Er sucht Sie – spätere Heirat nicht ausgeschlossen

Bereits über ein Jahrzehnt lebte ich nach der Scheidung alleine mit meinen Kindern, der bald achtzehnjährigen Tochter und meinen beiden Jungs, im Alter von fünfzehn und zwölf Jahren.
„Mutti, Du darfst nicht solo bleiben“, bedrängte mich meine Große.

Eines Morgens beim Frühstück fiel mein Blick auf die Kontaktseite unserer Regionalzeitung. Eine Anzeige ließ mich den ganzen Tag nicht mehr los: ER, schon etwas älter, suchte SIE und wollte etwas Reiferes für eine Freundschaft, spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Kinder kein Hinderungsgrund.

Am nächsten Tag, als meine Drei in der Schule waren, setzte ich mich hin und schrieb auf dieses Inserat. Schonungslos legte ich meine Situation dar. Schweifte aber auch ab zu meinen Träumen und Wünschen, die lange Zeit geschlummert hatten, als ob man das Ventil öffnen würde, um sie freizulassen. - Noch zögerte ich, aber dann wanderte der Brief doch in den Kasten.

Bald erhielt ich Antwort und mehrere Treffen folgten.
Später war ich wieder einmal mit meinem neuen Partner beisammen, als ein Arbeitskollege auftauchte. Das großzügige „Ihr dürft euch ruhig einen Kuss geben“, löste in mir eine nie gekannte Welle der Zärtlichkeit aus. Beide fuhren wir auseinander, als ob uns der Blitz getroffen hätte.

‚Das ist er, auf den ich gewartet habe’, sang es in meinem Kopf, ‚so muss Liebe sein’.

Mein Freund hielt mich die nächste Zeit ganz schön auf Trab, doch leider stellte ich bald fest, dass meine Kinder für ihn Nebensache waren. Nächtelang lag ich wach. Sie waren doch Teil von mir und man konnte uns nur gemeinsam haben, nicht einzeln. Was sollte ich tun?
Bei einem letzten Gespräch beendete ich diese Beziehung. Traurig war ich schon, denn in ein paar Tagen würde Weihnachten sein, das Fest der Liebe. Aber mein Verflossener zeigte nun sein wahres Gesicht und viele böse Worte fielen.

Doch immer noch spukte dieser Kuss, der ja mehr eine zarte Berührung war, in meinem Kopf herum. Ich fühlte weiche Lippen auf den meinen, die Schmetterlinge im Bauch, das Kribbeln in Armen und Beinen, ebenso die weich werdenden Knie, ein nie gekanntes Schwächegefühl. Der Wunsch, mich einfach fallen zu lassen, wurde übermächtig in mir.

WO WAR ER?

Ob er wohl Kontakt zu mir aufnehmen wird?

Fragen über Fragen!
Hatte es bei meinem Gegenüber – damals – ebenso gefunkt wie bei mir? Und … was wusste ich über diesen Mann?

Nach seiner Erzählung war er ebenfalls geschieden und hatte aus erster Ehe auch Kinder. Den Ort, in dem er lebte, hatte er mir bereits verraten und bei seiner Vorstellung Vor- und Nachnamen.

Schnell holte ich das Telefonbuch. Schade, da fand ich keinen O. Sch.
Den ganzen Tag überlegte ich und die darauf folgende Nacht ebenfalls. Dann hatte ich die Lösung. Es gab ein Buch, das alle Einwohner der Gemeinde erfasste. Und ich wurde fündig.

Mit zitternden Fingern wählte ich die Telefonnummer, legte schnell wieder auf, als es zu Läuten anfing. Meine versagenden Beine verlangten eine Ruhepause und mein Herz klopfte so schnell und laut, dass ich Angst hatte, man könne es hören.

Mutig drückte ich später die Wahlwiederholung und dann wurde mir schwindlig. Trotzdem harrte ich aus, um dann gleich zu erschrecken, als sich ein fremder Mann meldete. Was sollte ich tun? Auflegen? Auf meine Frage nach IHM, wurde mir erklärt, man würde ihn holen.

Dann war ER da und meine Stimme versagte.
Sein „Hallo, wer ist da?“, riss mich aus meiner Erstarrung.
Gepresst, heiser und leise nannte ich meinen Namen.
„Komm bitte sofort her“, hörte ich ihn durch das klopfende Pochen meiner Schläfen.

Mein Herz tanzte den Walzer des Lebens, immer schneller und ich drehte mich lachend im Kreis, das Dröhnen in den Ohren ignorierend.

Glücklich und doch auch ängstlich rannte ich zum Kleiderschrank. Wie damals als Fünfzehnjährige beim ersten Rendezvous, wusste ich nicht, was ich anziehen sollte.
‚Ist ja eigentlich egal’, dachte ich. ‚Entweder er mag dich wie du bist oder er hat kein Interesse.’

Dann warf ich mich ins Auto. Mein Nachwuchs schlief bereits unter Aufsicht meiner im selben Haus wohnenden Eltern.

Die Fahrt dauerte eine Ewigkeit und meine Gedanken fuhren Karussell. Hatte ich richtig gehandelt? Was würde sein, wenn er mich nicht mochte? Salzige Tränen rannen grundlos über meine Wangen.

Als ich beim Haus anhielt, öffnete sich bereits die Tür.

Vier fragende und glückliche Augen versanken wortlos ineinander. Fürsorglich geleitete mich O. in sein kleines, aber heimeliges Reich.

Aus dem Mantel geschlüpft, auf dem Sofa Platz genommen, wandten wir uns zueinander. Starke Arme umfingen mich, zärtliche Hände verirrten sich unter meinen Pullover und streichelten heiße Haut.

Urplötzlich befanden wir uns im Schlafzimmer. Beide wollten wir es, hatten schon jahrelang auf Zärtlichkeiten dieser Art verzichten müssen. Immer wieder versanken wir ineinander. Die Welt hörte auf, sich zu drehen, es gab nur uns. Heiße Wellen überfielen mich und drohten mich hinwegzuspülen. Mein Körper schrie nach Liebe und Beachtung. Küsse, Berührungen, liebevolle Worte – wie lange hatte ich das vermisst. Nie mehr wollte ich alleine sein, immer behütet einschlafen und aufwachen.

Unser gemeinsamer Schwur, niemals voneinander zu lassen, klingt noch heute in meinen Ohren, wenn mein dankbarer und glücklicher Blick auf IHM ruht, der ein Jahr später mein Mann wurde - und es heute noch ist.

Heidi Gotti

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