Beil.
Der Geselle erschrak, denn er merkte wohl, dass der Wirt nicht spaße. Er sah sich nach seinen drei Hunden um, die waren aber alle drei verschwunden und er war nun allein und hilflos. Da wandte er sich bittend an den Wirt und sprach: "Wenn ich schon dem Tode nicht entgehen kann, so vergönne mir nur so viel Zeit, ein Vaterunser zu beten."
"Meinetwegen bete!", antwortete der Wirt.
Und der Geselle betete mit rechter Andacht. Mitten im Beten fiel ihm das Pfeifchen der guten Alten ein, mit dem er die drei Hunde herbeilocken konnte. Sofort nahm er es und pfiff darauf.
"Heißt das gebetet, Bursche?",schrie der Wirt voller Wut und hob sein Mordbeil. Aber ehe er den tödlichen Streich führte, hatte ihn Hurtigundgeschwind, der wie ein Blitz ins Zimmer fuhr, im Nacken und riss ihn nieder, und Sprengalleband und Reißebeiß waren nun auch schon da und alle drei zerrissen den Wirt in tausend Stücke.
Die Wirtin aber fiel auf ihre Knie und schrie: "Gottlob! gottlob! Nun bin ich erlöst!"
"Nein, Weib!", rief jetzt zornig der Geselle. "Du bist die Mitschuldige des Mörders, die meine Hunde heimlich fing, auf dass ich wehrlos in eurer Gewalt sei."
"Oh, seid barmherzig!", rief flehend die Wirtin. "Ich musste ja den Willen des Wüterichs tun, der mich auch einst gefangen und hier fortwährend eingesperrt gehalten hat. Oh, lasst mich leben, ich will Euch auch eine goldene Schnupftabaksdose schenken!"
"Ich will sie nicht, schnupfe auch gar nicht!", versetzte der Geselle.
"Ist auch nicht notwendig", erwiderte die Wirtin. "Aber jeder, der aus dieser Dose schnupft, wenn Ihr den Deckel nach rechts gedreht habt, muss so lange machtlos stehen, liegen oder sitzen bleiben, bis Ihr den Deckel nach links gedreht habt. Lasst mich leben, guter Geselle, um Gottes und um Euer selbst willen, denn noch seid Ihr nicht außer aller Gefahr. Ich allein kenne den Aufenthaltsort der Spießgesellen meines Mannes, einer ganzen Bande Räuber und Mörder, vor denen Ihr trotz Eurer Hunde nicht sicher wäret.“
Die Frau des Hauses zeigte nun ihrem Befreier den Eingang zu dem verborgenen Schlupfwinkel der Mörderbande, in welchen man durch eine Falltür gelangte. Diese Falltür öffnete der junge Metzger und ließ seine drei Hunde hinein, denen niemand widerstehen konnte und die sofort allen Räubern den Garaus machten.
Der Geselle gab nun der Dienerschaft, insonderheit der mitleidigen Magd, die ihn.gewarnt hatte, von den Schätzen, sandte einen Knecht mit reichem Gut an die alte Waldfrau, welcher er die drei Hunde verdankte, und ebensoviel schickte er seiner Mutter. Darauf zog er mit seinen drei Hunden seine Straße weiter.
Da begegnete ihm eines Tages eine Kutsche. Die war ganz mit schwarzem Flor überhangen und der Kutscher desgleichen, ebenso die Pferde, was sehr traurig aussah. Da blieb der Wandergeselle mitleidigen Herzens stehen. Der Kutscher aber war ein grober Klotz, der rief dem Gesellen zu: "Na, Schlingel, was gibt es hier zu gaffen? Wirst du wohl aus dem Wege gehen, wenn eine Prinzessin gefahren kommt?"
Dieser unhöfliche Zuruf verdross den guten Gesellen und er rief Hurtigundgeschwind, dem Kutscher einigermaßen gute Sitten zu lehren. Darauf sprang der Hund auf den Bock, fasste den Kutscher beim Kragen, schüttelte ihn wie einen Hasen, riss ihn vom Bocke herab und tauchte ihn um und um in einer großen Pfütze am Wege, dass er ganz schmutzig und nass wurde, und setzte ihn so wieder auf den Kutscherbock.
Der Wanderbursche riet dem Kutscher, der nun ganz gefügig und kleinmütig geworden war, wenn er ähnliche Erfahrungen vermeiden wolle, solle er künftig gegen andere Leute, auch wenn diese zu Fuß gingen, höflicher sein. Dabei warf er einen neugierigen Blick in den florumhangenen Glaswagen und sah darin eine ganz schwarz gekleidete Prinzessin sitzen, die sehr geweint hatte. Und da er sie ganz bescheidentlich nach dem Grund ihrer Betrübnis fragte, erzählte ihm die Prinzessin ihr Schicksal. –
"Ich bin", begann sie, "die Tochter des Königs dieses Landes, über welches ein mächtiger, böser Zauberer eine große Teuerung und Hungersnot gebracht hat, die nur unter der Bedingung aufhören soll, dass ich sein eigen werde. Da nun mein Vater sein Land und Volk mehr liebt als mich und sich selbst, so hat er in diese entsetzliche Bedingung gewilligt und ich Ärmste soll jetzt eben zu dem Bösen gebracht werden."
"Aber, schöne Prinzessin, warum denn so ganz allein?", fragte der Wandergeselle.
"Ja, - lieber Jüngling", antwortete die Prinzessin, "das kommt daher, weil sich jeder fürchtete, mit mir zu gehen. Nur der Kutscher war bereit, mich zu fahren, und ich fürchte, der wollte es auch nur tun, weil er ein Helfershelfer des Zauberers ist."
"Schöne Prinzessin", sprach der Wanderbursche, "wollt Ihr mir erlauben, Euch als Kammerherr zu begleiten, so kann ich Euch vielleicht in Wahrheit den besten Dienst tun und Euch aus den Klauen des Zauberers losmachen."
"Ach, das höre ich sehr gern!", antwortete die Prinzessin. "Ja, du sollst mein lieber Kammerherr sein, steige nur zu mir herein!" Das tat der Wandergeselle und unterhielt sie so vortrefflich, dass sie lachte und ihr Leid vergaß, und so fuhren sie zu dem Zauberer. Dieser, eine hässliche, kleine Gestalt, saß auf einem Holzblock und wartete schon eine geraume Zeit auf seine hohe Braut. Er war aber sehr erstaunt, zu sehen, dass die Prinzessin nicht allein kam.
Der Jüngling näherte sich sofort dem Zauberer mit edlem Anstand, sagte, er wäre der Kammerherr der Prinzessin, und bot ihm zur Begrüßung sofort eine Prise aus seiner goldenen Tabaksdose an. Das Herz lachte ihm vor Freude, als er sah, dass der andere wirklich in die Dose griff und eine tüchtige Prise nahm.
"So, mein werter Herr Zauberer", nahm nun der Geselle das Wort, indem er die Dose, deren Deckel er nach rechts gedreht hatte, wieder an sich zog; "jetzt können wir vernünftig miteinander reden, denn Ihr seid ein festgesetzter Mann."
"Was soIl das heißen, du Dummkopf?", schrie der Zauberer und wollte auffahren, aber er konnte nicht, er musste auf dem Holzblock wie angenagelt sitzen bleiben.
"Wie lange soll der dumme Spaß dauern?", fragte der Überlistete in größtem Ärger. "Ich bin des Sitzens müde. Mach' es kurz! - das halte aus, wer kann!"
"Ich will dir etwas sagen, aber sei still, hochwohlgeborener Herr Zauberer!", spottete der Geselle. "Es kann dir bald geholfen werden. Du gibst diese Prinzessin frei und du gelobest außerdem, nie wieder im Land ihres Vaters Teuerung und Hungersnot, Aufruhr oder sonst dergleichen dummes Zeug anzustiften oder anzuzetteln. Endlich gibst du mir das alles schriftlich und sorgst dafür, dass ich dich niemals wieder zu Gesicht bekomme."
Der Zauberer ächzte und krächzte, schwitzte und krümmte sich, es half ihm aber alles nichts, und so bequemte er sich, in die Forderungen des Befreiers der Prinzessin einzuwilligen. Hierauf zog dieser wieder die goldene Dose hervor, drehte den Deckel nach links und fragte höflich: "Beliebt noch ein Prischen?" - Der Zauberer aber schlug hin, dass aller Schnupftabak in die Luft flog, erhob sich von seinem Holzblock und brauste wie ein Sturmwind von hinnen.
Darauf stiegen die Prinzessin und der Befreier wieder in ihren Wagen und fuhren auf dem kürzesten Wege zum Königsschloss zurück, wo sie der König und der ganze Hof mit großer Freude empfingen. Allen gefiel der Retter der Prinzessin gar wohl, am besten aber ihr selbst. "Diesen", sagte sie, "will ich heiraten und keinen anderen!" Der alte König war es zufrieden und so wurde der mutige Wandergeselle bald der Bräutigam der schönen Prinzessin und Thronfolger des Königreichs.

Das Natterkrönlein

In dem Stalle eines geizigen Bauern, der eine fromme, mildherzige Magd hatte, wohnte eine schöne Schlange mit einem goldenen Krönlein auf dem Haupte. Die konnte man des Nachts zuweilen gar wundersam singen hören, denn diese Krönleinnattern haben die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein.
Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute - was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles -, da kroch manchmal das Schlänglein; welches so weiß war ,wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an. Dieser kam es dann immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben, und barmherzig, wie sie war, tat sie regelmäßig in ein kleines Untertässchen etwas kuhwarme Milch und stellte es dem zierlichen Tierlein hin. Die Schlangenkönigin aber trank die Milch mit großem Wohlbehagen, und wenn sie dabei ihr Köpfchen wendete, glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchtete ordentlich in dem dunklen Stalle.
Die gute Dirne freute sich über die Schlange gar sehr und nahm auch wahr, dass ihres Herrn Kühe, seit sie die Krönleinnatter mit Milch tränkte, sichtbar gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen zur Welt brachten, worüber sie die größte Freude hatte.
Da traf sich's einmal, dass der Bauer in den Stall trat, als just die Natter ihr Töpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt hatte. Weil er aber über alle Maßen geizig und habsüchtig war, fuhr er gleich zornig auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.
"Du nichtsnutze Dirn', die du bist!", schrie der böse Bauer.
"So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub' ich, dass du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!"
Die arme Dirne wusste diesen unverdienten harten Vorwürfen nichts als reichliche Tränen entgegenzusetzen. Aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, dass sie weinte, sondern er vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und schrie und schimpfte sich immer mehr und mehr in den vollen Zorn hinein: "Aus dem Hause, sag' ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen ! Gleich schnürst du dein Bündel, aber gleich, und machst, dass du aus dem Dorfe fort kommst. Lass dich nimmer wieder hier blicken, sonst zeig' ich dich an beim Amt, da wirst du eingesteckt und kriegst den Staupbesen, du Hexendirne!",
Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein. Dann trat sie aus dem Haus und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, denn sie hörte eben im Stall ihre Lieblingskuh brüllen. - Der Bauer war inzwischen weitergegangen; so trat sie noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen; denn frommem Hausgesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen.
Da stand nun die Dirne im Stall und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand - und siehe, da kam auch die Schlange mit dem Krönlein gekrochen.
"Leb' wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern", sprach die Magd.
Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie vorher nie gemacht hatte. Das war ein Zeichen, dass auch sie aus dem Hause scheidet wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte.
Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wusste nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es aber besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glück aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude zuteil.
Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes. Der gewann gleich die Dirne lieb und grüßte und fragte sie, wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da sie ihm nun ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen; sie solle dieser nur sagen, er sende sie.
Wie aber die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzen Sohn ihr aufgetragen, da fasste die Frau gleich zu ihr ein großes Vertrauen und behielt sie im Hause. Als am Abend die Knechte und die Mägde zum Essen kamen, da musste die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen und es deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels; sie wurden von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu der Dirne eine große Liebe. Als abgegessen war und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen und das Gesinde die Stube verlassen hatte, da fasste der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: "Frau Mutter, segnet mich und die, denn die nehm' ich zur Frau oder keine. Sie hat mir's einmal angetan!“
"Sie hat's uns allen angetan“, antwortete die alte Frau Schulzin. "Sie ist so fromm, als sie schön ist, und so demütig, als sie makellos ist. Im Namen Gottes segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gern zur Tochter."
So wurde die arme Magd zur reichsten Frau des Dorfes und zu einer ganz glücklichen noch dazu.
Mit jenem geizigen Bauern aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben hatte, ging es bald den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg; bald musste. er sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker. Alles kaufte aber der reiche Schulzensohn und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt in ihren Stall und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand.
Als sie wieder einmal so im Stalle beschäftigt war, erschien plötzlich ihre weiße Schlange. Da zog die junge Frau schnell das Krönlein hervor und sagte: „Das ist schön von dir, dass du zu mir kommst. Nun sollst du auch. alle Tage frische Milch haben, soviel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder mit tausend Dank, dass du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch' es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß."
Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieben Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.

Goldener

Vor langen Jahren hatte einmal in einem dichten Wald ein armer Hirte gelebt, der hatte sich ein bretternes Häuschen mitten im Walde erbaut, darin wohnte er mit seinem Weib und sechs Kindern, die waren alle Knaben. An dem Hause war ein Ziehbrunnen und Gärtlein, und wenn der Vater das Vieh fütterte, dann gingen die Kinder hinaus und brachten ihm zu Mittag oder zu Abend einen kühlen Trunk aus dem Brunnen oder ein Gericht aus dem Gärtlein.
Den jüngsten Knaben riefen die Eltern nur "Goldener", denn seine Haare waren wie Gold, und obgleich der Jüngste, war er doch der Stärkste von allen und auch der Schönste. Sooft die Kinder hinaus in die Flur gingen, ging Goldener mit einem Baumzweige voran, anders wollte keins gehen, denn jedes fürchtete sich, zuerst auf ein Abenteuer zu stoßen; ging aber Goldener voran, so folgten sie freudig eins hinter dem andern nach durch das dunkelste Dickicht, und wenn auch schon der Mond über dem Gebirge stand.
Eines Abends ergötzten sich die Knaben auf dem Rückwege vom Vater mit Spielen im Walde, und Goldener hatte sich vor allen so sehr im Spiele ereifert, dass er so hell aussah wie das Abendrot. "Lasst uns zurückgehen!", sprach der Älteste, "es scheint dunkel zu werden!"
"Seht da, der Mond!", sprach der zweite. Da kam es auf einmal licht zwischen den dunklen Tannen hervor, und eine Frauengestalt, leuchtend wie der Mond, setzte sich auf einen der moosigen Steine, spann mit einer kristallenen Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldener und sang:
"Der weiße Fink, die goldene Ros',
die Königskron im Meeresschoss!"
Sie hätte wohl noch weiter gesungen, da brach ihr der Faden, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht, die Kinder fasste ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei, das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eins das andere.
Wohl viele Tage und Nächte irrte auch Goldener in dem dichten Wald umher, fand aber weder einen seiner Brüder noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen, denn es war der Wald gar dicht bewachsen, ein Berg über den andern gestellt und eine Kluft unter die andere.
Die Brombeeren, welche überall herumrankten, stillten seinen Hunger und Durst, sonst wäre er gar jämmerlich gestorben. Endlich am dritten Tage - andere sagen gar erst am sechsten oder siebenten Tage - wurde der Wald hell und immer heller, und da kam Goldener zuletzt hinaus auf eine schöne grüne Wiese.
Da war es ihm so leicht um das Herz, und er atmete mit vollen Zügen die freie Luft ein.
Auf derselben Wiese waren Garne ausgelegt, denn da wohnte ein Vogelsteller, der fing Vögel, die aus dem Walde flogen, und trug sie in die Stadt zum Verkaufe.
Solch ein Bursche ist mir gerade vonnöten, dachte der Vogelsteller, als er Goldener erblickte, der auf der grünen Wiese nah an den Garnen stand und in den weiten blauen Himmel hineinsah und sich nicht satt sehen konnte.
Der Vogelsteller wollte sich einen Spaß machen; er zog seine Garne und husch! war Goldener gefangen und lag unter dem Garne ganz erstaunt, denn er wusste nicht wie das geschehen war.
"So fängt man die Vögel, die aus dem Walde kommen", sprach der Vogelsteller lachend, "deine roten Federn sind mir eben recht. Du bist wohl ein verschlagener Fuchs? Bleibe bei mir, ich lehre dich auch Vögel fangen."
Goldener war gleich dabei, ihm deuchte unter den Vögeln ein gar lustig Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wiederzufinden.
"Lass erproben, was du gelernt hast", sprach der Vogelsteller nach einigen Tagen zu ihm. Goldener zog die Garne, und bei dem ersten Zuge fing er einen schneeweißen Finken.
"Packe dich mit diesem weißen Finken!", schrie der Vogelsteller, "du hast es mit dem Bösen zu tun!" Und so stieß er ihn gar unsanft von der Wiese, indem er den weißen Finken, den ihm Goldener gereicht hatte, unter vielen Verwünschungen mit den Füßen zertrat.
Goldener konnte die Worte des Vogelstellers nicht begreifen; er ging traurig, doch getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich noch einmal vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Tag und Nacht lief er über Felsensteine und alte gefallene Baumstämme, fiel auch gar oft über die schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden hervorragten.
Am dritten Tage aber wurde der Wald endlich wieder heller, und da kam er hinaus in einen schönen, lichten Garten, der war voll der lieblichsten Blumen, und weil Goldener dergleichen noch keine erblickt, blieb er voll Bewunderung stehen. Der Gärtner im Garten erblickte ihn nicht sobald - denn Goldener stand unter den Sonnenblumen, und seine Haare glänzten im Sonnenschein nicht anders als solch eine Blume. Als er ihn aber erblickte, sprach er: "Ha, solch einen Burschen habe ich gerade vonnöten!" und dabei schloss er das Tor des Gartens. Goldener ließ es sich gefallen, denn ihm deuchte unter den Blumen ein gar buntes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Vaters wiederzufinden.
"Fort in den Wald!", sprach der Gärtner eines Morgens zu Goldener, "hole mir einen wilden Rosenstock, damit ich zahme Rosen darauf pflanze!" Goldener ging und kam mit einem Stock der schönsten Rosen zurück, die waren auch nicht anders, als hätte sie der geschickteste Goldschmied für die Tafel eines Königs geschmiedet.
"Packe dich mit diesen goldenen Rosen!", schrie der Gärtner, "du hast es mit dem Bösen zu tun", und so stieß er ihn gar unsanft aus dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Verwünschungen in die Erde trat.
Goldener konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen, doch ging er getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich nochmals vor, die Hütte seines Vaters zu suchen.
Er lief Tag und Nacht, von Baum zu Baum, von Fels zu Fels. Am dritten Tage endlich wurde der Wald hell und immer heller, und da kam Goldener hinaus an das blaue Meer, das lag in einer unermesslichen Weite vor ihm, die Sonne spiegelte sich eben in der kristallenen Fläche, da war es wie fließendes Gold, darauf schwammen schön geschmückte Schiffe mit langen. fliegenden Wimpeln. Einige Fischer hielten in einer zierlichen Barke am Ufer, in die trat Goldener und sah mit Erstaunen in die Helle hinaus.
"Ein solcher Bursche ist uns gerade vonnöten", sprachen die Fischer, und husch! stießen sie vom Lande. Goldener ließ es sich gefallen, denn ihm deuchte bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, seines Vaters Hütte wiederzufinden. Die Fischer warfen ihre Netze aus und fingen nichts. "Lass sehen, ob du glücklicher bist!", sprach nun ein alter Fischer mit silbernen Haaren zu Goldener. - Mit ungeschickten Händen senkte Goldener das Netz in die Tiefe, zog und fischte - eine Krone von hellem Golde.
"Triumph!", rief der alte Fischer und fiel Goldener zu Füßen, "ich begrüße dich als unsern König! Vor hundert Jahren versenkte der alte König, welcher keine Erben hatte sterbend seine Krone ins Meer, und so lange, bis irgendeinen Glücklichen das Schicksal bestimmt hätte, die Krone wieder aus der Tiefe zu ziehen, sollte der Thron ohne Nachfolger in Trauer gehüllt bleiben."
"Heil unserem König!", riefen die Fischer und setzten Goldener die Krone auf. Die Kunde von Goldener und der wiedergefundenen Königskrone erscholl bald von Schiff zu Schiff und über das Meer weit in das Land hinein. Da war die goldene Fläche bald mit bunten Nachen besetzt und mit Schiffen, die mit Blumen und Laubwerk geziert waren; diese begrüßten mit lautem Jubel alle das Schiff, auf welchem König Goldener stand. Er stand, die helle Krone auf dem Haupte, am Vorderteile des Schiffes und sah ruhig der Sonne zu, wie sie im Meere erlosch. Im Abendwinde wehten seine goldenen Locken.

Das göttliche Zeichen – Nach Bechstein

Einst schritt ein junger Graf namens Arnulf über die Moselbrücke bei Trier. Er war ein guter und gläubiger Mensch. Immer wieder aber überlegte er sich, ob er wohl ein Leben führe, das Gott wohlgefällig war.
So erging es ihm auch an jenem Tage, da er über die Brücke schritt und auf das Wasser der Mosel sah. Plötzlich zog er seinen wertvollen Ring vom Finger und warf ihn in den Fluss. Dabei rief er: „Wenn mir meine Sünden verziehen werden, werde ich diesen Ring wiederbekommen.“
Glücklich schritt er dann weiter und tat wie bisher Gutes, wo er nur immer helfen und raten konnte.
Es vergingen einige Jahre, und aus dem frommen Grafen war inzwischen der Bischof zu Metz geworden. Da liefere eines Tages ein Fischer einen großen Fisch. Als sich der Koch daranmachte, den guten Fang für den Tisch des bischöflichen Herrn zuzubereiten, fand er voller Verwunderung im Eingew3eide des Fisches einen wunderschönen Ring mit einem Wappen. Er trug den kostbaren Fund sofort zum Bischof.
Da sah dieser, dass seine Bitte auf der Moselbrücke zu Trier erhört worden war und der Ring von einem Fisch, der ihn für eine Speise gehalten hatte, damals vor Jahren, verschlungen worden war.
Demütig dankte Bischof Arnulf Gott für dieses Gnadenzeichen und war in den kommenden Jahren noch gütiger und noch hilfsbereiter.

Der goldene Rehbock

Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe und ein Mädchen, das Mädchen hieß Margarete, der Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie ausgehen mussten, um durch Betteln sich fortzubringen. Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und zu klein, denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre, und Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie vors erste beste Haus, klopften an und baten um ein Nachtquartier, und vielmal waren sie schon von guten, mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeist und getränkt worden; auch hatte mancher und manche Barmherzige ihnen ein Kleidungsstück zugeworfen.
So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen, welches einzeln stand; da klopften sie ans Fenster, und als gleich darauf eine alte Frau heraus sah, fragten sie diese, ob sie hier nicht über Nacht bleiben dürften. Die Antwort war: "Meinetwegen, kommt nur herein!"
Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: "Ich will euch wohl über Nacht behalten, aber wenn es mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren, denn er isst gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!"
Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie nunmehr nicht weiter, es war schon ganz dunkle Nacht geworden. So ließen sie sich gutwillig von der Frau in ein Fass stecken und verhielten sich ruhig. Einschlafen aber konnten sie lange nicht, zumal, da sie nach einer Stunde die schweren Tritte eines Mannes vernahmen, der wahrscheinlich der Menschenfresser war. Des wurden sie bald gewiss, denn jetzt fing er an mit brüllender Stimme auf seine Frau zu zanken, dass sie keinen Menschenbraten für ihn zugerichtet. Am Morgen verließ er das Haus wieder und tappte so laut, dass die Kinder, die endlich doch eingeschlafen waren, darüber erwachten.
Als sie von der Frau etwas zu frühstücken bekommen hatten, sagte diese: "Ihr Kinder müsst nun auch etwas tun! Da habt ihr zwei Besen, geht oben hinauf und kehrt mir meine Stuben aus, deren sind zwölf, aber ihr kehret davon nur elf, die zwölfte dürft ihr ums Himmels willen nicht aufmachen. Ich will derzeit einen Ausgang machen. Seid fleißig, dass ihr fertig seid, wenn ich wiederkomme." Die Kinder kehrten sehr emsig, und bald waren sie fertig. Nun mochte Gretchen doch gar zu gerne wissen, was in der zwölften Stube wäre, das sie nicht sehen sollten, weil ihnen verboten war, die Stube zu öffnen. Sie guckte ein wenig durchs Schlüsselloch und sah da einen herrlichen kleinen goldenen Wagen, mit einem goldenen Rehbock bespannt. Geschwind rief sie Hänschen herbei, dass er auch hineingucken solle. Und als sie sich erst tüchtig umgesehen, ob die Frau nicht heimkehre, und da von dieser nichts zu sehen war, schlossen sie schnell die Türe auf, zogen den Wagen samt Rehbock heraus, setzten sich drunten in den Wagen hinein und fuhren auf und davon. Aber nicht lange, so sahen sie von weitem die alte Frau und auch den Menschenfresser sich entgegenkommen, gerade des Wegs, den sie mit dem geraubten Wagen eingeschlagen hatten. Hänslein sprach: "Ach, Schwester, was machen wir! Wenn uns die beiden Alten entdecken, sind wir verloren."
" Still!", sprach Gretchen, "ich weiß ein kräftiges Zaubersprüchlein, welches ich noch von unserer Großmutter gelernt habe:

Rosenrote Rose sticht;
siehst du mich, so sieh mich nicht!"

Und alsbald waren sie verwandelt in einen Rosenstrauch. Gretchen wurde zur Rose, Hänslein zu Dornen, der Rehbock zum Stiele, der Wagen zu Blättern.
Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine Frau, dahergegangen, und letztere wollte sich die schöne Rose abbrechen, aber sie stach sich so sehr, dass ihre Finger bluteten und sie ärgerlich davonging. Wie die Alten fort waren, machten sich die Kinder eilig auf und fuhren weiter und kamen bald an einen Backofen, der voll Brot stand. Da hörten sie aus demselben eine hohle Stimme rufen: "Rückt mir mein Brot, rückt mir mein Brot!" Schnell rückte Gretchen das Brot und tat es in ihren Wagen, worauf sie weiterfuhren. Da kamen sie an einen großen Birnbaum, der voll reifer schöner Früchte hing. Aus diesem tönte es wieder: "Schüttelt mir meine Birnen, schüttelt mir meine Birnen!" Gretchen schüttelte sogleich, und Hänschen half sogleich auflesen und die Birnen in den goldenen Wagen schütten. Und wieder kamen sie an einen Weinstock, der rief mit angenehmer Stimme: "Pflückt mir meine Trauben, pflückt mir meine Trauben!" Gretchen pflückte auch diese und packte sie in ihren Wagen.
Unterdessen aber waren der Menschenfresser und seine Frau daheim angelangt und hatten mit Ingrimm wahrgenommen, dass die Kinder ihren goldenen Wagen samt Rehbock mitgenommen, gerade wie diese beiden ebenfalls vor langen Jahren Wagen und Rehbock sich angeeignet, aber noch dazu einen Mord begangen, nämlich den rechtmäßigen Eigentümer erschlagen hatten. Der mit dem Rehbock bespannte Wagen war nicht nur an und für sich von großem Wert, sondern er besaß auch noch die vortreffliche Eigenschaft, dass, wo er hinkam, von allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und Beerstrauch, von Backofen und Weinstock. So hatten denn die Leute, der Menschenfresser und seine Frau, lange Jahre den Wagen, wenn auch auf unrechtmäßige Weise, besessen, hatten sich gute Esswaren spenden lassen und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da sie nun sahen, dass sie ihres Wagens beraubt waren, machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen. Dabei wässerte dem Menschenfresser schon der Mund nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er sogleich fangen und schlachten. Mit weiten Schritten eilten die bei den Alten den Kindern nach und wurden dieselben bald von ferne ansichtig, weil sie vorausfuhren. Die Kinder kamen jetzt an einen großen Teich und konnten nicht weiter, auch war weder eine Fähre noch eine Brücke da, dass sie hinüber hätten flüchten können. Nur viele Enten waren darauf zu sehen, die lustig umher schwammen. Gretchen lockte diese ans Ufer, warf ihnen Futter hin und sprach:

"Ihr Entchen, ihr Entchen
schwimmt zusammen,
macht mir ein Brückchen,
dass ich hinüber kann kommen!"

Da schwammen die Enten einträchtiglich zusammen, bildeten eine Brücke, und die Kinder samt Rehbock und Wagen kamen glücklich ans andere Ufer. Aber flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser und brummte mit hässlicher Stimme:

"Ihr Entchen, ihr Entchen schwimmt zusammen,
macht mir ein Brückchen, dass ich hinüber kann kommen!"

Schnell schwammen die Entchen zusammen und trugen die beiden Alten hinüber - meint ihr? Nein, in der Mitte des Teiches, wo das Wasser am tiefsten war, schwammen die Entchen auseinander, und der böse Menschenfresser nebst seiner Alten plumpsten in die Tiefe und kamen um. Und Hänschen und Gretchen wurden ein Paar glücklicher Leute, aber sie spendeten auch von ihrem Segen den Armen viel und taten viel Gutes, weil sie immer daran dachten, wie bitter es gewesen, da sie noch arm waren und betteln gehen mussten.

Das Nusszweiglein

Es war einmal ein reicher Kaufmann, den nötigten seine Geschäfte, ins Ausland zu reisen. Als er nun Abschied nahm, sprach er zu seinen drei Töchtern: "Liebe Kinder, ich möchte euch gern bei meiner Rückkehr eine Freude bereiten, sagt mir daher, was ich euch mitbringen soll?"
Die älteste sprach: "Lieber Vater, mir eine kostbare Perlenhalskette."
Die mittlere sprach: "Ich wünsche mir einen Fingerring mit einem Demantstein."
Die dritte schmiegte sich an des Vaters Herz und flüsterte: ,,Mir ein schönes Nusszweiglein, Väterchen."
"Gut, liebe Kinder!", sprach der Vater. "Ich will's mir merken, und so lebt denn wohl!"
Weit fort reiste der Kaufmann und machte große Einkäufe, gedachte aber auch treulich der Wünsche seiner Töchter. Eine kostbare Perlenkette hatte er bereits in seinem Reisekoffer verpackt, um seine älteste damit zu erfreuen, und einen gleich wertvollen Demant hatte er für die mittlere eingekauft. Einen grünen Nusszweig aber konnte er nirgends gewahren, wie er sich auch darum bemühte. Auf der Heimreise ging er deshalb eine Strecke zu Fuße, da sein Weg ihn vielfach durch Wälder führte, um endlich einen Nussbaum anzutreffen; doch dies war lange vergeblich, und der gute Vater fing an betrübt zu werden, dass er die harmlose Bitte seines jüngsten und liebsten Kindes nicht zu erfüllen vermochte.
Endlich, als er so betrübt seines Weges dahin zog, der ihn just durch einen dunklen Wald und an dichtem Gebüsch vorüberführte, stieß er mit seinem Hute an einen Nusszweig, und es raschelte, als fielen Schloßen darauf; wie er aufsah, war's ein schöner, grüner Nusszweig, daran eine Traube goldener Nüsse hing. Da war der Mann sehr erfreut, langte mit der Hand empor und brach den herrlichen Zweig ab. Aber in demselben Augenblicke schoss ein wilder Bär aus dem Dickicht und stellte sich grimmig brummend auf die Hintertatzen, als wollte er den Kaufmann gleich zerreißen. Und mit furchtbarer Stimme brüllte er: "Warum hast du meinen Nusszweig abgebrochen, du? Warum? Ich werde dich auffressen!"
Bebend vor Schreck und zitternd sprach der Kaufmann: "Oh, lieber Bär, friss mich nicht und lass mich mit dem Nusszweiglein meines Weges ziehen, ich will dir auch einen großen Schinken und viele Würste dafür geben!" Aber der Bär brüllte wieder: "Behalte deinen Schinken und deine Würste! Nur wenn du mir versprichst, mir dasjenige zu geben, was dir zu Hause am ersten begegnet, so will ich dich nicht fressen!"
Dies ging der Kaufmann gerne ein, denn er dachte, wie sein Pudel ihm gewöhnlich entgegenlaufe, und diesen wollte er um sich das Leben zu retten, gern opfern. Nach derbem Handschlag tappte der Bär ruhig ins Dickicht zurück, und der Kaufmann schritt, aufatmend, rasch und fröhlich von dannen.
Der goldene Nusszweig prangte herrlich am Hute des Kaufmanns, als er seiner Heimat zueilte. Freudig hüpfte das jüngste Mägdlein ihrem lieben Vater entgegen; mit tollen Sprüngen kam der Pudel hinterdrein; und die älteren Töchter und die Mutter schritten etwas weniger schnell aus der Haustüre, um den Ankommenden zu begrüßen. Wie erschrak nun der Kaufmann, als seine jüngste Tochter die erste war, die ihm entgegen flog! Bekümmert und betrübt entzog er sich der Umarmung des glücklichen Kindes und teilte nach den ersten Grüßen den Seinen mit, was ihm mit dem Nusszweig widerfahren. Da weinten nun alle und wurden betrübt, doch zeigte die jüngste Tochter den meisten Mut und nahm sich vor, des Vaters Versprechen zu erfüllen. Auch ersann die Mutter bald einen guten Rat und sprach: "Ängstigen wir uns nicht, meine Lieben, sollte je der Bär kommen und dich, mein lieber Mann, an dein Versprechen erinnern, so geben wir ihm anstatt unserer Jüngsten die Hirtentochter, mit dieser wird er auch zufrieden sein." Dieser Vorschlag galt, und die Töchter waren wieder fröhlich und freuten sich recht über die schönen Geschenke. Die Jüngste trug ihren Nusszweig immer bei sich; sie dachte bald gar nicht mehr an den Bären und an das Versprechen ihres Vaters.
Aber eines Tages rasselte ein dunkler Wagen durch die Straße vor das Haus des Kaufmanns, und der hässliche Bär stieg heraus und trat brummend in das Haus und vor den erschrockenen Mann, die Erfüllung seines Versprechens begehrend. Schnell und heimlich wurde die Hirtentochter, die sehr hässlich war, herbeigeholt, schön geputzt und in den Wagen des Bären gesetzt. Und die Reise ging fort. Draußen legte der Bär sein wildes, zottiges Haupt auf den Schoß der Hirtin und brummte:

"Kraule mich, krabble mich hinter den Ohren zart und fein,
oder ich fress dich mit Haut und Bein!“

Und das Mädchen fing an zu krabbeln; aber sie machte es dem Bären nicht recht, und er merkte, dass er betrogen wurde; da wollte er die geputzte Hirtin fressen, doch diese sprang rasch in ihrer Todesangst aus dem Wagen.
Darauf fuhr der Bär abermals vor das Haus des Kaufmanns und forderte furchtbar drohend die Rechte. So musste denn das liebliche Mädchen herbei, um nach schwerem, bitterem Abschied mit dem hässlichen Bräutigam fortzufahren. Draußen brummte er wieder, seinen rauen Kopf in des Mädchens Schoß legend:

"Kraule mich, krabble mich hinter den Ohren zart und fein,
oder ich fress dich mit Haut und Bein!"

Und das Mädchen krabbelte, und so sanft, dass es ihm behagte und dass sein furchtbarer Bärenblick freundlich wurde, so dass allmählich die arme Bärenbraut einiges Vertrauen zu ihm gewann. Die Reise dauerte nicht gar lange, denn der Wagen fuhr ungeheuer schnell, als brause ein Sturmwind durch die Luft. Bald kamen sie in einen sehr dunklen Wald, und dort hielt plötzlich der Wagen vor einer finster gähnenden Höhle. Diese war die Wohnung des Bären. Oh, wie zitterte das Mädchen! Und zumal, da der Bär sie mit seinen furchtbaren Klauenarmen umschlang und zu ihr freundlich brummend sprach:
"Hier sollst du wohnen, Bräutchen, und glücklich sein, wenn du dich brav benimmst, so dass mein wildes Getier dich nicht zerreißt."
Und er schloss , als beide in der dunklen Höhle einige Schritte getan, eine eiserne Türe auf und trat mit der Braut in ein Zimmer, das voll von giftigem Gewürm angefüllt war, welches ihnen gierig entgegenzüngelte. Und der Bär brummte seinem Bräutchen ins Ohr:

"Sieh dich nicht um!
Nicht rechts, nicht links; geradezu, so hast du Ruh!

Da ging das Mädchen ohne sich umzublicken durch das Zimmer, und es regte und bewegte sich so lange kein Wurm. Und so ging es noch durch zehn Zimmer, und das letzte war von den scheußlichsten Kreaturen angefüllt, Drachen und Schlangen, giftgeschwollenen Kröten, Basilisken und Lindwürmern. Und der Bär brummte in jedem Zimmer:
"Sieh dich nicht um! Nicht rechts, nicht links; geradezu, so hast du Ruh!"
Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit wie Espenlaub, doch sie blieb standhaft, sah sich nicht um, nicht rechts, nicht links. Als sich aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte beiden ein glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte drinnen eine liebliche Musik, und es jauchzte überall wie Freudengeschrei, wie Jubel. Ehe sich die Braut nur ein wenig besinnen konnte, noch zitternd vom Schauen des Entsetzlichen und wieder dieser überraschenden Lieblichkeit - tat es einen furchtbaren Donnerschlag, also, dass sie dachte, es breche Erde und Himmel zusammen. Aber bald war es wieder ruhig. Der Wald, die Höhle, die Gifttiere, der Bär - waren verschwunden; ein prächtiges Schloss mit gold geschmückten Zimmern und schön gekleideter Dienerschaft stand dafür da, und der Bär war ein schöner, junger Mann geworden, war der Fürst des herrlichen Schlosses, der nun sein liebes Bräutchen an das Herz drückte und ihm tausendmal dankte, dass es ihn und seine Diener, das Getier, so liebreich aus der Verzauberung erlöst.
Die nun so hohe, reiche Fürstin trug noch immer ihren schönen Nusszweig am Busen, der die Eigenschaft hatte, nie zu verwelken, und trug ihn jetzt nur um so lieber, da er der Schlüssel ihres holden Glückes geworden. Bald wurden ihre Eltern und Geschwister von diesem freundlichen Geschick benachrichtigt und von dem Bärenfürsten für immer zu einem herrlichen Wohlleben auf das Schloss genommen.

Der weiße Wolf

Ein König ritt jagen in einem großen Walde, darinnen er sich verirrte, und musste manchen Tag wandern und manche Nacht, fand immer nicht den rechten Weg und musste Hunger und Durst leiden. Endlich begegnete ihm ein kleines, schwarzes Männlein, das fragte der König nach dem rechten Weg.
"Ich will dich wohl führen und geleiten", sagte das Männlein, "aber du musst mir auch etwas dafür geben, du musst mir das geben, was dir aus deinem Hofe zuerst entgegenkommt." Der König war froh und sprach unterwegs: "Du bist recht brav, Männchen; wahrlich, und wenn mein bester Hund mir entgegenliefe, so wollte ich dir ihn doch gern zum Lohne geben."
Das Männlein aber erwiderte: "Deinen besten Hund, den mag ich nicht, mir ist was anderes lieb."
Wie sie nun beim Schlosse ankamen, so sah des Königs jüngste Tochter durchs Fenster ihren Vater geritten kommen und sprang ihm fröhlich entgegen. Da sie ihn aber in ihre Arme schloss, sprach er: "Ei, wollt ich doch, dass lieber mein bester Hund mir entgegengekommen wäre!"
Über diese Rede erschrak die Königstochter gar sehr und weinte und rief: "Wie das, mein Vater? Ist dir dein Hund lieber denn ich, und sollte er dich froher willkommen heißen?" Aber der König tröstete sie und sagte: "Oh, liebe Tochter, so war es ja nicht gemeint!" und erzählte ihr alles. Sie aber blieb ganz
standhaft und sagte: "Es ist besser so, als dass mein lieber Vater umgekommen wäre im wilden Walde", und das Männchen sagte: "Nach acht Tagen hole ich dich."
Und nach acht Tagen, richtig, da kam ein weißer Wolf in das Königsschloss, und die Königstochter musste sich auf seinen Rücken setzen, und heisa! da ging's durch dick und dünn, bergauf und -ab, und die Königstochter konnte das Reiten auf dem Wolf nicht aushalten und fragte: "Ist's noch weit?"
"Schweigt Weit, weit ist's noch zum gläsernen Berge - schweigst du nicht, so werf ich dich herunter!" Nun ging es wieder so fort, bis die arme Königstochter wieder zagte und klagte und fragte, ob es noch weit sei. Und da sagte ihr der Wolf die nämlichen drohenden Worte und rannte immerfort, immer weiter, bis sie zum dritten Male die Frage wagte; da warf er sie auf der Stelle von seinem Rücken herunter und rannte davon.
Nun war die arme Prinzessin ganz allein in dem finstern Wald und ging und ging und dachte: Endlich werde ich doch einmal zu Leuten kommen. Und schließlich kam sie an eine Hütte, da brannte ein Feuerchen, und da saß ein altes Waldmütterchen, das hatte ein Töpfchen am Feuer. Und da fragte die Königstochter: "Mütterchen, hast du den weißen Wolf nicht gesehen?"
"Nein, da musst du den Wind fragen, der kommt überall herum, aber bleibe erst noch ein wenig hier und iss mit mir. Ich koche hier ein Hühnersüppchen." Das tat die Prinzessin, und als sie gegessen hatten, sagte die Alte: "Nimm die Hühnerknöchelchen mit dir, du wirst sie gut gebrauchen können." Dann zeigte ihr die Alte den rechten Weg nach dem Winde.
Als die Königstochter bei dem Winde ankam, fand sie ihn auch am Feuer sitzen und sich eine Hühnersuppe kochen, aber auf ihre Frage nach dem weißen Wolf antwortete er ihr: „Liebes Kind, ich habe ihn nicht gesehen, ich bin heute einmal nicht gegangen und wollte mich einmal hübsch ausruhen. Frage die Sonne, die geht alle Tage auf und unter; aber erst mache es wie ich, ruhe dich aus und iss mit mir, du kannst hernach auch alle die Hühnerknöchlein mit dir nehmen, wirst sie wohl gut brauchen können."
Als dies geschehen war, ging die Kleine nach der Sonne zu, und es ging da wieder wie beim Winde. Die Sonne kochte sich gerade eine Hühnersuppe an sich selbst. Weil es damit sehr geschwind ging, hatte sie auch den weißen Wolf nicht gesehen und lud die Prinzessin zum Mittagessen ein. "Du musst den Mond fragen, denn wahrscheinlich läuft der weiße Wolf nur des Nachts, und da sieht der Mond alles."
Als nun die Königstochter mit der Sonne gegessen und die Knöchlein aufgesammelt hatte, ging sie weiter und fragte den Mond. Auch er kochte Hühnersuppe und sagte: "Es ist ärgerlich, ich habe jetzt nicht geschienen oder bin zu spät aufgegangen, ich weiß gar nichts von dem weißen Wolf." Da weinte das Mädchen und rief: ,,0 Himmel, wen soll ich nun fragen?"
"Nur Geduld, mein Kind", sagte der Mond. - "Vor Essen wird kein Tanz, setze dich und iss die Hühnersuppe mit mir und nimm auch die Knöchelchen mit, du wirst sie wohl brauchen. Etwas Neues weiß ich doch; im gläsernen Berge das schwarze Männchen - das hält heute Hochzeit, der Mann im Mond ist auch dazu eingeladen."
"Ach, der gläserne Berg, der gläserne Berg, dahin wollte ich ja eben, dahin hat mich ja der weiße Wolf tragen sollen!" rief die Königstochter.
"Nun, bis dahin kann ich dir schon leuchten und den Weg zeigen", sagte der Mond, "sonst könntest du dich leicht irren; denn ich zum Beispiel bestehe ganz und gar aus lauter gläsernen Bergen. Nimm immer deine Knöchlein hübsch alle mit." Das tat die Prinzessin; aber in der Eile vergaß sie doch ein Knöchlein.
Bald stand sie an dem gläsernen Berge, aber der war ganz glatt und glitschig, da war nicht hinaufzukommen. Da nahm die kluge Königstochter alle Hühnerknöchlein von der alten Waldmutter, von dem Wind, von der Sonne und von dem Monde und machte sich daraus eine Leiter, die wurde sehr lang. Aber oh weh! Zuletzt fehlte noch eine einzige Sprosse, noch ein Glied. Da schnitt sich die Prinzessin das oberste Gelenk von ihrem kleinen Finger ab, und so tat es gut, und sie konnte nun rasch zum Gipfel des gläsernen Berges klimmen. Oben war eine große Öffnung, da führte eine schöne Treppe hinunter, und alles war voll Glanz und Pracht, und da war ein Saal voll Hochzeitsgästen und viele Musikanten und reich besetzte Tafeln. Und da saß das schwarze Männlein, und an seiner Seite saß eine Dame, die war seine Braut, das schwarze Männlein aber schien traurig. Und der Königstochter tat es auch so weh, so weh, dass sie nun zu spät kam und dass das schwarze Männlein so traurig war, und sie dachte bei sich, ich will ein Lied vom weißen Wolf singen, vielleicht kennt er mich dann - denn er hatte sie noch gar nicht angesehen, folglich auch nicht wiedererkannt. Und da stand eine Harfe an der Wand, welche die Prinzessin gut spielte; die nahm sie nun und sang:

"Deinen besten Hund, den mag ich nicht,
mir ist was andres lieb!
Die jüngste Königstochter.
Der weiße Wolf, der lief davon,
sie weiß nicht, wo er blieb,
die jüngste Königstochter.

Da horchte das schwarze Männlein hoch auf; aber die Prinzessin fuhr fort zu spielen und zu singen:

"Sie ist dem Wolfe nachgereist,
schnitt ab ihr Fingerglied
die jüngste Königstochter.
Nun ist sie da - du kennst sie nicht,
traurig singt dir dies Lied
die jüngste Königstochter."

Da sprang das schwarze Männlein von seinem Sitze auf und war plötzlich ein ganz schöner junger Prinz und eilte auf sie zu und schloss sie in seine Arme.
Alles war Zauber gewesen. Der Prinz war in das alte Männlein und in den weißen Wolf und in den gläsernen Berg hinein verzaubert so lange, bis eine Prinzessin, um zu ihm zu gelangen, sich's ein Glied von ihrem kleinen Finger kosten lassen würde; wenn das aber bis zu einer gewissen Zeit nicht geschehe, so müsse er eine andere freien und ein schwarzes Männlein bleiben all sein Leben lang. Nun war der Zauber gelöst, die andere Braut verschwand, der entzauberte Prinz heiratete die Königstochter, reiste darauf mit ihr zu ihrem Vater, der sich herzlich freute, sie wiederzusehen, und alle lebten glücklich miteinander bis an ihr Ende. Sollte dieses aber nicht erfolgt sein, so ist es einigermaßen wahrscheinlich, dass sie heute noch leben.

Bruder Sparer und Bruder Vertuer

Es war einmal ein Bauer, der hatte zwei Söhne, die ließ er ein Handwerk lernen, "denn", sprach er, "Handwerk hat einen goldenen Boden." Der eine Sohn wurde ein Schuhmacher, der andere ein Schneider, und wie die Lehrzeit beendigt war, gingen sie auf die Wanderschaft. Sie waren beide ein Paar lustige Brüder, aber der Schuhmacher vertat all sein Geld in Rauchtabak, Schnupftabak und Schnaps, der Schneider aber rauchte nicht, schnupfte und schnapste nicht. Bisweilen riet er seinem Bruder, doch haushälterisch mit dem Geld umzugehen, aber der Schuster lachte ihn aus und sagte: "Wozu soll ich denn sparen? Du sparst ja! ‚Sparer muss einen Vertuer haben', sagt das Sprichwort." So wanderten die guten Gesellen ein ganzes Jahr lang miteinander. Der Schneider hielt sich einen besonderen Geldbeutel, dahinein legte er jedes Mal, wenn sein Bruder Geld für unnütze Dinge ausgab, ebensoviel aus der gemeinschaftlichen Kasse, die niemals reich war, zu einem Notpfennig. So tat er das Jahr hindurch und hatte seine Freude daran, wie das Bäuchlein des Beutelchens immer stärker wurde.
Nun kamen sie einmal miteinander in Wortwechsel, wieder über Sparen und Vertuen. Der Schneider rühmte sich des ersparten Schatzes, aber der Schuster sagte: "Es wird auch ein rechter Bettel sein, was du ersparst hast." Darüber gelangten sie auf eine Brücke, die hatte schöne breite und glatte Steine auf ihrer Einfassungsmauer, und da wollte der Schneider seinen Bruder überzeugen, dass Sparen ein gut Ding sei, denn das Sprichwort sagt: ,Spare in der Zeit, so hast du in der Not' und ,Junges Blut, spar' dein Gut! Darben im Alter wehe tut'.
Sie legten ihre Ränzel ab, der Schneider zog sein Beutelchen und zählte die schönen Silbergroschen und Sechser, die vom langen Tragen ganz rötlich geworden waren, auf einen Brückenstein; es war ein hübsches Sümmchen und er freute sich königlich darüber. Der Schuhmacher sah es ganz gleichgültig an, stopfte sich eine Pfeife und schlug eben Feuer, als plötzlich ein so heftiger Windstoß daherkam, dass das Schneiderlein gleich in den Fluss geweht worden wäre, wenn die Brücke keine Einfassung gehabt hätte; aber das Geld, das wehte der Wind alles hinunter ins Wasser. Der Schneider stand starr vor Schrecken, der Schuhmacher aber legte den brennenden Schwamm auf die Pfeife und fragte mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt: "Na, Bruder Sparer, wie viel hast du nun?" Da heulte der Schneider, dass ihn der Bock stieß: "Soviel wie duhuhuhuhu! Soviel wie dühuhuhuhu!"
Was nützt es, wenn man sein Geld spart und dann nicht fest im Beutel hält.

Die schöne junge Braut

Es ging einmal ein hübsches Landmädchen in den Wald, um Futter für ihre Kuh zu holen. Wie sie nun in Gottesnamen graste und an gar nichts Arges dachte, so kamen auf einmal viele Räuber, umringten sie und führten sie mit sich fort, ohne Gnad und Barmherzigkeit, sie mochte schreien und zappeln, bitten und betteln, soviel sie wollte. Weit ab von des Mädchens Heimat, in einem finsteren Walde, hatten die Räuber ein Haus, worin sie sich aufhielten, wenigstens blieben immer einige daheim, wenn die andern auf Raub auszogen. Dem Mädchen taten aber die Räuber weiter nichts zuleide, als dass sie sie eben aus ihrer Heimat fortführten und sie in dem Hause gleichsam gefangen hielten. Sie musste den Haushalt besorgen, kochen, backen und waschen, sonst hatte sie es gut, wurde aber immer scharf bewacht. Dabei hatten ihr die Räuber den Namen gegeben! Schöne junge Braut.
So war nun das Mädchen schon einige Jahre in der Räuberherberge, als es sich einmal traf, dass ein Hauptraub ausgeführt werden sollte, an dem, wenn er gelingen sollte, die ganze Bande teilnehmen musste.
Da das Mädchen sich an das Leben in der Räuberhöhle gewöhnt zu haben schien, auch noch keinen Versuch zu entfliehen gemacht hatte und wohl schwerlich durch den wilden Wald die Wege finden würde - so dachte der Hauptmann - blieb sie diesmal allein und unbewacht im Waldhause zurück. Aber die Räuber waren kaum fort, so sann die schöne Braut darauf, wie sie unerkannt entfliehen könne. Sie machte geschwind eine Gestalt von Stroh, zog derselben ihre Kleider an, setzte ihr ihre Haube auf; sich selbst aber bestrich sie von Kopf bis zu den Füßen mit Honig, wälzte sich darauf über und über in Federn, so dass sie ganz unkennbar wurde und aussah wie ein seltsamer Vogel. Die Gestalt in ihren Kleidern lehnte sie an ein Fenster über der Haustür und ließ sie hinaussehen, doch mit verdecktem Gesicht, und dann eilte sie von dannen.
Mochte es aber nun sein, dass dem Hauptmann eine Ahnung von des Mädchens beabsichtigter Flucht kam oder dass etwas vergessen worden war, genug, er sandte einige seiner Räuber nach dem Hause zurück, und gerade musste es sich treffen, dass ihnen auf ihrem Wege das fiederige Käuzlein aufstieß. Sie dachten aber, es wäre einer ihrer Kumpane, der sich unkenntlich gemacht hätte, und riefen die Gestalt lachend und fragend an:

"Wohin, wohin, Herr Federsack:?
Was macht
die schöne junge Braut?"

Diese, die es selbst war, war zwar sehr erschrocken, doch fasste sie sich ein Herz und antwortete mit verstellter Stimme:

"Sie fegt und säubert unser Haus
und schaut wohl auch zum Fenster heraus!"

Damit machte sie, dass sie den Räubern aus dem Gesichte kam; fand auch glücklich aus dem Walde, erreichte ein Dorf, kaufte sich Kleider, badete sich und erlangte glücklich und wohlbehalten, obschon nach langer Wanderung, ihre Heimat wieder. Und da sie nicht gerade das Beste in der Räuberherberge zurückgelassen, sondern für ihren Jahreslohn hatte mitgehen heißen, so besaß sie auch wohl zu leben und heiratete einen wackeren Burschen.
Jene Räuber, wie sie nun des Hauses ansichtig wurden, sahen die Gestalt der schönen jungen Braut am Fenster und grüßten schon von weitem, indem sie riefen:

"Grüß Gott, o schöne junge Braut,
die freundlich uns entgegenschaut!"

Da aber der Gruß unerwidert blieb, so verwunderten sich die Räuber, und als sie näherkamen, vermeinten sie, die schöne junge Braut sei eingeschlafen. Vergebens riefen sie, sie ermunterte sich nicht; vergebens geboten sie ihr, zu öffnen; all ihr Pochen und Schreien, Rufen und Schelten war erfolglos, und wütend traten sie zuletzt die Türe in Trümmer, stürmten die Treppe hinauf und fassten die Gestalt der schönen jungen Braut hart an, da fiel ihnen die Strohpuppe in die Arme. Da riefen die Räuber

"Ein Tor ist, wer auf Frauen baut;
fahr wohl, du schöne junge Braut!"

Der Mann ohne Herz

Es sind einmal sieben Brüder gewesen, waren arme Waisen, hatten keine Schwester und mussten alles im Hause selbst tun; das gefiel ihnen nicht, und wurden Rats untereinander, sie wollten heiraten. Nun gab es aber da, wo sie wohnten, keine Bräute für sie. Da sagten die älteren, sie wollten in die Fremde ziehen, sich Bräute suchen, ihr jüngster solle das Haus hüten, und dem wollten sie eine recht schöne Braut mitbringen. Das war der jüngste gar wohl zufrieden, und die Sechse machten sich fröhlich und wohlgemut auf den Weg. Unterwegs kamen sie an ein kleines Häuschen, das stand ganz einsam in einem Walde, und vor dem Häuschen stand ein alter, alter Mann, der rief die Brüder an und fragte: "Heda, ihr jungen Kiekindiewelt! Wohin denn so lustig und so geschwind?"
"Ei, wir wollen uns jeder eine hübsche Braut holen und unserem jüngsten Bruder daheim auch eine!", antworteten die Brüder.
"O liebe Jungen „, sprach der Alte, "ich lebe hier so mutterseelensternallein, bringt mir doch auch eine Braut mit, aber eine junge, hübsche muss es sein!"
Die Brüder gingen von dannen und dachten: Hm, was will so ein alter, eisgrauer Hoze1mann mit einer jungen Braut anfangen? -
Da nun die Brüder in eine Stadt gekommen waren, so fanden sie dort sieben Schwestern, so jung und so hübsch, als sie nur wünschen konnten, die nahmen sie, und die jüngste nahmen sie für ihren Bruder mit. Der Weg führte sie wieder durch den Wald, und der Alte stand wieder vor seinem Häuschen, als wartete er auf sie, und sagte: "Ei, ihr braven Jungen! Das lobe ich, dass ihr mir so eine junge, hübsche Braut mitgebracht habt!"
"Nein", sagten die Brüder, "die ist nicht für dich, die ist für unsern Bruder zu Hause, dem haben wir sie versprochen!"
"So?", sagte der Alte, "versprochen' Ei, dass dich! Ich will euch auch versprechen!" Und nahm ein weißes Stäbchen und murmelte ein paar Zauberworte und rührte die Brüder und die Bräute mit dem Stäbchen an - bis auf die jüngste - da wurden sie alle in graue Steine verwandelt. Die jüngste aber von den Schwestern führte der Mann in das Haus, und das musste sie nun beschicken und in Ordnung halten, tat das auch gern, aber sie hatte immer Angst, der Alte könne bald sterben, und dann werde sie in dem einsamen Häuschen im wilden, öden Walde auch so muttersee1ensternallein sein, wie der Alte zuvor gewesen war. Das sagte sie ihm, und er antwortete: "Hab kein Bangen, fürchte nicht und hoffe nicht, dass ich sterbe. Siehe, ich habe kein Herz in der Brust! Sterbe ich aber dennoch, so findest du über der Tür mein weißes Zauberstäbchen, und rührst du damit an die grauen Steine, so sind deine Schwestern und ihre Freier befreit und du hast Gesellschaft genug."
,Wo aber in aller Welt hast du denn dein Herz, wenn du es nicht in der Brust hast?", fragte die junge Braut . „Musst du alles wissen?", fragte der Alte. "Nun, wenn du es denn wissen musst, in der Bettdecke steckt mein Herz."
Da nähte und stickte die junge Braut, wenn der Alte fort war und seinen Geschäften nachging, in ihrer Einsamkeit gar schöne Blumen auf seine Bettdecke, damit sein Herz eine Freude haben sollte.
Der Alte aber lächelte darüber und sagte: "Du gutes Kind, es war ja nur ein Scherz; mein Herz, das steckt das steckt …“
"Nun, wo steckt es denn, lieber Vater?"
"Das steckt in der - Stubentür!"
Da hat die junge Braut am andern Tage, als der Alte fort war, die Stubentür gar schön geschmückt mit bunten Federn und frischen Blumen und hat Kränze daran gehangen. Fragte der Alte, als er heimkam, was das bedeuten solle. Sagte sie: „Das tat ich, um deinem Herzen was zuliebe zu tun." –
Da lächelte wieder der Alte und sagte: "Gutes Kind, ganz woanders als in der Stubentüre ist mein Herz." Da wurde die junge Braut sehr betrübt und sprach: "Ach, Vater, so hast du doch ein Herz und kannst sterben, und ich werde dann so allein sein."
Da wiederholte der Alte alles, was er ihr schon zweimal gesagt, und sie drang aufs Neue in ihn, ihr zu sagen, wo doch eigentlich sein Herz sei. Da sprach der Alte: „Weit, weit von hier liegt in tiefer Einsamkeit eine große, uralte Kirche, die ist fest verwahrt mit eisernen Türen; um sie ist ein tiefer Wallgraben gezogen, über den führt keine Brücke, und in der Kirche, da fliegt ein Vogel wohl ab und auf, der isst nicht und trinkt nicht und stirbt nicht, und niemand vermag ihn zu fangen, und solange er lebt, so lange lebe auch ich, denn in dem Vogel ist mein Herz."
Da wurde die Braut traurig, dass sie dem Herzen ihres Alten nichts zuliebe tun konnte, und die Zeit wurde ihr lang, wenn sie so allein saß, denn der Alte war fast den ganzen Tag auswärts.
Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen vorüber, der grüßte sie, und sie grüßte ihn, und sie gefiel ihm, und er kam näher, und sie fragte ihn, wohin er reise, woher er komme. –
"Ach", seufzte der junge Gesell, "ich bin gar traurig. Ich hatte noch sechs Brüder, die sind von dannen gezogen, sich Bräute zu holen, und mir, dem jüngsten, wollten sie auch eine mitbringen, sind aber nimmer wiedergekommen, und da bin ich nun auch fort von Hause und will meine Brüder suchen."
"Ach, lieber Gesell!", rief die Braut, "da brauchst du nicht weiterzugehen! Erst setze dich und trinke etwas, und dann lass dir erzählen!" Und sie gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wie seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach Hause hätten führen wollen, und dass sie für ihn, ihren Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich behalten und die andern in graue Steine verwandelt habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte dazu, und auch, dass der Alte kein Herz in der Brust habe, und dass es weit, weit weg sei in einer festen Kirche und in einem unsterblichen Vogel. Da sagte der Bräutigam: „Ich will fort, ich will den Vogel suchen, vielleicht hilft mir Gott, dass ich ihn fange."
"Ja, das tue, daran wirst du wohltun, dann werden deine Brüder und meine Schwestern wieder Menschen werden", und sie versteckte den Bräutigam, denn es wurde schon Abend, und als am andern Morgen der Alte wieder fort war, da packte sie dem Wandergesellen viel zu essen und zu trinken ein und gab es ihm mit, und wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seiner Fahrt.
Als nun der Gesell eine tüchtige Strecke gegangen war, deuchte ihm, es sei wohl Zeit zu frühstücken, packte seine Vorräte aus, freute sich der vielen Gaben und rief: "Holla, nun wollen wir schmausen! Herbei, wer mein Gast sein will.“
Da rief es hinter dem Gesellen: "Muh!" und wie er sich umsah, stand ein großer roter Ochse da und sprach: "Du hast eingeladen, ich möchte wohl dein Gast sein!"
"Sei willkommen und lange zu, so gut ich's habe!" Da legte sich der Ochse gemächlich an den Boden und ließ sich's schmecken und leckte sich mit der Zunge sein Maul schön ab, und als er satt war, sagte er: "Habe du großen Dank, und wenn du einmal jemand brauchst, dir in Not und Gefahr zu helfen, so rufe nur in Gedanken nach mir, deinem Gast." Damit erhob er sich und verschwand im Gebüsch. Der Gesell packte seine Tafelreste zusammen und pilgerte weiter, wieder eine tüchtige Strecke, da deuchte ihm nach dem kurzen Schatten, den er warf, es müsse Mittag sein, und seinem Magen deuchte das nämliche. Da setzte er sich an den Boden hin, breitete sein Tafeltuch aus, setzte seine Speisen und Getränke darauf und rief: "Wohlan! Mittagsmahlzeit! Jetzt melde sich, was mittafeln will!"
Da rauschte es ganz stark in den Büschen, und es brach ein wildes Schwein heraus, das grunzte ui, ui, ui und sagte: "Es hat hier jemand zum Essen gerufen! Ich weiß nicht, ob du es warst und ob ich gemeint bin!"
"Immerhin, lange nur zu, was da ist!", sprach der Wandersmann, und da aßen sie beide wohlgemut miteinander, und es schmeckte beiden gut. Darauf erhob sich das wilde Schwein und sagte: "Habe Dank, bedarfst du mein, so rufe dem Schwein!", und damit trollte es in die Büsche. Nun wanderte der Gesell eine lange Strecke und war schon gar weit gewandert, da wurde es gegen Abend, und er fühlte wieder Hunger und hatte auch noch Vorrat, und da dachte er: wie wär es mit dem Vespern? Zeit wäre es, dächte ich, und breitete wieder sein Tuch aus und legte seine Speisen darauf, hatte auch noch etwas zu trinken, und rief: "Wer Lust hat, mitzuessen, der soll eingeladen sein. Es ist nicht, als wenn nichts da wäre!" Da rauschte über ihm ein schwerer Flügelschlag, und es wurde dunkel auf dem Boden wie vom Schatten einer Wolke, und ein großer Vogel Greif ließ sich sehen, der rief: "Ich hörte jemand hier unten zur Tafel einladen! Für mich wird wohl nichts abfallen?"
"Warum denn nicht? Lasse dich nieder und nimm vorlieb, viel wird's nicht mehr sein!", rief der Jüngling, und da ließ sich der Vogel Greif nieder und aß zur Genüge und dann sagte er: "Brauchst du mich, so rufe mich!" hob sich in die Lüfte und verschwand. Ei, dachte der Geselle, der hat's recht eilig; er hätte mir wohl den Weg nach der Kirche zeigen können, denn so finde ich sie wohl nimmer, und er raffte seine Sachen zusammen und wollte vor dem Schlafengehen noch ein Stückchen wandern. Und wie er gar nicht lange gegangen war, so sah er mit einem Male die Kirche vor sich liegen und war bald bei ihr, das heißt am breiten und tiefen Graben, der sie rings ohne Brücke umzog. Da suchte er sich ein hübsches Ruheplätzchen, denn er war müde von dem weiten Weg, und schlief, und am andern Morgen, da wünschte er sich über den Graben und dachte: Schau, wenn der rote Ochse da wäre und hätte rechten Durst, so könnte er den Graben aussaufen und ich käme trocken hinüber. Kaum war dieser Wunsch getan, so stand der Ochse schon da und begann den Graben auszusaufen. Nun stand der Gesell an der Kirchenmauer, die war gar dick, und die Türen waren von Eisen, da sprach er laut vor sich hin: "Ach, wer doch einen Mauerbrecher hätte! Das starke, wilde Schwein könnte vielleicht hier eher etwas ausrichten als ich." Und siehe, gleich kam das wilde Schwein daher gerannt und stieß heftig an die Mauer und wühlte mit seinen Hauern einen Stein los; und wie erst einer los war, so wühlte es immer mehr und mehr Steine aus der Mauer bis ein großes, tiefes Loch gewühlt war, durch das man in die Kirche einsteigen konnte. Da stieg nun der Jüngling hinein und sah den Vogel darin herumfliegen, vermochte aber nicht, ihn zu ergreifen. Da sprach er: "Wenn jetzt der Vogel Greif da wäre, der würde dich schon greifen, dafür ist er ja der Vogel Greif!" Und gleich war auch der Greif da, und griff den Vogel, in dem des alten Mannes Herz war. Der junge Geselle verwahrte selbigen Vogel sehr gut; der Vogel Greif aber flog davon.
Nun eilte der Jüngling, so sehr er konnte, zur jungen Braut, kam noch abends an und erzählte ihr alles, und sie gab ihm wieder zu essen und zu trinken und hieß ihn unter die Bettstelle kriechen mitsamt seinem Vogel, damit ihn der Alte nicht sehe. Dies tat er alsbald, nachdem er gegessen und getrunken hatte; der Alte kam nach Hause und klagte, dass er sich krank fühle, dass es nicht mehr mit ihm fortwolle - das machte, weil sein Herzvogel gefangen war. Das hörte der Bräutigam unter dem Bette und dachte, der Alte hat dir zwar nichts Böses getan, aber er hat deine Brüder und ihre Bräute verzaubert, und deine Braut hat er für sich behalten, das ist des Bösen nicht zu wenig; und da kniff er den Vogel, und der Alte wimmerte: "Ach, es kneift mich! Ach, der Tod kneift mich, Kind, ich sterbe!" Und er fiel vom Stuhl und war ohnmächtig, und ehe sich's der Jüngling versah, hatte er den Vogel tot gekniffen, und da war es aus mit dem Alten. Nun kroch er hervor, und die Braut nahm den weißen Stab, wie sie der Alte gelehrt hatte, und schlug damit an die zwölf grauen Steine, siehe, da wurden sie wieder die sechs Brüder und die sechs Schwestern. Das war eine Freude und ein Umarmen und Herzen und Küssen, und der alte Mann war und blieb tot, keine Meisterwurz konnte ihn wieder lebendig machen, wenn sie ihn auch hätten lebendig haben wollen. Da zogen sie alle miteinander fort und hielten Hochzeit miteinander und lebten gut und glücklich miteinander lange Jahre.

Die Rosenkönigin

Es war einmal ein König, der lebte sehr glücklich mit seiner schönen, tugendsamen Gemahlin;
ein einziges Söhnlein war ihnen vom Himmel geschenkt, und dieses war die Lust der Eltern.
Doch nicht nur in des Königs hoher Familie war es so friedsam, sondern in seinem ganzen Lande; überall, auch in dem kleinsten Dörflein war Verdienst und Wohlstand, und das Volk war zufrieden und freundlich.
Einer weisen, milden Regierung entblüht Ordnung; Ordnung aber bringt Wohlstand, Wohlstand, Zufriedenheit, Freundlichkeit. 
Der gute König musste jedoch ein gar herbes Schicksal erfahren;  seine liebe Gemahlin starb und ließ ihn einsam zurück, mit dem nun mutterlosen Prinzen. 
Tief trauerte der König und das ganze Land mit ihm.
Auch das kleine fromme Kindesherz des Prinzen war sehr betrübt, denn es hatte mit aller kindlichen Liebe an seiner Mutter gehangen. Auf dem Sterbebette hatte sie ihn gesegnet,
und ihn noch scheidend zu allem Guten ermahnt, zum treuen Glauben an Gott, zur Liebe und Milde gegen alle Menschen. 
"Und wenn du ein Jüngling worden bist", waren ihre letzten Worte, "so wähle dir nur ein Mägdlein frommen, guten Herzens zu deiner Gemahlin, und ehre das Andenken deiner Mutter und ihrer letzten Worte". 
Dieses hatte einen tiefen Eindruck in das weiche Herz des Knaben gemacht, immerdar gedachte der Prinz seiner sterbenden Mutter, und es kam ihm oft vor, als umschwebe sie ihn und lächle ihm selig zu. 
So wuchs der Prinz in frommer Sitte empor und wurde ein schöner, blühender Jüngling.
Doch das königliche Vaterauge war verblendet worden von einer fürstlichen, listigen Dame, 
die den Herrscher gar bald mit ihren erkünstelten Reizen also schlau zu fesseln wusste, dass er ihr nachgab und sie ihn völlig beherrschte.
Bald fand das glänzende Hochzeitgelag statt.
Der bejahrte König, sonst so gut und milde, war zum alten Toren geworden und hatte sein Leben an ein listiges, böses Schlangenherz gekettet; nur zu bald musste er die bittere Frucht seiner Torheit kosten das böse Weib stiftete allenthalben Unheil an, erregte den Vater wider den Sohn, den Sohn wider den Vater und die Herrschaft wider die Diener, und übte ihre frevle Verblendungskunst immer fort, so dass sie die Herzen alter und junger Männer für sich entflammte. 
Eine kurze Zeit, und das reuevolle Leben des Königs hatte geendet. 
Der Prinz wurde König und beherrschte das Volk mit der Klugheit und Milde, die überall zum wahren Wohle des Landes dient. Aber an ihm übte die arge Stiefmutter ihre Künste vergebens, er verachtete sie im stillen und suchte sich immer in heilsamer Entfernung von ihr zu halten.
Da wünschte das Land, dass der jugendliche König sich vermähle; auch er in seinem Innern trug das stille Verlangen, sein Glück mit einem würdigen Frauenbilde zu teilen, aber nicht Stand und Reichtum oder eine Krone sollten diejenige schmücken, die er sich wählen wollte, sondern ein gutes, frommes Herz, wie es seine sterbende Mutter gewünscht.
Und ein solches hatte er gefunden, zwar nur das eines armen, schlichten Gärtnermädchens,
das aber voll war von reiner Liebe und frommem Glauben. 
Diese Jungfrau war dem Königssohn bald so innig befreundet, dass der Jüngling ihr zu Füßen sank und ihr ewige Liebe und Treue schwur. 
Zärtlich und in Tränen schmiegte sich das liebliche Mädchen an die Brust des Jünglings und lispelte: "Ach, du darfst mich ja nicht zur Gemahlin nehmen, siehe ich bin ja arm, bin keine Prinzessin."
"Sei ruhig, lieb Herz", sprach der Jüngling, "du sollst meine Gemahlin, meine Königin werden, du und keine andere." 
Der Wunsch nach der Vermählung des Königs wurde lauter und dringender; von allen Seiten her begannen die Väter fürstlicher Töchter dem Könige Vorschläge zu machen. Die böse Stiefmutter wähnte den so jungen König gänzlich unter ihrer Herrschaft, dass sie sich anmaßte, eine Gemahlin für ihn zu wählen. Sie ordnete glänzende Festlichkeiten an, wozu viele Prinzessinnen geladen waren, die reich geschmückt und voll Hoffnung zur Schau kamen.
Acht Tage hatten die Feste schon gewährt, und der König hatte noch keine Prinzessin zur Braut erwählt und hatte auch alle Vorschläge seiner Stiefmutter unbeachtet gelassen.
Am neunten und letzten Festtag sollte sich's entscheiden, so hatte der König selbst verheißen.
Die Stiefmutter glaubte voll Zuversicht, dass der König in ihre Wahl eingehen werde, denn sie hatte eine hohe Prinzessin, zwar hässlich von Gesicht und Gestalt, aber unsäglich reich an Gut und Geld für ihn auserwählt.
Ein glänzender Ball sollte die Feste beschließen, und diesmal waren alle Prinzessinnen doppelt mit Juwelen und Schmuck beladen, da eine jede glaubte, den Sieg davonzutragen.
Doch wie alle in gespanntester Erwartung dem König entgegen harrten, tat sich die Flügeltüre auf, und der König trat lächelnd mit seinem lieblichen Gärtnermädchen herein, die so sittig und bescheiden in einem weißen Kleidchen und völlig ohne Schmuck erschien.
Da sprühten manche Augen im Kreise der Prinzessinnen voll Arger und Wut, doch die der Stiefmutter rollten am wildesten und schleuderten grimmige Blitze nach dem glücklichen Liebespaar.
Jetzt nahten sich diese beiden der königlichen Stiefmutter, die in der Mitte des Saales,
von boshaft lächelnden Prinzessinnen umgeben, weilte; und der König sprach mild und freundlich: "Hohe, verehrte Mutter, hier bringe ich Euch meine liebe, fromme Braut
und bitte mit ihr um Euren Segen."
Aber die Dame sprach voll Zorn und Wut: "König, solltet Ihr also Eurer Ehre vergessen und eine gemeine Dirne freien? O schämet Euch, mich so tief zu kränken und um meinen Segen für eine schlechte Magd zu bitten." 
Und sie wandte ihm den Rücken und schritt voll Grimm und Bosheit einem Nebengemach zu.
Aber der König folgte ihr nach und sprach mit einem strengen, drohenden Ernst: "Weib, das Wort soll Euch schwer wiegen. Wahrlich, ich will Euch zeigen, dass dieses arme Mädchen würdiger ist, Königin zu heißen, als Ihr und alle eitlen Prinzessinnen.
Eine Kunst habe ich einstmals von einem alten Einsiedler erlernt: die Menschen zu erzaubern, ihre Herzen zu prüfen, ob sie gut oder böse sind. Schwört, hohe Frau, mir dann die schönste zu wählen, wenn alle hier anwesenden Jungfrauen verzaubert,  in Gestalt einer Blume, stehen, so will ich Euch gehorsam sein.
Aber trifft Eure Wahl dann mein armes Gärtnermädchen, so falle der Zauber auf Euch, dass Ihr ewig darinnen verstrickt bleibet. 
Der König schwieg; und die stolze Dame grinste voll Zuversicht ob ihres Sieges.
"Ach mein hoher Künstler," entgegnete sie, "verzaubert immerhin alle anwesenden Jungfrauen, ich will Euch die schönste wählen und bin gewiss, dass ich nicht Eurer Drohung teilhaftig werde. Euere seltsame Laune soll mir ein ergötzlicher Scherz sein".
Und sie ließ sich auf einem samtenen Sessel nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten. 
Da breitete der königliche Jüngling ein großes weißes Tuch aus, führte schweigend eine Prinzessin um die andere in das Nebengemach und verhüllte sie damit, wo sie alle sobald einschlummerten. Dann schnitt er einer jeglichen das Herz aus. Zuletzt auch seinem lieben Gärtnermädchen. Der Ballsaal verwandelte sich in eine grünende Gartenflur, von einem goldenen Zaun umschlossen, von singenden Vögeln durchflattert.
Da vergrub der Jüngling die Herzen und sprach bei einem jeglichen: "Blühe, blühe, blühe aus der Erde auf! Bist du rein, Wirst du hold gedeihn. Aber treibe wilde Dornen, wenn du bös wirst sein."
Bald keimten und sprossen Zweiglein und Blättlein empor. Wilde Dornsträuche wuchsen rasch aus der Erde; nur hie und da erschloss sich eine farbige Blüte. Aber in des Gartens Mitte stand ein Blütenstängel  dessen zartem Kelch entfaltete sich eine herrliche Rose, eine Rosenkönigin. Glänzender Tau träufte auf sie nieder, und das grüne Laub schmiegte sich zärtlich an die Blüten. Jetzt kam eine Schar Nachtigallen geflogen, die die Rosenkönigin umkreiseten und sangen: "Holde Rose, holde Rose, Hehre Blumenkönigin! Du die schönste unter allen, Du die reinste unter allen, sollst die ganze Welt bezwingen mit der frommen Liebe Sinn. Hehre Rosenkönigin!"
Aber um die Dornensträuche flogen schwarze Raben und krächzten auch ihr Lied.
"Wilde Dornen, wilde Dornen, schwarz wie unser Nachtgewand. Sollt am besten uns gefallen mit den tausendfachen Krallen. Sollet dienen in der Höllen, In der ewgen Pein, zum Brand.
Schwarze Dornen, Nachtgewand."
Da führte der König die stolze Dame herein in den Garten, auf dass sie die schönste der Blüten für ihn wähle, und als sie die zauberschöne Rose sah und die Nachtigallen singen hörte, 
die über ihr im Kreise flatterten, als sie das liebliche Liedlein vernahm -  da stand sie beschämt und war von der Rose zaubervoller Macht ergriffen und gerührt, ihr war, als fühle sie eine warme Liebe, und sie gedachte in diesem Augenblick reuevoll an ihre verübten Bosheiten und Ränke. Und als sie nun die Dornensträuche sah, darüber die schwarzen Raben ein Höhenlied krächzten, da überlief sie eine Angst, ein Todesgrauen; und sie sprach:
"Mein Königssohn, ich muss Euch die holde Rose wählen, sie ist die Schönste."
Nun bewegten sich alsbald der Rose Zweige und Blätter und Blüten und verschmolzen sanft zum Körper eines lieblichen Mädchens, das keine andere war als das fromme Gärtnermädchen. 
Und es schien noch schöner und bescheidener als zuvor. Aus den anderen Blumen und Dornensträuchen bildeten sich wieder Prinzessinnen, die wie aus einem schweren Traum erwachten. 
Aber des Königs Stiefmutter war vor Scham und Reue niedergesunken und lag in Betäubung.
Und die schwarzen Rabenvögel hackten ihr das Herz aus, und sie wurde zu Stein, von wilden Dornen umstarrt.
Die Prinzessinnen eilten scheu davon, wurden aber besser und demütiger in ihren Herzen. 
Und der König lebte glücklich und fromm mit seiner Gemahlin, dem Gärtnermädchen,
und des Himmels Segen war mit ihnen.

Das Märchen vom Schlaraffenland

Hört zu, ich will euch von einem guten Lande sagen, dahin würde mancher auswandern, wüsste er, wo es läge, und fände eine gute Schiffsgelegenheit. Aber der Weg dahin ist weit für die Jungen und für die Alten, denen es im Winter zu heiß ist und zu kalt im Sommer. Diese schöne Gegend heißt Schlaraffenland. Da sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, und Türen und Wände sind von Lebzelten und die Balken von Schweinebraten. Was man bei uns für einen Dukaten kauft, kostet dort nur einen Pfennig. Um jedes Haus steht ein Zaun, der ist von Bratwürsten geflochten und von bayerischen Würsteln, die sind teils auf dem Rost gebraten, teils frisch gesotten, je nachdem sie einer so oder so gern isst. Alle Brunnen sind voll Malvasier und anderer süßer Weine, auch Champagner, die rinnen einem nur so in das Maul hinein, wenn man es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile, dass er in das Schlaraffenland hineinkomme.
Auf den Birken und Weiden wachsen die Semmeln frischbacken, und unter den Bäumen fließen Milchbäche; in diese fallen die Semmeln hinein und weichen sich selbst ein für die, die sie gern einbrocken; das ist etwas für Weiber und Kinder, für Knechte und Mägde! Holla, Gretel, holla Stöffel! Wollt ihr nicht mit auswandern? Macht euch herbei zum Semmelbach und vergesst nicht, einen großen Milchlöffel mitzubringen.
Die Fische schwimmen in dem Schlaraffenlande oben auf dem Wasser, sind auch schon gebacken oder gesotten und schwimmen ganz nahe am Gestade; wenn aber einer gar zu faul ist und ein echter Schlaraff, der darf nur rufen: Pst, pst! - so kommen die Fische auch heraus aufs Land spaziert und hüpfen dem guten Schlaraffen in die Hand, dass er sich nicht zu bücken braucht.
Das könnt ihr glauben, dass die Vögel dort gebraten in der Luft herumfliegen, Gänse und Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel, und wem es zuviel Mühe macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks ins Maul hinein. Die Spanferkel geraten dort alle Jahre überaus trefflich; sie laufen gebraten umher, und jedes trägt ein Tranchiermesser im Rücken, damit, wer da will, sich ein frisches, saftiges Stück abschneiden kann.
Die Käse wachsen in dem Schlaraffenlande wie die Steine, groß und klein; die Steine selbst sind lauter Taubenkröpfe mit Gefülltem, oder auch kleine Fleischpastetchen. Im Winter, wenn es regnet, so regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, dass es eine Lust ist, und wenn es schneit, so schneit es klaren Zucker, und wenn es hagelt, so hagelt es Würfelzucker, untermischt mit Feigen, Rosinen und Mandeln.
Im Schlaraffenlande legen die Rosse keine Rossäpfel, sondern Eier, große, ganze Körbe voll und ganze Haufen, so dass man tausend um einen Pfennig kauft. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln wie Kastanien. Jeder mag sich das Beste herunterschütteln und das Minderwertige liegen lassen.
In dem Lande gibt es auch große Wälder, da wachsen im Buschwerk und auf Bäumen die schönsten Kleider: Röcke, Mäntel, Hosen und Wämser von allen Farben, schwarz, grün, gelb für die Postillone, blau oder rot, und wer ein neues Gewand braucht, der geht in den Wald und wirft es mit einem Stein herunter oder schießt mit dem Bolzen hinauf. In der Heide wachsen schöne Damenkleider von Samt, Atlas, Gros de Naples, Barege, Madras, Taffet, Nanking usw. Das Gras besteht aus Bändern von allen Farben. Die Wacholderstöcke tragen Broschen und goldene Ansteckernadeln, und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenuhren und Anhängerketten sehr kunstreich. Auf den Stauden wachsen Stiefel und Schuhe, auch Herren- und Damenhüte, Reisstrohhüte und allerlei Kopfputz mit Paradiesvögeln, Kolibri, Brillantkäfern, Perlen, Schmelz und Goldborten verziert. -
Dieses edle Land hat auch zwei große Messen und Märkte mit schönen Freiheiten. Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung und hübsch genug ist, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen und bekommt noch ein Draufgeld. Die alten und garstigen, denn ein Sprichwort sagt: "Wenn man alt wird, wird man garstig," kommen in ein Jungbad, womit das Land begnadet ist; das ist von großen Kräften, darin baden die alten Weiber etwa drei Tage oder höchstens vier, da werden schmucke Dirnlein daraus von siebzehn oder achtzehn Jahren.
Auch viel und mancherlei Kurzweil gibt es in dem Schlaraffenlande. Wer hierzulande gar kein Glück hat, der hat es dort im Spiel und Lustschießen, wie im Gesellenstechen. Mancher schießt hier all sein Lebtag neben aus und weit vom Ziel, dort aber trifft er, und wenn er der A1lerweiteste davon wäre, doch das Beste. Auch für die Schlafsäcke und Schlafpelze, die hier von ihrer Faulheit arm werden, dass sie Bankerott machen und betteln gehen müssen, ist jenes Land vortrefflich. Jede Stunde Schlafes bringt dort einen Gulden ein, und jedes Gähnen einen Doppeltaler. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Die Trinker haben den besten Wein umsonst, und von jedem Trunk und Schluck drei Batzen Lohn, sowohl für Frauen als Männer. Wer die Leute am besten necken und aufziehen kann, bekommt einen Gulden. Keiner darf etwas umsonst tun, und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.
Hierzulande lügt so mancher drauf und drein und hat nichts für diese seine Mühe; dort aber hält man Lügen für die beste Kunst, daher lügen sich wohl in das Land allerlei Prokura-, Dok- und andere toren, Rosstäuscher und Handwerksleute, die ihren Kunden stets aufreden und nimmer Wort halten.
Wer dort ein gelehrter Mann sein will, muss auf einen Grobian studiert haben. Solche Studenten gibt's auch bei uns zulande, haben aber keinen Dank davon und keine Ehren. Auch muss er dabei faul und gefräßig sein, das sind drei schöne Künste. Ich kenne einen, der kann alle Tage Professor werden.
Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses lässt, dem ist jedermann dort abhold und er wird des Schlaraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann und dabei doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann angesehen. Wer nichts kann als schlafen, essen und trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Der aber, welchen das allgemeine Stimmrecht als den Faulsten und zu allem Guten Untauglichsten erkennt, der wird König über das ganze Land und hat ein großes Einkommen.
Nun wisst ihr des Schlaraffenlandes Art und Eigenschaft.
Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden; aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn er sagt ihm gewiss keinen falschen Weg.

Der wandernde Stab

Eines Tages trat in die Wirtsstube einer einsam gelegenen Herberge, in welcher eine Witwe mit ihrem vierzehnjährigen Sohne sowie einem Knecht und einer Magd hauste, ein Mann von ernstem Aussehen. Sein Gesicht war fahl und grau wie Asche und sein Gewand braun wie frische Graberde. In der Hand trug er einen Stab von festem, dunklem Holze. Diesen Stab stellte er in eine Ecke der Stube, in der sich niemand befand als die Wirtin und ihr Sohn, da die beiden Dienstboten draußen beschäftigt waren.
Der düstere Wanderer bestellte einen kleinen Imbiss und die Wirtin ging, diesen herbeizuholen. Der Wanderer blieb allein mit dem Knaben, aber er beachtete den letzteren nicht, sondern trat an ein Fenster, das gegen Morgen gerichtet war, und seufzte und stand lange daran und starrte hinaus über die öde Fläche des Heidelands.
Der Knabe betrachtete unterdes mit Neugier den Stab des Fremden. Am Handgriff dieses Stabes war mit Silberstiften die Figur eines Kreuzes eingeschlagen.
Diese Stifte glänzten gar hell, wie neu, und der Stock reizte den Knaben. Seine Neugier wandelte sich bald in Habgier um; scheu blickte er nach dem Fremden, der unbeweglich an dem Fenster stand, und scheu streckte Jakob - so hieß der Knabe - die Hand nach dem Stabe aus. Gleich daneben stand eine alte, hohe Wanduhr mit braunem, geschnitztem Gehäuse. Leise öffnete Jakob dessen Tür, leise fasste er den Stab. Wohl zitterte seine Hand, als er ihn berührte; aber er nahm ihn, stellte ihn in das Uhrgehäuse und schloss die Tür wieder. - Jetzt trat die Wirtin herein und brachte, was der Fremde begehrt hatte. Hinter ihr schlüpfte Jakob aus der Stube. "So - hier wäre es!" sagte die Wirtin zu ihrem einzigen Gaste. "Gesegne es Euch Gott! Setzt Euch doch!" Der Fremde neigte sein Haupt zum Zeichen des Dankes, er nahm das Glas, netzte seine bleichen Lippen, aber er setzte sich nicht. Der alten Frau kam ein Grauen an vor dem Manne.
Draußen begann schon die Abenddämmerung. Die Wirtin wünschte aber nicht, dass der Fremdling unter ihrem Dache weile; gleichwohl fragte sie: "Wollt Ihr hier übernachten? Schier ist's Abend! Seid Ihr nicht müde, dass Ihr Euch nicht setzt!" –
"Kann nicht bleiben, muss weiter, muss wandern wer fragt, ob ich müde bin? Oh!", war die dumpfe Antwort.
Der Wirtin grauste noch mehr. Der Fremde legte ein Stück Geld auf den Tisch - die Wirtin griff nicht danach. Jetzt ging jener nach der Tür zu, fasste in die Ecke und fragte: "Wo ist mein Wanderstab?"
"Hattet Ihr einen Stab?", fragte die Wirtin.
"Ich hatte einen Stab und stellte ihn in diese Ecke!", antwortete der hohe dunkle Mann mit hohler Stimme.
"Mein Gott! Wo könnte er denn hin sein?", rief das erschrockene Weib. "Sucht ihn - vielleicht irret Ihr Euch und stelltet den Stock anderswo hin?"
"Er ist fort, bringt aber der Hand dessen, der ihn nahm, kein Glück!", sprach der unheimliche Fremdling dumpf und gepresst.
"Genommen?" rief die Wirtin heftig. "Wer sollte ihn genommen haben? Es war ja niemand hier als Ihr und ich und" - da stockte sie. "Und Euer Sohn!" ergänzte der Fremde. - "Gott im Himmel!" schrie die Frau auf und lief alsbald aus der Stube und rief, dass es durch das ganze Haus gellte: "Jakob! Jakob!"
Jakob antwortete nicht; er hatte sich versteckt, denn er wusste, weshalb ihn die Mutter rief, und fürchtete sich. Atemlos kehrte diese zurück und sprach: "Ich höre und sehe nichts von dem jungen - ich weiß nicht, tat er's oder tat er's nicht. Doch harret mir noch einen Augenblick!"
Die Wirtin ging in die Kammer und kam gleich darauf mit einem zwar alten, aber schönen Stabe zurück, den sie dem Fremden reichte. "Da - nehmt einstweilen den Gehstock meines seligen Mannes - Ihr sprecht doch wohl einmal wieder hier vor! findet sich der Eure, so gebt Ihr mir diesen dagegen zurück."
"Ich dank' Euch, Wirtin!", sprach der fremde Mann und ging. Es war schon sehr düster, Nebel schwebten über den Heidestrecken und in sie hinein schritt der bleiche Wanderer.
Der Wirtin ward leichter um das Herz, als dieser unheimliche Gast ihr Haus verlassen hatte. Sie nahm das von ihm zurückgelassene Geld - es war eine uralte Silbermünze; die Frau kannte weder Schrift noch Gepräge; sie konnte nicht wissen, dass die Münze unter der Regierung des Römerkaisers Tiberius geprägt worden war, desselben Kaisers, zu dessen Zeit Christus in Jerusalem die Dornenkrone trug.
Leise ging jetzt die Tür auf, schüchtern drehte Jakob sich in die Stube herein. "Unglückssohn!", schrie ihm gleich die Mutter entgegen. "Sprich, nahmst du des fremden Stock?" Jakob schwieg, halb aus Trotz und halb aus Angst vor seiner Mutter Zorn und ihrer strengen Strafe. "Du schweigst - also nahmst du ihn, du gottvergessener Bube!", schalt die Wirtin. "Wo ist der Stock? Wohin schlepptest du ihn? Gleich nimm ihn und spring damit dem Fremden nach, und lass dir von ihm deines seligen Vaters Sonntagsstock wiedergeben, mit dem er in die Kirche ging und den ich dem Fremden lieh, damit er nicht sage, dass er in meinem Hause bestohlen worden sei, durch mein Kind bestohlen!" Jakob war ein verstockter Knabe, er blieb stumm. Da geriet sie in noch größeren Zorn, schlug ihn heftig und ließ ihn ohne Abendbrot zu Bett gehen.
Am anderen Tage, als die Wirtin in der Küche beschäftigt war, nahm Jakob den Stab heraus. Mit Wohlgefallen betrachtete er ihn und doch auch mit Scheu, denn die Silberstifte funkelten gar so sonderbar und der Stab war so eiskalt, wie eine starre Schlange, und gleichwohl war es, als lebe der Stab. Unwillkürlich zog es Jakob, mit diesem Stabe zu gehen, und er ging mit ihm - und ging - und ging - weit, weit von hinnen - über die Heide hin - längst sah er nicht mehr sein Vaterhaus. Rastlos regte sich der Stab in Jakobs Hand - gegen seinen Willen - und Schauer des Todes durchrieselten den Knaben. Wohin, wohin führte, wohin zwang ihn der Stab? Wandern, wandern musste er fort und fort, nicht ruhen noch rasten konnte er, an keiner Stelle, an keiner Quelle!
Endlich, als der Tag sich neigte, da stand in grauer Nebeldämmerung schier gespenstig vor Jakobs Blick ein düsteres Gehöft, auf das er zuschritt, und nun sah er ganz verwundert, dass er - zu Hause sei.
Mit Schelten empfing ihn seine Mutter; sie hatte geglaubt, er sei davongelaufen, und hatte Knecht und Magd ausgesendet, ihn zu suchen. Jakob aber war so müde, oh, so müde; er wankte auf sein Bett zu und fiel halb ohnmächtig darauf nieder. Der Stab entsank seiner Hand, ohne dass er es wahrnahm.
Eine Woche verging und der Stab stand im Gehäuse der alten Wanduhr. Jakob entsann sich nicht, ihn wieder dort verborgen zu haben, und er hütete sich wohl, ihn nochmals anzurühren. Doch sah er ihn von Zeit zu Zeit an und Schauer überrieselten ihn bei seinem Anblick: im Dunkel des braunen Uhrgehäuses leuchteten hell wie Diamanten die silbernen Punkte in Kreuzesform. -
Ein Freitag war's, gleich jenem Tage, an welchem Jakob den Stab heimlich an sich genommen hatte, und siehe da, mit einemmal fühlte Jakob den Stab wieder in seiner Hand und wieder musste er wandern, rastlos, ruhelos, bis am Himmel die Sternlein zu leuchten begannen. Da kam Jakob todmüde wieder nach Hause, bleich im Gesicht, sprachlos. Und als er endlich redete, so war es schaurig zu hören. Durch Dörfer sei er gekommen, habe allen Leuten, die ihm dort begegnet waren, gleich ansehen können, ob sie noch selben Jahres sterben würden oder nicht; den Häusern habe er es angesehen; dass nächstens Feuersbrünste sie verzehren, den Fluren, dass der Hagel sie treffen werde.
Jeden Freitag musste nun Jakob wandern - der Stab zwang ihn - musste sehen alles kommende Weh und Leid allerorten, wohin der Stab ihn führte, und dann kündete er es daheim der Mutter.
Die Mutter sann endlich auf Rat, wie der Sohn sich des Stabes entledigen solle, und er befolgte ihn. Auf einer der nächsten Wanderungen trat Jakob in ein Gasthaus, stellte den Stab in eine Ecke, verzehrte etwas, zahlte und ging hinweg ohne den Stab mitzunehmen. Doch er war noch nicht dreißig Schritt gegangen, da kam ihm der Wirt nachgelaufen und schrie überlaut: "Ho! hol Halt!" - und als er näherkam, rief er: "Ihr habt Euern Stock vergessen!" und warf Jakob den Stab nach, der sich alsbald von selbst in dessen Hand fügte.
Jakob stand am rauschenden Bache. "Ha, jetzt hab' ich's", - dachte er erfreut - da flog vom Stege der Stab in die rollende Flut. Es war, als winde sich in dieser der Stab wie eine Schlange. "Der läuft mir nun nicht wieder nach!", sagte sich Jakob und kehrte erleichterten Herzens heim. Nicht lange aber war Jakob das Herz leicht, nicht länger, bis er im Dunkel des Uhrgehäuses das Siebengestirn des Kreuzes unheimlich blinken und funkeln sah.
Jetzt gab auch die Magd einen Rat. "Vernagelt doch den Rumpelkasten", rief sie, "so ist der Not ein Ende. Ob die Uhr geht oder nicht, das ist alles eins." Das war ein recht guter Rat, schade nur, dass er vergeblich war. Als der nächste Freitag kam, war der Stab in Jakobs Hand, dieser wusste gar nicht wie; aber er musste wieder wandern - vom Morgen bis zum Abend - und kam nach Hause, müder und elender denn je zuvor.
Velten, der kluge Knecht, schlug vor, den Stab in Stücke zu zerschlagen.
Auch dieser Rat wurde versucht, leider umsonst; in Stücke zersprang nicht der Stab, sondern nur die Axt.
Wandern, wandern musste er - jeden und jeden Freitag, den Gott werden ließ - körperschwach, seelenkrank wandern und voraussehen alles Übermaß des menschlichen Elends, das sonst dem Auge der Sterblichen sich wohltätig verbirgt.
Einst kam er in ein Dorf, darin ein Brand lohte. Haus um Haus ergriffen die Flammen, von einem Dache sprangen sie zum anderen. Wieder durchblitzte ein Gedanke Jakobs Seele:
In die Flammenlohe den Stab! Und da flog der Stab - blieb hängen an einem brennenden Dachsparren und wurde rotglühend, dann weiß, und die Silberstifte des Kreuzes flammten bläulich. Jakob ging ohne Stab nach Hause. Da schnarrte die Wanduhr, da ging ihre Tür von selbst auf, spottend der Nägel, mit denen sie zugeschlagen war, da stand der Stab - unversehrt!
Ohnmächtig fiel Jakob in die Arme seiner Mutter - er war wie vernichtet - und sie sank mit ihm auf die Knie nieder und betete und schrie jammernd zum Himmel.
Jakob musste fort und fort wandern! Weit aber konnte er nicht mehr - seine Kraft war erschöpft, der matte Quell seines Lebens begann zu versiegen: zweiundfünfzig Mal hatte Jakob wandern müssen, ob er stand oder lag, es riss der Stab ihn von dannen; ob er die ganze Woche über todesmatt kein Glied zu rühren vermochte - am Freitag erfolgte die Wanderschaft. Doch ward der Stab barmherzig und führte ihn auf kürzeren und immer kürzeren Wegen um das Vaterhaus.
Zuletzt war Jakob so sterbensmatt, dass er zu einem Gange von einer Stunde einen vollen Tag brauchte; er glich einem zitternden Greise und die Farbe seines Angesichts glich der Asche.
Jakob glaubte, dass er bald sterben werde, und seine Mutter und alle, die ihn sahen, glaubten das nämliche. Da kam am Tage vor dem dreiundfünfzigsten Freitag ein Traum über Jakob. Er sah ganz lebhaft, als ob es wirklich geschähe, die Tür der alten Wanduhr aufgehen, den Stab heraus und an das Bett treten, darin er selbst lag. Da hub der Stab an zu sprechen. "Jakob", sagte er, "ich bin ein sehr alter Stab. Mit mir in seiner Hand ging der Erzvater, nach dessen Namen du genannt bist, über den Jordan. Ich ruhte in Moses' Hand, da Moses mit Gott sprach, und ward zur Schlange und wiederum zum Stabe. Ich ruhte in Aarons Hand und ward wieder zur Schlange und verschlang die Schlangenstäbe der Zauberer Pharaos. Wieder ward ich aufgehoben von Moses' Hand und das Rote Meer teilte sich unter mir. Zweimal schlug Moses mit mir an den Fels und es sprang Wasser heraus und tränkte die verdürstenden Menschen und Tiere. Wessen Stab ich aber jetzt bin, das kannst du, Knabe, nicht fassen. Du hast große Sünde getan, dass du dem armen Wanderer seinen Stab und seine Stütze heimlich entwendet hast; dafür hast du wandern müssen im finstern Tale und hast kosten müssen des Lebens Bitterkeit. Aber fortan wird der Herr deine Seele erquicken und dich führen auf rechter Straße, um seines Namens willen. Des Herrn Stecken und Stab wird dich trösten!"
Als der Stab also gesprochen hatte, war es, als umwehten Jakob Flügel der Engel. Er fühlte keine Ermüdung mehr, er schlummerte ein und erwachte wie neugeboren. Da brach der Freitagmorgen an - es war ein Karfreitag. Jakob glaubte jeden Augenblick, er werde die Wanderung wieder beginnen müssen, aber der Stab kam nicht in seine Hand.
Gegen Abend sprach Jakob sanft und fromm mit seiner Mutter von erhabenen und göttlichen Dingen. Da ging die Tür auf und ein hoher dunkler Wanderer trat ein und grüßte: "Friede sei mit euch!" Schauer durchbebten Mutter und Sohn, beide erkannten den Wanderer.
Und da tat sich die Tür des Wanduhrschranks auf und der Stab schwebte heraus und in des Fremdlings Hand. Hell durch die abendliche Düsternis leuchtete das Kreuz am Stabe. Der Fremdling aber sprach noch einmal: "Friede sei mit euch!" und wandte sich und ging. In die Seele von Mutter und Sohn zog ein heiliger Friede: der Stab Wehe war wieder von ihnen genommen.

Das Bergmanndli – Nach Bechstein

Da war einmal ein Gamsjäger, der verstieg sich hoch in die Felsen. Auf einmal stand ein Bergmanndli vor ihm und sprach ihn zornig an: „Warum verfolgst du meine Herde?“
Ganz erschrocken antwortete der Jäger: „Ich habe nicht gewusst, dass die Gämsen dein sind.“
As glaubte der Bergzwerg und sagte: „Du wirst in jeder Woche vor deiner Hütte eine Gämse finden. Aber hüte dich, noch ein Tier zu schießen!“
So geschah es auch. In jeder Woche fand der Jäger einen frischen Braten vor seiner Hütte. Aber er freute sich darüber nicht, denn er konnte seine Jagdlust nicht bezwingen und bereute es, dem Bergmanndli ein Versprechen gegeben zu haben. Eines Tages packte ihn die Lust zu jagen so stark, dass er wieder auf den Berg stieg. Bald sah er auch einen schönen Gämsbock. Er legte an und schoss.
Aber kaum war sein Schuss verhallt, da hob sich hinter ihm das Bergmanndli aus dem Fels und zog ihm die Füße unter dem Leib weg. Er stürzte nieder und fiel in den Abgrund, wo er zerschmettert liegen blieb. So bitter musste er es büßen, dass er sein Versprechen gebrochen hatte.

Goldmarie und Pechmarie

Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, eine rechte Tochter und eine Stieftochter; beide hießen Maria. Die rechte Tochter war nicht gut und fromm, dagegen war die Stieftochter ein bescheidenes, sittiges Mädchen, das aber viele Kränkungen und Zurücksetzungen von Mutter und Schwester erdulden musste. Doch war sie stets freundlich, tat die Küchenarbeiten unverdrossen und weinte nur manchmal heimlich in ihrem Schlafkämmerlein, wenn sie von Mutter und Schwester so viel Unbilliges zu erleiden hatte. Aber bald war sie dann wieder heiter und frischen Mutes und sprach zu sich selbst: "Sei ruhig, der liebe Gott wird dir schon helfen." Dann tat sie fleißig ihre Arbeit und machte alles nett und sauber. Ihrer Mutter arbeitete sie immer nicht genug; eines Tages sagte diese sogar: "Maria, ich kann dich nicht länger zu Hause behalten, du arbeitest wenig und issest viel, und deine Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen, auch dein Vater nicht, es ist alles mein, und ich kann und mag dich nicht länger ernähren, daher musst du ausgehen, dir einen Dienst bei einer Herrschaft zu suchen." Und sie buk von Asche und Milch einen Kuchen, füllte ein Krüglein mit Wasser, gab beides der armen Maria und schickte sie aus dem Hause.
Maria war sehr betrübt ob dieser Härte, doch schritt sie mutig durch die Felder und Wiesen und dachte: es wird dich schon jemand als Magd aufnehmen, und vielleicht sind fremde Menschen gütiger als meine Stiefmutter. Als sie Hunger fühlte, setzte sie sich ins Gras nieder, zog ihren Aschenkuchen hervor und trank aus ihrem Krüglein, und viele Vöglein flatterten herbei, pickten an ihrem Kuchen, und sie goss Wasser in ihre Hand und ließ die munteren Vöglein trinken. Und da verwandelte sich unvermerkt ihr Aschenkuchen in eine Torte, ihr Wasser in köstlichen Wein. Gestärkt und freudig zog die arme Maria weiter und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsam gebautes Haus, davor waren zwei Tore, eines sah pechschwarz aus, das andere war von purem Golde. Bescheiden ging Maria durch das minder schöne Tor in den Hof und klopfte an die Haustüre. Ein Mann von schreckbar wildem Aussehen tat die Türe auf und fragte barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd: "Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht so gütig sein möchtet, mich über Nacht zu beherbergen?" Und der Mann brummte: "Komm herein!" Sie folgte ihm und bebte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer nichts weiter sah und hörte als Hunde und Katzen und deren abscheuliches Geheul. Es war außer dem wilden Türschemann (so hieß dieser Mensch) niemand weiter in dem ganzen Hause.
Nun brummte der Türschemann der Maria zu! "Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?"
Maria sprach: "Bei Hunden und Katzen." Da musste sie aber gerade neben ihm schlafen, und er gab ihr ein schönes weiches Bett, dass Maria ganz herrlich und ruhig schlief. Am Morgen brummte Türschemann: "Mit wem willst du frühstücken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?"
Sie sprach: "Mit Hunden und Katzen."
Da musste sie mit ihm trinken, Kaffee und süßen Rahm. Wie Maria fortgehen wollte, brummte Türschemann abermals: "Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?"
Und sie sprach: "Zum Pechtor."
Da musste sie durchs goldene gehen, und wie sie durchging, saß Türschemann oben darauf und schüttelte so derb, dass das Tor erzitterte und dass Maria ganz von Gold überdeckt war, das von dem Goldtore auf sie herab fiel.
Nun ging sie wieder heim, und ins elterliche Haus eintretend, kamen ihr die Hühner, die sie sonst immer gefüttert, freudig entgegengelaufen und -geflogen, und der Hahn schrie: "Kikeriki, da kommt Goldmarie! Kikeriki!" Und ihre Mutter kam die Treppe herunter und knickste so ehrfurchtsvoll vor der goldenen Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre, die ihr die Ehre ihres Besuches schenkte.
Aber Maria sprach: "Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja die Maria."
Jetzt kam auch die Schwester, ganz erstaunt und verwundert wie die Mutter, und beide voll Neides, und Maria musste erzählen, wie wunderbar es ihr gegangen und wie sie zu dem Golde gekommen war.
Nun nahm sie ihre Mutter wohl auf und hielt sie auch besser als zuvor, und Maria wurde von jedermann geehrt und geliebt. Bald fand sich auch ein braver junger Mann, der Maria als Gattin heimführte und glücklich mit ihr lebte.
Der andern Maria aber wuchs der Neid im Herzen, und sie beschloss, auch fortzugehen und übergoldet wiederzukommen. Ihre Mutter gab ihr süßen Kuchen und Wein mit auf die Reise, und wie Maria davon aß und Vöglein geflogen kamen, um auch mit zu schmausen, jagte sie dieselben ärgerlich fort. Ihr Kuchen aber verwandelte sich unvermerkt in Asche und ihr Wein in mattes Wasser. Am Abend kam Maria ebenfalls an Türschemanns Toren an; sie ging stolz zu dem goldenen hinein und klopfte dann an die Haustüre. Wie Türschemann auftat und nach ihrem Begehren fragte, sagte sie schnippisch:" Nun, ich will hier übernachten."
Und er brummte: "Komm herein!" Dann fragte er auch sie: "Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?"
Sie sagte schnell: "Bei Euch, Herr Türschemann!"
Aber er führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen, und schloss sie hinein. Am Morgen war Marias Angesicht hässlich zerkratzt und zerbissen.
Türschemann brummte wieder: "Mit wem willst du Kaffee trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?" "Ei, mit Euch", sagte sie und musste nun gerade wieder mit Katzen und Hunden trinken.
Nun wollte sie fort.
Türschemann brummte abermals: "Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?"
Und sie sagte: "Zum Goldtor, das versteht sich!" Aber dieses wurde sogleich verschlossen und sie musste zum Pechtor hinaus, und Türschemann saß obendrauf, rüttelte und schüttelte, dass das Tor wackelte, und da fiel so viel Pech auf Maria herunter, dass sie über und über voll wurde.
Als nun Maria voll Wut ob ihres hässlichen Aussehens nach Hause kam, krähte der Gluckhahn ihr entgegen: "Kikeriki, da kommt die Pechmarie! Kikeriki!" Und die Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr und konnte nun ihre hässliche Tochter nicht vor den Leuten sehen lassen, die hart gestraft blieb, weil sie so auf Gold erpicht gewesen.

Die Wünschdinger

Es war einmal am Nordlandsmeer ein mächtiger Seekönig, ein Herr über vieles Land und viele Schiffe, der hatte drei Söhne. Als diese ins Jünglingsalter gekommen waren, sollten sie hinaus auf die See, ihren Mut erproben und tapfere Taten verrichten sowie Gut erwerben.
Der König ließ drei neue, große, stattliche Schiffe bauen, diese wohl bemannen und gut ausrüsten und schenkte jedem seiner Söhne eines dieser Schiffe. Dann fragte er den ältesten Sohn: "Was gedenkst du zu beginnen mit dem Schiff, das ich dir schenkte?"
"Damit, mein Herr Vater", antwortete der älteste Königssohn, "gedenke ich weit übers Meer nach Osten zu fahren und Schätze zu gewinnen von fernen Küsten und Inseln."
"Wohl getan", sprach der König, "fahre hin und fahre wohl!"
Hierauf fragte er seinen zweiten Sohn: "Was gedenkst du, mit dem Schiff zu tun, das ich dir schenkte?"
"Damit, mein Herr Vater", antwortete der mittelste Seekönigssohn, "gedenke ich weit übers Meer gen Westen zu fahren, neue Lande und Inseln zu entdecken und von ihren Schätzen ein gutes Teil heimzuführen."
"Wohl getan", sprach auch zu diesem Sohne der König, "fahre auch du hin und fahre wohl!"
Nun wandte sich der König zu seinem dritten Sohn und fragte: "Was gedenkst du mit dem Schiff zu tun, das ich dir geschenkt habe?"
"Ich gedenke, mein gnädiger König, Herr und Vater", antwortete der' jüngste Seekönigssohn, "damit auf Abenteuer auszuziehen und mich Eures hohen Namens und Eurer Liebe würdig zu zeigen, jetzt wie immerdar, wohin mich
auch mein Fahrzeug trage." Diese Antwort überraschte den König, weil er sie nicht so erwartet hatte, doch ließ sich nichts dagegen sagen. Er sprach daher: "Soll mich freuen! fahre hin und fahre wohl!" Darauf wurde ein Abschiedsmahl gehalten, und am nächsten Morgen stachen die drei Königssöhne in See.
Eine Zeitlang fuhren sie mit ihren drei Schiffen nebeneinander dahin, als sie aber in die hohe See kamen, trennten sie sich - nach Osten, Westen und Süden. Der nach Osten fuhr, kam in das Silberland, allwo es Taler schneite, und er füllte sein Schiff mit Silber, soviel es zu tragen vermochte. Der zweite, der nach Westen gesegelt war, hatte eine ungleich längere Fahrt, kam aber dafür bis in das Goldland, das man Eldorado nannte, und es gelang ihm, sein ganzes Schiff mit Gold zu befrachten, soviel es immer tragen konnte. Beide Brüder fuhren wieder heimwärts nach ihres Vaters Schlosse, wo sie wohlbehalten anlangten und freudig empfangen wurden.
Der dritte Bruder, der nach Süden zu gesteuert war, fand weder ein Silberland noch ein Goldland, überhaupt gar kein Land, und schon gingen ihm die Nahrungsmittel aus. Endlich gewahrte er in der Ferne einen kleinen dunklen Punkt, auf den er lossteuerte. Er hoffte mit Zuversicht, dort mindestens ein Brotland zu finden. Aber als er näher kam, sah er, dass es eine wüste Insel war, voll steiler, schroffer Klippen und unwirtlicher Felsen, ein rechtes Hungerleiderland. Denn obwohl er drei Tage lang auf dem scheinbar gänzlich unbewohnten Eiland suchend umherirrte, konnte er auch nicht die geringste Nahrung für sich und seine Mannschaft entdecken.
Vor Hunger fiel er am dritten Tag um und lag in Ohnmacht.
Als er aus dieser erwachte, sah er eine holde Jungfrau vor sich stehen, die ihn betrachtete und ihn fragte: "Wer bist du denn, und wie kommst du denn hierher?"
"Ach!", ächzte der Königssohn, "wäre ich doch lieber nicht hierhergekommen. Ich bin ein Prinz, der nichts zu essen hat, und komme um vor Hunger!"
"Ei, wenn dir sonst nichts fehlt, dafür kann ich schon sorgen! Folge mir, mein Prinz!", sprach das Mädchen, und dem Königssohn klangen ihre Worte wie Musik. Seine junge Führerin brachte ihn zu einem Häuschen, da saß eine alte Frau und war fleißig am Rocken, und das Mägdlein sprach zu der Alten: "Liebes Mütterlein, ich bitte dich recht sehr, gib mir für den jungen Prinzen hier, der großen Hunger hat, das Wünschtüchlein. Sieh, ich hab's ihm ja versprochen und du wirst mich doch nicht wollen mein Wort brechen lassen!"
Da schloss die Alte, wenn auch unwillig, einen Schrein auf und brachte ein leinenes Tüchlein hervor, das war wundersam künstlich ausgenäht nach ura1ter Art und hatte gesteppte Fransen. Das breitete sie auf den Tisch und murmelte die Worte dazu:
"Decke dich, mein Wünschtüchlein,
für einen Mann mit Speis' und Wein!"
Kaum hatte sie das gesagt, so standen auf dem Wünschtüchlein Brot und Salz, Braten und Gemüse, das herrlichste Obst und eine Flasche Wein nebst Glas sowie Messer und Gabel, und das Mägdlein lud den Prinzen zum Essen ein. Der hungrige Meerfahrer ließ es sich nicht zwei Mal sagen und langte ohne Umstände zu. So gut, wie diesmal, hatte es ihm selbst an der fürstlichen Tafel in seines Vaters Schlosse noch nie geschmeckt. Als er satt war, trank er unter Worten des Dankes auf die Gesundheit seiner beiden Wohltäterinnen und ging auf sein Schiff zu, um weiterzufahren.
Das junge Mädchen, das der Prinz gleich liebgewonnen hatte, lief ihm nach und rief: "Nimm mich doch mit! Hier ist es so einsam und ich will ohne dich nicht hier bleiben!" Er aber antwortete: "Mein liebes gutes Kind, mitnehmen kann ich dich jetzt noch nicht, ich würde dich nur ins Verderben führen; geht es mir aber wieder gut, so komme ich sicher und hole dich ab." -
"Nun, so halte dein Wort", sprach das Mädchen, "und nimm zum Andenken das Wünschtüchlein und brauche es so, wie du es bei meiner Mutter gesehen. Verwahre es gut und vergiss mein nicht!"
Hocherfreut ging der Königssohn mit dem wertvollen Wünschding auf sein Schiff, wo die Mannschaft vor eitel Hunger klägliche Gesichter schnitt. Der Königssohn aber lachte nur dazu, ließ eine große Tafel auf das Verdeck schaffen, an der sich alle niederlassen mussten, breitete das Tüchlein darüber und sprach:
"Decke dich, mein Wünschtüchlein,
für alle die Meinen mit Speis' und Wein!"
Da machte die Mannschaft große Augen, als die Tafel sich füllte mit Braten und Salat und Käse und Wein. Das war ein wahres Festessen, und als sich ein jeder nach längerer Zeit wieder einmal gründlich satt gegessen hatte, stach man wieder fröhlich in See.
Gegen Abend wurde an einer anderen Insel gelandet, die der Königssohn ebenfalls näher kennen lernen wollte. Er fand sie gleichfalls unbewohnt, wurde vom Umherwandern hungrig, breitete daher sein Wünschtüchlein aus und nahm eine Mahlzeit ein. Da kam ein Mann dahergegangen, der blieb verwundert stehen und sprach: "Wie? Ihr speiset hier vollauf, und ich, der ich vom Sturm auf die Hungerinsel verschlagen bin, falle vor Hunger fast um!" "Seid mein Gast!", sprach freundlich der Königssohn und ließ das Tüchlein sich von frischern decken, erzählte auch dem Manne, wie er zu demselben gekommen sei.
"Ach ja", sagte der Fremde, "es gibt verschiedene solche Wünschdinger; nicht alle aber helfen einem etwas. Sehet hier meinen Stab, das ist auch ein Wünschding. Drehe ich den Knopf ab und sage: Hundert - oder tausend - oder hunderttausend Mann zu Fuß oder zu Pferd, so sind sie da und tun, was ich will, und drehe ich den Knopf wieder auf, so sind sie hinweg. Was hab' ich aber davon? Soldaten wollen auch leben - und wenn man selbst nichts hat, wie dann? Da lob' ich mir so ein braves 'Wünschtüchlein, um das gäb ich gleich den Wünsche1stab."
"Nun, da könnten wir ja tauschen, wenn es Euch recht wäre!", sprach der Königssohn. - "Ihr kommt in der Tat meinem heimlichen Wunsche zuvor!", rief erfreut der Fremde, und der Tausch erfolgte auf der Stelle, worauf die bei den sich trennten.
Nach einer kleinen Weile drehte der Königssohn den Stockknopf ab und rief: "Hundert Mann zu Pferde!" Da rasselten die Reiter heran. "Holt mir schnell mein Wünschtüchlein!", gebot der Königssohn, und wie der Wind vollzog die Mannschaft seinen Befehl; wie der Wind war sie zurück und schwenkte das Tüchlein als Standarte. Da breitete der Prinz das Kleinod aus und rief:
"Decke dich, mein Wünschtüchlein,
Für hundert Mann mit Speis' und Wein!"
und ließ die Mannschaft sich satt essen und satt trinken. Dann schraubte der Prinz seinen Stockknopf wieder auf und alsbald verschwanden die hundert.
Hierauf begab sich der glückliche Besitzer der zwei Wünschdinger wieder auf sein Schiff, fuhr weiter und gelangte am nächsten Tage zu einer dritten Insel, an der er wieder landete, um Abenteuer aufzusuchen. Er war noch nicht weit gegangen, da begegnete ihm eine alte Frau, die war in einen bunten, von lauter einzelnen Lappen zusammen gesteppten Mantel gehüllt, sah sehr elend aus und ächzte: "Ach, ich falle um vor Hunger und Durst, ich habe seit zwei Tagen nichts genossen. Habt Ihr nicht etwas Brot bei Euch?"
"Gern, liebes Mütterlein", antwortete der Prinz. "Ich kann Euch jede Nahrung geben, die Ihr wünscht!"
"Ei, du meine Güte!", rief die Frau. "Wenn ich doch nur ein Schälchen Kaffee hätte! Es ist mir gar zu hohl im Leibe."
Da zog der Königssohn sein Kleinod hervor, breitete es aus und sprach:
"Decke dich, mein Wünschtüchlein,
Für uns zwei mit Kaffee, Frühstück und Wein!"
Da deckte sich das Tüchlein mit Tassen und Tellern, mit Kaffeekännchen, Sahnekännchen und Milchkännchen, alles warm, mit Semmeln und Kuchen, Brottorte und Biskuittorte, mit Zucker und Butter und Honig, mit Schinken und Wein. Vor Vergnügen lachte das alte Weib mit dem ganzen Gesicht, aß und trank und wurde ganz lustig und warf ihren Mantel in die Höhe. Da flogen plötzlich alle Läppchen einzeln auseinander und fielen ringsum auf die Insel, und wo ein gelbes oder rotes Läppchen hinfiel, da stand ein stattliches Schloss, wo ein grünes lag, wurde ein Park, wo ein blaues, ein schöner See; so war auf einmal die öde Insel in ein Paradies verwandelt.
Das gefiel dem Königssohn über die Maßen wohl, und er sprach zu dem Frauchen: "Um dieses Kleinod, wie Euer Mantel ist, könnte ich Euch fürwahr beneiden."
"Ja, ja - er ist recht hübsch", erwiderte die Alte; "was hilft mir aber der schönste See und der größte Park und das herrlichste Schloss, wenn ich keinen Kaffee zu trinken und nichts zu essen habe? Euer Wünschtüchlein wäre mir lieber."
"So lasst uns tauschen!", schlug der Prinz vor, und das war die Alte gleich zufrieden und klatschte in die Hände. Da wurden die Schlösser, die Parke, die Seen alle wieder bunte Läppchen und setzten sich als Mantel zusammen; den gab das Frauchen in des Prinzen Hand und nahm erfreut aus der seinen das Wünschtüchlein. Sie war aber noch nicht weit, schraubte der Prinz wieder den Knopf von seinem Wünschelstab ab, wünschte sich hundert Mann, befahl diesen, sein Tüchlein wiederzubringen, und auf der Stelle wurde sein Befehl vollzogen. Hierauf begab sich der Königssohn wieder auf sein Schiff und segelte weiter.
Am nächstfolgenden Tage wurde abermals eine kleine Insel entdeckt, auf der der Königssohn auch umher strich. Er fand keine Schätze darauf, ging sich jedoch müde und schlummerte an einer schönen Stelle in einem Wäldchen ein.
Da weckten ihn wundersam schöne Geigentöne und er erhob sich und sah über sich auf einem Felsen einen Geigenspieler sitzen, den er grüßte und dem er seinen höchsten Beifall bezeigte. Der Geiger nickte ihm freundlich zu und sagte: "Wisst, dass ich der König aller Geigenspieler bin, alle anderen sind nur Stümper gegen mich. Wenn ich auf einer Saite streiche, so werden die Menschen verzückt, schließen die Augen, fallen vor Wonne um und ersterben fast. Wenn ich aber eine andere Saite streiche, so kommen sie wieder zu sich und schreien alle: ,Ah! ah!' und werden wie toll vor Entzücken. Meine Geige ist eben eine Wünschelgeige, auf der sich alles, was ich im Sinne habe, das Rührendste und Tollste, von selbst abspielt, sobald ich es nur wünsche."
Diese Wünschelgeige hätte der Prinz gar zu gern noch zu seinen anderen Wünschdingern besessen, und da der Geigenspieler ebenfalls sehr gern bereit war, sobald ihn der Prinz die herrlichen Gaben des Wünschtüchleins hatte kosten lassen, sein Wunderinstrument gegen dieses Tüchlein herzugeben, so tauschten sie bald. Darauf ließ der Prinz, wie die letzten Male, das Wünschtuch durch seine allezeit gewärtigen Knopfsoldaten ohne Mühe zurückholen.
Jetzt beschloss der Prinz, die Heimreise anzutreten. Diese ging ganz glücklich vonstatten, und nach langer Fahrt landete der Königssohn an der Küste des väterlichen Seekönigreichs in der Nähe des Schlosses. Da es aber bereits Nacht geworden war, suchte er sich im Parke, nahe dem Schlosse, ein Plätzchen, wo er sich niederlegte und schlief. Am nächsten Morgen hatte der König eine Jagd im Park anberaumt, um für seine Tafel einen Hirsch zu schießen. Da witterten die losgelassenen Jagdhunde einen Fremden und stürmten nun kliffend und kläffend nach dem Baume, unter dem der Schläfer lag. Als sie aber nahekamen, rochen sie ihm gleich an, dass er der Königssohn war, wälzten sich im Grase vor Freude und trieben ein tolles Wesen. Der König vernahm den Hundelärm, kam nun selbst zum Baum und fand, dass sich soeben sein jüngster Sohn vom Schlummer erhob. Aber er war keineswegs erfreut über das Aussehen des Prinzen, vielmehr sagte er: "Potztausend, da bist du ja wieder und schaust aus wie einer, dem die Hunde das Brot genommen haben. Ich vermeine nicht, dass du Schätze erworben und mitgebracht hast, und lebte doch der Hoffnung, du wärest, wie dein ältester Bruder in das Silber land und der zweite in das Goldland gekommen sind, vielleicht in das Diamantland gelangt und würdest von dort mit reicher Fracht zurückkommen, die mir Freude gemacht und dem Lande zum Nutzen gedient hätte. Denn ich bin in einen schändlichen Krieg verwickelt mit dem Nachbar meines Reiches, der mich hart bedrängt und mir bereits viele Orte und Schlösser zerstört hat. Alles Silber und alles Gold, das deine Brüder mit zur Heimat gebracht, ist aufgegangen für Rüstung und Erhaltung meines Kriegsheeres, das schon in mehreren Schlachten geschlagen wurde. Es steht daher zu fürchten, dass unser Feind mein ganzes Reich erobert und uns vom Thron und Lande jagt."
Indem kamen auch schon Eilboten mit der Nachricht, dass der Feind mit starker Heeresmacht von drei Seiten eingefallen sei. Da meinten der König und seine bei den älteren Prinzen, es bliebe somit nur die vierte Seite zur Flucht übrig. Davon wollte aber der jüngste Prinz nichts hören; vielmehr schraubte er den Stockknopf ab und gebot: "Hunderttausend Mann zu Ross und zu Fuß! Treibt den Feind zu Paaren!"
Da wimmelte auf einmal die ganze Gegend von streitbarer Mannschaft und nach einer Stunde war nicht nur kein Feind mehr im Lande, sondern auch das Land des feindlichen Nachbars völlig erobert. Hierauf breitete der Königssohn sein Wünschtüchlein aus und sprach: "Jetzt lasst uns ein großartiges Siegesmahl feiern!" Und er rief:
"Decke dich, mein Wünschtüchlein,
Für hunderttausend Mann mit Speis' und Wein!"
Da deckten sich gleich Tausende von Tischen.
"Zur Festfreude gehört aber auch Musik!", rief der Prinz.
"Ich werde mich selbst auf der Violine hören lassen." Und er spielte zuerst auf der einen Saite, dass alle Zuhörer vor Wehmut ohnmächtig wurden, dann auf der anderen Saite, worauf alles "Ah!" und "Bravo!" schrie. Der König, die älteren Prinzen und der ganze Hofstaat kamen vor Verwunderung gar nicht zu sich selbst.
Der jüngste Prinz aber sprach ruhig: "Nun lasset uns, was der Feind zerstört hat, schöner wiederherstellen, auf dass alle Wunden des Krieges geheilt werden!"
Der Prinz warf darauf den Wünschmantel in die Luft; da bedeckte sich das ganze Land mit neuen Schlössern und Palästen, Parken und Seen. Mit dem Wünschtüchlein aber schaffte er dem Lande Nahrung und Wohlstand, mit dem Wünschelstab verlieh er ihm eine starke Macht und zugleich die Achtung der Nachbarn und mit der Geige förderte er im Lande Lust und Liebe zu Musik und den schönen Künsten. Dann holte er jenes Mägdlein von der einsamen Insel, die ihm zuerst sich so gut und hilfreich erzeigt hatte, und erhob sie zu seiner Gemahlin, indem er sagte: "Sie hielt mir Wort, und mir ziemet, auch ihr es zu halten." –
Ebenso ließ er die früheren Besitzer der anderen Wünschdinger holen und bewies sich freigebig und dankbar gegen sie, um so das Unrecht, das er ihnen getan hatte, nach Kräften wieder gutzumachen.

Das winzige, winzige Männlein

Es waren einmal drei lustige Gesellen, ein Schmied, ein Schneider und ein Jäger. Sie kamen als gute Freunde öfters zusammen und besprachen nach längerer Beratung, mitsammen in die Fremde zu gehen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr so recht gefallen wollte. Als sie nun ihren Entschluss ausführten und wanderten, führte sie ihr Weg in einen tiefen Wald hinein, aber heraus fanden sie nicht mehr; sie verirrten sich und liefen umher, bis die Nacht einbrach und sie weder Weg noch Steg sehen konnten. Endlich stieg der Schmied auf einen Baum und erblickte in einiger Entfernung ein Licht, merkte sich die Richtung und ging nun mit seinen Gefährten auf das Licht zu. Sie kamen an ein Haus, welches offen stand, aber leer war; wenigstens ließ sich niemand blicken, doch das Licht stand darin und leuchtete.
"Wer hier wohnt, wird es uns nicht übelnehmen, wenn wir hier die Nacht verbringen, wir können nun einmal doch nicht weiter!" sprachen sie zueinander und legten sich nieder, wo sich just für jeden ein geeignetes Plätzchen fand. Ohne alle Störung schliefen die drei Gesellen die ganze Nacht und erwachten, als der Morgen da war, fröhlich und wohlgemut.
"Es ist hübsch in diesem Häuschen", sprach der Schmied.
"Ich dächte, wir verließen es nicht so schnell, damit wir dem Bewohner für die Gastfreundschaft, die wir uns selbst hier verschafft haben, danken können."
"Vielleicht kann ich ihm etwas flicken", meinte der Schneider. –„
Ich bin auch nicht dagegen", sprach der Jäger; "aber wir müssen nun etwas zu essen haben, hier aber scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein. Ich schlage daher vor, einer von uns bleibt hier, und zweie gehen in den Wald und fangen oder schießen etwas."
"Der Rat ist gut", sagte der Schmied. "Draußen springt ein Quellbrunnen; der daheim bleibt, macht indes ein Feuerlein an und setzt Wasser bei, dass wir uns hernach eine gute Suppe kochen können."
Der Schmied und der Jäger gingen und der Schneider blieb im Häuschen, entzündete ein Feuer, stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd und setzte sich neben das Feuer. Da erschien mit einemmal ein winzig, winzig kleines Männchen und sagte mit ganz feiner Stimme:
"Schneider, Schneider, Schneiderlein!
Ich blas' dir aus dein Feuerlein."
"Ja, untersteh' dich!", rief der Schneider mutig, weil das Männlein so winzig war; aber das machte "ft!" und da war das Feuer aus und das Männlein verschwunden. Bald kamen der Jäger und der Schmied und brachten ein Stück Wild und gute Wurzeln. Der Schneider erzählte, was ihm begegnet sei, und nun mussten sie von neuem Feuer anzünden und Wasser beisetzen. Als das Wild verzehrt war, gingen der Schmied und der Schneider in den Wald und der Jäger hütete das Haus und machte ein schönes Feuer an, stellte den Wassertopf dazu und setzte sich daneben. Da kam abermals das winzige, winzige Männchen und wisperte:
"Jäger, Jäger, Jägerlein!
Ich lösch' dir aus dein Feuerlein."
"Probier' es nur! Ich drehe dir den Hals um!", rief der Jäger. Aber "ftl", das Feuer erlosch und das Männlein verschwand.
Wie die Kameraden kamen, hatten sie kein Wild und kein Feuer. Zwar rühmte sich der Schneider, dem der Jäger sein Gewehr geliehen, er habe bald einen Bock geschossen, aber nur beinahe.
"Nun probiere ich's einmal!" rief der starke Schmied. "Habt acht, ich zahle den Knirps aus." Nun blieb er zu Hause und der Jäger ging mit dem Schneider auf die Jagd. - Der Schmied saß noch gar nicht lange bei dem Feuer, das er angezündet, nachdem er einen Schraubstock hergerichtet hatte, als das winzige, winzige Männlein zum dritten Mal erschien und wisperte:
"Schmied, Schmied, Schmiedelein!
Ich lösch' dir aus dein Feuerlein."
Aber anstatt zu antworten, griff der Schmied das Männlein beim Kragen, schüttelte es tüchtig und klemmte es in dem Schraubstock fest, dass es erbärmlich zappelte und heulte. Das half ihm aber nichts, denn der Schmied bearbeitete es auch noch äußerst handgreiflich, und wie nun der Jäger und der Schneider kamen, putzte der erstere das winzige Männchen auch noch aus und der Schneider freute sich und flickte es ebenfalls gehörig durch.
Das Zaubermännchen im Schraubstock tat aber gar erbärmlich und schrie: "Lasst mich los und gehe einer mit mir! Einen kann und will ich glücklich machen. Schneiderlein, geh' du mit mir!"
„Männlein, ich geh' nicht mit dir!", antwortete der Schneider.
"Jäger, so geh' du mit mir!", bat das winzige, winzige Männlein.
"Ei, der Kuckuck geh' mit dir!", antwortete der Jäger.
"Schmied, Schmied, geh' du mit mir!", bat gar zu kläglich das Männlein.
Da sagte der Schmied: "Gut, ich will mit dir gehen, aber denke nicht, dass ich dich loslasse, denn du würdest mich sonst schön führen, und die anderen zwei müssen ein Stück hinter uns dreingehen."
"Meinetwegen, ich bin alles zufrieden!", winselte das winzige, winzige Männlein. "Macht mich nur erst aus dem Schraubstock los!"
Das tat dann der Schmied, hielt aber das Männlein fest am Kragen. Nun ging es durch eine Tür in der Stube und durch einen Kellergang in ein großes, matt erhelltes Gewölbe. In diesem Gewölbe saß auf einem elfenbeinernen Stuhle der Menschenfresser und hinter ihm stand seine Frau und kämmte ihm mit einem beinernen Kamme das lange, zottelige Wirrhaar.
Jetzt sprach der Menschenfresser: "Hup, hup! Es riecht nach Menschenfleisch! Hup, hup - es riecht nach Menschenfleisch", und er schnappte behaglich.
"Dummheiten, lieber Mann!" antwortete die Frau, "wer weiß, was du wieder riechst; ich merke nichts von Menschenfleisch!"
Doppelt fest hielt der Schmied das winzige Männlein am Kragen, denn hätte er es losgelassen, so hätte dasselbe ihn und seine Gesellen dem Menschenfresser überliefert. Aber so führte es den Schmied in einen Seitengang, und die anderen folgten. Da kamen sie an ein Bergloch, davor lag ein großer Stein, und da sagte das Männlein zum Schmied: "Wälze jetzt diesen Stein hinweg, krieche dann durch die Öffnung hinaus und rufe laut: Vivat! ich bin erlöst!"
"Zum Steinwälzen brauch' ich aber zwei Arme", sagte der Schmied. Er gab dem Jäger das zappelnde Männlein, der es am Kragen festhalten musste, denn dem Schneider mochte er's nicht anvertrauen, der dünkte ihm nicht stark genug. Gleichwohl aber half auch der Schneider ein wenig halten: er fasste nämlich das Männlein fest an seinen beiden Beinchen, so fest es eben ein schwaches Schneiderlein zu tun vermag. jetzt wälzte der Schmied den Stein. Da entstand im Gewölbe ein Poltern und Krachen, als wenn alles zusammenbräche. Vor ihnen aber strahlte blendender Schimmer und Tageshelle und vor aller Augen lag ein stattliches Schloss. Geschwind krochen alle drei, eigentlich mit dem winzigen Männlein vier, heraus. Erst der Schmied, dann der Jäger mit dem Männlein, zuletzt der Schneider, der des winzigen Männleins Beine durchaus nicht loslassen wollte, und jeder schrie, was er konnte: "Vivat! ich bin erlöst!" Und siehe, das winzige Männchen schrie auch mit und verschwand jenen unter den Händen. Aus dem Schloss aber trat eine prächtig gekleidete Musikerschar und spielte einen wunderschönen Tanz. Dann kamen drei herrliche Prinzessinnen, die tanzten dem Schmied, dem Jäger und dem Schneider entgegen. Hinter ihnen erschien ein kleiner. Mann, aber angetan wie ein König, mit Krone und Zepter, in einem mit Hermelin verbrämten Purpurmantel, und seine Züge waren die des winzigen Männleins. "Dank euch, die ihr uns erlöst habt!", sprach der kleine König mit gravitätischer Würde. "Dank und Lohn!" Hierauf erhob der König die drei munteren Gesellen in den Prinzenstand und jeder durfte eine von den wunderschönen Prinzessinnen, heiraten. Alle lebten nun glücklich beisammen in dem schönen Schlosse, bedient von zahlreichem Hofgesinde, und keinem wurde wieder sein Feuerlein ausgeblasen.

Der starke Gottlieb

Es war einmal ein reicher Gutsherr, dem viele Knechte dienten. Als einem von diesen, der sich besonders treu erwiesen hatte, ein kräftiges Söhnchen geboren wurde, versprach ihm sein Herr, den Kleinen, wenn er nur recht stark würde, in seinen Dienst zu nehmen. Dem Vater blieb dies Versprechen unvergessen und er war mit aller Sorgfalt darauf bedacht, sein Söhnchen, dem er den Namen Gottlieb gab, recht stark werden zu lassen. Zu diesem Zwecke ließ er den Knaben sieben Jahre lang nichts als Milch trinken, Fleisch essen und tüchtig turnen. So wurde der Knabe groß und stark.
Nach Verlauf der sieben Jahre nahm der Knecht seinen Gottlieb mit zum Gutsherrn und sagte: "Schaut, Herr, den prächtigen Jungen! Er kann schon etwas tun für sein Alter." Da stand im Garten, wo Vater und Sohn den Gutsbesitzer angetroffen hatten, ein junger Baum, und der Herr sprach: „Reiß dies Bäumchen heraus, Gottlieb!" Der Knabe vermochte aber das Bäumchen nicht auszureißen und der Herr sprach: "Der Kleine ist noch zu jung und zu schwach. Es wäre auch zu viel von ihm verlangt, jetzt schon schwere Arbeit zu tun."
Da ging der Knecht mit seinem Gottlieb hinweg und ließ ihn noch sieben Jahre Milch trinken und Fleisch essen. Und als die sieben Jahre um waren, führte er den Sohn wieder zum Gutsbesitzer, dem Gottlieb nun zum Dienst groß und stark genug schien, doch sollte er einen Tag zur Probe dienen. Der Gottlieb war aber von Natur und durch die kräftige Kost schrecklich stark geworden und riss gleich als Probestück einen ziemlich dicken Baum mit dem kleinen Finger heraus, so dass alles erschrak. Besonders die Gutsherrin bekam ein Grauen vor solcher Stärke und wurde ihm gleich abgeneigt.
Nun ging es an die Arbeit, die Gottlieb nur ein Spiel war.
Dann kam die Essenszeit; die Magd trug eine Schüssel voll Kartoffeln nebst Buttermilch auf und ging, die übrigen Knechte zu rufen. Gottlieb, der zuerst mit seiner Arbeit fertig geworden war, begann einstweilen allein zu speisen, und es dauerte nicht lange, so war nichts mehr auf der Schüssel zu sehen.
Als die übrigen Knechte kamen und essen wollten, trat Gottlieb hinter dem Ofen hervor, wo er sich ausgeruht hatte, kratzte sich hinter den Ohren und sagte: "Es war etwas zum Essen da, aber nicht viel; ich hab' gemeint, es sei für mich, und hab's derweil gegessen."
Da entsetzten sich die anderen vor Gottliebs Appetit und verwünschten einen solchen unmäßigen Genossen.
Nach dem Essen ging es an das Dreschen. Für Gottlieb war der Dreschflegel wie eine Feder. Er warf ihn in die Luft und fing ihn wieder, wie Knaben mit leichten Stöcken tun. Dann riss er sich .einen Baum aus und drosch drauflos, dass die Körner gleich zu Mehl wurden und das Stroh klein wie Häckerling, und er schlug alles in Grund und Boden hinein. Das war dem. Gutsherrn doch zu bunt. Er erschrak vor dem gefährlichen Knecht und sann darauf, ihn mit guter Manier wieder loszuwerden. Er fragte daher den Gottlieb, welchen Lohn er begehre Gottlieb ging nahe zu dem Herrn heran und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf wurde der Herr rot und sagte: "Es ist gut, aber still davon!" Und er nahm Gottlieb als Knecht an, worüber sich die anderen Knechte ganz und gar nicht freuten.
Der Gutsbesitzer war aber sehr geizig und gab gar zu gern so wenig Lohn als nur möglich. Das hatte Gottlieb erwogen, dem gar nichts daran gelegen war, dass er hatte so stark werden müssen, um für andere sich zu plagen und zu arbeiten. So sagte der Gutsherr, als er wieder mit seiner Frau allein war und diese ihn fragte, welchen Lohn sich Gottlieb bedungen habe: "Ach, mein Schatz, so billig bekomme ich nie einen so kräftigen Arbeiter. Der Gottlieb verlangt gar keinen Lohn."
"Gar keinen Lohn? Das ist nicht menschenmöglich!", rief ganz erstaunt die Gutsherrin. "Dahinter steckt etwas! Mann, du sagst nicht die Wahrheit!"
"Nun, beruhige dich nur, liebe Frau", besänftigte der Gutsherr, "etwas verlangt er schon, und ich hab's ihm zugestanden, in Anbetracht, dass es uns nichts kostet - doch bleibt das geheim, unter uns."
"Unter uns?", erwiderte die Frau. "Das heißt, ich muss aber darum wissen!"
"Der Gottlieb will mir etwas geben, wenn das Jahr herum ist", stammelte der Gutsherr.
"Dir? Das wäre! Was kann der Sohn deines Knechtes dir geben?", fragte die Frau.
"Eine Feige", antwortete der Mann, "will er mir geben."
"Eine Feige? Mann, du bist nicht recht bei Sinnen!", schrie die Frau und wurde zornig. "Wo sollen denn auf unserem Gute Feigen herkommen?"
"Oh", versetzte der Gutsherr, "die gibt's hier genug - der Gottlieb meint eine Ohrfeige."
Entsetzt rief die Edelfrau aus: "Oh, du Tropf! Das ist wieder ein Stückchen deines Geizes! Du willst dich lieber entehren lassen, als einem Knechte Lohn zahlen. Totschlagen wird dich der Gottlieb, denn wo der hinschlägt, da wächst kein Gras! Nein, ein solcher Vertrag ist himmelschreiend! Doch lass mich nur machen, ich wende das Unglück von dir, ich bring' ihn fort!"
"Wenn du ihn fortbringen kannst, liebe Frau", versetzte kleinmütig der Gutsherr, "so habe ich nichts dagegen."
Die Gutsfrau legte sich gleich ein Plänchen zurecht. Auf dem Gute befand sich eine Mühle, in der es furchtbar spukte, und vielen war dort von dem Spukgeist schon der Hals umgedreht worden.
"Gottlieb! Heute trägst du einen halben Malter Korn in die Mühle und mahlst ihn!", sprach sie bald darauf zu dem neuen Knechte.
"Zu Befehl, gnädige Frau!", antwortete Gottlieb, holte einen großen Maltersack, fasste ein oder zwei Malter Korn hinein, warf sich ihn über die Schulter und ging lustig pfeifend zur Mühle. Als er dort ankam, war die Tür verschlossen. Gottlieb klopfte höflich an, einmal, zweimal, dreimal. Da noch immer niemand aufmachte, tat er einen sanften Tritt an die Tür, dass sie aufsprang und dabei entzweiging. Die im Wege liegenden Mühlsteine schob Gottlieb sanft mit den Füßen nach rechts und links und gelangte an das Mahlwerk.
Bevor er aufschüttete und das Werk anließ, schürte er sich ein Feuerlein und kochte sich eine Morgensuppe, in die er einen kleinen Schinken steckte. Da kam eine große Katze mit feurigen Augen, die riss ihr Maul auf, starrte den starken Gottlieb an und schrie: "Miau!"
"Hui Katz!", schrie Gottlieb und gab ihr einen Tritt, dass sie eilends kehrt machte. Jetzt schüttete er auf, setzte das Mühlwerk in Gang und verzehrte sein Frühstück. Gleich war die Katze wieder da, fauchte und schrie abermals: "Miau!"
"Hui Katz!", schrie Gottlieb wieder und warf ihr den Schinkenknochen auf den Kopf, dass sie um und
um wirbelte und verschwand.
Plötzlich stand ein schrecklicher Riese vor dem starken Gottlieb und brüllte: "Mehlwurm! Wer heißt dich hier mahlen?" Gottlieb, nicht faul, nahm einen Mühlstein, warf ihn dem Riesen an die Stirn und schrie: "Mühlwurm, wer heißt dich hier prahlen?" Da stürzte der Riese hinterrücks nieder und stieß ein Gebrüll aus, dass die ganze Mühle wackelte. Gottlieb aber sackte das Mehl ein, tat in einen mitgebrachten zweiten Sack die Kleie und ging mit den Säcken heim.
"Hilf Himmel!", jammerte die Gutsherrin. "Der Lümmel lebt und kommt wieder!" -
Bald darauf sann sie auf neue Tücke. "Der Ziehbrunnen muss gefegt werden!", ordnete die Frau am anderen Tag an. "Das Wasser schmeckt ganz schlecht und schlammig. Gottlieb kann hinuntersteigen."
Und zu den anderen Knechten sagte sie heimlich: "Wenn er drunten ist - nehmt euch ja in acht, dass dem Fresser, der euch alles wegisst, kein Stein vom Brunnenrand von ungefähr auf den Kopf fällt!"
Die Knechte verstanden den bösen Wink. Wie daher Gottlieb drunten im Brunnen war, schoben sie die oberen Steine vom Rande hinunter. Die Steine polterten und plumpsten in den tiefen Brunnen und fielen auf den starken Gottlieb. Der aber schrie herauf: "Dummheit da droben, wer schüttet denn Streusand in das Tintenfass? Wartet, wenn ich hinaufkomme, will ich es euch weisen!"
Da liefen die Knechte erschrocken hinweg und versteckten sich und Gottlieb stieg heraus wie ein Schornsteinfeger aus dem Schlote.
Kaum wusste nun die Edelfrau, wie sie es anfangen sollte, den starken Gottlieb vom Hofe zu bringen. Da fiel ihr ein, dass sich auf dem hohen Berg ein verwunschenes Schloss befinde, in dem es gar nicht geheuer war. Es spukte nämlich darin der Geist eines alten Riesen, der vor grauen Zeiten schlimme Taten verübt hatte und deshalb dorthin verwunschen war. Dieser alte Riese hatte auch die Vorfahren des jetzigen Gutsbesitzers, denen er das Gut vor längerer Zeit verkaufte, um eine ziemlich große Summe Geldes schmählich betrogen.
Dorthin schickte die Edelfrau Gottlieb, indem sie ihn mit verstellter Freundlichkeit anredete und ihm sagte, da oben wohne der frühere Besitzer des Gutes, der ihrem Manne noch viel Geld schulde; wenn Gottlieb das Geld hole, solle er selbst ein gut Teil davon erhalten. Der starke Knecht machte sich sofort auf den Weg.
Bald war er droben auf dem Berggipfel und wunderte sich.
"Hm, hm!", machte er. "Immer haben sie drunten gesagt, hier oben stände ein altes, verfallenes Schloss, und nun sehe ich ein nagelneues, schönes Haus. Da gibt es ganz sicher Geld genug." Er kam an die Eingangspforte des prächtigen Gebäudes, und da kein Klingelzug daran war, klopfte er an die Türe. Aber die blieb, gleich jener der Mühle, fest verschlossen.
"Dumm!", brummte Gottlieb, "da muss ich schon wieder der Schlosser sein und meinen Dietrich gebrauchen." Er trat daher ein wenig gegen die Pforte, doch schütterte davon das ganze Torgewände und die Tür sprang mit Donnerkrachen auf. Aber als Gottlieb in den inneren Raum trat, umschwebte ihn gleich eine Schar von Geistern, an deren Spitze der gräuliche Riese stand, dem Gottlieb in der Mühle den Mühlstein an den Kopf geworfen hatte.
"Aha! Ein alter Bekannter!", rief Gottlieb. "Bist du vielleicht der Herr von Zahlenicht, der anderen Leuten ihr Geld aufhebt? Dann heraus damit!"
"Menschenwurm!", brüllte der Riese und schnitt ein entsetzliches Gesicht. "Was wagst du zu sagen? Hab acht, wie ich mit dir umspringen werde, du Knirps!"
"Holla, hol. Da werd' ich auch dabei sein!" rief Gottlieb, riss einen Türflügel ab und warf ihn dem Riesen an die Stirn, wo man noch die Schramme vom Mühlstein sah. Dann schickte er den zweiten Flügel nach - und da machte sich der Riese eilends aus dem Staub und warf mit einem Sack voll Geld nach Gottlieb, der den Sack sogleich aufraffte und sich davonmachte.
Obwohl sich sein Herr über den Sack voll Geld, den ihm Gottlieb brachte, sehr freute, wünschte er doch seinen starken Knecht heimlich ins Pfefferland, denn es graute ihm furchtbar vor der unvermeidlichen Ohrfeige. Er vereinbarte daher mit seinem Schäfer, dass dieser gegen ein gutes Stück Geld die bewusste Ohrfeige in Empfang nehmen sollte. Sogleich rief der Gutsbesitzer seine Knechte zusammen, ohne den Gottlieb, und sagte ihnen, er werde sie morgen in den Wald schicken, Holz zu holen. Doch sollten sie zeitig heimkehren, denn wer zuletzt komme, der komme vom Dienste. Er werde es aber nicht ungern sehen, wenn Gottlieb der letzte sei. Den Knechten war das gerade recht. Alle eilten am nächsten Morgen frühzeitig nach dem Holze und niemand weckte Gottlieb. Und als dieser endlich noch ziemlich schlaftrunken erschien und sich die Augen rieb, schrie ihn sein Herr an: "Ei, du fauler Geselle! Alles ist schon zu Holz, und wer zuletzt nach Hause kommt, den jage ich vom Dienste.“
„Ach“, rief Gottlieb und streckte die Arme hoch in die Höhe, dehnte sich und sagte gähnend: "Das ist mir etwas ganz Neues. Nun, dann auf!“ Dann nahm er sein Beil und ging dem Walde zu.
Da kamen ihm seine Mitgesellen schon von der Arbeit entgegen. Schnell ging er nach einem neuen großen Teiche, über dessen Abfluss auf einem Stege der einzige Weg vom Walde nach dem Gute führte, riss die Schleusen auf, dass die volle Flut sich in den breiten Abflusskanal ergoss, trat mit dem Fuß den Steg in Stücke und ließ die Balken vom Wasser fortfluten. Dann ging er seinen Mitknechten, die ihn tüchtig auslachten und froh waren, ihn heute noch aus dem Dienste gejagt zu sehen, gemächlich entgegen. Er aber rief: "Eilet nicht zu sehr, wartet ein wenig, ich komme bald wieder!", und ging nach dem Walde.
Jene aber kamen bald an die rauschend vorbeischießende Wasserflut ohne Steg und Brücke. Da es nun keine andere Brücke gab, mussten sie warten, bis Gottlieb wiederkam, der sein Tagwerk leicht und schnell im Verlauf einer kleinen Stunde vollbracht hatte. Er brachte einen Heubaum mit, den stemmte er in den Fluss wie einen Turnerspringstock und schwang sich an das andere Ufer hinüber. Dann warf er den Heubaum wieder über den Fluss und schrie seinen Kameraden zu: "Macht's wie ich !" Aber von diesen hatten an dem Heubaum zwei zu heben, und so mussten sie sitzen bleiben, bis der Teich all sein Wasser vorübergeschickt hatte, was länger als einen Tag dauerte.
Um den starken Gottlieb endlich los zu sein, machte ihm der Gutsbesitzer nun den Vorschlag, ihm seinen Lohn zu gewähren. Er sagte ihm, er habe einen Ersatzmann als Qhrfeigenempfänger, der solle die Zahlung erhalten und dann solle Gottlieb gehen, wohin er Lust habe, und bleiben, wo er wolle. - Gottlieb sagte: "Es kommt auf eine Probe an; ich habe ja auch proben müssen."
Jetzt stellte sich der Schäfer als Ersatzmann. Gottlieb sah ihn mit mitleidigem und spöttischem Blick an, indem er sagte: "Du? Wahrlich, du dauerst mich!" er nahm ihn, hob ihn leicht wie einen Nussknacker in die Höhe und schlug ihm eine so derbe Ohrfeige ins Gesicht, dass der Schäfer in die Luft flog wie der Spielball eines Knaben, aber gar nicht wieder herunterkam. Als der Gutsherr und seine Frau die gewaltige Wirkung der Ohrfeige sahen, bekreuzten und segneten sie sich und waren froh, dass nicht der Gutsherr diese Ohrfeige bekommen hatte. Sie sagten nun zu ihm: "So, Gottlieb, jetzt kannst du gehen."
"Was?", sagte Gottlieb spöttisch. "Gehen? Nein - das fällt mir gar nicht ein - kann es auch nicht. Er war ja nicht der Rechte; mit Euch, gnädiger Herr, hab' ich gedingt. Ihr habt gesagt, ich solle gehen, wohin ich Lust habe, und bleiben, wo ich wolle. Habt Ihr nicht so gesagt?"
"Ja, allerdings, ich sagte so", antwortete verdrießlich der Gutsherr. "Was willst du denn noch weiter von mir?"
"Nun", versetzte Gottlieb, "so gehe ich eben in mein Bett und bleibe hier auf dem Gute, solange es mir gefällt."
Da wurde der Gutsherr sehr böse und rief: "So bleibe denn in des Kuckucks Namen, du Schlingel! So gehe ich! Mit dir will ich nicht ferner zusammenleben und mich schließlich der großen Gefahr aussetzen, wie der arme Schäfer als Luftballon oder als Sternschnuppe am Himmel herumzufahren. So nimm denn alles und fahre du selbst zur Hölle!"
Hierauf eilten der Gutsherr und seine Ehehälfte, außer sich vor Wut und Ärger, davon. Gottlieb aber nahm die Knechte und Mägde in seinen Dienst, ließ seine alte Mutter in das Schloss ziehen und gab ihr ein goldenes Bett und seidene Kissen und Bettdecken und alle Tage den besten Wein zu trinken und alles Gute zu essen, dass sie wie eine geborene Gräfin herrlich und in Freuden leben konnte.
Ein Jahr danach, es war just Heuerntezeit und die Knechte und Mägde waren auf der Wiese mit Heumachen beschäftigt, kam etwas aus der Luft heruntergefallen, das war der Schäfer. Der hatte so lange herumgezwirbelt und war über alle Wasser und Weltteile weggeflogen. Er lebte noch und blieb auch am Leben, denn er fiel auf einen großen Heuhaufen. Das war sehr gut für ihn, sonst hätte das alte Lied auf ihn gepasst, welches anhebt: Kuckuck hat sich totgefallen.

Die Wiesenjungfrau

Auf einer grünen Wiese bei Auerbach, eine Meile von Lorsch, hütete ein Hirtenbube seines Vaters Kühe, stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf einmal auf seiner Wange einen sanften Streich von einer weichen Hand. Wie er sich erschrocken umdrehte, stand eine wunderschöne Jungfrau vor ihm da, schlohschleierweiß, und tat den Mund auf, ihn anzureden. Aber der Bube tat vor Schreck einen Schrei, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon, nach Auerbach.
Nach einiger Zeit hütete der Bube abermals auf jener Wiese und stand träumend in der heißen Mittagsstunde am Waldesrand. Da raschelte es am sonnigen Raine, als schlüpfe eine Eidechse ins Dorngebüsch. Der Knabe blickte hin, da sah er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine blaue Blume und sprach: "Guter! Erlöse mich! Erlöse mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten Schloss Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume, nimm die Blume!" Aber dem Buben wurde es ganz unheimlich und graulich, er hatte all sein Lebtag noch keine Schlange sprechen hören. Und er lief von dann, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein wäre.
Als der Spätherbst kam, hütete derselbe Bube zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend ansprach: "Erlöse mich! Erlös mich! Ich will dich reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur du allein. Ich bin verwünscht, so lange zu harren und zu wandeln, und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese Wiese fallen lässt, ein Kirschbaum groß und stark emporgewachsen ist, und der Baum abgehauen und aus ihm eine Wiege gemacht wird. Nur das erste Kind, das in solcher Wiege geschaukelt wird, kann mich dadurch erlösen, dass es mit der blauen Blume, die ich hier halte, hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen Schätze hebt. Du aber bist das Kind, das in solcher Wiege gewiegt worden ist."
Als der Bube diese Rede hörte, zitterte er und es lief ihm eiskalt über den Nacken, denn er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz hat, ist er ein Tropf. Er bekreuzte und segnete sich und schüttelte mit dem Kopfe.
"Wehe mir! Wehe!", rief da die Jungfrau. "So muss ich wieder hundert Jahre harren und wandeln, wehe dir, dass du kein Herz hast, so sollst du auch keins finden!" Darauf tat sie einen lauten Schmerzensschrei und verschwand.
Der Bube aber ging von diesem Tag an still und bleich umher. An nichts in der Welt hatte er eine Freude mehr, immer musste er an die Jungfrau und ihr trauriges Gesicht denken und langsam siechte er dahin.

Der Hase und der Fuchs

Zur Winterszeit, es grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Laus noch Maus, reisten ein Hase und ein Fuchs miteinander. "Das ist ein hungriges Wetter", sprach der Fuchs zum Hasen, "mir schnurren alle Gedärme zusammen."
"Jawohl", antwortete der Hase. "Es ist überall Dürrhof, und ich möchte meine eigenen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte."
So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korbe kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. "Weißt du was!" sprach der Fuchs, "lege dich der Länge nach hin und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste."
Der Hase tat nach des Fuchses Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein. Gleich war der Hase lebendig und folgte eilig seinem Begleiter. Dieser aber stand nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, dass er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: "Wie wäre es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrot wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert."
Das leuchtete dem Fuchs ein. Er ging hin an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: "Warte nur, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!", und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach wie ein böser Hund an der Kette.

Die beiden kugelrunden Müller

Es war einmal ein Müller, der war schon an und für sich sehr stark und dick, er wollte aber auch fest sein gegen Hieb und Stich, gegen Bolz und Pfeil und steckte sich darum in eine wunderliche Kleidung. Zuvörderst ließ er sich ein Wams machen, das fütterte er mit Kalk und Sand und ließ, um alles zu verbinden, geschmolzenes Pech hineinfließen; hinten machte er ein Futter von Korbgeflecht und vorn versah er es mit einem alten Reibeisen und eisernen Hafendeckeln. Das Wams wurde schwerer als der schwerste Brust- und Rückenharnisch, den jemals ein streithafter Ritter trug. Darüber zog dieser Müller nun drei Hemden. Unter das Wams legte er einen wirklichen Panzer an, über die Hemden aber auch einen Panzer und darüber zog er neun lodene Röcke, wie sie die Wollenweber im Schwabenland noch heute fertigen. Hatte nun der Müller dieses stattliche Kleiderbollwerk angetan - wobei er die Beine mit mehr als vier alten, übereinander gezogenen Lederhosen verwahrte -, so war er ein so stattliches, kugelrundes Kerlchen, dass er ebenso breit war als hoch, wie eine rechte Kugel sein muss. Er konnte sich auch kaum rühren und regen und es musste deshalb seine Freundschaft mit ihm gehen, ihn führen und geleiten. Da er nun alljährlich zu Sankt Oswalds Kirchtag ging und sich auch sehen lassen wollte vor den Leuten, so fuhr er in seiner Rüstung auf einem Karren einher und war gewappnet, wie es die Leute noch nie gesehen hatten. Er hatte zwei Spieße und eine Armbrust, an seiner Seite hing ein Schwert so groß wie ein Mann, ein Zweihander, und neben ihm lag noch ein Bogen nebst einem Pfeilköcher. Den Wagen zogen vier starke Ochsen und hinterdrein gingen alle Bauern seines Ortes mit ihren Weibern und Kindern, die sich, wenn sich ein Feind zeigte, hinter ihres Müllers Karren steckten, wie hinter eine Feste und Schirmhut.
Wenn nun der kugelrunde Müller mit seinem Karren und seinen vier Ochsen an einen gewissen Berg kam, über den der Weg führte, so harrten seiner dort ein paar Neffen mit Weibern und Kindern, die den Wagen die Höhe hinaufschieben halfen, während vorn noch sechs Ochsen als Vorspann zogen. Und so brachten sie ihn denn endlich hinauf mit Ach und Krach und Vergießen vieler Schweißtropfen. Ging es nun auf der anderen Seite des Berges wieder abwärts, so musste gehemmt werden so viel als nur möglich, dass es nicht mit dem Kugelrunden kopfüber, kopfunter ging. Wenn seine Sippschaft ihn nun endlich am Ziele hatte, so wurde er mit Leitern und Hebebäumen vom Wagen herabgeschrotet wie ein großes Weinfass, und dann scharten sie sich um ihn her, zumeist hinter ihm, wie die Philister hinter ihrem Goliath.
Dabei war der runde Mehlsack von großer Stärke und Unerschrockenheit und es ging von ihm die Rede, dass er einst in einem Schimpfspiel, in dem ein Kämpfer einen Apfel, der andere eine Birne an der Spitze seiner Klinge führte und sich ein großer Lärm erhob, dermaßen in den Haufen mitten hineinschlug wie ein Hagelschauer in das Getreide, wodurch er manchen Bauern viel Leids gebracht hatte.
Aber da war ein Gegner aufgetreten, stark und kräftig, der führte einen Hauptstreich nach dem Müller, so dass seine Blechhaube gleich zu Boden fiel. Alle, die das sahen, meinten, der Kopf wäre mit vom Rumpfe geflogen; der kugelrunde Kämpe hatte aber, wie sein Gegner ausholte, seinen Kopf aus der Haube schnell heraus unter die hohe Halsberge gezogen, und jetzt tat er einen Streich nach dem Gegner und schnitt ihm so tief in den Hals, wie die Sense des Mähers in das Gras. Da fürchteten sich alle vor dem gewaltigen Manne.
Nun aber war ein anderer Müller in der Nachbarschaft, der ebenso stark und groß und ebenso kugelrund war, und auch ein so wohl ausgefüttertes und geblechtes Wams trug. Keiner mochte den anderen leiden, weil keiner dem anderen nachstand. Sie hassten und bekriegten einander schon zehn Jahre.
Auf jedem Kirchweihtag, wo sie hinkamen, gerieten sie an· einander und fochten gegeneinander mit Worten und Waffen. Keiner konnte aber dem anderen etwas anhaben, denn sie waren beide gar gefürchtete Kampfhelden.
Der eine Müller hatte einen Sohn, der andere eine Tochter, welche einander so sehr liebten, als die Väter einander hassten. Darüber wurde der Zwiespalt noch größer, bis endlich gute und einsichtsvolle Freunde sich ins Mittel legten und beiden Vätern rieten, doch von jetzt an lieber zusammenzuhalten, gute Freunde zu werden und ihre Kinder miteinander zu verheiraten.
Wie das Gerücht von dem Bündnis der beiden Müller ins Land erscholl und dass sie sogar ihre Kinder miteinander verheiraten wollten, erhob sich große Unruhe und Besorgnis, denn jedermann konnte sich nun an den Fingern abzählen, dass die beiden Kugelrunden sein würden wie zwei Mühlsteine, zwischen denen alles, was ihnen zu nahe käme, aufgerieben werden würde. Und wer jetzt dem einen Müller zu nahe träte, der hätte es gleich mit beiden zu tun. Kein Fürst konnte beide Wämser überwinden, denn die beiden jetzt befreundeten kugelrunden Müller glichen runden Burgen, waren nicht auszuhungern durch eine Belagerung, weil sie auch in ihren gar geräumigen Wämsern manche Metze von nahrhaften Dingen gefasst hatten, von der sie lange Zeit zehren konnten.
Da aber nun die bei den unüberwindlichen Helden also mannhaft waren, dass selbst der Kaiser große Mühe gehabt haben würde, sie zu überwältigen, musste man nur froh sein, dass sie ihre große Macht gegen die Feinde des Reiches kehrten. Sie begehrten gar keinen Sold und Lohn, sondern nur die Ehre, fechten und streiten zu dürfen. Es war nur ihre einzige Klage, dass so mancher Tag verging, an dem sie keines Gegners ansichtig wurden, weil ihr Ruf so weit und breit bekannt war, so dass sich alles vor ihnen fürchtete.
Viele tapfere Taten vollführten die beiden kugelrunden Müller, seit sie miteinander verbunden waren, und wenn man diese Taten und die Abenteuer, welche durch sie bestanden wurden, niedergeschrieben hätte, so wäre das ein Buch geworden zweimal so stark wie die große Weltchronik und man hätte es sein Lebtag nicht auslesen können. Auch haben sie mehr Wundertaten vollbracht als alle die Recken, von denen die alten Lieder und Geschichten sagen. Endlich schlugen sie ihre Wohnung in einer Wüste hinten an der Welt Ende auf, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Das Unentbehrlichste

Vor Zeiten hat einmal ein König gelebt, der besaß drei gute und schöne Töchter, die er sehr liebte und von denen er auch herzlich wieder geliebt wurde. Prinzen hatte er nicht, aber es war in seinem Reiche Gesetz, dass die Thronfolge auch auf Frauen und Töchter überging. Nun war des Königs Gemahlin nicht mehr am Leben und ihm stand frei, eine seiner drei Prinzessinnen zu seiner Nachfolgerin auf dem Throne zu bestimmen, es brauchte nach altem Herkommen auch nicht gerade die älteste zu sein.
Nun aber liebte der König seine Töchter alle drei gleich und ihm fiel die Entscheidung schwer. Er beschloss daher, alle drei einer gewissen Prüfung zu unterwerfen und dann diejenige als zukünftige Königin zu wählen, welche den meisten Scharfsinn offenbare. Indem er diesen Entschluss seinen drei Töchtern mitteilte und sein nahe bevorstehendes Namensfest als den Entscheidungstag bestimmte, schloss er mit den Worten: "Nur diejenige soll würdig sein, meine Nachfolgerin zu werden, welche mir das Unentbehrlichste bringen wird."
Jede der Prinzessinnen sann nun darüber nach, was wohl das Unentbehrlichste sei? Als der Namenstag da war, nahte zuerst die älteste, brachte ein feines, purpurnes Gewand getragen und sprach: "Gott der Herr lässt den Menschen unbekleidet in die Welt treten, aber er hat ihm das Paradies verschlossen, in dem allein er unbekleidet weilen konnte, darum ist ihm Gewand und Kleidung unentbehrlich."
Die zweite Tochter brachte einen goldenen, gefüllten Becher und dazu ein frisches Brot, das sie selbst gebacken hatte, und sprach: "Das Unentbehrlichste ist dem staubgeborenen Menschen Trank und Speise, denn ohne diese vermag er nicht zu leben. Darum schuf Gott Früchte des Feldes, Obst und Beeren und Weintrauben und lehrte die Menschen Brot und Wein zubereiten, die heiligen Sinnbilder seiner Liebe."
Die jüngste Tochter brachte auf einem hölzernen Tellerchen ein Häufchen Salz dar und sprach: "Als das Unentbehrlichste, mein Vater, erachte ich als das Salz und das Holz. Darum haben schon alte Völker den Bäumen göttliche Ehre erwiesen und das Salz heilig gehalten.“
Der König war über diese Gaben sehr erstaunt und nachdenklich sprach er: „Am unentbehrlichsten ist dem König der Purpur. Hat er den, so hat er alles übrige, geht er seiner verlustig, so ist er König gewesen und ist gemein gleich anderen Menschenkindern. Darum, dass du das erkannt hast, meine älteste, geliebte Tochter, soll dich nach mir der königliche Purpur schmücken. Komm an mein Herz, empfange meinen Dank und meinen Segen!"
Als der König nun seine älteste Tochter geküsst und gesegnet hatte, sprach er zu der zweitältesten: "Essen und Trinken ist nicht allerwege notwendig, mein gutes Kind, und es zieht uns allzu sehr in das Gemeine herab. Gefällst du dir darin, so kann ich es nicht hindern, wie ich dir auch nicht danken kann für deine übel gewählte Gabe, doch für den guten Willen sollst du gesegnet sein!" Und der König segnete seine Tochter, aber er küsste sie nicht.
Dann wandte er sich der dritten Prinzessin zu, die bleich und zitternd stand und nach dem, was sie gesehen und gehört hatte, ahnte, was kommen werde. "Du hast wohl Salz auf deinem hölzernen Teller, meine Tochter", sprach der König", aber im Kopfe hast du keins, lebst aber doch, und folglich ist das Salz nicht unentbehrlich. Salz braucht man nicht. Du zeigst mir Bauernsinn mit deinem Salze an, nicht Königssinn, und am steifen hölzernen Wesen habe ich kein Wohlgefallen. Darum kann ich dir nicht danken und dich nicht segnen. Geh von mir, soweit dich deine Füße tragen; geh’ zu den dummen und rohen Völkern, welche anstatt des lebendigen Gottes alte Holzklötze und Baumstöcke anbeten und das verächtliche Salz für heilig halten."
Da wandte sich die jüngste Königstochter weinend ab von dem harten Vater und ging hinweg vom Hof und aus der Königsstadt, weit, weit hinweg, soweit sie die Füße trugen. In einem Gasthaus bot sie sich der Wirtin an, ihr zu dienen, und die Wirtin war gerührt von ihrer Demut, Unschuld, Jugend und Schönheit und nahm sie als eine Magd in das Haus. Als die Königstochter sich sehr anstellig erwies in allen häuslichen Geschäften, sagte die Wirtin: "Es ist schade um das Mädchen, wenn es nichts Ordentliches lernt; ich will es das Kochen lehren." Da lernte die Königstochter das Kochen und begriff es sehr leicht und kochte bald manches Gericht noch besser und noch schmackhafter als ihre Lehrmeisterin selbst. Darob bekam das Wirtshaus vielen Zuspruch, bloß weil darin so vortrefflich gekocht wurde. Der Ruf der guten Köchin, die noch dazu so jung, liebenswürdig und schön sei, ging sehr bald durch das ganze Land, und wo man nur ein reiches Prunkmahl herzurichten hatte, wurde die berühmte Köchin zu Rate gezogen.
Nun trug sich's zu, dass die älteste Prinzessin sich vermählte und eine königliche Hochzeit ausgerichtet werden sollte. Da beschloss man, die weitberühmte Köchin an den Hof zu berufen, dass sie mit ihrer Kunst die kostbarsten Gerichte zubereite und damit dem Feste die Krone aufsetze.
Das Hochzeitsmahl war köstlich bereitet, auch fehlte dabei nicht das Lieblingsgericht des Königs, welches der Erbtruchsess ganz besonders bestellt hatte. Als daher die Mahlzeit gehalten ward, wurde jede Speise, die auf den Tisch kam, hoch belobt. Endlich kam auch die Leibspeise des Königs und ward ihm zuerst dargeboten. Aber als er sie kostete, fand er sie völlig unschmackhaft, seine heiteren Mienen verfinsterten sich und er sprach zu dem hinter seinem goldenen Armstuhl stehenden ersten Kämmerling: "Dieses Gericht ist ganz verdorben! Das ist abscheulich. Lasse die Schüssel nicht weitergeben und rufe mir die Köchin herein!"
Die Köchin trat in den prachtvollen Saal und der König redete sie unwillig an: "Du hast mir mein Lieblingsgericht verdorben! Meine Freude ist nun gründlich gestört, weil du meine Leibspeise nicht einmal gesalzen hast!" Da fiel die Köchin dem König zu Füßen und sprach demütig: "Gnade, Majestät! Verzeihet mir! Wie hätt' ich wagen dürfen, Euch Salz unter die Speise zu mischen? Hab' ich doch vordem aus eines hohen Königs höchsteigenem Munde die Worte vernommen: Salz braucht man nicht, Salz ist nicht unentbehrlich, Salz zeigt nur Bauernsinn an, nicht Königssinn!"
In diesen Worten erkannte der König beschämt seine eigenen und in der Köchin seine verstoßene Tochter. Er hob sie vom Boden auf, darauf sie kniete, und zog sie an sein Herz. Allen Hochzeitsgästen aber erzählte er die Mär und ließ die jüngste Tochter wieder an seiner Seite sitzen. Die Hochzeit wurde nun erst recht fröhlich begangen und der König war wieder ganz glücklich in aller seiner Töchter Liebe. - Ja, das Salz ist doch nicht so unentbehrlich, sondern eine gar nützliche, ja heilige Gottesgabe

Ritter Blaubart

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut und lebte auf seinem Schlosse herrlich und in Freuden. Er hatte einen blauen Bart, weswegen man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß; aber sein wahrer Name ist verlorengegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet; allein man hatte gehört, dass alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne dass man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte Lust; denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes, schönes Schloss zu Gaste und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitvertreib und so viel Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, dass sich endlich die jüngere der Schwestern ein Herz fasste und sich entschloss, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.
Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: "Ich muss verreisen und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloss, über Haus und Hof mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern; in alle diese kannst du zu jeder Zeit eintreten. Aber dieser kleine, goldene Schlüssel schließt das letzte Kämmerchen am Ende der großen Zimmerreihe. In dieses, meine Teure, muss ich dir verbieten zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein Leben ist. Würdest du dieses Kämmerchen öffnen, so erwartet dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müsste dir dann mit eigener Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!" Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen, goldenen Schlüssel nicht nehmen; indes musste sie dies tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem Mann mit dem Versprechen, dass es ihr nie einfallen werde, jenes Kämmerchen aufzuschließen und es zu betreten.
Als der Ritter abgereist war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gern auf die Jagd gingen. Sie durchmusterten nun alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses, und so kamen die Schwestern auch endlich an das Kämmerchen. Die Frau war zwar selber von großer Neugier geplagt, wollte aber durchaus nicht öffnen; doch die Schwester lachte über ihre Bedenklichkeit und meinte, dass Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. So wurde denn der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloss gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Tür auf, und in dem halbdunklen Zimmer erblickten sie die blutigen Häupter aller früheren Frauen Ritter Blaubarts, die ebensowenig wie die jetzige dem Drang der Neugier hatten widerstehen können und die der böse Mann alle mit eigener Hand enthauptet hatte. Bleich vor Entsetzen wichen jetzt die Frau und ihre Schwester zurück. Vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen, und ebensowenig gelang es, die Tür wieder zuzumachen; denn das Schloss war bezaubert. In diesem Augenblicke verkündeten Hörner die Ankunft Berittener vor dem Tore der Burg.
Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd zurückerwartete; aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen. Als diese ihm nun bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, so fragte er nach dem Schlüssel. Den wollte sie holen, und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, so verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie: "Weib, du musst nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, du schlechte Magd, dass du meine einzige, geringe Bitte, meinen ernsten Befehl nicht beachtest hast? Bereite dich zum Tode! Es ist aus mit dir!"
Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester und bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen und diesen, sobald sie sie erblicke, ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf und zu Gott um ihr Leben flehte. Dazwischen rief sie: "Schwester, siehst du noch niemand?"
"Niemand!" klang die trostlose Antwort.
"Weib, komm herunter!", schrie Ritter Blaubart; "deine Frist ist um!"
"Schwester, siehst du niemand?", schrie die Zitternde.
"Eine Staubwolke - aber ach, es sind Schafe!", antwortete die Schwester.
"Weib, komm herunter, oder ich hole dich!", schrie Rittern Blaubart.
"Erbarme! Ich komme ja sogleich! Schwester, siehst du niemand?"
"Zwei Ritter kommen zu Ross daher; sie sahen mein Zeichen, sie reiten- wie der Wind!"
"Weib, jetzt hole ich dich!", donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertür ins Schloss und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hilfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Tür sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Mit den Waffen in der Hand sprangen sie ihm nach, und nach kurzem Gefecht sank Ritter Blaubart tot zu Boden. So war die Frau gerettet. Die Häupter ihrer unglücklichen Vorgängerinnen ließ sie ehrlich bestatten. Das Kämmerlein aber ward zugemauert, und kein Mensch hat es wieder betreten, solange das Schloss stand.

Der Mann im Monde

Vor uralten Zeiten ging einmal ein Mann am lieben Sonntagmorgen in den Wald, haute sich Holz ab, eine großmächtige Welle, band sie, steckte einen Staffelstock hinein, huckte die Welle auf und trug sie nach Hause zu.
Da begegnete ihm unterwegs ein hübscher Mann in Sonntagskleidern, der wollte wohl in die Kirche gehen, blieb stehen, redete den Wellenträger an und sagte: "Weißt du nicht, dass auf Erden Sonntag ist, an welchem Tage der liebe Gott ruhte, als er die Welt und alle Tiere und Menschen geschaffen? Weißt du nicht, dass geschrieben steht im dritten Gebot, du sollst den Feiertag heiligen?" Der Fragende aber war der liebe Gott selbst; jener Holzhauer jedoch war ganz verstockt und antwortete: " Sonntag auf Erden oder Montag im Himmel, was geht das mich an, und was geht es dich an?"
"So sollst du deine Reisigwelle tragen ewiglich!" sprach der liebe Gott, "und weil der Sonntag auf Erden dir so gar unwert ist, so sollst du fürder ewigen Montag haben und im Mond stehen, ein Warnungsbild für die, welche den Sonntag mit Arbeit schänden!"
Von der Zeit an steht im Monde immer noch der Mann mit dem Holzbündel und wird wohl auch so stehenbleiben bis in alle Ewigkeit.

Das Kätzchen und die Stricknadeln

An einem kalten Herbsttage ging eine arme Frau in den Wald, um Holz aufzulesen. Als sie mit ihrer Bürde auf dem Rückwege war, sah sie ein krankes Kätzchen hinter einem Zaun liegen, das kläglich schrie. Die arme Frau nahm es mitleidig in ihre Schürze und trug es nach Hause zu. Auf dem Wege kamen ihre beiden Kinder ihr entgegen, und wie sie sahen, dass die Mutter etwas trug, fragten sie: "Mutter, was trägst du?" und wollten gleich das Kätzchen haben; aber die mitleidige Frau gab den Kindern das Kätzchen nicht, aus Sorge, sie möchten es quälen, sondern sie legte es zu Hause auf alte weiche Kleider und gab ihm Milch zu trinken. Als das Kätzchen sich gelabt hatte und wieder gesund war, war es mit einem Male fort und verschwunden. Nach einiger Zeit ging die arme Frau wieder in den Wald, und als sie mit ihrer Bürde Holz auf dem Heimwege wieder an die Stelle kam, wo das kranke Kätzchen gelegen hatte, da stand eine ganz vornehme Dame dort, winkte die arme Frau zu sich und warf ihr fünf Stricknadeln in die Schürze. Die Frau wusste nicht recht, was sie denken sollte, und dünkte diese absonderliche Gabe ihr gar zu gering; doch nahm sie die fünf Stricknadeln des Abends auf den Tisch. Aber als die Frau des andern Morgens ihr Lager verließ. da lagen ein Paar neue, fertig gestrickte Strümpfe auf dem Tische. Das wunderte die arme Frau über alle Maßen; am nächsten Abend legte sie die Nadeln wieder auf den Tisch, und am Morgen darauf lagen neue Strümpfe da. Jetzt merkte sie, dass zum Lohn ihres Mitleids mit dem kranken Kätzchen ihr diese fleißigen Nadeln beschert waren, und ließ dieselben nun jede Nacht stricken. bis sie und die Kinder genug hatten. Dann verkaufte sie auch Strümpfe und hatte genug bis an ihr seliges Ende.

Der alte Zauberer

Es lebte einmal ein böser Zauberer, der hatte vorlängst zwei zarte Kinder geraubt, einen Knaben und ein Mägdelein, mit denen er in einer Höhle ganz einsam und einsiedlerisch hauste. Seine schlimme Kunst übte er aus einem Zauberbuche, das er als seinen besten Schatz verwahrte.
Wenn es nun aber geschah, dass der alte Zauberer sich aus seiner Höhle entfernte und die Kinder allein in derselben zurückblieben, so las der Knabe, welcher den Ort erspäht hatte, wohin der Alte das Zauberbuch verbarg, in dem Buche, und er lernte daraus gar manchen Spruch und Formel der Schwarzkunst und lernte ganz vortrefflich zaubern. Weil nun der Alte die Kinder nur selten aus der Höhle ließ und sie gefangen halten wollte bis zu dem Tage, wo sie sterben sollten, so sehnten sie sich um so mehr von dannen, berieten miteinander, wie sie heimlich entfliehen wollten, und eines Tages, als der Zauberer die Höhle sehr zeitig verlassen hatte, sagte der Knabe zur Schwester: "Jetzt ist es Zeit, Schwesterlein! Der böse Mann, der uns so hart gefangen hält, ist fort, so wollen wir uns jetzt aufmachen und von dannen gehen, so weit uns unsere Füße tragen!" Dies taten die Kinder, gingen fort und wanderten den ganzen Tag.
Als es nun gegen den Nachmittag kam, war der Zauberer nach Hause zurückgekehrt und hatte sogleich die Kinder vermisst. Alsobald schlug er sein Zauberbuch auf und las darin, nach welcher Gegend die Kinder gegangen waren, und bald hatte er sie fast eingeholt; die Kinder vernahmen schon seine zornig brüllende Stimme, und die Schwester war voller Angst und Entsetzen und rief: "Bruder, Bruder! Nun sind wir verloren; der böse Mann ist schon ganz nahe!" Da wandte der Knabe seine Zauberkunst an, die er gelernt hatte aus dem Buche; er sprach einen Spruch, und alsbald wurde die Schwester zu einem Fisch und er selbst wurde ein großer Teich, in welchem das Fischlein munter umher schwamm.
Wie der Alte an den Teich kam, merkte er wohl, dass er betrogen war, brummte ärgerlich: ,,Wartet nur, wartet nur, euch fange ich doch!", und lief spornstreichs nach seiner Höhle zurück, Netze zu holen und den Fisch darin zu fangen. Wie er aber von hinnen war, wurden aus dem Teich und Fisch wieder Bruder und Schwester, die bargen sich gut und schliefen aus, und am andern Morgen wanderten sie weiter und wanderten wieder einen ganzen Tag.
Als der böse Zauberer mit seinen Netzen an die Stelle kam, die er sich wohl gemerkt hatte, war kein Teich mehr zu sehen, sondern es lag eine grüne Wiese da, in der es wohl Frösche, aber keine Fische zu fangen gab. Da wurde er noch zorniger als zuvor, warf seine Netze hin und verfolgte weiter die Spur der Kinder, die ihm nicht entging, denn er trug eine Zaubergerte in der Hand, welche ihm den richtigen Weg zeigte.
Und als es Abend war, hatte er die wandernden Kinder beinahe wieder eingeholt; sie hörten ihn schon schnauben und brüllen, und die Schwester rief wieder: "Lieber Bruder! Jetzt sind wir verloren, der böse Feind ist dicht hinter uns!"
Da sprach der Knabe wiederum einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, und da ward aus ihm eine Kapelle am Wege und aus dem Mägdelein ein wunderschönes Altarbild in der Kapelle.
Wie nun der Zauberer an die Kapelle kam, merkte er wohl, dass er abermals geäfft war, und lief fürchterlich brüllend um dieselbe herum; er durfte sie aber nicht betreten, weil das immer im Pakt der Zauberer mit dem Bösen stand, dass sie niemals eine Kirche oder Kapelle betreten durften.
"Darf ich dich auch nicht betreten, so will ich dich doch mit Feuer anstoßen und auch zu Asche brennen!", schrie der Zauberer, rannte fort, sich aus seiner Höhle Feuer zu holen.
Während er nun fast die ganze Nacht hindurch rannte, wurden aus der Kapelle und dem schönen Altarbilde wieder Bruder und Schwester; sie bargen sich und schliefen, und am dritten Morgen wanderten sie weiter und wanderten den ganzen Tag, während der Zauberer, der einen weiten Weg hatte, ihnen aufs neue nachsetzte. Als er mit seinem Feuer dahin kam, wo die Kapelle gestanden, stieß er mit der Nase an einen großen Steinfelsen, der sich nicht mit Feuer anstoßen und zu Asche verbrennen ließ, und dann rannte er mit wütenden Sprüngen auf der Spur der Kinder weiter fort.
Gegen Abend war er ihnen nun ganz nahe, und zum dritten Male zagte die Schwester und gab sich verloren; aber der Knabe sprach wieder einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, da ward er eine harte Tenne, darauf die Leute dreschen, und sein Schwesterlein war in ein Körnlein verwandelt, das wie verloren auf der Tenne lag.
Als der böse Zauberer herankam, sah er wohl, dass er zum dritten Male geäfft war, besann sich diesmal aber nicht lange, lief auch nicht erst wieder nach Hause, sondern sprach auch einen Spruch, den er aus dem Zauberbuche gelernt hatte. Da ward er in einen schwarzen Hahn verwandelt, der schnell auf das Gerstenkorn zulief, um es aufzupicken; aber der Knabe sprach noch einmal einen Zauberspruch, den er aus dem Buche gelernt, da wurde er schnell ein Fuchs, packte den schwarzen Hahn, ehe er noch das Gerstenkorn aufgepickt hatte, und biss ihm den Kopf ab. Da hatte der Zauberer wie dies Märlein gleich ein Ende

Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte

Es war einmal ein Knabe, der hatte vieles gehört von der Hexenkunst und wollte sie auch gern lernen. Wen er aber darum fragte, der sagte, dass er solche Kunst nicht kenne und nicht verstehe und auch nichts von ihr wissen wolle. Da ging der Knabe ganz allein in einen dunklen Wald und rief mehr denn einmal recht laut: "Wer lehrt mich das Hexen?" Und da schallte es wie antwortend an mehreren Stellen des tiefen Waldes; "Hexen! Hexen!" –
Nach einer Weile kam durch das Gebüsch ein uraltes Weiblein gekrochen, das keinen Zahn mehr im Mund und schrecklich rote Augen hatte. Ihr Rücken war gekrümmt, ihr Haar war weiß und hing ihr wild um den Kopf herum und wehte im Winde. Ihre Stimme klang wie die Stimme des Vogels Kreideweiß, wenn er ruft: "Komm mit!", und gerade so rief auch das alte Weib dem Knaben zu und winkte ihm, er möge folgen: sie wolle ihn das Hexen lehren.
Der Knabe folgte der alten Frau und sie führte ihn immer tiefer in den Wald hinein und zuletzt auf ein sumpfiges Erlenmoor, darauf eine graue, unscheinbare, halbverfallene Waldhütte stand. Die Wände waren von Torfziegeln aufgeführt und mit Moos austapeziert, das Dach war mit Schilf gedeckt. In der Waldhütte war niemand als ein junges hübsches Mädchen, welches Lieschen hieß; die Alte sagte aber nicht, ob es ihre Tochter oder wer sie sonst sei. Außerdem waren nur noch drei große Kröten da, und über dem niederen Herde hing ein Kessel, darinnen eine Brühe kochte, wie Gänseschwarz, Hasenpfeffer oder sonstiges Schwarzsauer mit Fleischknöchlein darin. Die Alte setzte eine Kröte vor die Türschwelle, dass sie Wache halte, die zweite Kröte schickte sie auf den Boden, dass sie dem Knaben eine Lagerstatt bereite, und die dritte Kröte stellte sie auf den Tisch, dass sie leuchte. Diese Kröte tat ihr Bestes im Leuchten; doch wie auch ihre Äuglein im grünlichen Schimmer flammten, so brachte sie es doch kaum dahin, so hell zu leuchten wie ein Glühwurm.
Nun aßen die Alte und das Lieschen aus dem Kessel ihre Abendmahlzeit. Der Knabe sollte auch essen, aber es graute ihm vor der Speise. Als er klagte, dass er sehr müde sei, wurde er auf sein Strohlager gewiesen, wo er bald mit dem Gedanken einschlief, am anderen Morgen werde nun seine Lehrzeit in der Hexenkunst angehen, und dass es sehr hübsch sein werde, wenn das kleine Lieschen ihm darin Unterricht geben wolle. Die alte Hexe aber zischelte dem Mädchen zu: "Wieder einen gefangen! Ein hübscher Braten! Morgen wecke mich recht früh, ehe die Sonne aufgeht, da wollen wir ihn schlachten."
Jetzt gingen die beiden auch schlafen, aber Lieschen fand keinen Schlaf; es dauerte sie gar zu sehr, dass der schöne Knabe sterben sollte. Sie stand von ihrem Lager auf, trat an das seine und sah, wie schön rot seine Wängelein waren und wie blond sein gelocktes Haar, und dass seine Augen blau waren wie Vergissmeinnicht. Es graute ihr vor ihr selbst, dass sie gezwungen war, der alten bösen Hexe zu dienen; denn diese hatte sie schon vor langer Zeit, als sie noch ein ganz kleines Kind war, ihren Eltern geraubt und in den tiefen Wald geschleppt. Dort hatte sie das Hexenwerk gelernt: wie man pfeilschnell durch die Luft eilt, wie man sich unsichtbar macht, wie man sich in andere Gestalten verwandelt.
Als sich nun Lieschens Herz in voller Zuneigung dem Knaben zuwendete, beschloss das Mädchen, ihn womöglich zu erretten. Sie weckte ihn daher ganz leise und flüsterte ihm zu: "Lieber Knabe, erhebe dich und folge mir! Hier wartet deiner nur der Tod."
"Soll ich denn hier nicht das Hexen lernen?", fragte der Knabe, welcher Friedel hieß.
"Besser ist dir, wenn du es nimmermehr lernst; außerdem hast du noch Zeit genug dazu", antwortete Lieschen; "jetzt säume nicht - fliehe, und ich will mit dir fliehen."
"Mit dir gehe ich gern, liebes Mädchen", sprach der Knabe, "denn bei der hässlichen Alten mit ihren garstigen Kröten möchte ich nicht bleiben."
"So komm denn!“, sprach Lieschen. Sie öffnete leise das Häuschen und sah nach, ob die Alte wach sei; die schlief aber noch, denn es war noch Nacht.
Jetzt trat Lieschen mit Friedel aus dem Häuschen. Das Mädchen spuckte auf die Schwelle, worauf sie beide rasch von dannen eilten. Durch das Öffnen und Wiederschließen der Tür war aber doch ein leichtes Geräusch entstanden, und weil alte Leute sehr leise schlafen, so erwachte die Hexe und rief: "Lieschen! Stehe auf! Ich glaube, es wird bald Tag!" Da rief der Speichel auf der Schwelle vermittels eines Hexenzaubers, den Lieschen verübt: "Ich bin schon auf! Ruhe nur noch, bis ich das Hüttchen gekehrt und Laub und Holz zum Feuer zusammengelesen habe." Nun blieb die Alte noch ein Weilchen liegen, während die Fliehenden unaufhaltsam von dannen eilten; sie konnte aber nicht wieder einschlafen und rief abermals
: „Lieschen, brennt das Feuer?"
Da antwortete abermals der Speichel auf der Schwelle: "Es brennt noch nicht, das Laub ist feucht, das Holz raucht; ruhe noch ein Weilchen, bis ich das Feuer angeblasen habe." –
Die Alte ruhte noch eine kurze Zeit, während die Fliehenden immer mehr sich von der Hütte entfernten.
Unterdes ging die Sonne auf, da fuhr die Alte, die ein wenig eingenickt war, mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett und schrie: "Satanskind! Die Sonne geht auf, und du hast mich nicht geweckt! Wo steckst du?" –
Auf diese Frage bekam die Alte keine Antwort, denn die Sonne hatte den Speichel auf der Schwelle getrocknet - und nun fuhr die Hexe im Hause herum, wie ein Wirbelwind, aber beide Kinder waren fort. Die Alte war wütend. Sie ergriff einen Besenstiel, schlug mit ihm an die Tür, da ward das Häuschen unsichtbar; sie trat auf einen Bovist, da wallte eine Wolke empor; sie setzte sich auf ihren Besenstil und fuhr als Wolke in die Luft. Da sah sie, nach welcher Richtung die Kinder flohen, und mit Windeseile flog sie als Wolke ihnen nach.
Lieschen aber sah sich auf der Flucht beständig um - sie kannte ja die Künste der alten Hexe gut und sprach: "Siehst du dort am Himmel die Wolke? Das ist die Hexe, wir können jetzt nicht weiter fliehen, sie wird uns bald einholen. Jetzt lasse mich meine Kunst brauchen. Ich will ein Dornstrauch werden und dich als eine Schlehe tragen."
Plötzlich ward Lieschen ein Schlehendorn, der viele Früchte trug und an einem Raine stand, und die unterste Beere, das war Friedel.
Die Hexe bekam auf ihrer Luftfahrt großen Durst, und als sie den Schlehendornstrauch mit den vielen Früchten sah, sprach sie zu sich selbst: "Die Luft ist trocken und zehrt - ich muss mich herablassen und ein paar Schlehen essen."
Dies tat sie auch und pflückte eine Beere nach der anderen und sagte: "Sauer macht lustig." Jetzt waren die Beeren alle verzehrt bis auf die letzte, welche der Friedel war, und das wusste die schlimme Alte recht gut. Sie krallte mehrmals danach, aber der Dornbusch stach sie tüchtig in ihre langen, dürren Finger. Doch sie gab sich rechte Mühe, die in Dornen ganz versteckte letzte Schlehe zu erhaschen.
Da fiel die Schlehe ab und rollte den Rain hinab. Und da wurde plötzlich der Dornbusch zu einem Wasser und die Beere zu einem kleinen Enterich, alles durch Lieschens Zauberkunst, die sie von der Alten gelernt hatte. Da warf die Alte einen ihrer Pantoffel in die Luft, der wurde alsbald ein großer Raubvogel und stieß auf den Enterich. Dieser tauchte aber schnell unter, und sowie der Raubvogel mit seinem Schnabel das Wasser berührte, schlug dieses eine Welle, die ihn fasste und ersäufte, worauf der Enterich wieder auftauchte.
Wütend schleuderte die Alte ihren zweiten Pantoffel in das Wasser, der wurde ein Krokodil und schoss nach dem Enterich hin, ihn zu erschnappen. Da flog der Enterich in die Luft und ließ sich an einer anderen Stelle wieder in das Wasser nieder. Das Wasser aber, das. dem Krokodil in den Rachen drang, wurde zu Stein; da wurde das Krokodil so schwer, dass es untersank. Jetzt legte sich die alte Hexe platt an den Rand des Wassers, um dasselbe wegzutrinken, denn ohne das Wasser hatte der verzauberte Enterich keinen Boden mehr. Sowie er das Land berührte, musste er aber die vorige Gestalt wieder annehmen. Doch das Wasser, welches die Alte getrunken, verwandelte sich in ihrem Leib in Feuer. Da tat es einen gewaltigen Knall und die Hexe war zerplatzt. Der Enterich aber war wieder der schöne Knabe, das Feuer wurde zum Lieschen, und von nun an blieben sie beide miteinander treu verbunden.

Der kleine Däumling

Es war einmal ein armer Korbmacher, der hatte mit seiner Frau sieben Jungen, da war immer einer kleiner als der andere, und der jüngste war nicht viel über Fingerslänge, daher nannte man ihn Däumling. Zwar ist er später noch etwas gewachsen, doch nicht gar zu sehr, und den Namen Däumling hat er behalten. Doch war es ein gar kluger und pfiffiger Knirps, der an Gewandtheit und Schlauheit seine Brüder alle in den Sack steckte.
Den Eltern ging es erst gar übel; denn Korbmachen und Strohflechten ist keine so nahrhafte Profession wie Semmelbacken und Kälbersch1achten, und als vollends eine teure Zeit kam, wurde dem armen Korbmacher und seiner Frau himmelangst, wie sie ihre sieben Würmer sattmachen sollten, die alle mit äußerst gutem Appetit gesegnet waren. Da beratschlagten eines Abends, als die Kinder zu Bette waren, die beiden Eltern miteinander, was sie anfangen wollten, und wurden Rats, die Kinder mit in den Wald zu nehmen, wo die Weiden wachsen, aus denen man Körbe flicht, um sie heimlich zu verlassen. Das alles hörte der Däumling an, der nicht schlief wie seine Brüder, und schrieb sich der Eltern üblen Ratschlag hinter die Ohren, grübelte auch die ganze Nacht, da er vor Sorge doch kein Auge zutun konnte, wie er es machen sollte, sich und seinen Brüdern zu helfen.
Frühmorgens lief der Däumling an den Bach, suchte die kleinen Taschen voll weißer Kiesel und ging wieder heim. Seinen Brüdern sagte er von dem, was er erhorcht hatte, kein Sterbenswörtchen. Nun machten sich die Eltern auf in den Wald, hießen die Kinder folgen, und der Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg fallen; das sah niemand, weil er als der Jüngste, Kleinste und Schwächste stets hintennach ging. Das wussten die Eltern nicht anders.
Im Walde machten sich die Eltern unbemerkt von den Kindern fort, und auf einmal waren sie weg. Als das die Kinder merkten, erhoben sie allzumal, Däumling ausgenommen. ein Zetergeschrei. Däumling lachte und sprach zu seinen Brüdern: "Heult und schreit nicht so jämmerlich! Wir wollen den Weg schon allein finden!" Und nun ging Däumling voran und nicht hinterdrein und richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinchen. fand auch den Weg ohne alle Mühe.
Als die Eltern heimkamen, bescherte ihnen Gott Geld ins Haus; eine alte Schuld, auf die sie nicht mehr gehofft hatten, wurde von einem Nachbar an sie abbezahlt, und nun wurden Esswaren gekauft, dass sich der Tisch bog. Aber nun kam auch die Reue, dass die Kinder verstoßen worden waren, und die Frau begann erbärmlich zu lamentieren: "Ach, du lieber, allerliebster Gott! Wenn wir doch die Kinder nicht im Walde gelassen hätten! Ach, jetzt könnten sie sich dicksatt essen, und so haben die Wölfe sie vielleicht schon im Magen! Ach, wären nur unsere lieben Kinder da!"
"Mutter, da sind wir ja!", sprach ganz ruhig der kleine Däumling, der bereits mit seinen Brüdern vor der Tür angelangt war und die Wehklage gehört hatte, öffnete die Türe, und herein trippelten die kleinen Korbmacher - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Ihren guten Appetit hatten sie wieder mitgebracht, und dass der Tisch so reichlich gedeckt war, war ihnen ein gefundenes Essen. Die Herrlichkeit war groß, dass die Kinder wieder da waren, und es wurde, solange das Geld reichte, in Freuden gelebt, dies ist armer Handarbeiter Gewohnheit.
Nicht lange währte es, so war in des Korbmachers Hütte Schmalhans wieder Küchenmeister, und ein Kellermeister mangelte ohnehin, und es erwachte aufs neue der Vorsatz, die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu überlassen. Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen Vater und Mutter verhandelt wurde, hörte auch der kleine Däumling alles, das ganze Gespräch, Wort für Wort, und nahm's sich zu Herzen.
Am andern Morgen wollte Däumling abermals aus dem Häuschen schlüpfen, Kieselsteine aufzulesen, aber o weh! da war's verriegelt, und Däumling war viel zu klein, als dass er den Riegel hätte erreichen können; da gedachte er sich anders zu helfen. Wie es fort ging zum Walde, steckte Däumling Brot ein und streute davon Krümlein auf den Weg, meinte, ihn dadurch wiederzufinden.
Alles begab sich wie das erste Mal, nur mit dem Unterschied, dass Däumling den Heimweg nicht fand, weil die Vögel alle Krümchen rein aufgefressen hatten. Nun war guter Rat teuer, und die Brüder machten ein Geheul im Walde, dass es zum Steinerbarmen war. Dabei tappten sie durch den Wald, bis es ganz finster wurde, und fürchteten sich über die Maßen, bis auf Däumling, der schrie nicht und fürchtete sich nicht. Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes auf weichem Moos schliefen die sieben Brüder, und als es Tag war, stieg Däumling auf einen Baum, die Gegend zu erkunden. Erst sah er nichts als eitel Waldbäume, dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens, merkte sich die Richtung, rutschte vom Baume herab und ging seinen Brüdern tapfer voran. Nach manchem Kampf mit Dickicht, Dornen und Disteln sahen alle das Häuschen durch die Büsche blicken und schritten guten Mutes darauf los, klopften auch ganz bescheidentlich an der Türe an. Da trat eine Frau heraus, und Däumling bat gar schön, sie einzulassen, sie hätten sich verirrt und wüssten nicht wohin.
Die Frau sagte: "Ach, ihr armen Kinder!" und ließ den Däumling mit seinen Brüdern eintreten, sagte ihnen aber auch gleich, dass sie im Hause eines Menschenfressers wären, der besonders gern die kleinen Kinder äße. Das war eine schöne Aussicht! Die Kinder zitterten wie Espenlaub, als sie dieses hörten, hätten gern lieber selbst etwas zu essen gehabt und sollten nun statt dessen gegessen werden. Doch die Frau war gut und mitleidig, verbarg die Kinder und gab ihnen auch etwas zu essen. Bald darauf hörte man Tritte, und es klopfte stark an der Tür; das war kein anderer als der heimkehrende Menschenfresser. Dieser setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit, ließ Wein auftragen und schnüffelte, als wenn er etwas röche, dann rief er seiner Frau zu: "Ich wittere Menschenfleisch!" Die Frau wollte es ihm ausreden, aber er ging seinem Geruch nach und fand die Kinder. Die waren ganz hin vor Entsetzen. Schon wetzte er sein langes Messer, die Kinder zu schlachten, und nur allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach, sie noch ein wenig am Leben zu lassen und aufzufüttern, weil sie doch gar zu dürr seien, besonders der kleine Däumling. So ließ der böse Mann und Kinderfresser sich endlich beschwichtigen. Die Kinder wurden zu Bett gebracht und zwar in derselben Kammer, wo ebenfalls in einem großen Bett des Menschenfressers sieben Töchter schliefen, die so alt waren wie die sieben Brüder. Sie waren von Angesicht sehr hässlich, jede hatte aber ein goldenes Krönlein auf dem Haupte. Das alles war der Däumling gewahr worden, machte sich ganz still aus dem Bette, nahm seine und seiner Brüder Nachtmützen, setzte diese des Menschenfressers Töchtern auf und deren Krönlein sich und seinen Brüdern.
Der Menschenfresser trank: viel Wein, und da kam ihn seine böse Lust wieder an, die Kinder zu morden, nahm sein Messer und schlich sich in die Schlafkammer, wo sie schliefen, willens, ihnen die Hälse abzuschneiden. Es war aber stockdunkel in der Kammer, und der Menschenfresser tappte blind umher, bis er an ein Bett stieß, und fühlte nach den Köpfen der darin Schlafenden. Da fühlte er die Krönchen und sprach: „Halt dal Das sind deine Töchter. Bald hättest du einen dummen Streich gemacht!"
Nun tappte er nach dem andern Bette, fühlte da die Nachtmützen und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse ab, einer nach der andern. Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch aus. Wie der Däumling ihn schnarchen hörte, weckte er seine Brüder, schlich sich mit ihnen aus dem Hause und suchte das Weite. Aber wie sehr sie auch eilten, so wussten sie doch weder Weg noch Steg und liefen in der Irre herum, voll Angst und Sorge nach wie vor.
Als der Morgen kam, erwachte der Menschenfresser und sprach zu seiner Frau: "Geh und richte die Krabben zu, die gestrigen!" Sie meinte, sie solle die Kinder nun wecken und ging voll Angst um sie hinauf in die Kammer. Welch ein Schrecken für die Frau, als sie nun sah, was geschehen war; sie fiel gleich in Ohnmacht über diesen schrecklichen Anblick, den sie da hatte. Als sie nun dem Menschenfresser zu lange blieb, ging er selbst hinauf, und da sah er, was er angerichtet hatte. Seine Wut, in die er geriet, war nicht zu beschreiben. Jetzt zog er die Siebenmeilenstiefel an, die er hatte; das waren Stiefel, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen, das war nichts Kleines. Nicht lange, da sahen die sieben Brüder ihn von weitem über Berg und Täler schreiten und waren sehr in Sorgen, doch Däumling versteckte sich mit ihnen in der Höhlung eines großen Felsens. Als der Menschenfresser an diesen Felsen kam, setzte er sich darauf, um ein wenig zu ruhen, weil er müde geworden war, und schlief bald ein und schnarchte, dass es war, als brause ein Sturmwind. Wie der Menschenfresser so schlief und schnarchte, schlich sich Däumling hervor, wie ein Mäuschen aus seinem Loch, und zog ihm die Meilenstiefel aus und zog sie selber an. Zum Glück hatten die Stiefel die Eigenschaft, an jeden Fuß zu passen wie angemessen und angegossen. Nun nahm er an jede Hand einen seiner Brüder, diese fassten wieder einander an den Händen, und so ging es, hast du nicht gesehen! mit Siebenmeilenstiefelschritten nach Hause. Da waren sie alle willkommen. Däumling empfahl seinen Eltern, ein sorglich Auge auf die Brüder zu haben, er wolle nun mit Hilfe der Stiefel schon selbst für sein Fortkommen sorgen, und als er das kaum gesagt, so tat er einen Schritt, und er war schon weit fort, noch einen, und er stand über eine halbe Stunde auf einem Berge, noch einen, und er war den Eltern und Brüdern aus den Augen.
Später hat der Däumling mit seinen Stiefeln sein Glück gemacht und viele große und weite Reisen, hat vielen Herren gedient, und wenn es ihm wo nicht gefallen hat, ist er spornstreichs weitergegangen. Kein Verfolger zu Fuß noch zu Pferd konnte ihn einholen, und seine Abenteuer, die er mit Hilfe seiner Stiefel bestand, sind nicht zu beschreiben.

Schneider Hänschen und die wissenden Tiere

Ein Schneider und ein Schuhmacher sind einmal miteinander auf die Wanderschaft gegangen. Der Schuster hatte Geld, der Schneider aber war ein armer Schwartenhans. Beide hatten ein und dasselbe Mädchen lieb, welches Lieschen hieß, und jeder gedachte es zu heiraten, wenn er sich ein gutes Stück Geld verdient habe und Meister geworden sei. Der Schuster, Peter genannt, war aller Tücke voll und hatte ein schwarzes Herz; das Schneiderlein war gutmütig und leichtgläubig, und sein Name war Hänschen. Erst hatte Hänschen nicht mit Peter zusammen wandern wollen, weil es kein Geld hatte, aber Peter, der auf eitel Bosheit gegen das Schneiderlein sann, weil Lieschen das Hänschen gern sah und nicht den Peter, sann auf des Schneiderleins Verderben und sprach: "Komm nur mit mir, ich habe Geld genug, ich halte dich frei, auch wenn wir keine Arbeit bekommen. Alle Tage wollen wir uns dreimal tüchtig satt essen und satt trinken. Ist dir das nicht recht?"
"Von satt essen und satt trinken bin ich ja ein Freund!", antwortete Hänschen, und beide schnürten ihre Ränzel und traten ihre Wanderschaft an. Neun Tage lang gingen sie und fanden nirgends Arbeit, zumal Peter keine finden mochte. Und wenn auch Hänschen Arbeit hätte haben können, verlockte er diesen immer, sie nicht anzunehmen, sondern mit ihm zu wandern. Nun aber, nach den neun Tagen, sprach Peter: "Hänschen, mein Geld nimmt ab, soll es noch eine Weile reichen, so dürfen wir von jetzt an des Tages nur noch zweimal essen und trinken."
,,0 weh!", seufzte Hänschen, "wird schon jetzt Schmalhans unser Wandergeselle? Wäre ich doch nicht mit dir gegangen! Hungern konnte ich auch daheim!"
Peter, der während des Weitermarsches stets die Speisen kaufte, aß sich heimlich dicksatt, denn er hatte Geld genug dazu; aber Hänschen gab er täglich nur zweimal und hatte seine Freude daran, wenn seinem Gefährten der Magen murrte und knurrte.
So gingen abermals neun Tage hin, und noch immer fand sich keine Arbeit; da sprach Peter. "Liebes Hänschen, mit meinem Gelde wird es bald zu Ende sein; es langt wahrlich nimmer zu vier Mahlzeiten täglich, zwei für dich, zwei für mich. Mein Geldbeutel hat die Schwindsucht. Schau her, er ist so dünn wie ein Spulwurm. Wir können von jetzt an uns nur einmal täglich sättigen."
"Ach, ach, Peterlein!", klagte Hänschen, "in welches Unglück hast du mich gebracht! Das halte ich ja nicht aus! Sieh mich nur an, ich bin: ja schon so dünne und durchsichtig, dass ich schier kaum noch einen Schatten werfe. Wo soll denn das zuletzt noch hinaus?"
"Schnalle deinen Schmachtriemen um!", lachte Peter. "übe dich in der Tugend der Enthaltsamkeit!"
"Ich meine, ich hätte mich schon genug darin geübt", jammerte das Schneiderlein.
Was half aber nun alles, es musste gut tun, wohl oder übel; Hänschen hungerte tapfer; dass er aber nicht zunahm an Leibesfülle, kann sich jeder denken. Er wurde rasseldürr, und sein Gesicht bekam eine Farbe wie der blasse Tod. Und immer gab es keine Arbeit, und nun zumal erst recht nicht, denn die Meister sprachen: "Reise mit Gott, Bruder Mondschein! Wie kann so ein Kerlchen etwas Dauerhaftes nähen, dem sein ganzes eigenes Gestelle aus der Naht reißt? Schneider dürfen von Natur dünn sein, aber nur was recht ist so dünn, dass man sie statt Nähgarn einfädeln kann, dürfen sie doch nicht sein!"
Hänslein weinte heiße Tränen, wenn er solche losen Reden zu hören bekam, und der schlechte Peter frohlockte heimlich und innerlich darüber. Und als wiederum neun Tage vergangen waren und Hänschen vor Hunger fast am Wege liegenblieb, da sprach der falsche Peter: "Bruderherz - es tut mir leid und schneidet mir in die Seele, dass ich's sagen muss, aber meine Geldquelle ist ganz versiegt -, mit Essen und Trinken bei Bäcker und Wirt ist es nun ganz und gar vorbei."
"Dass Gott erbarm!", schrie Hänschen. "Gar nicht mehr essen und trinken? Da steht mir der Verstand stille! Wer kann das aushalten? 0 wehe, wehe mir! Dass ich dir folgte! Wehe dir, dass du mich so verlockt hast!"
"Mein Himmel, wie du gleich außer dir geraten kannst!", rief Peter. "Als ob es nicht zu trinken vollauf gäbe!"
"Wo, wo?", rief Hänschen mit lechzender Zunge.
"Überall! Wasser, Bruderherz, Wasser!", lachte Peter.
"Wasser ist sehr gesund, es verdünnt das Blut, es heilt die meisten Krankheiten, es stärkt die Glieder. Siehst du, ich muss ja auch Wasser trinken."
"Aber Wasser ist kein Essen!", klagte Hänschen. "Von Luft kann ich nicht leben; also schaffe mir zu essen, oder ich muss ins Gras beißen und Erde kauen. Etwas muss ich zu kauen haben."
"Nun, ich will zum Bäcker gehen und für das letzte Geld ein Brötchen kaufen, das will ich redlich mit dir teilen!", sagte der falsche Peter, hieß Hänschen auf einen Stein sitzen und ging zu einem Bäcker. Dort kaufte er vier Brötchen, aß drei davon gleich auf und trank einen Schnaps dazu - dann kam er wieder zu Hänschen.
"Aber, Peter!", sprach das hungrige Schneiderlein, "du bleibst lange aus. Gib mir zu essen, die Ohnmacht wandelt mich an."
"Ich habe erst warten müssen, bis das Brot sich abgekühlt hatte", verteidigte sich Peter. "Warmes Brot ist nicht gut in einen leeren Magen. Hier hast du deine Hälfte."
"Peter, du riechst nach Schnaps!", sprach Hänschen.
"So?", fragte Peter; "kann schon sein, drinnen trank einer, der stieß mich an und schüttete mir aus Ungeschick ein paar Tropfen auf mein Gewand."
Hänschen verschlang sein halbes Brötchen mit Wolfshunger, stillte mit Wasser seinen Durst und wanderte weiter mit seinem treulosen Gefährten. Beide sprachen fast nichts mehr miteinander.
Als es bald Abend wurde und beide wieder durch ein Dorf kamen, ging Peter wieder zu einem Bäcker, aß sich satt und kam mit einem Brötchen aus dem Laden. - Hans dachte, jener werde das Brötchen mit ihm teilen, aber Peter schob es in die Tasche.
Nach einer Weile sprach Hänschen, als sie das Dorf im Rücken hatten und in einen Wald gelangt waren: "Nun, Peter! Rücke heraus mit deinem Brötchen! Mich hungert ungemein."
"Mich nicht", antwortete Peter ganz kurz.
"Nicht?", schrie Hänschen erschrocken und blieb stehen, und seine Beine zitterten. "Unmensch, der du bist!"
"Vielfraß, der du bist!", höhnte Peter. "Das Brötchen, das ich noch bei mir trage, ist, wie du sehr richtig bemerktest, mein Brötchen, und du bekommst nicht eine Krume davon. weil du mich Unmensch genannt hast."
"So muss ich ja Hungers sterben!", schrie Hänschen in heller Verzweiflung.
"Es wird wenig schade um dich sein", antwortete Peter.
"Aber ich bitte dich um Gottes willen!", jammerte Hänschen.
"Um was?", fragte Peter lauernd.
"Um die Hälfte deines Brötchens!", stammelte Hänschen.
"Umsonst ist der Tod - es hat mich mein allerletztes Geld gekostet. Wie vieles Geld könnte ich noch haben, hätte ich mich nicht mit dir geschleppt und dich abgefüttert!", sprach Peter aufs Neue.
"Aber du hast mich ja selbst beredet, mit dir zu gehen!", warf Hänschen ein, doch machten Ärger und Hunger ihm schon schwer, die Worte herauszuwürgen. Seine Zunge klebte am Gaumen.
"Gibst du mir, so gebe ich dir", nahm Peter wieder das Wort. "Mir ist mein Brötchen so lieb wie meine Augäpfel, folglich ist es zwei Augäpfel wert. Gib mir einen deiner Augäpfel für die Hälfte."
"Gott im Himmel! Wie strafst du mich, dass ich diesem folgte!", wimmerte Hänschen, denn schreien konnte das arme Schneiderlein schon vor Schwäche nicht mehr - doch streckte er die Hand nach dem halben Brötchen aus und sättigte sich, und dann nahm ihm Peter den einen Augapfel weg.
Am andern Tag wiederholte sich alles Traurige des vorigen Tages bei den zwei Wandergesellen. Peter kaufte wieder ein Brötchen und gab Hänschen nichts davon, und wollte das andere Auge Hänschens für dessen Hälfte haben.
"Aber dann bin ich ja stockblind", jammerte das Schneiderlein. "Dann kann ich ja nicht mehr arbeiten."
"Wer blind ist", tröstete der hart- und schwarzherzige Peter mit heimlichem Hohne, "der hat es gut. Er sieht nicht mehr, wie böse, falsch und treulos die Welt ist; er braucht nicht mehr zu arbeiten, denn er hat eine gute Entschuldigung, und einem armen Blinden gibt auch der Geizigste zur Not noch eine Gabe."
Hänschen vermochte auf diese teuflische Rede gar nichts mehr zu erwidern; er ließ alles mit sich geschehen und gab, um nur nicht Hungers zu sterben, dem treulosen Gefährten auch den zweiten Augapfel preis. Und als das geschehen war, und Hänschen hoffte, dass der Peter ihn nun leiten und führen werde, sprach dieser: "Nun gehabe dich recht wohl, mein gutes, dummes Hänschen! Hier habe ich dich haben wollen. Hier ist Bettelmanns Umkehr. Jetzt wandere ich wieder heim und heirate mein Lieschen. Siehe du zu, wohin du kommst!"-
Fort ging der Peter, und Hänschen schwanden vor Körper- und Seelenschmerz eine Zeitlang völlig die Sinne, so dass er umsank und wie tot am Wege lag.
Da kamen drei Wanderer des Weges daher, aber keine zweibeinigen sondern vierbeinige, das waren ein Bär, ein Wolf und ein Fuchs. Sie berochen den Ohnmächtigen, und der Bär brummte: "Dieser Mann ist tot! Mögt ihr ihn? Ich mag ihn nicht!"
"Ich habe vor einer Stunde erst ein frisches Schaf verspeist, habe just jetzt keinen Hunger, auch ist ja das Männchen so dürr und so hart wie ein Baumast!" sprach der Wolf. "Da wäre mir leid um meine Zähne."
"Dieser Held muss ein Schneider gewesen sein!", spöttelte der Fuchs. "Mir ist eine fette Gans lieber als ein dürrer Schneider. Wäre er ein Kürschner gewesen, so würde ich ihm etwas antun, so aber liegt er mir gut. Er ist ja blind gewesen, der hat gewiss nie einen Fuchs geschossen."
Das arme Schneiderlein kam wieder zu sich, merkte seine Gesellschaft und hielt den Atem an sich, so gut es ging, während die drei Tiere sich gar nicht weit von ihm behaglich ins Grüne lagerten.
"Blind zu sein ist ein großes Unglück", sprach der Fuchs, "sowohl für uns edle Tiere als für die schlechten Menschen, die sich so klug dünken und so dumm sind, dass sie gar nichts wissen. Wüssten sie, was ich weiß, so gäbe es keine Blinden mehr.“
"Oho!", rief der Wolf. "Ich weiß auch, was ich weiß. Wüssten das die Menschen in der nahen Königsstadt, so litten sie nicht den brennenden Durst, den sie leiden, und kauften nicht ein Schnapsgläschen voll Wasser um einen Dukaten."
"Hm, hm", brummte der Bär. "Unsereiner ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Auch mir ist ein Geheimnis kund. Sagt ihr mir das eure, sage ich euch das meine, aber bei Leib und Leben darf keiner von uns den anderen verraten."
"Nein, das dürfen und wollen wir nicht tun!", gelobte der Fuchs.
"Es muss einer dem andern feierlich die rechte Pfote darauf geben!", bekräftigte der Wolf.
"Topp, es gilt!", sprach Petz und hielt seine haarige Tatze hin, und wie die andern einschlugen, so drückte und schüttelte der Bär zum Spaß ihre Pfoten so, dass sie vor Schmerz laut aufheulten, davon dem blinden Schneiderlein angst und bange wurde.
"Ich weiß", begann der Fuchs, als ihn der Bär ob seiner Empfindlichkeit ausgelacht und wieder begütigt hatte, "dass heute eine besonders heilige Nacht ist; in dieser fällt Himmelstau auf Gras und Kraut. Wer blind ist, darf nur mit dem Tau seine Augen salben, so wird er wieder sehend, und selbst wenn er keine Augäpfel mehr hat, bekommt er wieder neue."
"Das ist ein schönes Geheimnis", sprach der Wolf; "meins ist aber auch nicht zu verachten. In der Königsstadt ist das Wasser ausgeblieben, und die Leute dort leben jetzt fast nur vom Geist, wenigstens sagen sie so; wenn es aber noch ein Weilchen so fortgeht, so werden sie ihren Geist ganz aufgeben
müssen. Gleichwohl haben sie Wasser die Fülle unter sich und wissen's nur nicht. Auf dem Markte mitten im Pflaster liegt ein Grauwackenstein; wenn der aufgehoben wird, so wird ein Wasserstrahl turmhoch aus dem Boden springen. Ach, wie froh würden die Stadtleute sein, und wie heilsam wäre es ihnen, wenn sie wieder Wasser hätten. Dass aber keiner von euch es ihnen sagt, sonst beiße ich jedem die Zunge im Maule ab!"
"Nichts wird gesagt, Bruder Isegrim!", sprach Herr Braun und brummte: "Was ich weiß, ist dieses: Seit sieben Jahren kränkelt des Königs einzige Tochter, und kein Doktor kann ihr helfen, weil keiner weiß, was ihr fehlt, wie wunderklug sich auch alle dünken. Die Krankheit der Königstochter ist so gestiegen, dass der König verheißen hat, sie dem zur Gemahlin zu geben, der ihr hilft, um sie nur am Leben erhalten zu sehen; es kann aber keiner helfen, der das nicht weiß, was ich weiß."
"Du machst uns neugierig, hochgnädiger Herr König Braun!", sprach der Wolf, und Petz brummte: "Nur Geduld, es kommt schon noch. Ihr werdet doch ein wenig warten gelernt haben?" - Darauf schnaufte der Bär erst einmal gehörig und fuhr dann fort: "Die Prinzessin Königstochter sollte in der Kirche ein Goldstück in den Opferstock werfen; sie war aber noch sehr jung und befangen und ängstlich und schämte sich vor den vielen Leuten in der Kirche und warf das Geldstück etwas ungeschickt, dass es daneben und in eine Spalte fiel. Darauf wurde sie von ihrer Krankheit befallen, die nicht früher enden wird, bis man das Goldstück hervorzieht und in die Ritze des Opferstockes einwirft. Solche Kur ist kinderleicht, es dürfte nur einer hingehen und das Goldstück suchen."
Als die Tiere sich einander so ihre Geheimnisse mitgeteilt hatten, erhoben sie sich aus ihrer Ruhe und gingen weiter; Hänschen aber war heilfroh über das, was er gehört hatte. Er bestrich sich eilends mit dem bereits fallenden Himmelstau die Augen, da wuchsen ihm neue klare Augäpfel, und er sah die goldenen Sterne am Himmel blinken und die dunkeln Wipfel der Waldesbäume. Bald brach der Morgen an, und Hänschen sah nun Weg und Steg und wanderte neugestärkt die Straße entlang. In einigen Dörfern, durch die er kam, erbat er sich so viel, dass er seinen neuerwachten Hunger und Durst stillen konnte, und endlich kam er in die Stadt, in welcher der Wassermangel so groß war, dass alle Leute Wein und viele Schnaps tranken, welchen sie Likör nannten.
Hänschen hatte kein Geld zu Likör; er trat zu einer Wirtin und bat, ihm ein großes Glas Wasser zu reichen. Die Wirtin sah ihn dafür groß an und schalt: "Sehe mir einer den Schlecker! Hat nicht einmal Geld, einen Likör zu bezahlen, und will Wasser zechen! Meint der Mosjö, Herr von Fadenschein, das Wasser quelle nur so für nichts und wieder nichts? Es koste kein Geld? Oh, weit gefehlt. Wisch Er sich den Mund von wegen dem Wasser; Wein oder Likör kann Er haben, mit Wasser kann ich nicht dienen, zumal in so großer Menge nicht."
"Ist denn hier wirklich eine solche Not um Wasser, wie ich draußen vernommen?", fragte Hänschen. "Diesem Mangel wollte ich bald abgeholfen haben; ich bin ein Brunnenarzt."
Diese Worte vernahmen einige junge Ratsherren, welche bei der Wirtin teils auch Liköre, teils auch Champagnerwein tranken; sie taten dies nur aus Ermangelung des Wassers, sonst würden sie es gewiss nicht getan haben; denn sie nannten den Champagner Gift, und ohne die äußerste Not wird sicherlich niemand Gift zu sich nehmen. Diese jungen Herren umringten Hänschen und fragten hastig, wie er es anstellen wolle, dem Mangel abzuhelfen?
"Meine hoch verehrtesten Herren", sprach Hänschen, "wenn ich solchen Mangel allhier abstellen soll, so ist vor allem nötig, dass ich erst angestellt werde. Soll ich euch geheimen Rat erteilen, so würde eine mir zugeteilte Geheimratsbesoldung so vier- bis sechstausend Tälerchen alljährlich - mich zu Dank verpflichten. Dann solltet ihr Herren aber auch sehen, dass ich etwas Tüchtiges zu leisten verstehe."
Die Sache wurde nun im Gemeinderate und vom Magistrate reiflich erwogen, und alle Stimmen einigten sich in dem Rufe: Wasser um jeden Preis - ehe wir im Sande allzumal vertrocknen!
Der Magistrat stellte hierauf die Not der Stadt dem Könige vor und auch das Mittel zu deren Abhilfe, und bat Seine Majestät, in Gnaden zu geruhen, für den fremden Brunnenarzt ein Geheimratsdekret ausfertigen zu lassen, die Besoldung solle aus städtischen Mitteln gern bestritten werden. Der König willfahrte mit väterlicher Huld diesem Gesuche und ließ das Dekret ausfertigen, jedoch mit dem Vorbehalte, dass selbes nicht eher in Kraft trete, bis hinlängliches Wasser geschafft sei; andernfalls solle es nichts gelten. Hänschen begab sich nun in Begleitung einer schnell ernannten Wasserkommission auf den Markt, sah schon von weitem den grauen Quaderstein und sprach zu den Technikern der Kommission: "Diesen Stein lasset ausbrechen, ihr Herren!" - Und als dies geschah, so rauschte plötzlich der Strahl eines Springbrunnens stark und mächtig und turmhoch in die Luft, und quoll so viel Wasser aus, dass auf der Stelle in allen Kaufläden der Residenz die Preise der wasserdichten Zeuge um das Doppelte in die Höhe gingen.
Laut erscholl durch die ganze Stadt das Lob des Wasserdoktors. Noch desselben Tages wurde der neue Herr Geheimrat, der sich indessen mit Staatskleidern, Staatswagen und Dienerschaft versehen hatte, an den Hof gerufen und fuhr stolz in den Palast. Der König sagte ihm vieles Freundliche und schenkte ihm in Anerkennung seines Verdienstes um die Haupt- und Residenzstadt einen schönen Orden, am gewässerten Bande zu tragen. Sehr bald lenkte sich das Gespräch auf die Krankheit der Königstochter, und der König fragte den neuen Geheimrat, ob er als geschickter Wasserdoktor vielleicht für die Prinzessin eine Brunnenkur heilsam finde. "Nein, Eure Majestät", erwiderte der Geheimrat. "Einmal mit Wasser mich befasst und nicht wieder. Lassen mich Eure Majestät der Gnade teilhaftig werden, A1lerhöchstdero Tochter, die Prinzessin, zu sehen, so hoffe ich zuversichtlich, den Sitz ihrer Krankheit zu ergründen."
Darüber war der König über alle Maßen froh und führte den Doktor selbst zu der kranken Prinzessin. Der fühlte ihr den Puls und sah, dass sie sehr schön war. Dann sprach er: „Großmächtigster König, wenn die allerdurchlauchtigste Prinzessin genesen soll, so kann dies nicht durch irdische Medizin geschehen sondern durch göttliche Hilfe; gestatten Allerhöchstdieselben, dass wir die Kranke in die Hofkirche tragen lassen; dort wird sie wohl genesen."
Dieser Vorschlag ward vom König alsbald gutgeheißen; denn er war sehr fromm und freute sich, einen so frommen neuen Geheimrat gewonnen zu haben. In der Kirche ließ sich der Heilkünstler von der Prinzessin den Opferstock zeigen, suchte nach und fand in einer Ritze das Goldstück. Dieses gab er der erlauchten Kranken in die Hand und ersuchte sie, dasselbe nun richtig in den Stock zu werfen. Das tat die Prinzessin, und alsbald wurde sie völlig gesund und begann wie eine Rose aufzublühen. So führte sie nun der Geheimrat zu dem Könige. Was da für eine große Freude war, ist gar nicht zu schildern. Aus dem Geheimrat wurde alsbald rasch nacheinander ein Reichsrat, ein Standesherr, ein Graf, ein Fürst und aus diesem ein Bräutigam der genesenen Prinzessin. Nach der Hochzeit fuhren die Neuvermählten auf einer Rundreise durch das Land; da kamen sie auch durch das Dorf, aus welchem der Fürst jüngst als Hänschen gewandert war. Da stand am Wirtshaus ein Scherenschleifer und schliff, und seine Frau drehte ihm das Rad - und da war's der Peter, und das Lieschen, die den Peter erst durchaus nicht haben wollte, ihn aber am Ende doch nahm, weil er ihr zuschwor, Hänschen werde sie nie wieder sehen. Hänschen kannte gleich den Peter am falschen Gesicht, rief dem Kutscher zu; "Halt!" und jenem rief er zu: "Peter!"
Peter horchte hoch auf und fragte, was der Herr befehle. "Nichts befehlen will ich, Peter", sprach Hans, "als dass du das Hänschen in mir wiedererkennen sollst, dem du zu so hohem Glück verholfen hast. Dort im Walde fand ich armer Augenloser das blinde Glück wie manche blinde Taube ihre Erbse. Dort unter einem Baume, an dem ich lag, suchte es mich beim. Hier hast du vieles Geld vom blinden Bettler, der "wieder sehend und reich geworden ist! Lebe wohl, und fahr zu, Kutscher!"
Peter stand wie aus den Wolken gefallen. Lange starrte er dem Prachtwagen nach, dann gab er seiner Frau das Geld aufzuheben und sagte: "Dorthin muss ich auch - muss auch das blinde Glück finden." Und alsbald rüstete sich Peter und wanderte, so rasch er wandern konnte, an jenen Ort, wo er am armen Hänschen die letzte treulose Tat begangen hatte. Ein Fuchs lief schon lange vor ihm her - an jenem Orte stand der Fuchs. Da kam von weitem ein Wolf entgegengesprungen. Rasch wandte Peter sich um, da trabte ein Bär des Weges daher. Voll Entsetzen klomm jetzt Peter am Baume empor, unter dem er Hänschen den letzten Augapfel ausgestochen hatte.
"Verräter, Verräter, Verräter, die ihr seid!", bellte der Fuchs, heulte der Wolf, brummte der Bär, und jeder beschuldigte den andern, das Geheimnis ausgeplaudert zu haben, auf dessen Behütung sie einander doch alle drei die Pfote gegeben hatten; sie waren sehr bissig gegeneinander und gaben einander schlechte Titel. Endlich nahmen Bär und Fuchs gegen den Wolf Partei, der sollte zunächst der Verräter sein und dafür gehängt werden; und alsbald drehte der Fuchs ein Seil und eine Schlinge aus Tannenreisig, der Bär hielt den Wolf fest, der Fuchs warf letzterem die Schlinge um den Hals und zog den Zappelnden in die Höhe. Der Wolf starrte stieren Auges empor, da sah er Peter im Gezweige des Baumes sitzen und heulte: ,,0 falsche, ungerechte Welt! Da droben sitzt er, der unser Geheimnis verraten hat!"
Jetzt sahen die beiden anderen Tiere auch in die Höhe, ließen den Wolf fallen, und der Bär kletterte auf den Baum und holte den Peter herunter. Drunten empfing ihn der Fuchs, der so wild war, dass er ihm gleich beide Augen auskratzte. Dann würgte ihn der Wolf, und der Bär drückte ihn mausetot. Darauf haben sie ihn zu dritt aufgefressen, dass kein Knöchelchen von ihm übriggeblieben ist.

Der Müller und die Nixe

Es war einmal ein Müller, der war reich an Geld und Gut und führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Aber Unglück kommt über Nacht; der Müller wurde arm und konnte zuletzt kaum noch die Mühle, in der er saß, sein eigen nennen. Da ging er am Tage voll Kummer umher, und wenn er abends sich niederlegte, fand er keine Ruhe, sondern verwachte die ganze Nacht in traurigen Gedanken. Eines Morgens stand er früh vor Tage auf und ging ins Freie; er dachte, es sollte ihm leichter ums Herz werden. Als er nun auf dem Damme an seinem Mühlteiche sorgenvoll auf und nieder ging, hörte er es auf einmal in dem Weiher rauschen, und als er hinsah, da stieg eine weiße Frau daraus empor. Da erkannte er, dass es die Nixe des Weihers sein müsse, und vor großer Furcht wusste er nicht, ob er davon gehen oder stehenbleiben sollte. Indem er so zauderte, erhob die Nixe ihre Stimme, nannte ihn bei Namen und fragte ihn, warum er so traurig wäre? Als der Müller die freundlichen Worte hörte, fasste er sich ein Herz und erzählte ihr, wie er sonst so reich und glückselig gewesen wäre, und jetzt sei er so arm, dass er sich vor Not und Sorgen nicht zu raten wisse. Da redete ihm die Nixe mit tröstlichen Worten zu und versprach ihm, sie wolle ihn noch reicher machen, als er je gewesen sei, wenn er ihr dagegen das gebe, was eben in seinem Hause jung geworden. Der Müller dachte, sie wolle ein Junges von seinem Hunde oder seiner Katze haben, sagte ihr also zu, was sie verlangte, und eilte guten Mutes nach seiner Mühle. Aus der Haustür trat ihm seine Magd mit freudiger Gebärde entgegen und rief ihm zu, seine Frau habe soeben einen Knaben geboren. Da stand nun der Müller und konnte sich über die Geburt seines Kindes, die er nicht so bald erwartet hatte, nicht freuen. Traurig ging er ins Haus und erzählte seiner Frau und seinen Verwandten, die herbeikamen, was er der Nixe gelobet hatte. "Mag doch alles Glück, das sie mir versprochen hat, verfliegen", sprach er, "wenn ich nur mein Kind retten kann." Aber niemand wusste andern Rat, als dass man das Kind sorgfältig in acht nehmen müsse, damit es niemals dem Weiher zu nahe käme.
Der Knabe wuchs fröhlich auf, und unterdessen kam der Müller nach und nach zu Geld und Gut, und es dauerte nicht lange, so war er reicher, als er je gewesen war. Aber er konnte sich seines Glückes nicht recht freuen, da er immer seines Gelübdes gedachte und fürchtete, die Nixe werde über kurz oder lang auf die Erfüllung dringen. Aber Jahr auf Jahr verging, der Knabe wurde groß und lernte die Jägerei, und weil er ein schmucker Jäger war, nahm ihn der Herr des Dorfes in seinen Dienst, und der Jäger freite sich ein junges Weib und lebte friedlich und in Freuden.
Einstmals verfolgte er auf der Jagd einen Hasen, der endlich auf das freie Feld ausbog. Der Jäger setzte ihm eifrig nach und streckte ihn mit einem Schusse nieder. Sogleich machte er sich ans Ausweiden und achtete nicht darauf, dass er sich in der Nähe des Weihers befand, vor dem er sich von Kind auf hatte hüten müssen. Mit dem Ausweiden war er bald fertig und ging nun an das Wasser, um seine blutigen Hände zu waschen. Kaum hatte er sie in
den Weiher getaucht, als die Nixe emporstieg, ihn mit nassen Armen umfing und ihn mit sich hinab zog, dass die Wellen über ihm zusammenschlugen.
Als der Jäger nicht heimkehrte, geriet seine Frau in große Angst, und als man nach ihm suchte und am Mühlteiche seine Jagdtasche liegen fand, da zweifelte sie nicht mehr daran, wie es ihm ergangen sei. Ohne Rast und Ruhe irrte sie an dem Weiher umher und rief wehklagend Tag und Nacht ihren Mann. Endlich fiel sie vor Müdigkeit in einen Schlaf, darinnen es ihr träumte, wie sie durch eine blühende Flur zu einer Hütte wanderte, worin eine Zauberin wohnte, die ihr ihren Mann wiederzuschaffen versprach. Als sie am
Morgen erwachte, beschloss sie, der Eingebung zu folgen und die Zauberin aufzusuchen. So wanderte sie aus und kam bald zur blühenden Flur und dann zu der Hütte, worin die Zauberin wohnte. Sie erzählte ihren Kummer und dass ein Traum ihr Rat und Hilfe von ihr versprochen habe. Die Zauberin gab ihr zum Bescheid: sie solle beim Vollmond an den Weiher gehen und dort mit einem goldenen Kamme ihre schwarzen Haare strählen und dann den Kamm ans Ufer legen. Die junge Jägersfrau beschenkte die Zauberin reichlich und begab sich auf den Heimweg.
Die Zeit bis zum Vollmonde verging ihr langsam; als es aber endlich Vollmond war, ging sie zum Weiher und strählte sich mit einem goldenen Kamme ihre schwarzen Haare, und als sie fertig war, legte sie den goldenen Kamm am Ufer nieder und sah dann ungeduldig in das Wasser. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe, und eine Welle spülte den goldenen Kamm vom Ufer, und es dauerte nicht lange, so erhob ihr Mann den Kopf aus dem Wasser und sah sie traurig an. Aber bald kam wiederum eine Welle gerauscht, und der Kopf versank, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Der Weiher lag wieder ruhig wie zuvor und glänzte im Mondscheine, und die Jägersfrau war um nichts besser daran als vorher.
Trostlos durchwachte sie Tage und Nächte, bis sie wieder ermüdet in Schlaf sank und derselbe Traum, der sie an die Zauberin gewiesen hatte, wieder über sie kam. Abermals ging sie am Morgen nach der blühenden Flur und nach der Hütte und klagte der Zauberin ihren Kummer. Die Alte gab ihr zum Bescheid: sie solle beim Vollmond an den Weiher gehen, auf einer goldenen Flöte blasen und dann die Flöte an das Ufer legen.
Als es Vollmond geworden war, ging die Jägersfrau zum Weiher, blies auf einer goldenen Flöte und legte sie dann ans Ufer. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe, und eine Welle spülte die Flöte vom Ufer, und bald erhob der Jäger den Kopf über das Wasser und tauchte immer höher empor, bis über die Brust, und breitete seine Arme nach seiner Frau aus. Da kam wieder eine rauschende Welle und zog ihn in die Tiefe zurück. Die Jägersfrau hatte voller Freude und Hoffnung am Ufer gestanden und versank in tiefen Gram, als sie ihren Mann in dem Wasser verschwinden sah.
Aber zum Troste erschien ihr wiederum der Traum, der sie zu der blühenden Flur und zu der Hütte der Zauberin verwies. Die Alte gab diesmal den Bescheid: sie solle, sobald es Vollmond sein werde, an den Weiher gehen, dort auf einem goldenen Rädchen spinnen und dann das Rädchen ans Ufer stellen.
Als der Vollmond kam, befolgte die Jägersfrau das Geheiß, ging an den Weiher, setzte sich nieder und spann auf einem goldenen Rädchen und stellte dann das Rädchen ans Ufer. Da rauschte es und brauste es aus der Tiefe, und eine Welle spülte das goldene Rad vom Ufer, und bald erhob der Jäger den Kopf über das Wasser und tauchte immer höher empor, bis er endlich an das Ufer stieg und seiner Frau um den Hals fiel. Da fing das Wasser an zu rauschen und zu brausen und überschwemmte das Ufer weit und breit und riss beide, wie sie sich umfasst hielten, mit sich hinab. In ihrer Herzensangst rief die Jägerin den Beistand der Alten an, und auf einmal war die Jägerin in eine Kröte und der Jäger in einen Frosch verwandelt. Aber sie konnten nicht beisammen bleiben, das Wasser riss sie nach verschiedenen Seiten hin, und als die Überschwemmung vergangen war, da waren zwar beide wieder zu Menschen geworden, aber der Jäger und die Jägerin waren jedes in einer fremden Gegend, und sie wussten nichts voneinander.
Der Jäger entschloss sich, als Schäfer zu leben, und auch die Jägerin ward eine Schäferin. So hüteten sie lange Jahre ihre Herden, eines vom andern entfernt.
Einstmals trug es sich zu, dass der Schäfer dahin kam, wo die Schäferin lebte. Die Gegend gefiel ihm und er sah, dass sie recht fruchtbar gelegen sei zur Weide seiner Herde. Er brachte also seine Schafe dorthin und hütete sie wie zuvor. Schäfer und Schäferin wurden gute Freunde, aber sie erkannten einander nicht.
An einem Abend aber saßen sie im Vollmond beieinander, ließen ihre Herden grasen, und der Schäfer blies auf seiner Flöte. Da gedachte die Schäferin jenes Abends, wo sie am Weiher bei Vollmond auf der goldenen Flöte geblasen; sie konnte sich nicht länger halten und brach in lautes Weinen aus. Der Schäfer fragte sie, was sie so weine und klage - bis sie ihm erzählte, was ihr alles widerfahren sei. Da fiel es wie Schuppen von den Augen des Schäfers, er erkannte seine Jägerin und gab sich ihr zu erkennen. Nun kehrten sie fröhlich in ihre Heimat zurück und lebten zusammen ungestört und in Frieden.

Schäfersknecht und Königssohn

Aus alten Zeiten stammt eine Sage von einem mächtigen König in Thüringen. Als dieser einstmals auf die Jagd fuhr, sprang sein Windspiel im Dickicht um einen Baumstumpf herum und wollte sich davon nicht wegbringen lassen. Da musste einer von des Königs Dienern auf den Baumstumpf klettern, der von oben hinein hohl war, und sehen, was darinnen steckte, weil die Rüden bellten. Da fand sich ein kleiner, wilder Mann darinnen, den sie herausholten. Der König freute sich seines Abenteuers, ließ den wilden Mann zu sich in den Wagen sitzen, gab für diesmal das Jagdvergnügen auf und fuhr zurück nach dem Königsschloss. Er nannte den eingefangenen wilden Mann Noah, tat ihn in ein Gewölbe und wartete und pflegte sein mit großer Sorgfalt.
Eine Zeit aber, da der König hatte verreisen müssen, spielte sein Sohn Georg im Schlosse mit einem Ball und der Ball fiel durch ein Loch in das Gewölbe hinab. Da rief das Königssöhnchen hinunter: "Wilder Mann Noah, gib mir mein Bällchen heraus!" Darauf antwortete der wilde Mann: "Das kann ich nicht, denn würfe ich's hinauf, so würde es so weit fliegen, dass du es nimmer fändest. Hole aber in deines Vaters Gemach den Schlüssel und öffne mir, so will ich es dir herausgeben!"
Da holte der Prinz im Gemache seines Vaters den Schlüssel, mit dem allein man das Gewölbe öffnen konnte. Er schloss es auf und der wilde Mann kam heraus, gab ihm das Bällchen und sprach: "Du hast mir aus meiner Not geholfen, und wenn du daher einmal selbst in Not gerätst; so komm in den Wald und rufe mich, so will ich dir auch heraushelfen!" –
Bald darauf Kam der König nach Hause und sein erster Gang war, seinen Noah zu besuchen. Aber wie erschrak er, als er das Gewölbe leer fand! Er hatte sogleich den Prinzen im Verdacht, dass er den wilden Mann herausgelassen habe.
Daher ließ er ihn rufen und fragte: "Georg, hast du den Schlüssel zum Gewölbe genommen, dasselbe geöffnet und Noah herausgelassen?" Der kleine Prinz gestand offenherzig, dass er dies getan habe. Da verstieß der König im Zorne seinen Prinzen, denn sein wilder Mann war ihm lieber als alles.
Traurig schied der Prinz aus seines Vaters Haus und irrte als ein armer Knabe umher, bis ihn endlich ein Schäfer zu sich nahm. Dieser vermutete sofort, dass der Knabe aus keinem geringen Stande sei, und behielt ihn bei sich. So wuchs Georg zum Schäfersknecht heran und es fügte sich, dass er mit einem schönen Mädchen bekannt wurde und dieses zu seiner Braut erwählte. -
Damals hauste in der Gegend ein ungeheurer Lindwurm, dem alle Jahre ein Mensch geopfert werden musste. Wenn der schreckliche Drache sein Opfer nicht auf den Tag empfing, brüllte er gleich einem Donnerwetter. Als nun wieder einmal das Los für das Opfer des Lindwurms geworfen werden sollte, traf es die Braut des Schäfers Georg.
Da fiel diesem das Versprechen des wilden Mannes ein. Er trat daher vor, bat um Aufschub der Opferung und sagte, er wolle den Lindwurm töten. Darauf lief er eilends in den Wald und rief den wilden Mann Noah um Hilfe an. Da kam Noah, gab ihm ein Schimmelpferd und ein Schwert und sagte ihm, er solle ein weißes Gewand anziehen, sich auf das weiße Pferd setzen und mit dem Schwert in der Hand gerade auf das Ungeheuer los reiten. Dieses würde begierig seinen Rachen weit aufsperren und Georg solle das Schwert dem Tiere gerade in den Rachen hineinrennen.
Dies alles wurde von dem tapferen Schäfer genau so ausgeführt und dadurch seine Braut sowie das ganze Land von dem Ungeheuer befreit. Da entstand großer Jubel unter dem Volke und alles war voll Freude. Georg aber wurde zum Ritter geschlagen. Als man nun nach dessen Herkunft forschte, gestand er, dass er eines Königs Sohn sei, und er erzählte sein Schicksal. Da wurde ihm kund, sein Vater sei gestorben, er könne sicher nach Hause gehen und das Reich übernehmen. So war aus des Königs Sohn ein Schäfersknecht geworden, aus dem Schäfersknecht ein Ritter und aus diesem wiederum ein König.
Als nun Georg das Königreich übernommen hatte, reiste er im Lande herum, sein Reich zu besehen, es genau kennen zu lernen und auch Abenteuer zu bestehen. Da kam ihm einmal ein Örtchen zu Gesicht, das war eine Ansiedlung um ein Mühlhaus und hatte noch keine Kirche. Der junge König aber wollte gern dem lieben Gott seinen Dank für die glückliche Wendung seines Schicksals abstatten. Darum erbaute er der neuen Gemeinde ein Gotteshaus, das nach ihm Sankt Georgenkirche benannt wurde. Der Baumeister aber musste die wunderbare Lebensgeschichte des Königs in Stein bilden und dieses Bildwerk, von dem man noch heute verwitterte Spuren sehen kann, an der Kirche anbringen. Das ist der Anfang der Stadt Mühlhausen gewesen.

Der redende Esel

Auf einem hohen, waldreichen Gebirge hauste ein mächtiger Berggeist, der gern die Menschen neckte, an den bösen häufig seine Tücke ausließ und ihnen allerlei schlimmen Schabernack spielte, guten Leuten aber hilfreich war. Freilich hatte seine Hilfe oft einen absonderlichen Beigeschmack und es ging gewöhnlich nicht ohne allerlei Schrecken oder Angst ab, ehe er half. So schritt einst ein armer Händler mit vielen Glaswaren, die er in einer auf dem Gebirge gelegenen Glashütte zum Weiterverkauf eingehandelt hatte, von den Bergen zu Tal und berechnete, wie jenes Milchmädchen in der Fabel, den Gewinn, den er aus seinen Gläsern ziehen wollte. So viel würden ihm die Kolben und Retorten einbringen, für die der Apotheker das Doppelte des Einkaufspreises bezahlen sollte, so viel die runden Lichtkugeln für die Werkstätten der Schuhmacher, so viel die Wein- und Wasserflaschen, wie sie die Gastwirte bedürfen - und da kam ein hübsches Gewinnsümmchen heraus. Auch war der Glaser klüger als jenes Milchmädchen, er hüpfte nicht bei dem Gedanken an seinen Gewinn in die Höhe, sondern achtete auf seinen Weg, der ziemlich steil und uneben war, und auf seine Last, die nicht leicht war.
Unsichtbar begleitete den Glasmann der Berggeist und hörte dessen im Selbstgespräch laut ausgesprochenen Gedanken. Da nun der Händler auf mehr Gewinn sann, als ihm eigentlich gebührte, so war der Geist gleich darauf bedacht, ihm einen Possen zu spielen und ein wenig Schrecken in die Glieder zu jagen. Er verwandelte sich daher eine Strecke voraus, unterhalb einer recht steilen Wegstelle, die man mit Recht eine Kniebreche nennen konnte, in einen alten, glatt abgesägten Baumstumpf, der so recht einladend zum Ausruhen dicht am Wege stand. Der Glasmann wandelte vorsichtig an der steilen Stelle nieder, und ihm wurde dieses Abwärtssteigen mit seiner Last ungleich beschwerlicher, als wenn er bergan hätte steigen müssen. Daher tat ihm Not, ein wenig auszuruhen, und als er den alten Baumstumpf erblickte, setzte er sich samt seiner Glaskraxe darauf. In diesem Augenblick verschwand der in den Stumpf verwandelte Berggeist, der Mann stürzte mit seiner Last hart zu Boden und die ganze Glasware zerbrach in tausend Scherben.
"Ach Gott, ach Gott!", schrie der Glashändler und geriet ganz außer sich. Welch ein Schrecken, welch ein Verlust! Der Mann gebärdete sich, als ob er sich das Leben nehmen wollte. Anderes Glas holen konnte er nicht, denn er hatte kein Geld mehr und auf Borg gab man ihm nichts mehr. Sein sauer verdientes bisschen Geld, das er in neuen Glaswaren angelegt hatte - hier lag es nun in Scherben!
Da ritt ein junger Geselle auf einem Esel pfeifend und singend vom Gebirge nieder, der traf mit dem jammernden Manne zusammen und fragte ihn, warum er so weine und klage. Dem erzählte er, welches Unheil Ihm widerfahren wäre, und der Reiter fragte ihn, wie hoch er seinen Verlust und Schaden veranschlage.
"Ach, acht bis neun Taler mindestens samt dem, was ich an der zerbrochenen Ware hätte verdienen können!", rechnete jener seufzend aus. "Ich möchte dir gern helfen, armer Tropf", sprach der auf dem Esel, "aber ich habe selbst kein Geld. Doch weißt du was? Da drunten im Tale wohnt ein Müller, der ist ein Schalk und zugleich ein Gastwirt. Er misst das Mehl ab, dass den Kunden die Augen übergehen, und ebenso unchristlich sind sein Maß und seine Rechnung, wenn jemand bei ihm einkehrt. Er ist die Habsucht und Gewinnsucht selbst und zur Strafe soll der dir dein Glas ersetzen."
"Wie wäre es möglich, dass ein geiziger und habsüchtiger Mann dies aus freien Stücken täte?", fragte der Glashändler, indem er neben dem Reitenden weiter schritt und gefällig da, wo es steil hinabging, dessen Esel am Zaume führte.
"Aus freien Stücken?", fragte mit höhnischem Lächeln der Reisende. "Nein, mein guter Geselle! Aus freien Stücken tut es der Müller nicht, des bin ich sicher. Aber er muss es dennoch tun. Wir wollen ihm meinen Esel verkaufen, der unter Brüdern seine zwölf Taler wert ist. Wenn er nun für neun Taler den Esel bekommt, geht er freudig auf den Handel ein und gibt uns noch obendrein freie Zeche."
"Ja - aber - lieber Herr", fragte der Glasmann kleinlaut, "Ihr wollt doch nicht - Euren Esel -- mir zuliebe -?"
"Dem Müller verkaufen?", ergänzte der Reiter. "Ei, warum denn nicht, mein guter Geselle? Darauf kommt es mir nicht an, ich weiß noch mehr Esel."
Der Glasmann wollte gar nicht an das in Aussicht gestellte Glück glauben. Es schien ihm ganz undenkbar, dass ein Mensch, der, wie er selbst sagte, kein Geld hatte, zu seinen Gunsten sich eines wertvollen Esels berauben werde. Er wusste freilich nicht, dass der Eselbesitzer kein anderer war als der neckische Berggeist, der ihn erst zu Fall gebracht und seinen Schaden verursacht hatte.
Bald war die Mühle erreicht. Der Müller stand schon in der Tür und freute sich, die Fremden kommen zu sehen. Auch blickte er mit Wohlgefallen auf den stattlichen, äußerst gut genährten Esel hin. So glatt und kräftig wie dieser sahen die Esel in seiner Mühle keineswegs aus.
Die Gäste ließen sich Brot und Wurst und Bier reichen, ein Wort gab das andere, der Glaser erzählte sein Unglück und der Müller lachte vor Schadenfreude, dass er sich seinen kugelrunden Bauch halten musste und dass er förmlich stäubte. Das verdross den Glasmann über alle Maßen, doch bedeutete ihn ein Blick des Reisenden, sich ganz ruhig zu verhalten.
Als der Müller genug gelacht hatte, hörte man plötzlich das Jah des draußen vor der Tür angebundenen Esels, worauf der Müller das Gespräch alsbald auf diesen lenkte. "Ein hübscher Kerl, fürwahr, Euer Esel! Wie alt?"
"Vier Jahre!"
"Wie teuer?"
"Nicht feil."
"Schade, ich hätt' ihn brauchen können; vorige Woche ist mir einer zugrunde gegangen."
,.Werdet ihn zu gut gefüttert haben, Müller!", stichelte der Fremde. –
"Oho - das gerade Gegenteil", verschnappte sich der Müller.
"So? Da sollte mich mein Esel dauern, wenn er in Eure Hände käme. Mein Esel ist gewohnt, gut zu essen."
,.Ja doch", verbesserte sich der Müller. "Bei mir soll es ihm auch nicht fehlen. Ich wollte nur sagen, dass der meine nicht mehr fressen wollte und deshalb draufging. Ich geb' Euch ein schönes Stück Geld - ganze sieben Taler."
„Oho! Weiter fehlte mir nichts!", spottete der Eselbesitzer. „Wo denkt Ihr hin? Solch ein prachtvoller Esel und sieben Taler? Nicht um zwölf ist er mir fei1."
Im Müller erwachte eine wahre Eselhabsucht. „Acht Taler geb' ich!", rief er, fuhr in die Tasche und klingelte mit hartem Gelde. - "Gebt elf, und der Handel ist gemacht!" -
"Nein, neun!", schrie der Müller, „das ist mein letztes Wort."
"Und mein letztes ist zehn, dabei bleibt es, und freie Zeche", sprach der Eselbesitzer.
Der Müller kraute sich hinter den Ohren, wollte noch abdingen, aber der Fremde blieb unerschütterlich.
"Freie Zeche und zehn Taler, nicht einen Groschen, nicht einen Pfennig, nicht einen Heller weniger!", hieß es. –
"Ihr seid ein Mann von Stein!", klagte der Müller.
,,0 ja, sagt doch lieber von einem ganze Gebirge!", lautete des Fremden vielsagende Gegenrede.
Der Müller musste den Esel haben und zählte ächzend und krächzend zehn Taler auf den Tisch, aber keineswegs in harten Talern, sondern in eitel Groschen und verschimmelten, dünnen Zweigroschenstücken, an denen Mehl und Grünspan hingen. Vergnügt strich der Fremde das Geld, nachdem er es einige Male überzählt hatte, ein, tat es in ein ledernes Beutelchen und übergab es seinem Begleiter, während der Müller voller Freuden bereits hinausgerannt war, seinen Esel in den Stall zu führen.
Der Glasmann war ganz überrascht über die Gabe, wollte danken, aber der Fremde sprach: "Spar' den Dank! Neun Taler war ich dir schuldig, den zehnten nimm für deinen Schreck. Jetzt gehe in den Stall und schaue, was der Müller treibt, und fahre wohl! Wenn der Müller nach mir fragt, so sage ihm nur, ich sei über die Höhe."
Der hocherfreute Glasmann nahm seine Scherbenkraxe auf den Rücken und verfügte sich über den Hof nach dem Stalle, wo der neugekaufte Esel bereits abgezäumt an der Krippe stand. Mit eigener Hand hatte der Müller frische Heide untergestreut und trug jetzt ein großes Bündel duftiges, zartes Gebirgsheu im Arme, das er dem Esel in der Krippe ausbreitete.
Wie wunderte sich aber der Glasmann und wie heftig erschrak der Müller, als der Esel den letzten mit einem unaussprechlichen Blicke ansah, mit dem Kopfe schüttelte und mit den langen Ohren bedenklich wackelte, heißen Odem ausstieß und endlich das breite Maul auftat und mit tiefer Stimme sprach: "Du juter Mensch, juter Müller - es tut mir leid, aber ich esse kein Ha-ha-heu! Ich esse nur je-bibo-backenes und jebri-bro-bratenes!" Voll Entsetzen stürzte der Müller aus dem Stalle, rannte den Glasmann an der Tür fast über den Haufen und schrie: „Der Teufel ist im Stalle! Wo ist der nichtsnutzige Kerl, der mir einen Spuk verkaufte?"
"Der ist über die Höhe!" rief der Glasmann und lachte jetzt so sehr, als vorhin der Müller über ihn gelacht hatte.
Der Müller rief alle seine Leute zusammen und schrie immerfort vom redenden Esel; denn da er nicht weit in der Welt herumgekommen war, so war es ihm etwas ganz Unerhörtes, einen Esel reden zu hören; seine Leute aber glaubten, er sei übergeschnappt. Jetzt führte er sie alle nach dem Stalle, den Esel zu zeigen; aber siehe, an dessen Stelle hing eine Schütte Stroh an der Halfter vor der Eselskrippe, und der Müller versicherte hoch und teuer, dass er selbst ein geschlagener Esel sei.
Der Glasmann aber ging seiner Wege, segnete den Berggeist und gönnte von Herzen dem schadenfrohen Müller den Verlust und den Ärger.

Das blaue Flämmchen

Einst lebte ein einzelner alter Mann in einem uralten Hause. Bei dem blieb selten ein Gesinde lang und alle Dienstboten, die er gehabt hatte, erzählten, es sei nicht recht geheuer in dem Hause; man höre Gespenster poltern, sehe Flämmchen an dunklen Orten und werde auch sonst von allerhand Spuk geschreckt.
Nun geschah es, dass bei diesem Herrn abermals eine neue Magd einzog, die Anna hieß. Diese fragte der Herr nach der ersten Nacht, wie sie geschlafen habe, und fürchtete schon wieder Klage über Geisterspuk im Hause zu vernehmen. Die muntere Dirne aber antwortete ihm, sie habe ganz gut geschlafen. Ebenso erwiderte sie auf die gleiche Frage auch am zweiten Morgen. Am dritten Morgen aber verschlief sich die Magd, war dann verlegen und sagte: "Mir war die ganze Nacht, als tanze um mein Bett herum ein bläuliches Lichtlein, und das flüsterte fort und fort: ,Geh Ann', geh Ann'!' so dass ich nicht eher einschlafen konnte, als gegen Morgen beim ersten Hahnenschrei."
Wie nun einige Nächte hintereinander diese Erscheinung fortdauerte, wollte auch diese Magd den neu angetretenen Dienst wieder verlassen. Das war dem Herrn leid und er sagte deshalb zu der Anna: "Weißt du was, Anna, du brauchst dich nicht zu fürchten. Wenn du ein frommes und herzhaftes Mädchen bist, kann dir kein Spuk etwas anhaben. Hör an, ich will dir einen guten Rat erteilen: Wenn das blaue Licht ein Geist ist und dich ruft, so ziehe dich schnell an und folge ihm. Sei aber dabei sorglich auf deiner Hut, dass du nichts von ihm annimmst, nichts ergreifst, was er dir bietet, nichts tust, was er dich heißt, und dass er dir stets vorangehe. Tust du genau nach diesem Rate, so kann es vielleicht dein Glück sein."
Abends war die Dirne kaum im Bette, so tanzte das blaue Flämmchen wieder um dasselbe herum und flüsterte wieder: "Geh Ann', geh Ann'!"
"Wenn es denn sein muss", sagte Anna, indem sie aus dem Bett und rasch in die Kleider fuhr, "so gehen wir!" ",Geh Ann'!", flüsterte das Flämmchen.
"Geh du voran!", sprach Anna, und da flackerte das Flämmchen vor ihr her über einen Gang, die Treppe hinunter bis vor die Kellertür. Dort flüsterte das Flämmchen wieder: "Schließ auf, Ann'!"
"Schließ du auf!", sagte Anna, "ich habe keinen Schlüssel."
Da schien das Flämmchen die Gestalt eines kleinen weißen Weibleins anzunehmen, das hauchte gegen das Schlüsselloch, und da ging die Kellertür auf. Jetzt schwebte die bläulich schimmernde Gestalt die Kellertreppe hinunter vor Anna her, nach der hintersten Ecke des Kellers. Dort lehnte eine Hacke an der Mauer, und das Weiblein, dessen bläulicher Lichtschimmer den Keller leidlich hell machte, deutete auf das Werkzeug und flüsterte: "Hacke hier ein Loch, Ann'!"
"Hacke du ein Loch!", sprach Anna, "ich brauche keins."
Da ergriff das Weiblein wirklich die Hacke und arbeitete tüchtig darauf los. Nach kurzer Weile kam ein Kesselchen zum Vorschein, darinnen lagen allerhand schöne Sachen, alte Goldmünzen und Schmuck von guten Perlen und Edelsteinen.
"Heb Ann'! Heb heraus, Ann'!", flüsterte der Geist, aber Anna sprach ganz ruhig: "Heb du heraus, ich könnte mir Schaden tun." Da hob auch das Weiblein das Kesselchen aus dem Boden und setzte es vor Anna hin, dass es laut klang und klirrte von dem vielen Gold und Silber, welches darinnen lag.
"Trag's hinauf, Ann', in deine Kammer!" flüsterte das Weiblein; doch Anna sagte: "Trag's selber hinauf; mir ist's zu schwer!" Da hob das Weib das Kesselchen und flüsterte wieder: "Geh Ann', geh Ann'!" und Anna erwiderte: "Ich gehe nicht zuerst, der Leuchter geht voran!" So ging denn auch das Weiblein wieder aufwärts voran, aber langsam, denn es trug schwer an dem Kesselchen und ächzte und stöhnte alle Treppen hinauf bis in Annas Bettkammer. Da setzte es das Kesselchen hin, Anna legte sich wieder in ihr Bett und um das Bett tanzte wieder das bläuliche Licht. Da schlug Anna ein Kreuz und sprach: "Hast du mir geholfen, so möge Gott auch dir selbst helfen!"
Da stand noch einmal das weiße Weiblein in klarer Gestalt vor Anna und sein Gesicht leuchtete im Schimmer reinster Freude; dann verschwand es plötzlich. Anna schlief ruhig ein, und als sie am Morgen erwachte, glaubte sie, es habe ihr das alles nur geträumt. Aber siehe da - das Kesselchen war noch vorhanden und ein ansehnlicher Schatz war ihr beschert. Seit jener Nacht spukte nie wieder ein Geist im Hause des alten Herrn.

Seelenlos

Es war einmal ein Menschenfresser, der verspeiste nichts lieber als kleine Mädchen. Dabei war er so gewaltig und gefürchtet im Lande, dass niemand es wagte, ihn zu bekämpfen und ihm diesen Appetit zu vertreiben. Vielmehr musste ihm, sobald er ein Mägdlein verspeist hatte, bald ein anderes geliefert werden. Um aber bei der Wahl unparteiisch zu verfahren, mussten alle Mädchen des Landes bis zu einem gewissen Alter das Los ziehen, ohne Unterschied des Ranges und Standes ihrer Eltern, denn Seelenlos - so war der Name jenes Ungeheuers - duldete es nicht, dass man einen Unterschied mache. Nun geschah es, dass eines Tages abermals das Los gezogen wurde und dass das traurige Los die Tochter des Königs traf. Zwar suchte der König durch Anerbieten vieler Schätze von seiner Tochter das ihr drohende Schicksal abzuwenden, aber Seelenlos ließ vermelden: "Das geht nicht! Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig."
Da indessen die Königstochter nicht sofort nach Ziehung des Loses ausgeliefert zu werden brauchte, so ließ der König bekanntmachen, dass, wer seine Tochter von dem schrecklichen, ihr drohenden Schicksal erlöse, sie zur Gemahlin und sein halbes Reich als Mitgift erhalten solle. Allein es meldete sich niemand, denn mit seelenlosen Leuten hat schon sowieso nicht gern jemand was zu tun, geschweige denn, wenn sie noch dazu Menschenfresser sind.
Da hörte zufällig auch ein junger Soldat von des Königs Aufruf und dachte in seinem Sinne: „Mir ist in meinem Dienste schon so vieles Seelenloses vorgekommen und ich habe dafür so viele Herzhaftigkeit mir erworben, dass ich’s wohl mit diesem Herrn Seelenlos aufzunehmen mir getraue.
Er ging also zum König und bat sich die Gnade aus, sein Leben gegen Seelenlos für ihn und die Prinzessin in die Schanze schlagen zu dürfen. Darauf gab ihm der König ein schönes Handgeld und schenkte ihm ein scharfes Vorlegemesser, um womöglich den Riesen damit in Stücke zu zerschneiden.
Der mutige Soldat machte sich auf den Weg und kam über einen Anger, auf dem lag ein toter Esel, der alle vier Beine von sich streckte. Um den Esel herum saßen ein Löwe, ein Bär und ein Adler, auf der Eselsnase aber saß eine große blaue Schmeißfliege. Jedes wollte seinen Teil vom Esel haben, aber sie konnten sich über die Teilung nicht einigen und riefen den Soldaten an, als Unparteiischer das Teilungsgeschäft vorzunehmen.
"Je nun!", sagte der Soldat, "ich will euch aus der Verlegenheit helfen und nach Recht und Überzeugung teilen, und zwar nach dem schönen Spruche: Jedem das Seine!"
Er zog nun sein Vorlegemesser, strich es hübsch auf seinem Säbelriemen ab und fing an, den Esel nach Herzenslust zu zerlegen.
"Dir, dem Löwen", sprach der einsichtsvolle Soldat, "gebührt vor allem der Eselskopf mit dem schönen Gehirn, weil du selbst der Tiere Haupt und König bist, dann die breite kräftige Eselsbrust nebst einem Rückenstück und zwei Schinken. Dir, dem beherzten, heißblütigen Adler, dem König der Vögel, gebührt des Esels Herz samt allem edlen Eingeweide, absonderlich der starken Lunge, sowie Leber und Nieren, und ein Schinken, vom Fleische, ebenfalls ein Rückenstück und ein Lendenbraten. - Dir, Meister Petz, kühner Nordlandsrecke, großer Brummer, gebührt das dritte Rippenstück, der zweite Lendenbraten und der vierte Schinken, und was du sonst magst. - Und dir endlich, blau angelaufene Fliege, kleiner Brummer, gebührt des Esels Schwanz, die Beine, und alles, was die drei anderen nicht mögen und etwa übriglassen wollen. Du wirst dich damit um so freudiger bescheiden, da du ja viel zu zart bist, um schnödes Eselsfleisch zu essen, vielmehr dich vom Tau und Dufte der Blumen sättigst und nur für deine Eier und künftige Larvenbrut ein wenig faulen Fleisches bedarfst." Mit dieser Teilung waren die vier Tiere außerordentlich zufrieden und zollten dem klugen Soldaten den Tribut des Dankes.
Die Brummfliege setzte sich ihm auf die Hand, küsste diese mit ihrem Rüssel und sprach: "So oft du diese Stelle mit deinem Finger berührst, kannst du deine unförmliche und ungeschlachte Menschengestalt in eine ebenso schöne als zarte, musikalische, blaue Brummfliege verwandeln, wie ich eine bin."
Der Adler zog sich mit seinem Schnabel eine Schwungfeder aus dem rechten Flügel, reichte sie dem Soldaten dar und sagte: "Mittels dieser Feder kannst du dich, so oft du sie drehst, in einen Adler verwandeln und als solcher große Dinge tun. Auch kannst du sie schneiden, und was du mit ihr unterschreibst und verbriefst oder verbriefen lässt, das hält und dauert noch drei Tage länger als die Ewigkeit."
"Biederer Mensch", sprach der Löwe: "ich muss dir eine Pfote geben, das wird dich stärken und großmächtig machen in der Welt!"
Der Bär endlich sprach: "Edelster der Edlen; komm an mein Herz, ich muss dich umarmen und dir einen Kuss geben!" Doch der Soldat entgegnete: "Ich dank' euch zwei beiden schönstens! Ihr seid mir gar zu gütig! Ich habe schon genug!" Denn er fürchtete die scharfen Klauennägel der Löwentatze, wie des Bären Umarmung und die Nähe von dessen Zähnen an seiner Nase. Er drehte daher sehr schnell die Feder, wurde zum Adler und erhob sich rasch in die Lüfte. Von da aus spähte er jetzt nach dem Hause des Herrn Seelenlos umher und entdeckte es auch sehr bald mit seinem Adlerblick. Das war schon ein großer Gewinn für den braven Soldaten. Doch musste er nun auch auf Mittel sinnen, wie dem Seelenlos beizukommen sei. - Diesem war mittlerweile die Königstochter ausgeliefert worden, doch hielt er sie, ehe er sie verspeisen wollte, noch eine Zeitlang gefangen.
Nun verwandelte sich der Soldat erst wieder in einen Menschen, drückte mit dem Finger auf das kleine Denkmal der Fliege auf seiner Hand, wurde dadurch zu einer Fliege und schlüpfte durch das Fenster des Gemaches, in welchem die todesbetrübte Königstochter an Ketten gefangen saß. Dort verwandelte er sich wieder in seine menschliche Gestalt und teilte der freudig erschrockenen Prinzessin seine Absicht mit, sie zu erlösen. Er bat sie, ihm zu sagen, auf welche Weise er dies möglich machen könne, er wisse nicht recht, wie er einen Seelenlos töten und entseelen solle. Jedenfalls müsse dessen Seele doch irgendwo sein und dieser Ort müsse ausfindig gemacht werden. Die Königstochter war über das Vorhaben des tapferen Soldaten, sie zu befreien, überglücklich und verhieß ihm, Erkundigungen einzuziehen. Hierauf nahm der Soldat von neuem seine Verwandlung vor und entfernte sich. Zu der Königstochter aber kam bald darauf Seelenlos, der Menschenfresser, und brachte ihr treffliche Speisen und Getränke, damit sie sich gut nähre, bis er die Zeit ersehen würde, sie zu verspeisen. Sie fragte ihn gleich, wo denn seine Seele sei. Er aber antwortete ihr unwirsch: "Dir das zu sagen, werde ich wohl bleiben lassen, denn wenn ich schon seelenlos bin, so bin ich doch nicht hirnlos, und es könnte mir, wenn nicht an der Seele, so doch am Leibe schaden, wenn ich mein größtes Geheimnis dir, einem schwatzhaften Weibe, anvertrauen wollte." Aber die Königstochter ließ mit Bitten nicht nach, bis Seelenlos ihr doch sein Geheimnis anvertraute und ihr sagte, seine Seele sei in einer kleinen goldenen Truhe verschlossen, diese Truhe stehe auf einem gläsernen Felsen und der Felsen mitten im Roten Meere. Ein böser Zauberer habe alles so angerichtet und ihn seelenlos und zu einem Menschenfresser gemacht; er könne nichts dafür; wenn er seine Seele wiederbekomme, so werde er wieder ein guter Mensch.
Das alles sagte die gefangene Königstochter dem Soldaten wieder, als er sie abermals besuchte. Alsbald verwandelte sich dieser in einen Adler und flog nach dem Schlosse der vier Winde. Diese selbst waren ausgeflogen, aber ihre Mutter war zu Hause, und er bat letztere um Herberge in ihrem luftigen Palast und erzählte ihr seine Geschichte, worauf die Windmutter gleich bereit war, ihm durch ihre Söhne Beistand zu leisten. Gegen Abend kamen der Südwind und der Ostwind nach Hause; diesen stellte die Windmutter den tapferen Krieger vor und beschenkte ihn zugleich mit einem Wünschelflughütchen, das ihm die Kraft verlieh, so schnell wie der Wind zu fliegen.
Am anderen Morgen, als die Winde ausgeruht hatten, erhoben sie sich aufs neue und der Soldat flog in Adlergestalt mit ihnen und ebenso rasch wie sie, bis er an die Küste des Roten Meeres kam. Unterwegs hatte er den Winden erzählt, was er wünsche, und die Winde fuhren nicht über das Meer, damit es ruhig bleibe. Dann geboten sie den Fischen, das Kästchen zu suchen, in dem sich die Seele des Herrn Seelenlos befand. Das taten auch die Fische und sie fanden wohl den gläsernen Felsen, darauf die kleine Truhe stand, konnten aber nicht hinauf.
Endlich kam ein großer Weißling, der schnellte sich in die Höhe und ergatterte das Trühlein mit einem Satze, fasste es in sein Maul und brachte es dem Adler. Dieser schlug mächtig mit seinen Schwingen, wackelte mit dem Schwanz und tanzte vor Freude, worüber die Winde sehr lachen mussten, denn sie hatten noch keinen Adler so possierliche Sprünge machen sehen, soviel Adler sie auch schon gesehen hatten.
Hierauf dankte der Adler erst den Winden, dann dem Weißling aufs beste. Dann flog er, immer noch das Wünschelflughütchen auf dem Kopfe, nach der Heimat zurück und geradeswegs nach dem Schlosse des Herrn Seelenlos, wo er sich wieder in einen Menschen verwandelte. Er ließ sich sofort anmelden als ein Handelsmann aus dem Morgenland, der ein Kleinod anzubieten habe.
Seelenlos war sehr ungnädig über solch zudringlichen Besuch und ließ den Angemeldeten nur deshalb eintreten, um an ihm seine Grobheit auszulassen, wie er es bei jedermann tat. Denn ein Mensch ohne Seele kann gar nicht anders sein als ungeschliffen und grob.
Der Soldat und verkleidete Handelsmann kehrte sich indessen nicht an des Herrn Seelenlos grimmiges Gesicht und an seine Barschheit, sondern war um so höflicher, je gröber jener wurde. "Ich habe ein Kleinod, das für Euer Gnaden von unschätzbarem Werte ist", sprach der Fremde, "und biete Euch dasselbe zum Tausch an."
"Wird ein rechter Bettel sein, Sein Kleinod!", murrte Seelenlos. "Was kann so ein Lump mir bieten? Bildet Er sich ein, ich könne Ihn nicht mit barem Gelde bezahlen, dass Er sich erfrecht, vom Tausche zu reden? Was hätte ich, das Ihm ansteht? Gleich will ich's wissen!" - "Euer Gnaden", antwortete der Fremde, "halten ein Juwel in Verwahrung, das ist die schöne Königstochter, und der Bettel, den ich gegen dieses Kleinod anzubieten habe, ist Euer Gnaden eigene Seele."
"Meine Seele!", rief Seelenlos mit namenlosem Erstaunen. "Meine Seele hast du? Bei meiner armen, leider verlorenen Seele schwöre ich dir, dass du, wenn ich hundert Königstöchter gefangen hielte, alle hundert bekommen solltest, wenn ich nur meine Seele wieder hätte."
"Ich bescheide mich mit der einen", erwiderte der Handelsmann, "hundert dürften mir zuviel werden. Aber schließen wir den Vertrag schriftlich ab!" Mit diesen Worten zog der Soldat ein beschriebenes Blatt Papier hervor, darauf schon alles kurz und bündig stand, und reichte Seelenlos die Adlerfeder dar, mit ihr zu unterzeichnen: Dies tat Seelenlos auch, worauf er Befehl gab, eilends seine schöne Gefangene herbeizuführen. Diese hatte eine große Freude, den Soldaten bei dem Menschenfresser zu finden, der bereits den Fremden sich auf das Ruhebett hatte niedersetzen lassen, indem schon die Nähe seiner Seele ihn menschlicher zu stimmen begann.
Jetzt nahm der Soldat das kleine goldene Trühlein aus seiner Tasche, das mit einer Schraube verschlossen war, und gab es in Seelenlos' Hand. Dieser öffnete geschwind die Schraube, hielt die Öffnung an seinen Mund und sog mit Wohlgefühl seine Seele in sich ein. Da war mit einemmal der schlimme Zauber gelöst. Die Königstochter war nicht mehr gefangen und Seelenlos war nicht mehr seelenlos, vielmehr ganz selig. Er umarmte den Soldaten unter einem Strome von Freudentränen und hätte gern auch die Königstochter umarmt, aber eine ehrfurchtsvolle Scheu hielt ihn davon zurück, der beste Beweis, dass er wieder eine Seele gewonnen hatte. Doch bat er beide um ihre Freundschaft.
Hierauf zog der Soldat mit der Königstochter von hinnen, ward vom König, ihrem Vater, in den Prinzenstand erhoben und heiratete als neugebackener Prinz die junge Prinzessin. Beide lebten fortan glücklich und in Freuden und das ganze Land war froh und zufrieden, dass der Menschenfresser seine Seele wieder hatte und keinen Appetit mehr auf gebratene Mädchen zeigte.

Vom Hühnchen und Hähnchen

Es waren einmal ein Hühnchen und ein Hähnchen, die gingen miteinander auf den Nussberg und suchten sich Nüsschen. Das Hähnchen sprach zum Hühnchen: "Wenn du ein Nüsschen findest, so iss es ja nicht allein! Gib mir die Hälfte davon, sonst erstickst du!" Aber das Hühnchen hatte ein Nüsschen gefunden , und es allein gegessen, und der Kern war in seinem Hälschen steckengeblieben, dass es am Ersticken war und ängstlich rief: "Hähnchen, Hähnchen, hol' mir geschwind ein wenig Brunnen, ich ersticke sonst!"
Da lief das Hähnchen flugs zum Brunnen und sprach: "Brunn', Brunn', gib mir Brunn', dass ich den Brunn' meinem Hühnchen geb'! Es liegt oben auf dem Nussberg und will ersticken!"
Und der Brunnen sprach: "Erst geh hin zur Braut und hole mir den Kranz!"
Da lief das Hähnchen hin zur Braut und sprach: "Braut, Braut, gib mir den Kranz, dass ich den Kranz dem Brunnen geb', dass mir der Brunnen Brunnen gibt, dass ich den Brunnen meinem Hühnchen geb'! Es liegt oben auf dem Nussberg und will ersticken!"
Aber die Braut sprach: "Erst geh hin zum Schuster und hole mir meine Schuhe!"
Und als das Hähnchen zum Schuster kam, sprach dieser: "Erst geh hin zur Sau und hole mir Schmer!"
Und die Sau sprach: "Erst geh hin zur Kuh und hole mir Milch!"
Und die Kuh sprach: "Erst geh hin zur Wiese und hole mir Gras!"
Als nun das Hähnchen zur Wiese kam und sie um Gras bat, war diese gütig und gab ihm viele Blumen und Gras. Dieses gab geschwind das Hähnchen der Kuh und erhielt Milch dafür, und für die Milch tat auch das Schwein von seinem Fette her, und damit schmierte der Schuster sein Leder und machte flugs die Schuhe der Braut, und gegen die Schuhe tat freundlich die Braut den Kranz her, und das Hähnchen reichte den Kranz dem Brunnen, und dieser sprudelte sogleich sein klares Wasser heraus und in das Gefäßchen, welches das Hähnchen unterhielt.
Im schnellen Lauf kehrte nun das Hähnchen zurück zum Nussberg; aber als es dorthin kam, war das Hühnchen unterdessen erstickt. Da kikerikite das Hähnchen vor Schmerz hell auf; das hörten alle Tiere in der Nachbarschaft, die liefen herbei und weinten um das Hühnchen. Und da bauten sechs Mäuselein einen Trauerwagen, darauf legten sie das tote Hühnchen und spannten sich davor und zogen den Wagen hinweg. Als sie nun, das Hähnchen, das tote Hühnchen, die Mäuslein und der Trauerwagen, so auf dem Wege waren, da kam der Fuchs hinterdrein und fragte: "Wo willst du hin, Hähnchen?"
"Ich will mein Hühnchen begraben!"
"Das will ich tun, du Narr!", rief der Fuchs, fraß das Hühnchen, weil es noch nicht lange tot war, und begrub's in seinem Magen.
Da trauerte das Hähnchen und rief: "So wünsch' ich mir den Tod, um bei meinem Hühnchen zu sein!"
"So soll es sein!", sprach der Fuchs und 'fraß das Hähnchen, dass es zu seinem Hühnchen kam. Da weinten die Mäuselein um das Hähnchen, und da dachte der Fuchs, sie wollten auch tot sein, und schlang sie hinter. Weil aber die Mäuselein an den Wagen gespannt waren, so schlang er auch den Wagen mit hinunter, und da stieß ihm die Deichsel das Herz ab, dass er längelang hinfiel und alle viere von sich streckte. Da flog ein Vöglein auf einen Lindenzweig und sang: "Fuchs ist mausetot! Fuchs ist mausetot!"

Die Adler und die Raben

Unermesslich groß waren zwei hohe Bergwälder; die lagen sich gerade gegenüber, und in dem einen dieser Wälder horsteten nur Adler, im anderen aber nisteten bloß Raben, und jedes dieser zwei Vogelgeschlechter stand unter einem König seiner Art. Da geschah es, dass alter Hass aufs Neue rege ward unter den Adlern gegen die Raben. In einer Nacht erhob sich der Adlerkönig mit einer Schar der Seinen, flog hinüber nach dem Rabenwald, überfiel dort die schlafenden und keines feindseligen Angriffs sich vorsehenden Raben und tötete ihrer eine große Anzahl. Als der Rabenkönig am nächsten Morgen erwachte und sich von seinem Nest erhob, da erst erfuhr er etwas von dem Überfall und vernahm mit ernster Betrübnis den Schaden und großen Verlust der Seinen. Sofort versammelte er alle seine weisen Räte und gedachte mit ihnen zu beratschlagen, wie man am besten diese untreue Tat der Adler rächen könne und solle.
Da die Raben, wie die Naturgeschichte lehrt, merklich gute Redner sind, so fehlte es auch dem Rabenkönig nicht an der rechten Redegabe, und er sprach zum versammelten Hohen Rat also: "Meine lieben Getreuen! Euch ist kund geworden, wie ohne vorherige Absagung und Kriegserklärung, zuwider allem Völkerrecht, die Adler uns heimlich bei nächtlicher Weile überfallen und viele der Unseren gemordet haben, ohne dass wir zur Zeit noch erfahren können, warum sie solches getan haben. Würden wir das dulden und keine Wiedervergeltung üben, so könnte sich solche Frechheit wiederholen. Darum lasset uns ratschlagen, was zu tun für uns und unseren Staat das Beste ist. Übereilt euch nicht mit eurem Rate, sondern überlegt ihn wohl, denn unser aller Wohl oder Wehe hängt davon ab, ob wir weisen oder unweisen Rat schöpfen. Sinne ein jeder eine gute Weile nach über den unerhörten Fall, der unseres Reiches bisherige Wohlfahrt stört, ja, sie mit Vernichtung bedroht, ob wir nicht Mittel finden, dem feindseligen Tun der Adler zu steuern."
Auf diese Rede des Königs erfolgte eine geheime Sitzung bei verschlossenen Türen, der aber nur die fünf Geheimräte des Rabenreiches unter Vorsitz des Königs beiwohnten. Die meisten von diesen Raben waren vom Alter ganz grau, einige sogar hell befiedert, und mancher hatte einen völlig kahlen Kopf. fast alle gingen gebeugt einher unter der Last ihrer Jahre, die, da Raben bekanntlich sehr alt werden, in der Zahl zum Teile noch den Methusalem übertrafen. Der König war weit jünger als sie alle. Als der letztere nun den geheimen Rat eröffnet hatte, nahm der Ministerpräsident das Wort und sprach: "Großmächtigster König und Herr! Die alten Weisen haben schon ausgesprochen, was ich zu raten mir gestatte. Wenn ein Feind dir an Macht überlegen ist und du nicht vermagst, ihm zu widerstehen, so weiche ihm. Vermiss dich nicht mit einem eitlen und stolzen Herzen, mit ihm zu kämpfen, sonst wirst du des Schadens noch mehr von ihm erleiden denn zuvor."
Der König fasste den Sinn dieser Rede vollkommen wohl, äußerte seine Meinung aber nicht, sondern wendete sich an seinen zweiten Geheimrat und fragte: "Was sagest du?"
"Allergnädigster König und Herr!" antwortete der Gefragte, "ich kann die Ansicht meines Vorredners nicht teilen. Sollte es wohlgetan sein, so ohne weiteres uns als besiegt zu erklären und unsere Heimat ohne den Versuch einer Verteidigung aufzugeben? Nein! Lasset uns vielmehr zu mannhaftem Widerstande bereit sein. Hüter und Späher lasset uns aussenden, die uns alles künden, was sie vom Beginnen der Adler gewahren, und kommen letztere wieder, uns feindlich anzufallen, so lasst uns ihnen tapfer und mit aller Macht entgegen ziehen! Schimpflich aber bliebe das Verlassen dieses als Erbe unserer Väter geheiligten Waldes und Wohnsitzes. Den lasst uns verteidigen auf Tod und Leben! Zu schmählichem Rückzuge bleibt immer noch Zeit, wenn wir im Kampfe unterliegen."
Schweigend hörte der König auch diesen Rat und gab dem dritten seiner Geheimräte das Wort. Dieser erhob mit Würde sein ernst gesenktes Haupt, öffnete seinen Schnabel bedachtsam und ließ sich also vernehmen: „Allergnädigster König und Herr! Die verehrten Vorredner haben sicher nach ihrer gewissenhaften, wenn auch einander entgegen gesetzten Überzeugung gesprochen. Mir scheint es schwierig zu sein, gegen die Adler mit Hoffnung auf Sieg zu streiten, denn offenbar sind sie stärker, streitbarer und mächtiger als wir; aber auch ich rate nicht schimpfliche Flucht und freiwillige Verbannung an. Sende, 0 König, einen weisen, redekundigen Mann deines Vertrauens zu den Adlern hinüber, der möge ihren König fragen, ob er Kenntnis von dem Überfalle gehabt habe, was dessen Grund sei, und womit wir denselben verschuldet haben. Vielleicht lässt sich das Geschehene als ein Missverständnis sühnen und auf dem Wege der Verhandlung gütlich beilegen. Vielleicht lässt sich auch von unserer Seite der Friede mit den Adlern erkaufen, damit wir ruhig im Schoße unserer Heimat verbleiben. Denn das ist das Wort der alten Weisen: Besser ist Friede denn Krieg, und nicht schimpflich ist es, Tribut zu entrichten dem unbesiegbaren Feinde!"
Der Sprecher schwieg und darauf gab der König dem vierten Rate das Wort. Dieser, minder hoch betagt als sein Vorredner, hob sein Haupt mit kühner Bewegung und sprach mit männlicher Kraft: "Keiner der verehrten Ratgeber hat ausgesprochen, was uns in Wahrheit frommen mag! Ich stimme gegen das gänzliche Aufgeben und Verlassen unseres Wohnsitzes; ich stimme gegen den ungleichen Kampf, der nur mit unserer schmählichen Niederlage und Knechtung enden würde; ich stimme gegen Verhandlung mit jenen nichtswürdigen Adlern, und vor allem stimme ich gegen einen Tribut, der uns ihnen gleichsam unterordnete! Mein unmaßgeblicher Rat ist, eine Zeitlang zu weichen, uns draußen Bundesgenossen zu werben und dann unversehens mit Heeresmacht zurückzukehren, den Adlern zu tun, wie sie uns getan haben, und uns so unseren Wohnsitz wiederzugewinnen. Die alten Weisen sagten: Wer sich seinem Feinde unterwürfig macht, der hilft ihm wider sich selbst."
Der König wiegte bedächtig sein Haupt hin und her; erfasste und erwog den Sinn aller vernommenen Worte in seinen Gedanken und winkte dem fünften seiner Räte, zu sprechen. Dieser begann: "Meinem Bedünken nach frommt uns keiner von allen bisher gegebenen Ratschlägen vollkommen. Ich kann zwar ebenfalls nicht dafür stimmen, gegen einen uns überlegenen Feind zu streiten. Ich fürchte die Aare, und niemand soll seinen Feind zu gering achten! Ich kann aber auch nicht zu schimpflicher Flucht raten, ebensowenig zu schimpflichem Tribut, und noch minder möchte ich den Adlern die Ehre einer Gesandtschaft unsererseits angetan sehen, denn einer solchen würden sie sicherlich spotten. Mein Rat und Vorschlag ist der: Abzuwarten mit List und Vorsicht, was weiter von Seiten der Adler gegen uns vorgenommen werden sollte, und keine Furcht zu zeigen, aber auch keine Herausforderung. Ein Weiser sieht seinen Schaden voraus und bewahrt sich vor ihm, bevor er ihm naht. Mit sanfter Gewalt, durch List und Verstand vermeiden wir vielleicht den Krieg und die Unterjochung."
Jetzt nahm der König fragend das Wort: "Wie meinst du das? Welche List willst du brauchen gegen die Adler? Sprich es ganz aus, was du im Sinne hast!"
Der Sprecher erwiderte: "Höre mich, mein König und Herr! Mein Rat ist also dieser: zum ersten, dass wir uns des Eindrucks entschlagen, den der Schreck des unvermuteten feindlichen Überfalles auf unsere Herzen machte, und mit gestärktem, herzhaftem Gemüt Beschlüsse fassen; zweitens, dass wir uns völlig klar werden über die Ursache des Überfalles und der Feindseligkeit der Adler gegen uns, eine Ursache, die in alter Zeit wurzelt. Ohne diese Ursache zu kennen und reiflich zu erwägen, ist unsererseits ein vernunftgemäßer Entschluss nicht möglich."
"Aber wie sollen wir diese Ursache ergründen?", fragte der König. –
"Sie ist ergründet, ich kenne sie, mein König", antwortete der Sprecher. –
"So sage sie!", gebot der König.
"Sie ist ein Geheimnis, mein königlicher Gebieter!", entgegnete der weise Ratgeber. "Die alten Weisen gaben aber das schöne Rätsel auf: Was ist für einen zu wenig, für zwei genügend; für drei zu viel? Die Lösung ist das Geheimnis; und was ich dir zu sagen habe, ist nur für zwei Zungen und für vier Ohren tauglich."
Auf diese Worte hob der König die Sitzung seines Geheimratskollegiums auf, hieß den weisen Rat ihm in ein anderes Gemach folgen und fragte ihn dort: "Was weißt du von der Ursache des gegen uns offenbar gewordenen Hasses der Adler?"
"Die ganze Ursache wurzelt in einer Rede, mein König, die einmal ein Rabe gehalten hat", antwortete der Geheimrat.
"So erzähle!", sprach der König, und der Ratgeber erzählte:

Der Hase und der Elefantenkönig

„Es kamen einmal alle Geschlechter der Vögel zusammen, gemeinsam einen neuen König zu küren, denn ihr bisheriger König war gestorben, und sie waren bereits unter sich einig, den Aar zum König zu wählen. Schon sollte die Wahl erfolgen und bestätigt werden, da sah die Versammlung von weitem den Raben geflogen kommen, der sich verspätet hatte, und da sprachen einige der Versammelten: Es ist gut, dass der Rabe auch noch kommt, auf dass wir seinen Rat ebenfalls vernehmen. Als der Rabe sich niederließ, sprachen sie zu ihm: Es ist recht, dass du kommst, dein Stimmrecht auszuüben, wie jeder von uns befugt und berufen ist; gern hören wir deine Meinung, doch sind die meisten Stimmen für den Adler als unseren künftigen König.'
Darauf antwortete der Rabe: Wenn über die Wahl bereits entschieden ist, so bleibe ich in der Minderheit und bin von vornherein überstimmt, aber dennoch gebe ich mein Nein zu diesem eurem Beschluss. Und selbst, wenn es keine edleren Geschlechter unter uns Vögeln mehr gäbe, keine Königsgeier, Edelfalken, Reiher und heilige Ibisse, Schwäne und Paradiesvögel, sondern nur Tauben, Spatzen, Nachteulen und Rohrdommeln und dergleichen, so würde ich dennoch nicht für den Adler als unser gemeinschaftliches Oberhaupt stimmen. Denn er wird von bösen Sitten beherrscht, seine Farbe ist ein unentschiedenes, geflecktes und getigertes Braun, seine Zunge trägt er verkehrt im Schnabel. Schöne Reden zu halten, wie wir weisen Raben, vermag er gar nicht, und doch kommt so unendlich viel darauf an, dass ein Herrscher auch gut zu sprechen und Reden zu halten wisse. Der Adler ist ein halber Tor, in seinem ganzen Wesen und Gebaren ist kein Adel, nicht das, was wir noble Haltung nennen. Vernunft besitzt er gar nicht, desto mehr aber Grimm und Grausamkeit, jähen Zorn und gnadenlose, unbarmherzige Tyrannei. Sein ganzes Geschlecht ist von jeher übel berühmt, hat stets auf Schlimmes gesonnen und ist arglistigen, tückischen Herzens auf anderer Schaden bedacht gewesen; es ist so voll Bosheit, dass ich es gar nicht auszusprechen vermag. Darum sage ich euch, wählt keinen Adler zu unserem König, suchet euch einen anderen, wenn er auch minder klug und scharfsichtig ist. Edle Einfalt der Gemütsart ist besser, als behände, all überlistende Klugheit. Denn mag ein König immerhin etwas beschränkten Verstandes sein, wenn er nur weise Minister hat und fromme Räte, so wird sein Reich wohl bestehen, wie wir ein Beispiel haben an dem König der Hasen. Dieser war nicht besonders klug und weise, aber er folgte weisen Ratschlägen, und das kam ihm zugute.
Auf diese Rede fragten alle Vögel, welche so aufmerksam zuhörten wie du jetzt mir, mein allergnädigster König und Herr" - fuhr der weise Ratgeber zu erzählen fort - was denn der Hasenkönig getan und vorgehabt habe. Worauf der Rabe antwortete: ,Es war einmal ein überteures Jahr und dabei so trocken, dass die Früchte des Landes verdorrten und alle Quellbrunnen versiegten. Das zu ertragen fiel allen Tieren sehr schwer, am schwersten aber denen, welche vieler Pflanzennahrung bedürfen, folglich den größeren und größten, namentlich den Elefanten. Diese traten zusammen und klagten ihrem König ihre große Not und sprachen: Uns gebricht es täglich mehr an Wasser und Weide. Wäre es dir genehm, so wollten wir Boten aussenden, eine andere Wohnstätte zu suchen, dass wir unser Leben erhalten. - Ich habe nichts dagegen, tut nach eurem Rat und Gefallen!, antwortete der Elefantenkönig.
Darauf ließen die Elefanten einige ihrer Klügsten nach wasserreichen Wohn- und Weideplätzen suchen. Von diesen Sendungen gelangten einige in das Königreich der Hasen. Das war gar ein lustiger Ort mit einem Brunnen, welcher dem Monde heilig war, wie denn auch die Hasen dem Monde heilig waren vor alten Zeiten. Dort, rings um den Brunnen, waren die unterirdischen Höhlen der Hasen. Den ausgesandten Spähern gefiel Ort und Gelegenheit gar zu wohl; sie kehrten heim und erstatteten Bericht über den neuen Wohnsitz. Von den Hasen hatten sie nichts wahrgenommen; denn der Kleine fürchtet bekanntlich den Großen und die Weisen behaupten, es sei von Seiten Kleiner nicht gut Kirschen essen mit den Mächtigen:
Auf die gute Botschaft hin brach das Elefantenvolk samt seinem König auf, und sie zertrampelten der armen Hasen Wohnungen, Höhlen und Ansitze in Grund und Boden, samt einem Teile des zaghaften Völkleins selbst. Da war des Jammerns kein Ende und die Hasen liefen haufenweise zu ihrem König und klagten ihm ihr Herzeleid und wollten Rat und Hilfe von ihm. Aber da war guter Rat teuer und Hilfe fern; denn was vermag das schwache Häslein gegen den mächtigen Elefanten? Der Hasenkönig aber berief dennoch seine Räte und sprach zu ihnen: Ich fühle wohl, dass ich nicht weise genug bin, meinem zertretenen Reiche zu helfen; darum ratet ihr, was uns zu tun ziemt, redlich und getreulich, mir und euch und der gesamten Hasenheit zu Nutz und Frommen. Da sprach ein alter Hase, welcher weise und gelehrt war und in großer Achtung stand: Wenn es dir gefällt, so sende mich, mein König, und noch einen deiner Getreuen, der meine Werbung mit vernehme und dir darüber berichte, zum König der Elefanten.
Der Hasenkönig erwiderte auf diese Rede: Mich will bedünken, du seiest getreu und weise genug, und ich vertraue dir sonder allem Argwohn ganz allein. Vollziehe die Sendung und melde dann, was du ausgerichtet hast. Sage auch dem König der Elefanten meinen Gruß und außerdem in meinem Namen alles, was dir gut dünkt.
Hierauf machte sich der Hase in einer hellen Vollmondnacht auf und ging nach dem Mondbrunnen. Er überlegte mit Vorsicht, dass er von zarter Leibes- und Gliederbeschaffenheit sei, und dachte der alten Sprichwörter: Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, der kommt darin um, und wer unter die wilden Tiere geht, den zehren sie auf. Ich will diesen Berg besteigen, sprach er bei sich, und mit dem Elefantenkönig Zwiesprach pflegen.
Der alte Hase tat, wie er gesagt hatte, und kam vor den Elefantenkönig und sprach zu ihm: An dich, großmächtigster Herr und König, sendet mich der Mond, mein Nacht beherrschender Gebieter. Höre seine Botschaft durch mich an in deiner Weisheit und lass mich nicht etwa Missfälliges entgelten, denn ein Abgesandter ist nur ein Werkzeug.
Der Elefantenkönig sprach: Sage mir an, was ist es, das der Mond wünscht und gebeut!
Und der alte Hase erwiderte: Also entbietet dir durch meinen Mund der Mond: Der Mächtige, der seiner Macht vertraut, lässt sich leicht durch diese bewegen, zu streiten gegen den, der noch mächtiger und stärker ist, und sein Kampfgelüst wird ihm leicht zu einem Strick um seine Füße. Du, 0 König, lässest dir damit nicht genügen, dass du der mächtigste und größte bist unter allen Tieren, nein, du hast deinen Zug unternommen gegen mein armes Volk, das Volk der Hasen. Du hast mit den Deinen ihre und ihrer unschuldigen Kindlein Weide zertreten und meinen und ihren Brunnen. Tue dies nicht mehr, hebe dich mit den Deinen anderswohin von dannen oder ich will eure Augen trübe machen; spricht der Mond, und euch von dannen bringen mit einem grimmigen Zorn. - Und so du, 0 König, meinen Worten nicht glaubst, so soll ich dir des Mondes zornvolles Antlitz zeigen.
Da erschrak der Elefantenkönig und ging mit dem Hasen zu dem Mondbrunnen, und der Hase ließ ihn in das Wasser sehen und sagte: Schmecke mit deiner langen Nase hinab, so schmeckst du den Mond.
Da stieß der Elefant seinen Rüssel in den Mondbrunnen und da bewegte sich alsbald das Wasser, und das sich widerspiegelnde klare Antlitz des Mondes verzerrte sich. Siehest du, o mächtiger König!, rief der Hase, wie grimmig der Mond dich anschaut und dadurch seinen ganzen Zorn verkündet über das Arge, das du ihm und seinem Volke getan hast!
Darauf sprach der Elefantenkönig: 0 heiliger Mond! Nimmermehr soll einer der Meinen wider dich und die Deinen sein! Gern wollen wir weichen von deinem Heiligtum.
Und er tat also und zog ab mit den Seinen weit hinweg von dem Mondbrunnen, und die Hasen nahmen wieder Besitz und bauten ihre Wohnungen aufs neue, und sie wohnen noch heute in Frieden an ihrem Orte.
Dieses, sprach der zu dem Volke der Vögel redende Rabe, habe ich euch als ein Beispiel gesagt, dass ihr einen verständigen König euch wählt, der, wie jener König der Hasen, auf verständigen Rat achtet und nicht selbstherrisch immer oben hinaus will, wie der .Adler, und auf dem Irrtum seines törichten Kopfes beharrt, oder der auch, weil Weisheit ihm mangelt, wie dem Elefantenkönig, leicht zu überlisten ist. Es ist auch ganz gegen des gesamten Vogelreichs Satzung, dass alle ein gemeinsames Oberhaupt haben. Mögen die Adler einen Adler zum König wählen - dagegen lässt sich nichts sagen -, die Geier ihren Geierkönig, und die Zaunhüpferlinge ihren Zaunkönig, jedes Volk seinen eigenen; dafür sind die Geschlechter unterschieden. Was soll, um nur ein Beispiel euch zu sagen, dem schwachen, furchtsamen Taubengeschlecht ein grimmiger Adler zum König? Er wird erbarmungslos seine Krallen in ihrem Blute baden und sie gierig auffressen. Wahrlich, welches Geschlecht sich einen anderen Gebieter erwählt und dem falschen Fremdling vertraut, dem geschieht billig, wie dem Hasen und dem Vogel, die in einer Streitsache einen unbekannten Mann über sich zum Richter erkoren.
Wie war das? fragten die Vögel, erzähle es uns! –
Ich will es, mit eurer Erlaubnis, euch vortragen, erwiderte der Rabe, der Sprecher in der befiederten Versammlung.

Der Hase und der Vogel

Auch ich hatte einst, sprach der Rabe – so erzählte der weise Ratgeber des Rabenkönigs - zu den aufhorchend um ihn versammelten Vögeln, einen guten Freund, einen Vogel, dessen Name hier nicht zur Sache gehört. Derselbe hatte die Gewohnheit, wenn er sein Nest verließ, das in der Nachbarschaft des meinen, in einer Felskluft sich befand, oft sehr lange wegzubleiben, so dass ich manches Mal glaubte, er sei in der Fremde verunglückt oder gestorben oder gefangen oder er habe sich anderswo häuslich niedergelassen.
Da geschah es, dass ein Hase jene Felskluft und in ihr das weiche warme Vogelnest fand und sich hineinbettete. Ich hielt es nicht für weise, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen, und gedachte bei mir: Weshalb solltest du dem Hasen die Wohnung wehren, da doch vielleicht der Vogel nicht wiederkehrt? Auf einmal vernahm ich ein Gezänk unter mir; denn der Baum, welcher mein Nest trug, stand dicht neben den Felsen. Mein Nachbar, der Vogel, war wieder da, saß außen vor dem Felsloch und kreischte: Das ist mein Nest! Packe dich gleich heraus!' Drinnen aber saß der Hase und rief: Ich bin im Besitze dieser Wohnung, und das schon eine geraume Zeit. Da könnte jeder kommen, dem sie gefiele, und könnte sagen: Zieh aus!'- Du bist ein ehrvergessener, schlechter Hase! schrie der Vogel. Ein Räuber bist du! Das Nest ist mein, und du wirst es räumen! - Nein, ich werde es nicht räumen! erwiderte der Hase. Schimpfe und schwätze du, soviel du willst! Glaubst du eine gerechte Sache zu haben, so verklage mich! Vor dem Richter will ich dir Rede stehen, hier aber nicht. Hierauf verwahrte der Hase seine Tür und zog sich in das Innere der Felskluft zurück.
Eine Zeit darauf kam der Vogel wieder und sagte zum Hasen: Ich weiß einen frommen, redlichen Alten, der soll Recht sprechen zwischen dir und mir. Folge mir zu ihm!
Wer ist es? Wie heißt er? fragte der Hase.
Ich habe ihn noch nicht gesprochen, antwortete der Vogel. ,Er lebt noch nicht lange in dieser Gegend; er ist ein frommer Einsiedler, welcher den ganzen Tag fastet und betet und voll ehrbaren Wesens sich zeigt. Er soll früher ein Maushund gewesen sein, hat aber längst die Katzennatur abgetan und alle Üppigkeit der Welt, wie allen schnöden Mäusefraß. Er vergießt kein Blut, nährt sich von Wurzeln, Gras und Kräutern, sein Getränk ist nur klares Wasser. Er wird ganz gewiss unparteiisch über uns Urteil sprechen. –
Eine Katze? Ein alter Maushund? fragte misstrauisch der Hase. Dem traue ich nicht sonderlich. Das Sprichwort sagt: Die Katze lässt das Mausen nicht.
Aber der Vogel hörte nicht auf, in den Hasen zu dringen, bis dieser mit ihm ging. Ich folgte von fern nach, zu sehen, wie das ablaufen werde. Die Katze - eigentlich ein großer wilder Kater - saß, wie ich von weitem sah, vor ihrer Wohnung und sonnte sich, dehnte sich behaglich aus, beleckte sich die Pfoten und strich den Bart. Plötzlich, wie sie den Vogel und den Hasen kommen sah, huschte sie in ihr Gemach, und als die beiden Gefährten zu ihr eintraten, fanden sie dieselbe, in ein härenes Büßergewand gehüllt, in betender Stellung auf den Knien liegen. Da gewann auch der Hase Zutrauen und freute sich, einen so heiligen Mann kennen zu lernen, und nun entschuldigten beide um die Wette die Störung in der Andacht und baten, ihrem Anliegen ein geneigtes Ohr zu leihen.
Liebe Freunde! sprach der Maushund mit leiser und heiserer Stimme, indem er die Augen frömmelnd verdrehte, ,ich bin alt, meine Augen sind trübe und dunkel, um mein Gehör stehet es sehr übel. Gehet nahe herzu und redet recht laut, dass ich ja alles richtig vernehme!
Nun erzählten Vogel und Hase, wie sie miteinander ob des Nestes in Streit und Hader gekommen wären, und sich dahin geeinigt hätten, sich seinem unparteiischen Urteilsspruch zu unterwerfen. Als sie beiderseits schwiegen, sprach der wilde Maushund wieder ganz heiser: Hab' euch wohl verstanden, liebe Kinder, wohl verstanden. Ich will euch gut beraten und euch weisen die Wege der Gerechtigkeit. Oh, dass mich der Himmel erleuchte, ein rechtes und richtiges Urteil in dieser eurer so überaus wichtigen Sache zu fällen und in diesem schwierigen Falle die Wahrheit zu finden! Denn besser ist es, eine Sache geht verloren durch die Beleuchtung mit der Fackel der Wahrheit, als dass sie durch Lug und Trug und Unwahrheit fälschlich gewonnen werde. - Ach - ach! Was haben wir denn hienieden? Keine bleibende Stätte! Nur das eine nehmen wir mit hinüber in die zukünftige Welt, die Werke, die wir vollbracht haben zu unserer Seelen Heil oder zur Verdammnis. Gönnte doch ein jeglicher seinem Nächsten hienieden Gutes! Tretet getrost näher, liebe Kinder, und ruhet euch aus, derweil ich im Gebet um Erleuchtung in eurer Sache flehe.
Hase und Vogel vertrauten diesen heuchlerischen Worten des falschen, heimtückischen wilden Katers; ich aber, der ich nahegeflogen war und jedes Wort vernommen hatte, hörte nur noch, wie die Katze ihre Tür zuwarf, und wie der Vogel drinnen jämmerlich schrie. Das ungetreue Tier hatte Vogel und Hasen erwürgt, verspeiste beide und bezog dann jene verlassene Wohnung, welche besser gelegen und eingerichtet war als seine eigene armselige, worauf ich alsbald aus dieser gefährlichen Nachbarschaft auswanderte.
Sehet hier ein Beispiel, wie es sich bestraft, wenn man blindes Vertrauen auf unbekannte Leute setzt, die sich uns, gleich den Adlern, in Arglist und Bosheit nähern. Der Adler ist unter den Vögeln gerade das, was der Wolf unter den vierfüßigen Tieren. Ich bleibe dabei und wiederhole es euch dringend und warnend, ja, warnend: Wählt nimmer den Adler zum König!
Mit erhobener Stimme - fuhr der alte Geheimrat Rabe dem König, seinem Herrn, zu erzählen fort - endete der gewandte Volksredner seinen Vortrag, und was war die Folge? Kein Vogel wollte nun den Adler zum König haben; es wurde nichts aus der ganzen Königswahl, die Rednergabe des Raben feierte einen glänzenden Sieg; wenig fehlte, so hätte man ihn zum König ausgerufen.
Und was sagte der Adler dazu? fragte der König.
Der Adler sprach zum Raben: Sprich, Rabe, was habe ich dir jemals zuleide getan? Aus welchem Grunde wälzest du soviel Schmach auf mich? Nie habe ich etwas wider dich verschuldet und du mit deinen giftigen und verleumderischen Worten raubst mir heute eine herrliche Krone, die ich schon nahe ob meinem Haupte schweben sah! Aber bei aller Wahrheit schwöre ich dir heilig und teuer, du Lästerredner: Ein Baum, in den ein Mensch mit der Axt haut, wächst wieder zusammen, und eine Schwertwunde durch Fleisch und Bein mag wieder heilen. Aber die Wunden, welche die Zunge schlägt, die heilen nie. Deine Worte sind mir wie ein glühendes Schwert, das mir im Fleische wütet, und das Feuer unserer Feindschaft, in das deine Zunge Öl goss, das wird brennen ohne Ende! Heute hast du, 0 weiser Redner Rabe, einen Dornbusch gepflanzt zwischen dein Geschlecht und mein Geschlecht; der soll dauern und grünen von Weltalter zu Weltalter, bei unserem und unserer Kinder und spätesten Enkel Leben, und soll euch die bitterste Frucht des Hasses tragen! Das sei dir hiermit zugeschworen!
Als die Vögel die Zornworte des Adlers vernahmen, erschraken sie und hoben ihre Schwingen und flogen davon nach allen vier Winden, und der Adler flog auch davon, und keiner sagte weiter ein Wort. Nur der Rabe saß einsam und verlassen auf dem Steine, der ihm als Rednerkanzel gedient hatte, und wurde sehr nachdenklich und sprach zu sich selber: Nun habe ich auch geredet. Weiser wäre gewesen, wenn ich geschwiegen hätte. Die alten Weisen sagten: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Jetzt habe ich durch meine Warnung mir und meinem Geschlechte der Aare ewigen Hass heraufbeschworen. Der Adler hat mich mit Machtworten niedergeschmettert, und keiner der anderen Vögel hat auch nur den Schnabel aufgetan, das Wort für mich zu nehmen, trotz ihres vorherigen tollen Zujauchzens. Sie waren klug, sie haben das Gold des Schweigens gefunden; sie haben nicht Neigung gehabt, ihre
Zungen zu verbrennen, wie ich getan, ich alter Narr und alberner Schwätzer. Jene gedachten der Zukunft, ich hatte nur die Gegenwart im Auge. Stütze sich doch kein weiser Mann auf seine Weisheit und kein Starker auf seine Stärke, und belade sich nicht, um anderen zu nützen, mit Feindschaft! sonst ist er der Tor, der Gift genießt, um hernach dessen Wirkungen mit Gegengift zu hintertreiben. Solches Tun kann leicht fehlschlagen. für den unweisesten und aller dümmsten aller Vögel muss ich mich von heute an immerdar selbst halten. Konnte ich nicht dessen eingedenk sein, was die alten Weisen sagten: Das ist der schädlichste Verlust, den sich einer durch Worte zuzieht, - bevor ich mit meinem dummen Schnabel, in unüberlegtem Geschwätz, die ewige Feindschaft der Adler gegen mein ganzes Geschlecht entzündete! So klagte der Rabe und nahm sich seine unweise, von so schweren Folgen begleitete Rede dermaßen zu Herzen, dass er bald darauf schwer erkrankte und starb.
Siehe, mein König, endete der Geheimrat seine Mitteilung, das ist die Ursache des Adlerhasses gegen uns.
0 wehe!" seufzte der König, wollte der Himmel, dass jener unweise Rabe nie aus dem Ei gekrochen wäre, statt uns in diese Not zu bringen. Jetzt werden uns noch die Zähne von den sauren Träublein stumpf, die unsere Väter gegessen haben. Aber nun rede weiter, was soll es werden? Was sollen wir nun tun? drängte der König.

Der Einsiedler und die drei Gauner

Ein kluger Mann vollbringt durch Einsicht und überlegten Entschluss, was manchem stärkeren misslingt! sagte der weise Rabe, des Rabenkönigs Ratgeber, zu diesem. Ich muss dabei jener Gauner gedenken, die mit ihrer List und Schlauheit einen Einsiedler also täuschten, dass er das nicht mehr glaubte, was doch seine Augen sahen. –
Wie geschah das? fragte der König.
Und der Rabe antwortete: Es war einmal ein Einsiedler, der ging und kaufte sich eine Geiß, sie bei seiner Hütte zu halten und ihre Milch zu genießen. Das sahen von weitem drei Diebe und besprachen untereinander, wie sie ohne Gewalt den Waldbruder um die Geiß betrügen und diese sich aneignen möchten. Sie verteilten sich alsbald so, dass einer nach dem anderen dem Einsiedler begegnete, und zwar in kurzen Fristen hintereinander.
Der erste, welcher zu ihm kam, bot ihm den Gruß und sagte spöttisch: Waldbruder! Du sorgst dich gewiss, dass die Diebe dir deine Schätze stehlen wollen, weil du dir einen Hund gekauft hast. Was willst du mit dem Hunde tun? –
Es ist kein Hund, es ist eine Ziege! sagte der Einsiedler gelassen, aber jener behauptete steif und fest, es sei ein Hund, bis der zweite Gauner hinzukam und auch grüßte und ebenfalls fragte, was der fromme Waldbruder mit dem Hunde tun wolle.
Ein heiliger Mann, sagte er, muss sich nicht mit einem so unreinen Tiere befassen; ich täte mich seiner sicherlich und ohne Säumen ab. Eines Hundes Gebell stört Gebet und Andacht, und nirgends steht geschrieben, dass die heiligen Apostel Hunde geführt oder sich gar mit solchem Getier getragen hätten.
Jetzt kam der drittel Schalk hinzu, als jene drei noch über den vorgeblichen Hund stritten, und sprach: Aha! Ihr habt hier einen Hundehandel! Was soll der Köter gelten? Ich suche just ein solches Vieh zu kaufen.
Jetzt glaubte der Einsiedler allen Ernstes, seine Geiß sei ein Hund, und der sie ihm verkaufte, habe ihn betrogen, und da warf er im Zorne die Geiß hin und eilte von dannen, seiner Klause zu, wo er sich wusch und säuberte. Die drei Gauner aber nahmen die Geiß, trugen sie heim, schlachteten und brieten sie und ließen sich den Braten gut schmecken, indem sie des Einsiedlers Einfalt noch lange belachten.
Dieses sagte ich dir, mein König, fuhr der weise Rabe fort, auf dass du erwägest, dass, wie klug und mächtig auch die Adler sind, wir mit List und Schlauheit uns ihrer dennoch entledigen können. - Und nun, mein allergnädigster König, sage ich dir erst mein eigentliches Geheimnis, denn die Ursache der Feindschaft zwischen den Adlern und den Raben ist vielen kundig und von unserer Väter Überlieferung her noch manchem Alten im Gedächtnis. Mein Rat, den ich dir jetzt gebe, muss aber auch zwischen dir und mir das tiefste Geheimnis bleiben:
Erstens überschütte mich vor den anderen mit der Zornschale deiner scheinbaren Ungnade, tue, als hätte ich dir falschen und böslichen Rat gegeben, hacke auf mich vor dem ganzen Hof, halte los, verwunde mich und lass mich auf der Erde liegen; dann erhebe dich mit deinem gesamten Volke, flieget von dannen, so weit, dass man keinen Raben mehr ringsum erblicke, und haltet euch an einem anderen Orte so lange still, bis ich wieder zu dir zurückkehre und dir gute Botschaft ansage.
Diesen Rat befolgte der König der Raben. Und als die Kundschafter der Adler wahrgenommen hatten, dass das Volk der Raben samt seinem König von dannen geflogen war, kamen sie in Scharen samt ihrem König nach dem Rabenwald und zerstörten der Raben Nester. Aber einer unter ihnen sah den verwundeten Raben unter einem Baume liegen und flog zu ihm nieder.

Der listige Rabe Der Adler, welcher zu dem am Boden scheinbar elend daliegenden Raben flog, fragte diesen alsbald: Wer bist du? Wie kommst du hierher? Wohin sind deine Brüder gezogen? - Mit matter Stimme antwortete der Rabe: Was quälst du mich mit Fragen? Siehst du nicht meinen elenden Zustand? Lass mich ruhig liegen und sterben! Ich vermag dir nichts zu sagen. Könnte ich aber ein Wort mit deinem König reden, so würde ihm daraus kein Schaden entspringen.
Da rief der Adler den Adlerkönig herbei, und als dieser den Raben erblickte, sprach er: Diesen kenne ich wohl! Er ist des Rabenkönigs vertrauter Geheimrat und ein Abkömmling jenes elenden Schwätzers, der meinen Ahnherrn um die allgemeine Rechtskrone des gesamten Geflügels brachte. Mich wundert äußerst, dass wir ihn in solcher Lage finden.
Darauf fragte der Aarenkönig den alten Raben: Was hat dich denn in solche Widerwärtigkeit gebracht? –
Ach, großmächtiger Herr und König! antwortete der Rabe: Böser Rat und närrisches Verständnis! –
Wieso? fragten die Adler.
Und jener antwortete: Nachdem ihr den Raben also getan und viele getötet habt, berief unser König seinen geheimen Rat und fragte uns, seine Ratgeber, ob er wider euch streiten solle? Da sprach ich: Mich bedünket mitnichten, gegen die edlen Aare zu streiten, denn sie sind mächtiger als wir und frischeren Herzens. Mein Rat ist, uns mit ihnen zu vertragen, Ruhe und Frieden zu halten, ihnen vielmehr, statt uns ihnen widerspenstig zu zeigen, einen jährlichen Tribut zu entrichten und in ihren Schutz uns zu begeben.
Da kam ich aber sehr übel an; denn alle anderen Räte rieten unserem König, gegen euch zu streiten und zu kämpfen auf Tod und Leben, es falle wohl oder übel aus. Ich blieb dagegen fest auf meiner Meinung und rief: Niemand wird leichter von seines Feindes Hand erlöst, als wer sich ihm unterwürfig macht. Sehet die Saat auf dem Felde und die Halme der Wiesengräser, wie sie sich beugen vor dem Winde. Dem hohen und harten Baum bricht der Wind die Krone ab, weil der Baum sich bedünken lässt, er dürfe nicht weichen und wanken, aber das schlanke schwache Rohr bleibt ungebrochen, weil es Demut gelernt hat. Demut schützt vor Wehmut!' Als ich so redete, schrien alle, die mich hörten: Du bist ein treuloser Ratgeber! Du hältst zur Schar unserer Feinde! Du förderst unsern Verlust, um dir drüben Gunst zu machen, du ehrloser Verräter, der du bist! Sie fielen über mich her und schlugen mich, bissen mich, kratzten mich und traten mich mit Füßen, so dass ich halb tot liegen blieb und mich nur wundert, dass ich noch atme.
Auf diese Rede wandte sich der Adlerkönig an seinen ersten Geheimrat mit der Frage: Was bedünket dich,. dass wir mit diesem Raben beginnen sollen?
Nichts, mein König, antwortete der erste Rat, bedünket mich besser, als dass wir diesen Raben allsobald erwürgen. Denn er ist ungleich klüger als wir, er ist einer der listigsten und verschlagensten unter dem ganzen Rabengeschlechte. Mit seiner Vertilgung bereiten wir dem Rabenkönig und den Raben den empfindlichsten Verlust und uns ungleich größere Sicherheit, weil jene keinen zweiten haben, der ihnen so wohl überdachten, klugen und schlauen Rat zu ersinnen vermöchte, wie eben dieser. Die alten Weisen sagten: Wem Gott etwas Großes und Gutes in die Hand gibt und er verliert es, der findet es selten wieder, und wer einen Feind hat, den das Glück ihm in die Hand sendet, und er achtet das nicht und lässt den Feind wieder entgehen, der ist ein Tor, dem alle Weisheit der Welt nicht frommen mag.
Was meinst du? fragte auf diese Rede der Adlerkönig seinen zweiten Geheimrat. Dieser letztere war minder mordsüchtig und sagte: Mein Rat ist, dass du den Raben nicht töten lässest. Es ziemet, dem Demütigen und Hilflosen Barmherzigkeit zu erzeigen. Ist dieser Rabe auch unser Feind, so ist er doch zugleich unser wehrloser Gefangener. Wir haben ihn nicht im Streite gegen uns ergriffen, sein Unglück hat ihn in unsere Hand und Macht gegeben. Mancher fand Hilfe von seinem Feind, die der Freund ihm versagte, und ward damit des Feindes Freund und des Freundes Feind.
Was sagst du dazu? fragte nun der Adler seinen dritten Geheimrat, und dieser erwiderte: Auch ich, mein allergnädigster König und Herr, kann unter diesen Umständen nicht für die Tötung dieses unseres Gefangenen stimmen; vielmehr wäre mein Rat, guten Nutzen von ihm zu ziehen. Seine Freunde und sein König haben ihn misshandelt und schmählich in seiner Not verlassen. Er kann uns - und wird es auch - alle Heimlichkeiten und Absichten unserer Feinde offenbaren, und es kann uns nur zugute kommen, wenn einer unserer Feinde gegen die Seinen steht. Seine Feinde zu entzweien suchen und dann über sie triumphieren, haben die alten Weisen stets für die beste Kunst zu kriegen und zu herrschen erklärt, wie es auch damals ging mit dem Dieb, dem Teufel und dem Einsiedler. –
Wie war denn das? Lass uns sogleich die Geschichte hören, Teuerster! entgegnete der Adlerkönig, und sein dritter Geheimrat erzählte das nachfolgende Märchen.

Der Dieb und der Teufel

Es war einmal ein Einsiedler, dem schenkte ein frommer Mann aus Barmherzigkeit und um Gottes willen eine Kuh. Ein
Dieb erfuhr das und gedachte, diese Kuh sich anzueignen. Als er sich zur Nachtzeit auf den Weg machte nach der Klause des Einsiedlers, welcher, wie der Dieb ebenfalls wusste, einige Pilgrime bei sich beherbergte, stieß er auf einen Mann, welcher auf dem gleichen Wege auf und ab ging. Der Dieb vermutete, es möge ein anderer Dieb sein, der dieselbe Absicht habe, wie er, und fragte: Wer bist du? Was hast du hier zu schaffen? Was führst du im Schilde?
Darauf antwortete jener: Wenn du es wissen musst, will ich es dir sagen. Ich bin der Teufel und will dem Einsiedler in dieser Nacht das Genick brechen, denn ich hasse ihn schon lange und habe nun endlich heute Macht über ihn gewonnen, weil er in heutiger Nacht einen Missetäter beherbergt. Darum warte ich nur hier, bis dieser mit seinem Gefährten sich schlafen gelegt habe. Was suchst aber du hier?'
Ich! sagte der Dieb, ich habe es nicht so schlimm im Sinne wie du. Solche schwarzen Pläne hege ich keineswegs. Ich will dem Einsiedler nur aus Mitleid eine Kuh wegführen, denn ihr Gebrüll stört die Andacht des frommen Mannes, auch weiß er nicht mit einer Kuh umzugehen, und sie könnte ihn mit ihren Hörnern schädigen.
Nun gingen der Dieb und der Teufel miteinander nach der Klause des Einsiedlers, der seine Kuh angebunden und sich schon zur Ruhe niedergelegt hatte. Jetzt dachte der Dieb bei sich selbst: Du musst eilen, dass du erst die Kuh gewinnst, denn wenn der Teufel an den Einsiedler kommt und ihn erwürgen will, so wird dieser aufwachen und schreien, davon werden die Pilgrime ebenfalls aufwachen, ihm zu helfen gedenken, und dann finden und fangen sie zuletzt dich. Darum besser ist besser - erst die Kuh, dann den Hals. Sprach daher zu dem Teufel: Höre und warte einmal! Lass mich erst meine Kuh holen, hernach mache mit dem Einsiedler, was du willst!
Mitnichten! sprach der Teufel. Erst erwürge ich ihn, dann nimm du dir, was dir gefällt! –
Nicht. also, widersprach der Dieb, ich muss zuerst in die Klause. –
Wagst du, mir Trotz zu bieten? zischte der Teufel leise und rollte seine glühenden Augen wild im Kopfe. –
Ich habe mich noch nie vor einem dummen Teufel gefürchtet! antwortete der Dieb.
Darauf krallte ihm der Teufel nach dem Halse. Da schrie der Dieb: Mordio! Mordio! Einsiedler! Holla! Der Teufel will uns an den Kragen! Hilfe! Hilfe!
Indem erwachte der Einsiedler aus dem Schlafe und die Pilgrime wachten auch auf, und der Einsiedler eilte aus der Klause mit einem Kruzifix. Vor diesem entwich spornstreichs der Teufel. Die Pilgrime hatten ihre harten und langen Stecken, vor diesen fürchtete sich der Dieb und lief, was er laufen konnte. So rettete der Einsiedler seinen Hals und seine Kuh, weil sich seine beiden Feinde entzweit hatten. Darum ist das ein weiser Mann, der seiner Feinde Zwietracht nützt und sie ausbeutet zu seinem Vorteil.
Auf diese Rede des dritten Rates des Adlerkönigs hub der erste Rat wieder an zu sprechen: Traue, 0 König, nicht des Redners glatten Worten. Folge meinem Rat und lasse diesen Raben töten, denn ich befürchte, wenn er am Leben und bei uns bleibt, so wird unser Ende ein schmähliches sein. Ein vernünftiger Mann lässt sich mit Worten nicht betrügen, wenn ihm Gott seinen Feind in die Hand gibt. Ein Unweiser aber wird mit schmeichelnden Worten getäuscht und betrogen. Glaube doch ja nicht den Worten des wunden Raben, denn in ihm ist keine Treue, er stammt aus einem falschen, diebischen Geschlechte. Bis jetzt haben die Raben uns noch nicht überlistet, was aber weiter geschehen wird, lässt sich nicht voraussehen. Ich aber bezweifle äußerst, dass er sich zu unserem Heil oder Vorteil habe hier finden lassen. Ich wiederhole meinen Rat: Tötet ihn! Ihr wisst, dass ich die Raben nie gefürchtet habe, aber dieser erweckt mir ein ahnungsvolles Bangen, dass er uns allen Unheil bringen werde.
Der Adlerkönig erkannte die Wahrheit dieser Worte wohl an, aber er fühlte auch königliche Großmut und wollte auch zeigen, dass er herrsche und nicht seine Räte.
Dar um sprach er: Ich gebe dem Unglücklichen Gnade, er soll leben. Man pflege seiner wohl und heile seine Wunden!-
Mit Schmerz schwieg der treue Warner des Adlerkönigs.
Der Rabe aber, der mit hoher Einsicht begabt war und der Rede so mächtig wie sein Ahnherr, aber besser wie dieser geübt in der Kunst, zu rechter Zeit zu reden und zu rechter Zeit zu schweigen, gewann bald Gunst und Gönnerschaft am Hofe des Königs. Gar manche schöne Mär wusste er zu erzählen und dabei fein zu scherzen und anmutig zu schmeicheln. Er wurde Erzieher der Prinzen und später ernannte ihn der König zum Kammerherrn. Dafür versicherte der Rabe dem König unausgesetzt seine Treue und seinen Hass gegen die Raben, und sprach es laut aus: Wollte Gott, dass ich zu einem Aare werden könnte! Wie wollte ich mich dann an meinen Feinden rächen!
Da sprach der alte, strenge, erste Rat des Adlerkönigs: Oh, du Gleisner! Und wenn du dich tausendmal verwandeltest, so würde das doch immer wieder ein hässlicher, tückischer Rabe bleiben, wie es mit jener Maus erging, von der ein Märlein meldet.
Auf diese Rede begehrten die Aare das Märlein zu hören, und der Adler erzählte:

Die verwandelte Maus

Es war einmal in grauer Vorzeit ein Mann, der diente seiner Gottheit betend und büßend in einer Wildnis, und ob seiner Frömmigkeit und fleckenlosen Tugend ging ihm jeder Wunsch in Erfüllung. Einst saß der Fromme am Strande eines Baches, versunken in andächtige Gedanken, da flog ein Sperber über ihn her, der hatte ein Mäuslein gefangen, das er noch in den Krallen trug. Das Mäuslein aber zappelte und entfiel dem Sperber und fiel herab in des frommen Mannes Schoß. Da erbarmte sich der Fromme des Mäusleins, band es lind in ein Tüchlein und trug es nach seinem Hause, um es allda zu pflegen und aufzuziehen. Der Klausner gedachte aber, dass seine Diener daran einen Anstoß nehmen würden, dass er, der reine Mann, mit einem unreinen Tiere sich abgebe, und da bat er, es möchte das Mäuslein doch lieber in ein Maidlein verwandelt werden. Und siehe, seine Bitte wurde erhört, alsbald war das Mäuslein in eine schöne Maid verwandelt. Die führte nun der Fromme fröhlich in sein Haus und erzog sie und hatte an ihr sein väterliches Wohlgefallen. Seine Diener glaubten, ihr Gebieter habe sie in der Wildnis gefunden oder sie sei ihm von Anverwandten übergeben worden.
Da nun das Maidlein, das als des Frommen Tochter galt, herangewachsen war, so gedachte er daran, es an einen guten Mann zu verheiraten, und fragte die Maid, ob sie Neigung habe, zu heiraten, und was für einen Mann sie sich wünsche. Die Maid aber trug hohen und herrischen Sinn und antwortete: Ja - aber nur den höchsten Herrscher.
Der Pflegevater erwiderte darauf: Der höchste Herrscher, mein Kind, das ist der mächtige Sonnenkönig; er beherrscht die ganze Welt und erleuchtet und durchwärmt sie mit seinen Strahlen. Ich will ihn bitten, sich mit dir zu verbinden, dann wird man dich Frau Sonne nennen.
Der Fromme läuterte sich durch Gebet und Abwaschung und trug dem Sonnenkönig sein Anliegen vor; dieser aber sprach: Gern gehorchte ich dir, dem die Gottheit jeden Wunsch erfüllt, 0 frommer Büßer! Aber der Mächtigste bin ich nicht. Siehe, der Lenker der Wolken ist mächtiger denn ich, ein Hauch von ihm wird zur Wolke, die meinen Schein mir nimmt, dass es finster wird auf der Erde.
Da ging der Büßer bis an des Meeres Ufer, aus dem die Wolken sich emporheben, und bat deren mächtigen Lenker, wie er den Sonnenkönig gebeten hatte. Da hob sich aus seinem Wolkenthrone der Wolkenlenker, aus des Meeres Schoße aufsteigend, wie ein großer Rauch empor und sprach: Oh, du Frommer! Wohl hat mir die Gottheit große Gewalt gegeben, aber einer ist doch, der mächtiger ist als ich bin. Das ist der Vater der Winde. Wenn er sich erhebt und stark haucht, so fahren meine Gewölke auseinander und verschwimmen in ein wesenloses Nichts oder fliegen und fliehen vor ihm und seinem Grimme von einem Ende der Welt zum anderen, und ich bin nichts gegen ihn und vermag ihm nicht zu widerstehen.
Da machte sich der Büßer auf zum Vater der Winde, der in einer großen und weiten Berghöhle wohnte, in der er die Winde verschlossen hielt und nur zu Zeiten einem oder dem anderen zu wehen gestattet - und trug nun diesem seine Bitte vor. Aber auch der Vater der Winde erklärte, dass er sich nicht für den mächtigsten Herrscher erachten könne.
Siehe, du Frommer und Reiner, sprach er, diesen mächtigen Berg, wie er dasteht in stolzer Ruhe! Mag ich mit allen den Meinen sausen und brausen, so stark wir immer könnten und wollen, er bleibt unerschüttert, weicht und wankt nicht vor meinem Grimme. Darum ist er mächtiger als ich und darum wende dich an ihn.
Darauf wandte sich der gläubige Büßer an den Berg und trug diesem seinen Wunsch vor, und der Berg sprach: Du nennst mich den Mächtigsten, und es ist wohl wahr, ich bin groß und mächtig. Die Sonne dient mir und lässt meinen Scheitel grünen, die Wolken müssen meine Wiesen und Wälder mit Tau und Regen tränken, der Wind fächelt mich, wie ein Sklave seinen Gebieter, aber der Mächtigste ist doch nur der, der nichts erdulden muss. Ich will dir jemand zeigen, der mächtiger ist als ich, denn ich muss ihn dulden, ich mag nun wollen oder nicht.
Wer wäre das? fragte ganz verwundert der Büßer. –
Es ist, sprach der Berg, ,ein winzig kleines graues Männchen, das wühlt in mir und gräbt und baut sich Wohnung und Gemächer und fragt mich nicht, ob ich's ihm gestatte.
Was wäre das für ein winzig kleines graues Männchen? fragte der Fromme. –
Es ist die Maus! antwortete der Berg.
Hierauf wendete sich jener mit seinem Wunsch und Antrag an den Mausmann, und dieser antwortete: Ich bin der, von dem der Berg geredet hat. Kann ich aber, auch wenn ich wollte, ein Menschenmaidlein freien und in meine niedere Wohnung führen? Darüber ersinne du selbst dir weisen Rat!
Nun ging der Einsiedler wiederum zu seiner Tochter und sprach zu ihr: Ich habe dir lange den Mächtigsten zum Mann gesucht. Willst du diesen, so muss ich von der Gottheit erflehen, dass sie dich wieder zu einer Maus werden lässet, welche du vordem schon einmal gewesen bist, dann kann dein Wille in Erfüllung gehen.
Und da die Tochter auf ihrem Sinne beharrte, weil ihr Pfleger ihr erzählte, wie immer ein Mächtiger ihn an einen noch Mächtigeren gewiesen hätte, so wurde sie auf sein Flehen wieder in eine Maus verwandelt und dem Mausmännlein zur Gemahlin gegeben. Denn gleich und gleich gesellt sich gern, was zum Heller geschlagen ist, wird kein Taler, und aus einem verräterischen Raben wird nimmermehr ein Phönix, wenn er sich auch, gleich diesem Wundervogel, verbrennte. Aber wohlan, lasse dich verbrennen, Verräter, und lass uns schauen, was aus deiner Asche emporsteigt!
Der Adlerkönig und seine Umgebung hörten diese Rede nicht ohne ernste Erwägung an und mehrere teilten die Meinung des treuen Ratgebers. Der Rabe aber spottete fein über seinen heftigen Gegner und sagte: Trage doch Holz, du Edler, zu meinem Scheiterhaufen! Schichte ihn empor aus Adlerfarn und fache die Funken mit deinen eigenen Fittichen zu heller Flamme an! Du trägst dann unsterblichen Ruhm davon und man wird dich als Rabentöter noch lange Heldenliedern verherrlichen. –
Du sollst nicht brennen, sprach der Adlerkönig, weder dass du unser einer werdest, denn wir haben allein Macht genug, dich an deinen und unseren Feinden zu rächen, noch dass wir uns an dir rächen wollten. Haltet Frieden!"

Der Raben Arglist und Rache

Lange lebte am Hofe des Adlerkönigs der alte Rabe. Er wurde Mitglied des geheimen Rates, vernahm alle Beschlüsse der Adler gegen die Raben und erlauschte alle Heimlichkeiten der ersteren. Der erste Rat des Adlerkönigs aber nahm seine Entlassung und schied von seinem Posten, indem er sagte: Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen. Wer mit sehenden Augen blind sein will, der sei es! Ich habe gesprochen und gewarnt in aller Treue und habe meine Seele bewahrt. Oh, betörter König, leichtgläubiger König! Wie wirst du meiner Warnung gedenken, wenn es zu spät ist!
Er schied und flog in ein fernes Gebirge, um auf einem stillen Landsitz, weit vom Königshof und dessen Unruhe, seine Tage friedlich zu beschließen.
Der Rabenkönig harrte still und lange seines Getreuen, während seine Umgebung diesen längst tot glaubte. Aber der König hütete sein Geheimnis sorglich vor allen und ließ selbst seine Vertrautesten nichts davon ahnen. Da kam eines Abends der Rabe geflogen und alle erstaunten und verwunderten sich hoch und wussten nicht, ob sie ihren Augen trauen sollten, dass ihn der König, der ihn vor aller Augen mit Ungnade überhäuft und ihn sogar tätlich misshandelt hatte, so freundschaftlich, ja selbst herzlich empfing. Der alte weise Rabe aber sprach zu seinem König: Ich bringe gute Botschaft und verkünde Sieg und Friede! Der Himmel gibt unsere Feinde in unsere Hand. Die Adler haben jetzt eine Felsenkluft entdeckt, die unersteigbar ist. In dieser schlafen sie gemeinsam, denn sie ist innen weit und geräumig, luftig und trocken, gedeckt gegen Regen und Sonnenbrand, der Eingang aber ist eng und ohne Wache, weil weder Tiere noch Menschen ihr nahekommen können. Wir aber können ihr nahen. Darum auf, mein König, auf, an ihr mutigen und getreuen Raben! Ein jeglicher fasse ein Stück dürren Holzes, so groß er solches zu tragen vermag, mit Krallen und Schnabel, und ich will einen Feuerbrand tragen und voran fliegen.
Rasch wurde dieser Rat nach des Königs Zustimmung vollzogen. Die ganze Schar der Raben flog dem Führer nach, jeder warf sein Holz auf den Ausgang der Aarenhöhle, und der alte Rabe legte sein glimmendes Holz hinein. Dann wehten sie mächtig mit den Flügeln und bald brannte das Holz in lichter Lohe.
Tödlicher Schrecken ergriff die aus dem ersten Schlummer erwachenden Adler samt ihrem König. Sie rauschten wild durcheinander, stießen aneinander und kreischten verzweifelt. Die kühnsten flogen durch die Flamme, aber nur, um draußen
tot niederzufallen. Indessen mehrten sich innen Rauch und Hitze, dass einer nach dem anderen sterbend mit zuckendem Flügelschlag hinsank.
Mit allen den Seinen kam auch der König um, der noch klagend ausrief: Welch ein Tor ist der Mann, der den Fremdling beschirmt und den treuen Warner verachtet!
So gewann das Reich der Aare und ihre Feindschaft gegen die Raben ein Ende, und wenn nicht jener weise Ratgeber mit den Seinen sich in jenes Gebirge zurückgezogen hätte, so gäbe es gar keine Adler mehr, deren Geschlecht jetzt selten geworden ist. Der Raben dagegen sind viele geworden, sie haben sich überallhin verbreitet, können auch, wenn's Not tut, lange Reden halten, und hassen die Aare noch immer.

Tischlein deck dich

In einem kleinen Städtchen lebte ein ehrlicher Schneider mit seiner Familie, die fünf Häupter zählte: Vater, Mutter und drei Söhne. Letztere wurden sowohl von den Eltern als auch von sämtlichen Einwohnern des Städtchens nicht nach ihrem Taufnamen genannt, sondern schlechtweg nur der Lange, der Dicke, der Dumme. So folgten sie im Alter aufeinander. Der Lange wurde ein Schreiner, der Dicke ein Müller, der Dumme ein Drechsler. Als nun der Lange aus der Lehre kam, wurde sein Bündel geschnürt und er in die Fremde geschickt, und er zog wohlgemut mit langen Schritten zum Tore des heimatlichen Städtchens hinaus. Lange Zeit wanderte der Bursche von Ort zu Ort und konnte keine Arbeit bekommen. Da nun sein ohnehin knappes Reisegeld sehr zu Ende ging und er keine frohe Aussicht hatte zu Arbeit und Verdienst, so wurde er traurig und ging kopfhängerisch und sachte auf seinem Wege weiter. Dieser führte just durch einen stillen, schönen Wald, und wie der Bursche so eine Strecke hinein war, begegnete ihm ein kleiner, etwas wohlbeleibter Mann, der ihn gar freundlich grüßte, stehenblieb und fragte: "Na, Bürschlein, wo hinaus denn, siehst ja traurig aus, was fehlt dir denn ?"
"Mir fehlt Arbeit", sprach der Bursche treuherzig, "das ist meine ganze Trauer, bin schon lange gewandert, hab kein Geld mehr."
"Was kannst du denn für ein Handwerk?", forschte das Männlein weiter. - "Ich bin ein Schreiner."
"Oh, so komm doch mit mir", rief der Kleine fröhlich aus, "ich will dir Arbeit geben! Sieh, ich wohne hier in diesem Wald - ja, ja, komm nur mit, du wirst's gleich sehen." Und kaum hundert Schritte weiter lag ein schönes Haus, und ringsum war ein dichter Tannenzaun, anzusehen wie eine Schutzmauer, und vorne am Eingang standen zwei hohe Tannen, gleich wie riesige Schildwachen. Da hinein führte das Männlein den Schreinergesellen, der nun alsbald seine Traurigkeit fahren ließ und mit vergnügten Mienen in das trauliche Zimmer des einsamen Meisters trat.
"Willkommen!", rief da aus der Ecke hinterm Ofen ein ältliches Mütterlein und trippelte auf den Burschen zu, um ihn seines Felleisens entledigen zu helfen. Der Meister plauderte den Abend noch gar lange mit dem Burschen, und das Mütterlein trug Speisen auf und stellte auch ein Krüglein auf den Tisch, worin etwas weit Besseres war als Wasser.
Dem jungen Schreiner gefiel es ganz wohl bei seinem Meister; er bekam nicht allzuviel zu tun, arbeitete fleißig und hielt sich auch sonst brav und ordentlich, so dass keine Klage über ihn geführt wurde. Doch nach etlichen Monaten sprach das alte Männlein: "Lieber Gesell, ich kann dich nun nicht länger brauchen, sondern muss dir Feierabend geben. Und mit Geld kann ich dir deine Arbeit, die du mir getan, auch nicht lohnen; aber ich will dir ein schönes Andenken geben, das dir mehr helfen wird als Gold und Silber." Dabei reichte er ihm ein allerliebstes kleines Tischchen und sprach weiter: "Sooft du dieses, ‚Tischleindeckdich' hinstellen wirst und dreimal sprichst: ,Tischlein deck dich!' so wird es dir diejenigen Speisen und Getränke zum Mahle darbieten, die du nur wünschen magst. Und nun lebe wohl und gedenke fein deines alten Meisters."
Ungern verließ der Geselle seine bisherige Werkstätte. Er nahm betrübt und froh zugleich das wundertätige Tischlein aus den Händen des Gebers und zog noch vielmals dankend, ab und lenkte seine Schritte der lieben Heimat wieder zu. Unterwegs bot ihm das Tischlein, sooft der Bursche die Zauberformel nur sprach, seine reichen Genüsse. Da standen im Nu die feinsten Gerichte, die edelsten Weine darauf, und alle Gefäße waren von Silber, und darunter glänzte das feinste, schneeweiße Tischgedeck. Natürlich hielt der Geselle sein ,Tischleindeckdich' sehr hoch; auf seiner letzten Herberge, ehe er heimkam, gab er es noch seinem Wirt aufzuheben. Da er aber vorher nichts im Wirtshaus verzehrt, sondern sich mit dem Tischchen eingeschlossen hatte, so hatte der Wirt ihn belauscht durch eine Spalte in der Brettertür und hatte des Tischleins Geheimnis entdeckt. Daher war er über alle Maßen froh, dass er das Tischlein in seine Verwahrung bekam, und freute sich mächtig über die herrliche Eigenschaft desselben. Er ließ sich's ganz vortrefflich behagen vor der kleinen Tafel und sann dabei nach, wie er sich auf die beste Weise das Tischchen aneignen möchte. Da fiel ihm ein, dass er ein ganz ähnliches Tischchen, obschon kein ,Tischchendeckdich' besitze. Der schlaue Wirt versteckte daher das echte Tischlein und stellte das andere, unechte, am andern Morgen dem Gesellen zu, der sich ohne Bedenken damit belud und nun fröhlich seiner Heimat damit zueilte. Mit Freude grüßte der lange Schreiner daheim die Seinen und entdeckte sogleich seinem Vater die köstliche Bewandtnis, die es mit dem Tischchen habe. Der Vater zweifelte stark. Der Sohn aber stellte es vor sich hin und sprach dreimal: "Tischlein deck dich!" Aber es deckte sich nicht, und der ehrliche Schneidermeister sprach zu seinem Sohne: "Du dummer Hans, bist du darum in der Fremde gewesen, deinen alten Vater zu uzen? Geh, lass dich nicht auslachen!" Der lange Schreiner wusste in der Welt keinen Rat, wie es nun so auf einmal mit dem Tischchen in die Quere gehe. Er probierte noch allerlei, aber es deckte sich nicht wieder, und der Lange musste wieder zum Hobel greifen und arbeiten, dass die Schwarte knackte.
Unterdessen war der dicke Müller auch aus der Lehre gekommen und wanderte fort in die Fremde. Und es fügte sich, dass dieser ebenfalls denselben Weg nahm, auch das nämliche kleine Männlein fand und von ihm in Arbeit genommen wurde. Das Waldhaus war aber jetzt eine Mühle. Als der junge Mühlknappe eine Zeitlang brav, treu und fleißig in Arbeit gestanden hatte, schenkte ihm sein Meister zum Andenken einen schönen Mülleresel und sprach: "Nimm zum Abschied noch eine kleine Gabe, die dir, obgleich ich dir deine Arbeiten nicht mit Geld belohnen kann, doch mehr nützen wird als Gold und Silber. Sooft du zu diesem Eselein sprechen wirst: ‚Eselein streck dich!' sooft wird es dir Dukaten - niesen."
Fast öfter als der Lange unterwegs gesprochen hatte "Tischlein deck dich!" sprach der Dicke jetzt: "Eselein streck dich!" Und da streckte sich's und ließ Dukaten fallen, dass es rasselte und prasselte. Es war eine allerliebste Sache die blanken Goldstücke. –
Aber auch der Müllergeselle kam mit seinem Esel in die Herberge des betrüglichen und schlauen Wirtes, ließ auftafeln, bewirtete, wer nur bewirtet sein wollte, und als der Wirt die Zeche forderte, sprach er: "Harret ein wenig, ich will nur erst Geld holen." Nahm das Tischtuch mit, ging in den Stall, breitete es über das Stroh, darauf der Esel stand, und sprach: "Eselein streck dich!" - Da streckte sich der Esel und nieste, und es klingelten Dukaten auf dem Tuche, draußen aber stand der Wirt, sah durch ein Astloch in der Türe und merkte sich die Sache. Am andern Morgen stand zwar ein Esel da, aber nicht der rechte, und der Dicke, keinen Betrug ahnend, setzte sich heiter auf und ritt fort. Als er zu seinem Vater kam, verkündete er ihm auch sein Glück und sprach, als alle die Seinen froh verwundert den Esel umstanden: "Nun habt Achtung!" Und zum Esel sich wendend: "Eselein streck dich!" Das fremde Eselein streckte sich zwar auch, aber was selbiges fallen ließ, das waren nichts weniger als Goldstücke. Der Dicke wurde von allen, die er die Kunst hatte wollen sehen lassen, fürchterlich ausgelacht; er schlug den Esel windelweich, schlug ihm aber dennoch keine Dukaten aus der Haut und musste fortan wieder arbeiten und im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen.
Es war nun wieder ein Jahr verflossen, und auch der Dumme hatte seine Lehrzeit überstanden und zog als ein wackerer Drechsler in die Fremde. Recht mit Fleiß nahm er denselben Lauf wie seine Brüder und wünschte sehr, bei jenem kleinen Männlein auch in Arbeit zu kommen, da dasselbe, wie die Brüder erzählt hatten, in allen Fächern bewandert war, in Handwerken wie in Gelehrtheit und Weisheit, und so schöne Sachen zu verschenken hatte. Richtig gelangte auch der Drechslergeselle in den gewissen Wald, fand die einsame Wohnung des Männleins, und auch ihn nahm es als einen fleißigen Burschen gerne in Arbeit. Nach etlichen Monaten hieß es jedoch wieder: "Lieber Gesell, ich kann dich nun nicht länger behalten, du hast Feierabend." Zum Abschied sprach das Männlein: "Ich schenkte dir gerne auch, wie deinen Brüdern, ein schönes Andenken; aber was würde dir das helfen, da sie dich den Dummen nennen? Dein langer Bruder und dein dicker Bruder sind durch ihre Dummheit um die Gaben gekommen, was würde es erst bei dir werden? Doch nimm dieses schlichte Säcklein; es kann dir sehr nützlich werden. Sooft du zu ihm sagen wirst: ,Knüppel aus dem Sack!' sooft wird ein darin steckender wohl gedrehter Prügel herausfahren zu deinem Schutz, deiner Wehr und Hilfe, und dieser wird so lange ausprügeln, bis du gebieten wirst: ,Knüppel in den Sack!'"
Der Drechsler bedankte sich schön und zog mit seinem Säcklein heimwärts. Er bedurfte jedoch auf seiner Reise der Schutzwehr erst lange nicht, denn jedermann ließ ihn, der leicht und lustig seine Straße zog, ungehindert fürbass wandern. Nur manchmal einem gestrengen Herrn Bettelvogt gab er einiges aus dem Säcklein zu kosten, oder den Dorfhunden, die aus allen Höfen herausfahren und den Wanderer an- und nachbellen. So kam er endlich bis an jene Herberge, wo der arge Wirt seine Brüder um das Ihrige betrogen hatte und jetzt herrlich und in Freuden lebte, aber dennoch immer ein Gelüst hatte, sich vom Gute der Reisenden etwas anzueignen. Beim Schlafengehen gab der Drechsler dem Wirt den Sack in Verwahrung und warnte ihn, er möge ja nicht zu diesem Säcklein sagen: ,Knüppel aus dem Sack!' denn damit habe es eine besondere Bewandtnis, und könnte einer, wenn er es sage, wohl etwas davontragen. Jedoch dem Wirt gefiel sein Tischchen und sein Eselein zu wohl, als dass er nicht noch ein drittes wundertuendes Gegenständlein hätte heimlich wegfangen mögen. Er konnte kaum die Zeit erwarten, bis der Gast sich zur Ruhe gelegt hatte, um zu sprechen: "Knüppel aus dem Sack!" Und im Nu fuhr der Knüppel heraus und wirbelte wie ein Trommelsch1egel auf des Wirtes Rücken, prügelte fort und fort, und prügelte den Wirt dermaßen braun und blau, dass dieser ein jämmerliches Geschrei erhob und heulend den Drechslergesellen munter rief. Dieser sagte: "Wirt, das geschieht dir recht! Ich warnte dich ja. Du hast meinen Brüdern das ,Tischleindeckdich' und das ,Eseleinstreckdich ' gestohlen." Der Wirt kreischte: "Ach, helft mir nur um Gottes willen! Ich werde umgebracht!" - (Denn der Knüppel arbeitete noch immer rastlos auf des Wirtes Rücken.) - "Ich will alles wieder herausgeben, das Tischlein und das Eselein! Ach, ich falle um und bin tot!"
Jetzt gebot der Geselle: "Knüppel in den Sack!" und da kroch das Prügelein im Nu wieder in den Sack. Und der Wirt war nun froh, dass er sein Leben davon gebracht, und gab willig das Tischlein und das Eselein wieder heraus. Da packte der Drechsler seinen Kram zusammen, lud sein Bündel und sich selbst auf den Esel und trabte dem Heimatstädtlein zu. Da war keine geringe Freude bei den Brüdern, als sie die überaus wertvollen Geschenke und Andenken wieder gewonnen sahen, die jetzt noch so herrlich ihre Wunder taten wie ehemals wieder gewonnen durch den, den sie immer den Dummen gescholten hatten und der doch klüger war als sie. Und die Brüder blieben zusammen bei den Eltern und brauchten nicht mehr zu arbeiten, um vom Verdienst das tägliche Brot zu schaffen; denn sie hatten von nun an von allem, was das menschliche Leben bedarf, die Hülle und Fülle.

Vom tapferen Schneiderlein

Es war einmal ein Schneiderlein, das saß in einer Stadt, die hieß Romadia; und es hatte einmal, da es arbeitete, einen Apfel neben sich liegen, darauf setzten sich viele Fliegen, wie das in Sommerszeiten so gewöhnlich, die angelockt waren von dem süßen Geruch des Apfels. Darob erzürnte sich das Schneiderlein, nahm einen Tuchlappen, den es eben in die Hölle fallen lassen wollte, schlug auf den Apfel und merkte im Hinsehen, dass damit sieben Fliegen erschlagen waren. Ei, dachte bei sich das Schneiderlein, bist du solch ein Held? Ließ sich stracklich einen blanken Harnisch machen und auf das Brustschild mit goldenen Buchstaben schreiben: Sieben auf einen Streich. Darauf zog das Schneiderlein, mit seinem Harnisch angetan, umher auf Gassen und Straßen, und die es sahen, vermeinten, der Held habe sieben Männer auf einen Streich gefällt, und fürchteten sich.
Nun war in demselben Lande ein König, dessen Lob weit und breit erschallte. Zu dem begab sich der faule Schneider, der gleich nach seiner Heldentat Nadel, Schere und Bügeleisen an den Nagel gehangen, trat in den Hof des Königspalastes, legte sich alldort in das Gras und schlief ein. Die Hofdiener, so aus und ein gingen, den Schneider in dem reichen Harnisch sahen und die Goldschrift lasen, verwunderten sich sehr, was doch jetzt, zu Friedenszeiten, dieser streitbare Mann an des Königs Hof tun wolle? Er deuchte ihnen ohne Zweifel ein großer Herr zu sein. Des Königs Räte, die den schlafenden Schneider gleichfalls gesehen, taten solches ihrem König zu wissen, mit dem Bemerken, dass, so sich kriegerischer Zwiespalt erhebe, dieser Held ein sehr nützlicher Mann werden und dem Land gute Dienste leisten könne. Dem König gefiel diese Rede wohl; er sandte alsbald nach dem geharnischten Schneider und ließ ihn fragen, ob er Dienste begehre. Der Schneider antwortete, eben deshalb sei er hergekommen und bäte den König, wenn Höchstderselbe ihn zu brauchen gedächte, ihm Dienste zu verleihen. Der König sagte dem Schneiderlein Dienste zu und gab ihm eine gute Besoldung, von der es, ohne etwas zu tun, herrlich und in Freuden leben konnte.
Da währte es nicht lange, da wurden die Ritter des Königs, die nur eine karge Löhnung hatten, dem guten Schneider gram und hätten gern gewollt, dass er fort wäre, doch fürchteten sie, wenn sie mit ihm uneins würden, möchten sie ihm nicht Widerstand leisten, da er ihrer sieben auf einen Streich totschlagen würde; deshalb sannen sie täglich und stündlich darauf, wie sie doch den fremden Kriegsmann losbekommen könnten. Da aber ihr Witz und Scharfsinn etwas kurz zugeschnitten war wie ihre Röcklein, so fanden sie keine List, den Helden vom Hofe zu entfernen, und zuletzt wurden sie Rates miteinander, alle zugleich vor den König zu treten und um Urlaub und Entlassung zu bitten, und das taten sie auch.
Als der gute König sah, dass alle seine treuen Diener um eines einzigen Mannes willen ihn verlassen wollten, ward er traurig wie nie zuvor und wünschte, dass er den Helden nie gesehen hätte; scheute sich aber doch, ihn hinwegzuschicken, weil er fürchten musste, dass er samt all seinem Volk von ihm erschlagen und hernach sein Königreich von dem Krieger eingenommen werden möchte. Da nun der König in dieser schweren Sache Rat suchte, was doch zu tun sei, um alles gütlich abzutun und zum besten zu lenken, so ersann er eine List, mit welcher er vermeinte, des Kriegsmannes (den niemand für einen Schneider schätzte) loszuwerden und abzukommen. Er sandte nach dem Helden und sprach zu ihm, er habe wohl vernommen, dass ein gewaltigerer und stärkerer Kampfheld auf Erden nimmer zu finden sei denn er. Nun hausten im nahen Walde zwei Riesen, die täten ihm großen Schaden mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen im Lande umher, und man könne ihnen weder mit Waffen noch sonst wie beikommen, denn sie erschlügen alles, und so er es sich nun unterfangen wolle, die Riesen umzubringen und brächte sie wirklich um, so solle er des Königs Tochter zur Gemahlin und das halbe Königreich zur Aussteuer erhalten; auch wolle der König ihm hundert Reiter zur Hilfe gegen die Riesen mitgeben.
Auf diese Rede des Königs ward dem Schneiderlein ganz wohl zumute, und es deuchte ihm herrlich, dass es sollte eines Königs Tochtermann werden und ein halbes Königreich zur Aussteuer empfangen; sprach daher keck, er wolle gern dem König zu Diensten stehen und die Riesen umbringen und sie wohl ohne Hilfe der hundert Reiter töten. Darauf verfügte er sich in den Wald, hieß die hundert Reiter, die ihm auf des Königs Befehl dennoch folgen mussten, vor dem Walde warten, trat in das Dickicht und lugte umher, ob er die Riesen irgendwo sehen möchte. Und endlich, nach langem Suchen, fand er sie beide unter einem Baume schlafend und also schnarchend, dass die Äste an den Bäumen, wie vom Sturmwind gebogen, hin und her rauschten.
Der Schneider besann sich nicht lange, las schnell seinen Busen voll Steine, stieg auf den Baum, darunter die Riesen lagen, und begann den einen mit einem derben Steine auf die Brust zu werfen, davon der Riese alsbald erwachte, über seinen Mitgesellen zornig ward und fragte, warum er ihn schlüge. Der andere Riese entschuldigte sich bestens, so gut er es vermochte, dass er mit Wissen nicht geschlagen, es müsste denn im Schlafe geschehen sein. Da sie nun wieder entschliefen, fasste der Schneider wieder einen Stein und warf den andern Riesen, der, nun auffahrend, über seinen Kameraden sich erzürnte und fragte, warum er ihn werfe, der aber nun auch nichts davon wissen wollte. Als beiden Riesen nun die Augen nach einigem Zanken vom Schlafe wieder zugegangen waren, warf der Schneider abermals gar heftig auf den andern, dass er es nun nicht länger ertragen mochte und auf seinen Gesellen, von dem er sich geschlagen vermeinte, heftig losschlug; das wollte denn der andere Riese auch nicht leiden, beide sprangen auf, rissen Bäume aus der Erde, ließen aber doch zu allem Glück den Baum stehen, darauf der Schneider saß, und schlugen mit den Bäumen so heftig aufeinander los, bis sie einander gegenseitig totschlugen.
Als der Schneider von seinem Baume sah, dass die bei den Riesen einander totgeschlagen hatten, ward ihm besser zumute als es ihm jemals gewesen, stieg fröhlich vom Baume, hieb mit seinem Schwerte jeglichem Riesen eine Wunde oder etliche und ging aus dem Walde hervor zu den Reitern. Die fragten ihn, ob er die Riesen entdeckt oder ob er sie nirgends gesehen habe.
"Ja", sagte der Schneider, "entdeckt und gesehen und alle zwei totgeschlagen habe ich und sie liegen lassen unter einem Baume." Das war den Reitern wunderbar zu hören, sie konnten und wollten es nicht glauben, dass der eine Mann so unverletzt von den Riesen sollte gekommen sein und sie noch dazu totgeschlagen habe, ritten nun selbst in den Wald, dies Wunder zu beschauen, und fanden es also wie der Schneiderheld gesagt hatte. Darob verwunderten sich die Reiter gar sehr und empfanden einen großen Schrecken, ward ihnen auch noch übler zumute denn vorher, da sie fürchteten, der Sieger werde sie alle umbringen, wenn er ihnen feind würde; ritten heim und sagten dem König an, was geschehen.
Da nun der Schneider zum Könige kam, seine Tat selbst anzeigte und die Königstochter samt dem halben Königreich begehrte, gereute den König sein Versprechen, das er dem unbekannten Kriegsmann gegeben, gar übel, denn die Riesen waren nun erwürgt und konnten keinen Schaden mehr tun; dachte darüber nach, wie er den Helden mit Fug loswerden möchte, und war nicht im mindesten gesonnen, ihm die Tochter zu geben. Er sprach daher zum Schneider, wie er in einem andern Wald leider noch ein Einhorn habe, das ihm sehr großen Schaden tue an Fischen und Leuten; dasselbe solle er auch noch fangen, und so er dieses vollbringe, wolle der König ihm die Tochter geben. Der gute Schneider war auch das zufrieden, nahm einen Strick, ging hin zu jenem Walde, allwo das wilde Einhorn hauste, und befahl seinen Zugeordneten, draußen vor dem Walde zu warten, er wolle allein hineingehen und allein die Tat bestehen, wie er gegen die zwei Riesen auch allein und ohne andere Hilfe bestanden. Als der Schneider eine Weile im Walde umherspaziert war, ersah er das Einhorn, das gegen ihn daher rannte mit vorgestrecktem Horn und ihn umbringen wollte. Er aber war nicht unbehende, wartete, bis das Einhorn gar nahe an ihn herankam, und als es nahe bei ihm war, schlüpfte er rasch hinter den Baum, neben dem er zu allernächst stand, und da lief das Einhorn, das im vollen Rennen war und sich nicht mehr wenden konnte, mit aller Hast gegen den Baum, dass es ihn mit seinem spitzen Horn fast durch und durch stieß und das Horn unverwandt darin steckenblieb. Da trat der Schneider, als er das Einhorn am Baume zappeln sah, hervor, schlang ihm den mitgenommenen Strick um den Hals, band es an dem Baum vollends fest, ging heraus zu seinen Jagdgese11en und zeigte ihnen seinen Sieg über das wilde Einhorn an. Darauf ging das Schneiderlein zum König, tat demütiglich Meldung von der glücklichen Erfüllung des königlichen Wunsches und erinnerte bescheidentlich an das königliche zweimalige Versprechen. Darob war der König über alle Maßen
traurig, wusste nicht, was zu tun sei, da der Schneider die Tochter begehrte, die er doch nicht haben sollte und verlangte also noch eins von dem Kriegsmann. Dieser solle nämlich auch das grausame Wildschwein, das in einem dritten Walde lief und alles verwüste, einfangen, und so er auch dieses vollbringe, dann wolle der König ihm die Tochter ohne allen Verzug geben, wolle ihm auch seine ganze Jägerei zur Hilfe beiordnen.
Der Schneider zog, nicht ganz sonderlich erbaut von des Königs abermaligem Begehren, mit seinen Gesellen zum Walde hinaus und befahl ihnen, als der Forst erreicht war, draußen zu bleiben. Des waren die Jäger gar herzlich froh und zufrieden, denn das Wildschwein hatte sie schon öfter dermaßen empfangen, dass ihrer viele das Wiederkommen auf immer vergessen hatten und sie alle nicht mehr begehrten, ihm nachzustellen, dankten daher dem Schneider sehr aufrichtig, dass er sich allein in die Fahrnis wage und sie in Numero Sicher dahinten lasse. Der Schneider war noch nicht lange in den Wald getreten, so wurde das Wildschwein seiner ansichtig und stürzte auf ihn zu mit schäumendem Rachen und wetzenden Hauern und wollte ihn gleich zu Boden rennen, so dass sein Herz erzitterte und er sich schnell nach Rettung umsah. Da stand zum Glück eine alte verfallene Kapelle in dem Walde, darin man vorzeiten Ablass geholt, und da der Schneider nahe dabei stand und die Kapelle ersah, sprang er mit einem Satz hinein, aber auch der Türe gegenüber mit einem Luftsprung durch ein Fenster, darin keine Scheiben mehr waren, wieder heraus, und alsbald folgte ihm die Wildsau, die nun in der Kapelle rumorte. Der Schneider aber lief flugs um das Häuslein herum, wischte vor an die Türe, warf sie eilends zu und sperrte so das grausame Gewild in das Kirchlein, ging dann hin zu den Jagdgesellen, zeigte ihnen seine Tat an, die kamen hin, befanden die Sache also wahr und richtig und ritten heim mit großer Verwunderung, dem König Bericht erstattend. Ob nun die Nachricht vom abermaligen glückhaften Sieg des heldenhaften Kriegsmannes den König mehr froh oder mehr traurig gemacht, das mag ein jeglicher, selbst mit geringem Verstand, leichtlich ermessen, denn der König musste nun dem Schneider die Tochter geben oder fürchten, dass dieser seine Heldenkraft, davon er drei so erstaunliche Proben gegeben, gegen ihn selber wenden dürfte. Doch ist wohl zweifelsohne, hätte der König vollends gewusst, dass der Held ein Schneider wäre, so hätte er ihm lieber einen Strick zum Aufhängen denn seine Tochter geschenkt. Ob nun aber der König einem Manne ohne Herkunft und ohne Geburt, der gar nichts mitbrachte, seine Tochter mit kleiner oder großer Bekümmernis, gern oder ungern gebe, danach fragte das Schneiderlein gar wenig oder gar nicht, genug, er war stolz und froh, des Königs Tochtermann geworden zu sein. Also wurde die Hochzeit nicht mit allzu großer Freudigkeit von königlicher Seite begangen, und aus einem Schneider war ein Königseidam geworden, ja ein König.
Als eine kleine Zeit vergangen war, hörte die junge Königin, wie ihr Gemahl im Schlafe redete, und vernahm deutlich die Worte: "Knecht, mache mir das Wams - flicke mir die Hosen - spute dich - oder ich - schlage dir - das Ellenmaß über die Ohren!" Das kam der jungen Königin sehr verwunderlich vor und sie bat ihren Vater, er möge ihr doch von diesem Mann helfen. Solche Rede durchschnitt des Königs Herz, dass er habe seine einzige Tochter einem Schneider anvertrauen müssen, tröstete sie aufs beste und sagte, sie solle nur in der künftigen Nacht die Schlafkammer öffnen, so sollten vor der Türe etliche Diener stehen und den Mann geradezu umbringen. Das ließ sich die junge Frau gefallen und verhieß also zu tun. Nun hatte der König aber einen Waffenträger am Hofe, der war dem Schneider hold und hatte des Königs untreue Rede gehört, verfügte sich daher eilend zu dem jungen König und bat ihn, er möge seines Leibes sich nach besten Kräften wehren. Dem sagte der Schneider-König ob seines Warnens Dank. Wie nun die Nacht gekommen war, begab sich zu gewohnter Stunde der junge König mit seiner Gemahlin zur Ruhe. Da stand die Frau heimlich auf und öffnete die Tür, worauf sie sich wieder ganz still niederlegte. Nach einer Weile begann der junge König im Schlafe zu reden, aber mit heller Stimme, dass die draußen vor der Kammer es wohl hören konnten: " Knecht, mache mir die Hosen, bletze mir - das Wams, oder ich will dir das Ellenmaß über die Ohren schlagen. Ich - habe sieben auf einen Streich - totgeschlagen - zwei Riesen habe ich totgeschlagen - das Einhorn habe ich gefangen - die Wildsau habe ich auch gefangen - sollte ich die fürchten, die draußen vor der Kammer stehen?"
Als die vor der Kammer solche Worte vernahmen, so flohen sie, und keiner wollte der sein, der sich an den Schneider wagte. Und so war und blieb das tapfere Schneiderlein ein König all sein Lebtag bis an sein Ende.

Schneeweißchen

Es war einmal eine Königin, die hatte keine Kinder und wünschte sich eins, weil sie so ganz einsam war. Da sie nun eines Tages an einer Stickerei saß und den Rahmen von schwarzem Ebenholz betrachtete, während große, weiße Schneeflocken vom Himmel fielen, war sie in so tiefen Gedanken, dass sie sich heftig in die Finger stach, so dass drei Blutstropfen auf den weißen Schnee fielen; und da musste sie wieder daran denken, dass sie kein Kind hatte.
"Ach", seufzte die Königin, "hätte ich doch ein Kind, so rot wie Blut, so weiß wie Schnee, so schwarz wie Ebenholz!"
Und nach einiger Zeit bekam diese Königin ein Kind, ein Mägdlein. Das war so weiß wie Schnee an seinem Leibe, und seine Wangen blühten wie blutrote Röselein, und seine Haare waren so schwarz wie Ebenholz. Die Königin freute sich, nannte das Kind Schneeweißchen, und bald darauf starb sie. Da der König nun ein Witwer geworden war und kein Witwer bleiben wollte, so nahm er sich eine andere Gemahlin. Das war ein stattliches Weib voll hoher Schönheit, aber auch voll unsäglichen Stolzes und auch so eitel, dass sie sich für die schönste Frau in der ganzen Welt hielt. Dazu ward sie zumal durch einen Zauberspiegel verleitet, der sagte ihr immer, wenn sie hineinsah und fragte: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?"
"Ihr, Frau Königin, seid die Schönste im Land."
Und der Spiegel schmeichelte doch nicht, sondern sagte die Wahrheit wie jeder Spiegel.
Das kleine Schneeweißchen, der Königin Stieftochter, wuchs heran und wurde die schönste Prinzessin, die es nur geben konnte, und wurde noch viel schöner als die schöne Königin. Diese fragte, als das Schneeweißchen sieben Jahre alt war, wieder einmal ihren treuen Spiegel:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Aber da antwortete der Spiegel nicht wie sonst, sondern er sprach:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneeweißchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Darüber erschrak die Königin zu Tode, und es war ihr, als kehre sich ihr ein Messer im Herzen um, und da kehrte sich auch ihr Sinn um gegen das unschuldige Schneeweißchen, das nichts zu seiner übergroßen Schönheit konnte. Und weil sie weder Tag noch Nacht Ruhe hatte vor ihrem bösen, neidischen Herzen, so berief sie ihren Jäger zu sich und sprach: "Dieses Kind, das Schneeweißchen, sollst du in den dichten Wald führen und es töten. Bringe mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen, dass du mein Gebot vollzogen!"
Und da musste das arme Schneeweißchen dem Jäger in den wilden Wald folgen, und im tiefsten Dickicht zog er seine Wehr und wollte das Kind durchstoßen. Das Schneeweißchen weinte jämmerlich und flehte, es doch leben zu lassen, es habe ja nichts verbrochen, und die Tränen und der Jammer des unschuldigen Kindes rührten den Jäger auf das innigste, so dass er bei sich dachte: „Warum soll ich mein Gewissen beladen und dies schöne unschuldige Kind ermorden? Nein, ich will es lieber laufen lassen! Fressen es die wilden Tiere, wie sie wohl tun werden, so mag das die Frau Königin vor Gott verantworten. Und da ließ er Schneeweißchen laufen, wohin es wollte, fing ein junges Wild, stach es ab, weidete es aus und brachte Lunge und Leber der bösen Königin. Diese nahm beides und briet es in Salz und Schmalz und verzehrte es und war froh, dass sie, wie sie meinte, nun wieder allein die Schönste sei im Lande. Schneeweißchen wurde es im Walde bald angst und bange, als es so mutterseelenallein durch das Dickicht schritt und wie es zum ersten Male die harten spitzen Steine fühlte, wie die Domen ihm das Kleid zerrissen, und vollends, als es zum ersten Male wilde Tiere sah. Aber die wilden Tiere taten ihm gar nichts zuleide; sie sahen Schneeweißchen an und fuhren in die Büsche. Und das Mägdlein ging den ganzen Tag und ging über sieben Berge.
Des Abends kam Schneeweißchen an ein kleines, kleines Häuschen, mitten im Walde, da ging es hinein, sich auszuruhen, denn es war sehr müde, war auch sehr hungrig und sehr durstig. Drinnen in dem kleinen, kleinen Häuschen war alles gar zu niedlich und zierlich und dabei sehr sauber. Es stand ein kleines Tischlein in der Stube, das war schneeweiß gedeckt, und darauf standen und lagen sieben Tellerchen, auf jedem ein wenig Gemüse und Brot, sieben Löffelchen, sieben Paar Messerchen und Gäbelchen und sieben Becherchen. Und an der Wand standen sieben Bettchen, alle blütenweiß überzogen. Da aß nun das hungrige Schneeweißchen von den sieben Tellerchen, nur ein klein wenig von jedem, und trank aus jedem Becherchen ein Tröpflein Wein. Dann legte es sich in eins der sieben Bettchen, um zu ruhen, aber das Bettchen war zu klein, und das Mägdlein musste es in einem andern probieren. Doch wollte keins recht passen, bis zuletzt das siebente, das passte, da hinein schlüpfte Schneeweißchen, deckte sich zu, betete zu Gott und schlief ein, tief und fest, wie fromme Kinder, die gebetet haben, schlafen.
Derweil wurde es Nacht, und da kamen die Häuschensherren, sieben kleine Bergmännerchen, jedes mit einem brennenden Grubenlichtchen vorn am Gürtel, und da sahen sie gleich, dass eins dagewesen war. Der erste fing an zu fragen: "Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?"
Der zweite fragte·: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?"
Der dritte fragte: "Wer hat von meinem Brötchen gebrochen?"
Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen geleckt?"
Der fünfte: "Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?"
Der sechste: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?"
Und der siebente fragte: ,,Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?"
Wie die Zwerglein also gefragt hatten, sahen sie sich nach ihren Bettchen um und fragten: , , Wer hat in unsern Bettchen geschlafen?" bis auf den siebenten, der fragte nicht so, sondern: ,,Wer liegt in meinem Bettchen?" Denn da lag das Schneeweißchen darin. Da leuchteten die Bergmännerchen mit ihren Lämpchen alle hin und sahen mit Staunen das schöne Kind und störten es nicht, sondern sie ließen den siebenten in ihren Bettchen liegen, in jedem ein Stündchen, bis die Nacht herum war. Da nun der Morgen mit seinen frühen Strahlen in das kleine, kleine Häuschen der Zwerglein schien, wachte Schneeweißchen auf und fürchtete sich vor den Zwergen. Die waren aber ganz gut und freundlich und sagten, es solle sich nicht fürchten, und fragten, wie es heiße? Da sagte und erzählte nun Schneeweißchen alles, wie es ihm ergangen sei. Darauf sagten die Zwergmännchen: "Du kannst bei uns in unserem Häuschen bleiben, Schneeweißchen, und kannst uns unsern Haushalt führen, kannst uns unser Essen kochen, unsere Wäsche waschen und alles hübsch rein und sauber halten, auch unsere Bettchen machen." Das war Schneeweißchen recht, und es hielt den Zwergen Haus. Die taten am Tage ihre Arbeit in den Bergen, tief unter der Erde, wo sie Gold und Edelsteine suchten, und abends kamen sie und aßen und legten sich in ihre sieben Bettchen.
Unterdessen war die böse Königin froh geworden in ihrem argen Herzen, dass sie nun wieder die Schönste war, wie sie meinte, und versuchte den Spiegel wieder und fragte ihn:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin! Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneeweißchen über den sieben Bergen
bei den sieben guten Zwergen,
das ist noch tausendmal schöner als Ihr!"
Das war wiederum ein Dolchstich in das eitle Herz der Frau Königin, und sie sann nun Tag und Nacht darauf, wie sie dem Schneeweißchen ans Leben käme, und endlich fiel ihr ein, sich verkleidet selbst zu Schneeweißchen aufzumachen; und sie verstellte ihr Gesicht und zog geringe Kleider an, nahm auch einen Allerhandkram und ging über die sieben Berge, bis sie an das kleine, kleine Häuschen der Zwerge kam. Da klopfte sie an die Türe und rief: "Holla, holla, kauft schöne Waren!" Die Zwerge hatten aber dem Schneeweißchen gesagt, es solle sich vor fremden Leuten in acht nehmen, vornehmlich vor der bösen Königin. Deshalb sah das Mägdlein vorsichtig heraus; da sah sie den schönen Tand, den die Frau zu Markte trug, die schönen Halsketten und Schnüre und allerlei Putz. Da dachte Schneeweißchen nichts Arges und ließ die Krämerin herein und kaufte ihr eine Halsschnur ab, und die Frau wollte ihm zeigen, wie diese Schnur umgetan würde, und schnürte ihm von hinten den Hals so zu, dass Schneeweißchen gleich der Atem ausging und es tot hinsank.
Da hast du den Lohn für deine übergroße Schönheit!", sprach die böse Königin und hob sich von dannen.
Bald darauf kamen die sieben Zwerglein nach Hause, und da fanden sie ihr schönes, liebes Schneeweißchen tot und sahen, dass es mit der Schnur erdrosselt war. Geschwinde schnitten sie die Schnur entzwei und träufelten einige Tropfen von der Goldtinktur auf Schneeweißchens blasse Lippen, da begann es leise zu atmen und wurde allmählich wieder lebendig. Als es nun sprechen konnte, erzählte es, wie die alte Krämersfrau ihr den Hals böslich zugschnürt, und die Zwerge riefen: "Das war kein anderes Weib als die falsche Königin! Hüte dich und lasse gar keine Seele in das kleine Häuschen, wenn wir nicht da sind."
Die Königin trat, als sie von ihrem schlimmen Gange wieder nach Hause kam, gleich vor ihren Spiegel und fragte ihn:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Und der Spiegel antwortete:
"Frau Königin! Ihr seid die Schönste allhier,
aber Schneeweißchen über den sieben Bergen
bei den sieben guten Zwergen,
das ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Da schwoll der Königin das Herz vor Zorn wie einer Kröte der Bauch, und sie sann wieder Tag und Nacht auf Schneeweißchens Verderben. Bald nahm sie wieder die falsche Gestalt einer anderen Frau an durch Verstellung ihres Gesichts und fremdländische Kleidung, machte einen vergüteten Kamm, den tat sie zu anderem Kram und ging über die sieben Berge an das kleine, kleine Zwergenhäuslein. Dort klopfte sie wieder an die Türe und rief: "Holla, holla! Kauft schöne Waren! Holla!"
Schneeweißchen sah zum Fenster heraus und sagte! "Ich darf niemand hereinlassen!"
Das Kramweib aber rief: "Schade um die schönen Kämme!" Und dabei zeigte sie den giftigen, der ganz golden blitzte. Da wünschte sich Schneeweißchen von Herzen einen goldenen Kamm, dachte nichts Arges, öffnete die Türe, ließ die Krämerin herein und kaufte den Kamm.
"Nun will ich dir auch zeigen, mein allerschönstes Kind, wie der Kamm durch die Haare gezogen und wie er gesteckt wird", sprach die falsche Krämerin und strich Schneeweißchen durchs Haar; da wirkte gleich das Gift, dass das arme Kind umfiel und tot war.
"So, nun wirst du wohl das Wiederaufstehen vergessen", sprach die böse Königin und entfloh aus dem Häuschen.
Bald darauf - und das war ein Glück - wurde es Abend, und da kamen die sieben Zwerge wieder nach Hause, fanden das arme Schneeweißchen tot und sahen in seinen Haaren den giftigen Kamm stecken. Diesen zogen sie geschwind aus dem Haar, und da kam es wieder zu sich. Und die Zwerge warnten es aufs Neue gar sehr, doch ja niemand ins Häuschen zu lassen.
Daheim trat die böse Königin wieder vor ihren Spiegel und fragte ihn:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Und der Spiegel antwortete:
"Frau Königin! Ihr seid die Schönste allhier,
aber über den sieben Bergen
bei den sieben guten Zwergen,
ist Schneeweißchen noch tausendmal schöner als Ihr."
Da wusste sich die Königin vor giftiger Wut darüber, dass alle ihre bösen Ränke gegen Schneeweißchen nichts fruchteten, gar nicht zu lassen und zu fassen und tat einen schweren Fluch, Schneeweißchen müsse sterben, und solle es ihr, der Königin, selbst das Leben kosten. Und darauf machte sie heimlich einen schönen Apfel giftig, aber nur auf einer Seite, wo er am schönsten war, nahm dazu noch einen Korb voll gewöhnlicher Äpfel, verstellte ihr Gesicht, kleidete sich wie eine Bäuerin, ging abermals über die sieben Berge und klopfte am Zwergenhäuslein an, indem sie rief: "Holla! Schöne Äpfel kauft, kauft!" Schneeweißchen sah zum Fenster heraus und sagte: "Geht fort, Frau, ich darf nicht öffnen und nichts kaufen!"
"Auch gut, liebes Kind!", sprach die falsche Bäuerin. "Ich werde auch ohne dich meine schönen Äpfel noch alle los! Da hast du einen umsonst!"
"Nein, ich danke schön, ich darf nichts annehmen!" rief Schneeweißchen.
"Denkst wohl gar, der Apfel wäre vergiftet? Siehst du, da beiße ich selber hinein. Das schmeckt einmal gut! So hast du in deinem Leben keinen Apfel gegessen." Dabei biss das trügerische Weib in die Seite des Apfels, die nicht vergiftet ward, und da wurde Schneeweißchen lüstern und griff nach dem Apfel hinaus, und die Bäuerin reichte ihn hin und blieb stehen. Kaum hatte Schneeweißchen den Apfel auf der anderen Seite angebissen, wo er ein schönes rotes Bäckchen hatte, so wurden Schneeweißchens rote Wangen ganz blass, und es fiel um und war tot.
"Nun bist du aufgehoben, Ding!", sprach die Königin und ging fort. Zu Hause trat sie vor den Spiegel und fragte wieder:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Und der Spiegel antwortete diesmal:
"Ihr, Frau Königin, seid allein die Schönste im Land."
Nun war das Herz der bösen Königin zufrieden, soweit ein Herz voll Bosheit, Tücke und Mordschuld zufrieden sein kann.
Aber wie erschraken die sieben Zwerge, als sie abends nach Hause kamen und ihr Schneeweißchen ganz tot fanden. Vergebens suchten sie nach einer Ursache, und vergebens versuchten sie die Wunderkraft ihrer Goldtinktur, Schneeweißchen war und blieb jetzt tot.
Da legten die betrübten Zwerglein das liebe Kind auf eine Bahre, setzten sich darum herum und weinten drei Tage lang, hernach wollten sie es begraben. Aber da Schneeweißchen noch nicht wie tot aussah, sondern noch frisch wie ein Mägdlein, das schläft, so wollten sie es nicht allein in die Erde senken, sondern sie machten einen schönen Sarg von Glas, da hinein legten sie es und schrieben darauf: Schneeweißchen, eine Königstochter - und setzten den Sarg dann auf einen von den sieben Bergen, und es hielt immer einer von ihnen Wache bei dem Sarge. Da kamen auch die Tiere aus dem Walde und weinten über Schneeweißchen, die Eule, der Rabe und das Täublein.
Und so lag Schneeweißchen lange Jahre in dem Sarge, ohne dass es verweste, vielmehr sah es noch so frisch und weiß aus wie frisch gefallener Schnee, und hatte wieder rote Wängelein wie frische Blutröschen, und die schwarzen, ebenholzfarbenen Haare. Da kam ein schöner junger Königssohn, der sich in den sieben Bergen verirrt hatte, zu dem kleinen Zwerghäuslein, sah den gläsernen Sarg stehen und las die Schrift darauf: Schneeweißchen, eine Königstochter - und bat die Zwerge, ihm doch den Sarg mit Schneeweißchen zu überlassen, er wolle ihnen denselben abkaufen.
Die Zwerge aber sprachen: "Wir haben Goldes die Fülle und brauchen deines nicht! Und um alles Gold in der Welt geben wir den Sarg nicht her."
"So schenkt ihn mir!", bat der Königssohn. "Ich kann nicht sein ohne Schneeweißchen, ich will es aufs höchste ehren und heilig halten, und es soll in meinem schönsten Zimmer stehen; ich bitte euch darum!"
Da wurden die Zwerglein von Mitleid bewegt und schenkten ihm Schneeweißchen im gläsernen Sarge.
Den gab der Königssohn seinen Dienern, dass sie ihn vorsichtig fort trügen, und er folgte sinnend nach. Da stolperte der eine Diener über eine Baumwurzel, dass der Sarg schütterte, und sie hätten ihn beinahe fallen lassen, und durch das Schüttern fiel das giftige Stückchen Apfel, das Schneeweißchen noch im Munde hatte (weil es umgefallen war, ehe es den Bissen verschluckte), heraus, und da war es mit einem Male wieder lebendig.
Geschwind ließ es der Königssohn niedersetzen, öffnete den Sarg und hob es mit seinen Armen heraus, erzählte ihm alles, gewann es nun erst recht lieb und nahm es zu seiner Gemahlin, führte es auch gleich in seines Vaters Schloss, und dann wurde zur Hochzeit gerüstet mit großer Pracht, auch viele hohe Gäste wurden geladen, darunter auch die böse Königin. Die putzte sich auf das allerschönste, trat vor ihren Spiegel und fragte wieder:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Darauf antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste allhier,
aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als Ihr!"
Da wusste die Königin nicht, was sie vor Neid und Scheelsucht sagen und anfangen sollte, und es wurde ihr ganz bange ums Herz, und sie wollte erst gar nicht auf die Hochzeit gehen; dann wollte sie aber doch die sehen, die schöner sei als sie, und fuhr hin. Und wie sie in den Saal kam, trat ihr Schneeweißchen als die allerschönste Königsbraut entgegen, die es jemals gegeben, und da mochte sie vor Schrecken in die Erde sinken.
Schneeweißchen aber war nicht allein die Allerschönste, sondern sie hatte auch ein großes, edles Herz, das die Untaten, die die falsche Frau an ihr verübt, nicht selbst rächte. Es kam aber ein giftiger Wurm, der fraß der bösen Königin das Herz ab, und dieser Wurm war der Neid.

Schwan, kleb' an!

Es waren einmal drei Brüder. Der jüngste unter ihnen, Gottfried mit Namen, war die Zielscheibe aller Neckereien seiner Brüder, und wenn sie böser Laune waren, so ließen sie es ihn entgelten. Er musste sich das alles gefallen lassen, weil er schwächer war als die beiden Älteren und sich gegen sie nicht wehren konnte. Dadurch wurde ihm das Leben sauer gemacht, und er sann Tag und Nacht darüber nach, wie er sein Schicksal erträglicher gestalten könnte.
Als er einst im Walde war, um Holz zu sammeln, und bitterlich weinte, trat ein altes Weiblein zu ihm, das fragte ihn um seine Not, und er vertraute ihm all seinen Kummer.
"Ei, mein Junge", sagte das Weiblein darauf, "ist die Welt nicht groß? Warum versuchst du nicht anderswo dein Glück?"
Das nahm sich Gottfried zu Herzen und verließ eines Morgens frühe das väterliche Haus und machte sich auf den Weg in die weite Welt, um, wie das Weiblein gesagt hatte, sein Glück zu suchen. Aber der Abschied von dem Ort, wo er geboren war und wenigstens eine glückliche Kindheit verlebt hatte, ging ihm doch nahe, und er setzte sich auf einen Hügel nieder, um noch einmal recht das heimatliche Dorf zu betrachten.
Da stand plötzlich das Weiblein hinter ihm, schlug ihm auf die Schulter und sprach: "Das hast du einmal gut gemacht, mein Junge! Aber was willst du nun anfangen?"
Gottfried hatte jedoch noch gar nicht darüber nachgedacht, was er beginnen sollte.
Das Weiblein aber lächelte und sprach: "Ich will es dir sagen! Doch du musst mir versprechen, mich nicht zu vergessen, wenn du dem Glück im Schoße sitzest!"
Das versprach Gottfried mit Hand und Mund.
Da fuhr die Alte fort: "Heute Abend, wenn die Sonne untergeht, gehe an den großen Birnbaum, der dort am Kreuzweg steht. Darunter wird ein Mann liegen und schlafen; an dem Baum aber wird ein großer, schöner Schwan angebunden sein. Den Mann hütest du dich aufzuwecken, und du musst deswegen gerade mit Sonnenuntergang kommen. Den Schwan knüpfst du los und führst ihn mit dir fort. Die Leute werden in seine schönen Federn vernarrt sein, und du magst ihnen erlauben, davon eine auszurupfen. Wenn aber der Schwan berührt wird, so wird er schreien, und wenn du dann sagst: "Schwan, kleb' an!", so wird dem, der ihn berührt, die Hand fest ankleben und nicht wieder loswerden, bis du sie mit diesem Stöcklein antippst, das ich dir hiermit zum Geschenk mache. Wenn du nun so einen weidlichen Zug Menschenvögel gefangen hast, so führe sie nur immer geradeaus. Da wirst du an eine große Stadt kommen; dort wohnt eine Königstochter, die noch nie gelacht hat. Bringst du sie zum Lachen, so ist dein Glück gemacht; aber dann vergiss auch mich nicht, mein Junge!"
Gottfried versprach das noch einmal und war mit Sonnenuntergang richtig an dem bezeichneten Baume. Der Mann lag da und schlief, und ein großer, schöner Schwan war mit einem Bande an den Baum gebunden. Gottfried knüpfte den Vogel beherzt los und führte ihn davon, ohne dass der Mann erwachte.
Nun traf es sich, dass Gottfried mit seinem Schwan an einer Baustätte vorüber kam, wo einige Männer Lehm kneteten. Die bewunderten die schönen Federn des Vogels, und ein vorwitziger Junge, der über und über voll Lehm war, sagte laut: "Ach, wenn ich doch nur eine solche Feder hätte!"
"Zieh dir eine aus!", sprach Gottfried freundlich. Der Junge griff nach dem Schweife des Vogels, und sogleich schrie das Tier.
" Schwan, kleb' an!", rief Gottfried, und der Junge konnte nicht wieder loskommen, er mochte anfangen, was er wollte. Die andern lachten, je mehr der Junge schrie, bis vom nahen Bache eine Magd herzugelaufen kam, die mit hoch aufgeschürztem Rocke dort gewaschen hatte. Die fühlte Mitleid mit dem Jungen und reichte ihm die Hand, um ihn loszumachen. Der Schwan schrie.
" Schwan, kleb' an!" rief Gottfried, und die Magd vermochte ihre Hand von der des Jungen nicht wieder zu lösen und war ebenfalls gefangen.
Als Gottfried mit seiner Beute eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein Schornsteinfeger. Der lachte über das sonderbare Gespann und fragte die Magd, was sie denn da triebe.
"Ach, herzliebster Hans", antwortete die Magd kläglich, "gib mir doch deine Hand, und mach' mich von dem verteufelten Jungen los!"
"Wenn's weiter nichts ist!" lachte der Schornsteinfeger und gab der Magd die Hand. Der Vogel schrie.
" Schwan, kleb' an!" rief Gottfried, und der schwarze Mann war ebenfalls behext und musste mitgehen.
Sie kamen nun in ein Dorf, wo gerade Kirchweih war; eine Seiltänzergesellschaft gab dort Vorstellungen, und der Bajazzo machte eben seine Späße. Der riss Mund und Nase auf, als er das seltsame Kleeblatt sah, das an dem Schweife des Schwans fest hing.
"Bist du ein Narr geworden, Schwarzer?", lachte er.
"Da ist gar nichts zu lachen!", antwortete der Schornsteinfeger. "Das Weibsbild hält mich so fest, dass meine Hand wie angenagelt ist. Mach' mich los, Bajazzo; ich tu' dir einmal einen andern Liebesdienst!" Der Bajazzo fasste die ausgestreckte Hand des Schwarzen. Der Vogel schrie.
"Schwan, kleb' an!", rief Gottfried, und der Bajazzo war der Vierte im Bunde. Nun stand in der vordersten Reihe der Zuschauer der stattlich wohlbeleibte Amtmann des Dorfes, der machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu und ärgerte sich höchlich über das Blendwerk, das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Sein Eifer ging so weit, dass er den Bajazzo an der ledigen Hand fasste und ihn losreißen wollte, um ihn dem Büttel zu übergeben; da schrie der Vogel.
"Schwan, kleb' an!", rief Gottfried, und der Amtmann teilte das Schicksal der Vorgänger. Die Frau Amtmännin, eine lange, dürre Spindel, entsetzte sich über das Missgeschick ihres Eheherrn und riss mit Leibeskräften an seinem freien Arm. Wieder schrie der Vogel.
"Schwan, kleb' an!" rief Gottfried, und die Frau Amtmännin musste trotz ihres Geschreis folgen. Hinfort hatte niemand mehr Lust, die Gesellschaft zu vergrößern.
Gottfried sah schon die Türme der Hauptstadt vor sich; da kam ihm ein wunderhübscher Wagen entgegen, in dem eine schöne junge, aber ernste Dame saß. Als diese den bunten Zug erblickte, brach sie jedoch in lautes Gelächter aus, und ihre Dienerschaft lachte mit.
"Die Königstochter hat gelacht!", rief alles vor Freuden. Sie stieg aus, betrachtete sich die Sache noch genauer und lachte immer mehr bei den seltsamen Sprüngen und Verrenkungen, welche die Festgebannten vollführten, um sich zu befreien. Der Wagen musste umwenden und fuhr langsam neben Gottfried nach der Stadt zurück.
Als der König die Kunde vernahm, dass seine Tochter gelacht habe, war er voll Entzücken und nahm selber den Burschen, seinen Schwan und dessen wunderliches Gefolge in Augenschein, und dabei musste er selbst so herzlich lachen, dass ihm die Tränen in den Augen standen.
"Du närrischer Gesell", sprach er zu Gottfried, "weißt du, was ich dem versprochen habe, der meine Tochter zum Lachen bringt?"
"Nein", sagte Gottfried.
"So will ich dir's sagen", antwortete der König. "Tausend Goldgulden oder ein schönes Gut! Wähle dir zwischen den beiden!" Gottfried entschied sich für das Gut. Dann berührte er den Buben, die Magd, den Schornsteinfeger, den Bajazzo, den Amtmann und die Amtmännin mit seinem Stäbchen, und alle fühlten sich frei und liefen davon, als brenne die Hölle hinter ihnen her, und diese überstürzte Flucht verursachte bei allen Zuschauern aufs neue ein unauslöschliches Gelächter.
Der Schwan aber war so glatt und schön, dass die Königstochter sein weißes Gefieder bewunderte und sich nicht enthalten konnte, ihn mit ihrer feinen, schmalen Hand zu streicheln. Doch sogleich schrie der Vogel, und Gottfried rief: "Schwan, kleb' an!"
Da war nun die Königstochter gefangen und vermochte den Schwan nicht wieder loszulassen, wie sehr sie sich auch bemühte. Es ward ihr angst und bange, und der König wurde zornig und befahl: "Du frecher Bursche, befreie sofort meine Tochter, oder es wird dir übel ergehen!"
Doch Gottfried tat es nicht, sondern lachte nur und sprach: "Und wenn Ihr mir den Kopf abschlagen lasst, Herr König, so muss die schöne Prinzessin ihr Leben lang an meinem Schwan kleben bleiben!“
Da tobte der König vor Wut; doch endlich verlegte er sich aufs Bitten und versprach dem Gottfried jeden gewünschten Lohn, wenn er nur die Prinzessin wieder befreien wollte.
"Nur um einen Preis werde ich' s tun", sprach der Bursche; "Ihr müsst mir Eure Tochter zur Frau geben!“
Da sagte der König ja um seines lieben Kindes willen, und die Prinzessin war von Herzen einverstanden. Gottfried berührte sie mit seinem Stäbchen, und sogleich war sie frei. Der Schwan aber erhob sich in die Lüfte und verschwand in der blauen Ferne.
Nun wurde die schöne Prinzessin Gottfrieds Gemahlin, und damit das junge Paar so würdig leben könne, wie es der hohen Geburt der Königstochter entsprach, schenkte ihm der Vater ein ganzes Herzogtum zur Hochzeit. Gottfried aber erinnerte sich auch des alten Weibleins, das ihm sein Glück verschafft hatte, und berief es als seine und seiner Gattin Haushofmeisterin in sein stattliches Schloss.

Die Königstochter vom Rhein

Vor grauen Zeiten stahl aus dem Rosengarten zu Worms ein Zigeunerweib eine Königstochter in ihrem kleinen Badewännchen und trug es über den Rhein. Niemand wusste, wohin das Kind gekommen war.
Achtzehn Jahre waren vergangen, da ritt eines Tages der Königssohn durch einen Wald, dessen Boden er zuvor nie betreten hatte. An einem Wirtshaus hielt er sein Pferd an, stieg ab und kehrte ein. Den Wein, den er zur Erfrischung bestellte, brachte eine schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen gefiel. Hässlich aber fand er die Wirtin selbst, die ein altes, böses Weib war und dauernd keifend das Mädchen schalt. Wie der Jüngling erfuhr, war das Mädchen ein Findelkind, das die Alte vor Jahren angenommen und aufgezogen hatte, um es nun als Dienstmagd auszunutzen.
Der Königssohn wollte, ehe er heimritt, gern noch ein Fußbad nehmen. Vor allem wollte er mit dem netten Mädchen noch ein wenig plaudern. Das Mädchen richtete ein Bad mit frischen grünen Kräutern und brachte es in einem Badewännlein herbei.
Wie der Jüngling das Badewännlein betrachtete, entdeckte er plötzlich das Wappen seiner königlichen Familie daran. Da fiel ihm ein, gehört zu haben, dass vor langen Jahren sein Schwesterlein mitsamt einem Wännlein, in dem es gebadet wurde, aus dem Rosengarten verschwunden sei. Seine Mutter hatte ihm später oft erzählt, das Schwesterlein habe ein Malzeichen am Hals gehabt. Und dasselbe Malzeichen entdeckte der Königssohn am Hals der jungen Dienstmagd, die gerade seine Füße wusch.
Glücklich sprang der Jüngling auf, begrüßte und umarmte sie als seine Schwester.
Keifend kam die Alte aus dem Haus gestürzt und wollte das Mädchen fortzerren. Als der Jüngling jedoch fragte, wie sie zu dem edlen Fräulein gekommen wäre, erschrak die böse Frau sehr. Sie fiel auf die Knie und gestand, daß sie die Zigeunerin war, die Kind und Wännchen damals davongetragen hatte, als sich die Wärterin für kurze Zeit entfernt hatte.
Der Königssohn dachte an den Gram der Mutter und die erlittene Not der Schwester. Er schlug mit seinem Schwert der Alten zur Strafe den Kopf ab. Dann ritten Bruder und Schwester schnellstens nach Worms, wo die königliche Mutter schluchzend vor Glück das verloren geglaubte Kind umarmte. Mit Tränen in den Augen priesen sie alle die Güte des Herrn, die sie nach so viel Jahren wieder zusammengeführt hatte.

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