Ferien in Bremen

Der Krieg hatte den Familien"-Clan" meines Vatis überall verteilt.
War sehr schlimm, denn alle Geschwister hatten eine sehr enge Bindung zueinander.
In Deutschland wohnten einige in Bremen und der andere Teil hier in Baden-Württemberg, der älteste Bruder war ja in der "Heimat", der ehemaligen Tschechoslowakei geblieben.
Mein Onkel "Rudl" (Rudolf) und die Tante "Mitzi" (Marie) lebten in Bremen.
Sie waren sehr kinderlieb, hatten aber keine eigenen Kinder. Also wurde ich, so oft es ging, zu ihnen eingeladen. Verbrachte fast meine gesamten Sommer-Schulferien in Bremen.


Was hat mein Onkel da alles mit mir unternommen!
Ich wurde in Stuttgart in den Zug gesetzt und die Bahnhofsmission kümmerte sich um mich. Sie waren als Begleiter mit im Zug und sorgten - nach einer kleinen Spende - für das richtige Umsteigen und das Gepäck. Die Fahrt damals dauerte sehr lange und die Züge waren auch noch sehr "anstrengend". Das Holpern über die Schienenstränge prägte sich mir ein und wenn ich oben in der Hansestadt bei meinem Onkel am Bahnhof abgeliefert wurde, hatte ich dieses Rattern und Holpern noch in den Beinen, ja im ganzen Körper. Das dauerte dann bis zum nächsten Tag, bis ich es wieder abgebaut hatte.
Sehr traurig empfand ich das damalige Bremen. Von ganzen Straßenzügen standen nur noch die Fassaden, der Rest lag in Trümmern. Das sah speziell in der Abenddämmerung gespenstig aus. Ich hätte weinen können und sehe dieses Bild heute noch vor mir.
Onkel Rudl und Tante Mitzi wohnten ebenerdig in einer Notunterkunft. Zwei Straßen weiter lebte meine Cousine und die Tante meinte, ich solle sie doch einfach besuchen, sie würde sich riesig freuen. Also machte ich mich auf den Weg - sagen wir mal - ich versuchte es. Hatte ich doch als Kind einen schlechten Orientierungssinn, unter dem ich heute noch leide.
Heute noch, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin bemächtigt sich meiner in der Regel eine panische Angst, weil ich mich meistens nicht mehr zurechtfinde.
Aber ich schaffte es, bei meiner Cousine Steffi anzukommen. Da ich zu einer bestimmten Zeit zum Essen wieder zurück sein sollte, dauerte es nicht allzu lange und ich machte mich optimistisch auf den Rückweg. Hatte ich hergefunden, würde mir der Rückweg sicher auch gelingen. Aber weit gefehlt! Alles sah so fremd aus und meiner bemächtigte sich eine riesige Angst. Ich irrte mehrere Straßen auf und ab, konnte mich aber nicht orientieren. Auf einmal sah ich in das verschmitzte Gesicht meines Onkels.
Mit keinem Wort erwähnte er mein "Missgeschick" und wir gingen gemeinsam "heim".
Da nun diese Angst in mir steckte, war ich immer bestrebt, meinem Onkel nicht von der Seite zu weichen. Wieder einmal waren wir in der Stadt unterwegs und Onkelchen legte Tempo zu, ich musste natürlich mithalten. Auf einmal rannte er einige Treppen hinunter und ich im Sauseschritt hinterher. Bis ich bemerkte, was da ablief, stand ich schon im "Herrenklo". Natürlich waren wir nicht alleine und ich wurde erstaunt angeblickt. Da ich stramm gelaufen war, konnte man meine Schritte ja nicht überhören! Puterrot verließ ich diesen "Ort" meiner "Verlegenheit". Es war mir nun egal, ob ich mich verlaufen würde. Beim Umdrehen hörte ich noch das laute und herzhafte Lachen meines Onkels, das mir heute noch in den Ohren klingt.
Das war typisch Onkel Rudl. Natürlich lernte er mir auch tschechisch. Ich war soooo stolz darauf. Wenn ich zu Hause wäre, meinte der Onkel, solle ich mein Wissen nur gleich dem Vati vortragen. Das tat ich dann auch voller Stolz. Vati schaute mich sehr seltsam an. Ob ich denn überhaupt wisse, was meine Worte bedeuten, wurde ich gefragt. Das musste ich nun verneinen. Als ich es erfuhr, schämte ich mich entsetzlich. Später haben wir alle gemeinsam darüber gelacht. Es waren die schlimmsten Schimpfworte und Gassenhauerverse, die es gibt.


Sehr schöne Erinnerungen verbinde ich trotzdem mit Bremen. Das Rathaus mit dem "Roland", den "Bremer Stadtmusikanten" hat sich mir mein Leben lang eingeprägt.
Am besten gefiel es mir im Hafen, dem "Europa- und Überseehafen". Die Schiffe faszinierten mich, gab es doch derartiges bei uns zu Hause nicht. Wir beobachteten das "Löschen" der Ladung und den Landgang der Matrosen, die dafür ihre Ausgeh-Uniformen angezogen hatten. Wenn ein Schiff den Hafen verließ und die Kapelle "Muss i denn, muss i denn, zum Städtele hinaus" spielte, war ich jedes Mal den Tränen nah. Die ganze Besatzung stand auf dem Schiff aufgereiht und grüßte zum Land.
Für die Besichtigung eines italienischen Kriegsschiffes hatte Onkel Rudl Karten besorgt. Ich kann mich heute noch an den Namen erinnern. "Raimondo Monte Cuccoli", hieß das Schiff. Wir wurden mit vielen anderen Besuchern einmalig bewirtet, durften alles besichtigen, selbst die "Kanonen", die Kombüse und die Kajüten. Die Mannschaft stand Spalier und "lief" in rasender Schnelle die Masten hinauf. Die Schiffskapelle spielte und selbst der Kapitän und seine Offiziere bemühten sich sehr um ihre Gäste. Das war herrlich für eine "Landratte", die ich ja war.

Eine Fahrt nach Bremerhaven verlief nicht ganz so reibungslos, wurde ich doch entsetzlich "seekrank" und habe unterwegs die "Fische gefüttert". Von dieser Stadt war ich enttäuscht, der dortige Hafen war - in meinen Augen - sehr "schmutzig" mit seinem trüben Wasser. Da ich nicht schwimmen konnte, nach einem schrecklichen Erlebnis, saß ich wie auf Kohlen, bei der anschließenden "Hafenrundfahrt". Ich erinnere mich noch, diese Barkassen lagen sehr tief im Wasser. Man brauchte nur die Hand auszustrecken und schon konnte man das Wasser berühren, keine10 cm fehlten bis zur Wasseroberfläche. Ich dachte, wir sitzen im oder auf dem Wasser. Auch in den "Gassen" ging alles sehr eng zu, kann ich mich noch erinnern. Es waren sehr viele Matrosen in den typischen Uniformen unterwegs mit der Aufschrift ihres Schiffes auf der Mütze. Das gefiel mir wiederum sehr. Auch viele "Bordsteinschwalben" warteten auf diese Männer, damals verstand ich es ja noch nicht.
Freute mich immer, dass die Männer nun wieder zu Hause wären bei ihren Frauen. Gingen sie doch gezielt auf diese zu, nahmen sie in den Arm, um dann gemeinsam zu verschwinden.
Natürlich wurde ich in diesem Glauben belassen.

Dann ging Onkelchens Urlaub zu Ende, aber ich durfte noch bleiben. Mit der Tante besuchte ich ihn oft an seiner Arbeitsstelle. Es war eine Fabrik, in der Filzmatten hergestellt wurden.

Noch ein schreckliches Erlebnis prägte mich damals. Wir waren wieder einmal unterwegs zum Onkel und ein Gewitter kündigte sich an. Genauso wie in den Bergen, sind auch diese Wetter an der Küste besonders heftig. Es blitzte und knallte entsetzlich und dann öffnete der Himmel seine Schleusen. So einen Guss hatte ich noch nie erlebt. In meiner panischen Wasserangst klammerte ich mich an meine Tante. Das Wasser stand mir fast bis zu den Knien, wahrscheinlich konnte es dort nicht richtig ablaufen. Aber meine Tante nahm mich ganz ruhig in den Arm. Sie war etwas beleibt und so drückte sie mein Gesicht einfach in ihren fülligen Busen und ich fühlte mich geborgen. So schnell wie der Spuk begann, war er auch wieder vorbei und für mich war die Welt wieder in Ordnung.

Auch an die "Heilsarmee", die dort oben im Norden unterwegs war, erinnere ich mich noch, als ob es erst gestern gewesen wäre. Die "Uniformen" dieser Männer und Frauen. Ihre Lieder und dann die Sammelbüchsen. Die Straßen und Kneipen waren voll davon, ebenso wie von den Matrosen.


Viele Ferien durfte ich dort oben bei meinem Onkel und der Tante verbringen, die mich sehr geprägt haben. Sehr dankbar bin ich für diese Zeit und denke heute noch wehmütig daran zurück. Leben doch weder meine Eltern noch Onkel Rudl oder Tante Mitzi.
Wie gerne würde ich sie noch einmal in meine Arme schließen.
Heidi Gotti

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