Wilhelm Hauff

 

Wilhelm Hauff

Wurde am 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Er starb – erst 24jährig am 18. November 1827 in seiner Heimatstadt.

Nach dem Theologie- und Philosophie-Studium in Tübingen, arbeitete er dann als Hauslehrer und schließlich als Redakteur.
Bekannt wurde Hauff durch seine Märchen, die in drei Almanachen 1826, 1827 und 1828 erschienen und durch seine Lieder, die sich zu Volksliedern entwickelten. Er verbindet in seinen Erzählungen romantisch-phantastische Elemente mit realistischen und zeitkritischen, sowie satirischen Zügen. Er wollte seine Zeit kritisch beleuchten, aber auch seine Leser unterhalten.

 

Die Karawane

Die Geschichte vom Kalif Storch

Die Geschichte von dem Gespensterschiff

Die Geschichte von dem kleinen Muck

Das Märchen vom falschen Prinzen

Der Zwerg Nase

Das Wirtshaus im Spessart

Das kalte Herz - Erste Abteilung

Saids Schicksale

Das kalte Herz - Zweiter Teil

Das Wirthaus im Spessart - das Ende

Abner der Jude, der nichts gesehen hatte

Der Reußenstein

Die Karawane

Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde; eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolken teilte, blendeten funkelnde Waffen und hell leuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold gestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen. Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritte dem Vortrab der Karawane nahe war, sprengte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, dass die Wächter des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten.
"Was wollt ihr?", rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen sah. "Glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?" Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. "Wer ist der Herr der Karawane?" fragte der Reiter. "Sie gehört nicht einem Herrn", antwortete der Gefragte, "sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen, und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt."
"So führt mich zu den Kaufleuten", begehrte der Fremde. "Das kann jetzt nicht geschehen", antwortete der Führer, "weil wir ohne Aufenthalt weiterziehen müssen, und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiter reiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch willfahren." Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an, in großen Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiter ritt. Dieser wusste nicht, was er aus dem Fremden machen sollte, er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: "Ihr raucht da .einen guten Tabak", oder: "Euer Rapp' hat einen braven Schritt", immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen ausgestellt, er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde schloss den Zug.
Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde ringsum her gestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf gold gewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speisen und Getränke. "Wen bringt Ihr uns da?", rief der junge Kaufmann dem Führer zu. Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde
auf einer Reise nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubt mir, dass ich in eurer Gesellschaft reise, ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommt, werde ich eure Güte reichlich belohnen, denn ich bin der Neffe des Großwesirs." Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch", sprach er, "sei willkommen in unserm Schatten. Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iss und trinke mit uns."
Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbett. Die Kaufleute saßen lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hin bliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen. "So sitzen wir seit drei Tagen", sprach er, "zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wisst ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibe?" Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen, der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den andern etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben."
"Selim Baruch, du hast wahr gesprochen", sagte Achmet, der älteste der Kaufleute; "lasst uns den Vorschlag annehmen."
"Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt", sprach Selim, "damit ihr aber sehet, dass ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen."
Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in ihre Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbett, strich den Bart über den Mund weg und sprach:

"So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch."

Die Geschichte vom Kalif Storch

Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hie und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, dass es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittag nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so nachdenkliches Gesicht, Großwesir?"
Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr! Ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da unten am Schloss steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, dass es mich ärgert, nicht viel überflüssiges Geld zu haben."
Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gern eine Freude gemacht hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war ein kleiner dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und Ringe, reich beschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnten. "Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmann, der sie in Mekka auf der Straße fand", sagte der Krämer, "ich weiß nicht, was sie enthalten; Euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen." Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gern wissen, was die Schrift enthalte, und fragte den Wesir, ob er jemand kenne, der es entziffern könnte. "Gnädigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der großen Moschee wohnt ein Mann; er heißt Selim der Gelehrte, der versteht alle Sprachen, lass ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen Züge."
Der gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich dann umsonst Selim den Gelehrten nennt." Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, 0 Herr!" Lange betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: "Das ist Lateinisch, 0 Herr, oder ich lass' mich hängen!"
"Sag', was drin steht", befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist."
Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: Mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort. Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, dass du nicht lachst, sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier."
Als Selim der Gelehrte also gelesen hatte, war der Kalif über die Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemand etwas von dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu seinem Großwesir aber sagte er: "Das heiß' ich gut einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin! Morgen früh kommst du zu mir. Wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!"
Kaum hatte am andern Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu erproben. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche gesehen habe, die durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit erregt haben. Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hie und da etwas vor sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen andern Storch dieser Gegend zuschweben.
"Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr", sagte der Großwesir, "diese zwei Langfüßler führen jetzt ein schönes Gespräch miteinander. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?"
"Wohl gesprochen!", antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird. - Richtig! Drei Mal gen Osten geneigt und Mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif und du Wesir. Aber nur ums Himmels willen nicht gelacht, sonst sind wir verloren!"
Während der Kalif also sprach, sah er den andern Storch über ihrem Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: "Mutabor!"
Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden und den Körper bedeckten weiche Federn.
"Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir", sprach nach langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen."
"Danke untertänigst", erwiderte der Großwesir, indem er sich bückte; "aber wenn ich es wagen darf, möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, dass wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch können?"
Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen. Er putzte sich mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storch zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, in ihre Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch: "Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?"
"Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir ein kleines frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefällig oder ein Froschschenkelein?"
"Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich mich im Stillen ein wenig üben."
Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig dazu wedelte, da konnten sich die bei den nicht mehr halten; ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif fasste sich zuerst wieder: "Das war einmal ein Spaß", rief er, "der nicht mit Gold zu bezahlen ist. Schade, dass die dummen Tiere durch unser Gelächter sich haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiss auch noch gesungen!"
Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, dass das Lachen während der Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen mit. "Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben müsste! Besinne dich doch auf das dumme Wort,
ich bring es nicht heraus.“
"Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: Mu- Mu- Mu-." Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, dass ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten. Aber, o Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen und so oft sich auch der Kalif bückte, so sehnlich auch sein Wesir Mu- Mu- dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben Störche.
Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wussten gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben, denn wer hätte einem Storchen geglaubt, dass er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storchen zum Kalifen gewählt haben?
So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut verspeisen konnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens keinen Appetit. Denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage war, dass sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging.
In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den Straßen. Aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Straße einen prächtigen Aufzug. Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem gold gestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern. Halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrien: "Heil Mizra! Dem Herrscher von Bagdad!" Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, du treuer Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grab des Propheten wandern, vielleicht dass an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird."
Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu.
Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen, denn die beiden Störche hatten noch wenig Übung. ,,0 Herr", ächzte nach ein paar Stunden der Großwesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus, Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten gut, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen."
Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloss gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. "Herr und Gebieter", flüsterte er leise, "wenn es nur nicht töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storchen wäre, sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zu Mut, denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt!" Der Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich, sie nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riss sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Türe angelangt, die nur angelehnt schien, und woraus er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen aus dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem braun gefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem großen Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: "Willkommen ihr Störche, ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung, denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist mir einst prophezeit worden!" Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, dass durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst." Die Nachteule bat ihn zu erzählen, der Kalif
aber hub an und erzählte, was wir bereits wissen.
Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt.
Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wusste sich unter einer andern Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: Da sollst du bleiben, hässlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.
Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den Tieren ein Gräuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen, denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von meinem
Auge." .
Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel die Augen aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt.
Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht", sprach er, "so findet zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?" Die Eule antwortete ihm: ,,0 Herr! auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, dass ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich wüsste vielleicht, wie wir uns retten könnten." Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählten dann einander ihre schändlichen Werke, vielleicht, dass er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, ausspricht."
,,0 teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag' an, wann kommt er, und wo ist der Saal?"
Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich euren Wunsch erfüllen."
"Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede recht."
"Nämlich ich möchte auch gerne zugleich frei sein, dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht."
Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinaus zu gehen.
"Großwesir", sprach vor der Türe der Kalif, "das ist ein dummer Handel, aber Ihr könntet sie schon nehmen."
"So?" antwortete dieser, "dass mir meine Frau, wenn ich nach Haus komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen schönen Prinzessin die Hand geben."
"Das ist es eben“, seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel hängen ließ, "wer sagt dir denn, dass sie jung und schön ist? Das heißt die Katze im Sack kaufen!" Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu, endlich aber, als der Kalif sah, dass sein Wesir lieber Storch bleiben, als die Eule heiraten wollte, entschloss er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, dass sie zu keiner bessern Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die Zauberer sich versammeln würden.
Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu führen; sie gingen lange in einem finstern Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs.
"Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heißt Mutabor."
Als die Störche an ihrer Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freude beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem Tor der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns getan, mich zum Gemahl an." Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg; Mutabor, riefen sie, und im Nu waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neu geschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. "Erkennt ihr eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. Sie war es; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut so entzückt, dass er ausrief: Es sei sein größtes Glück, dass er Storch geworden sei!
Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise nötig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot ausgegeben, und das Volk war daher hoch erfreut, seinen geliebten Herrscher wieder zu haben.
Um so mehr aber entbrannte ihr Hass gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. Eine tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen Storchen. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten aufstellen.
Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem Storchenabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit den Armen wie mit Flügeln, und zeigte, wie jener sich vergeblich nach Osten geneigt und Mu- Mu- dazu gerufen habe. Für die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und Mu- Mu- schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir, er wolle das, was vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau Kalifin mitteilen.

Als Selim Baruch seine Geschichte geendet hatte, bezeigten sich die
Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne dass wir es merkten wie!", sagte einer von ihnen, indem er die Decke des Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg.
Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch; denn es war schwül am Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den Ältesten und sprach: "Selim Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: "Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzähle:

Die Geschichte von dem Gespensterschiff."

Die Geschichte von dem Gespensterschiff

Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora. Er war weder arm noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht und brachte es bald soweit, dass ich ihm an die Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, und er eben das erste größere Geschäft machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich musste ihn bald nachher wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen hernach lief die Nachricht ein, dass das Schiff, dem mein Vater seine Güter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück zu probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet, der sich aus alter Anhänglichkeit nicht von mir und meinem Schicksal trennen wollte.
Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein.
Das Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl von dem Verdeck herauf, worüber ich mich, zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm, nicht wenig wunderte. Aber der Kapitän an meiner Seite wurde blass wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren", rief er, "dort segelt der Tod!" Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein: "Habt ihr ihn gesehen?" schrien sie, "jetzt ist's mit uns vorbei!"
Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und stellte sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unsern Augen, und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm, das Boot war nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte fasste der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeigefahren und welches den Kapitän so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand zeigte, erschreckte mich. Doch es war dies unser einziges Rettungsmittel, darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten hatte.
Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. Laut erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blass und verzerrt, durch die Stirne ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick des Verdeckes, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele schreckliche Leichname zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch Schrecklicheres, sich darbiete. Aber alles blieb, wie es war. Weit und breit nichts Lebendiges, nur wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen nach uns hindrehen, oder einer der Getöteten möchte seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten wir dort Halt und sahen einander an, denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern.
,,0 Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches geschehen. Doch, wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als längere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er, wir fassten ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und anderes Gerät lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der Kapitano musste vor kurzem gezecht haben, denn es lag alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker und so weiter. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer mir, denn da niemand auf dem Schiffe war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen. Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, dass wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Land seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht kommen könnten.
Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichlichem Maß vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu werfen. Aber wie schauerlich ward uns zumute, als wir fanden, dass sich keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie fest gebannt lagen sie am Boden, und man hätte die Bretter des Verdecks ausheben müssen, um sie zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen, nicht einmal seinen Säbel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete, dass es wohl die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so unwiderstehlicher Schlaf, dass ich unwillkürlich hinter ein Fass, das auf dem Verdeck stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als Schlaf, denn ich hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die Segel im Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder gefesselt, nicht einmal die Augen konnte ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich umher triebe. Mitunter glaubte ich, die kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und Segel deutlich auf und ab ziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in der Nacht gehört hatte, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und stand auf, um meinen Alten zu suchen.
Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. ,,0 Herr!", rief er aus, als ich zu ihm herein trat, "ich wollte lieber im tiefsten Grunde des Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie man über meinem Haupte hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr wäret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen, auch hörte ich rufen und schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. Da wusste ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurück, und da sah ich denn denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend, aber der, der in einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß neben ihm und half ihm trinken." Also erzählte mir mein alter Diener.
Ihr könnt es mir glauben, meine Freunde, dass mir gar nicht wohl zumut war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir gräulich. Mein Ibrahim aber versank in tiefes Nachdenken. "Jetzt hab ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister Mann gelehrt hatte, und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk helfen konnte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, der uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir nämlich recht fleißig Sprüche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der Kajüte war ein kleines Kämmerchen, dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen: Wir bohrten mehrere Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die ganze Kajüte zu überschauen; dann verschlossen wir die Türe, so gut es ging, von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden, die Taue knarrten, Schritte gingen über das Verdeck und mehrere Stimmen waren deutlich zu unterscheiden. Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der Kajüte herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen:

"Kommt ihr herab aus der Luft,
Steigt ihr aus tiefem Meer,
Schlieft ihr in dunkler Gruft,
Stammt ihr vom Feuer her:
Allah ist euer Herr und Meister,
Ihm sind gehorsam alle Geister."

Ich muss gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und mir stieg das Haar zu Berg, als die Türe aufflog. Herein trat jener große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn, das Schwert aber hatte er in die Scheide gesteckt, hinter ihm trat noch ein anderer herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein bleiches Gesicht, einen großen schwarzen Bart, wild rollende Augen, mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als er an unserer Türe vorüberging; er aber schien gar nicht auf die Türe zu achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajüte stand, und sprachen laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, dass das Zimmer dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, ihm zu folgen. Dieser stand auf, riss seinen Säbel aus der Scheide, und beide verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so dass wir glaubten, das Verdeck mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei - auf einmal aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als früher, alle waren steif wie Holz.
So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, wo hinzu nach meiner Berechnung Land liegen musste, aber wenn es auch bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es immer wieder zurückzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht anders erklären, als dass die Toten jede Nacht mit vollem Winde zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe in der Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch das Sprüchlein des Großvaters dazu, und banden es um die eingezogenen Segel. Ängstlich warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab.
"Der Spuk schien diesmal noch ärger zu toben, aber siehe, am andern Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten. Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf, als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in fünf Tagen eine gute Strecke zurück.
Endlich am Morgen des sechsten Tages entdeckten wir in geringer Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere wunderbare Rettung. Diesen Tag und die- folgende Nacht trieben wir an einer Küste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine Stadt zu entdecken; wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See, der alsobald Grund fasste, setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluss ein, der sich in die See ergoss, und stiegen ans Ufer. Im Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt heiße, und erfuhren, dass es eine indische Stadt sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem weisen und verständigen Mann, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, dass ich einen solchen haben möchte, der sich ein wenig auf Zauberei verstehe. Er führte mich in eine abgelegene Straße an ein unscheinbares Haus, pochte an und man ließ mich eintreten, mit der Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. ,
In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suchte den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle, und wie ich es angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgend eines Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, als wenn man die Bretter, auf denen sie liegen, losmache. Mir gehöre, von Gott und Rechts wegen, das Schiff samt allen Gütern, weil ich es gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheim halten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluss machen, er wolle dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach ihn reichlich zu belohnen, und wir machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns zu retten.
Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen.
Wir machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mussten sie ans Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die Toten hätten ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, die Toten abzusägen, und vor Abend waren alle ans Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verrücken. Ich wusste nicht, was anzufangen war, man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven ans Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in seiner Stirn fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem der Sklaven in die Arme.
"Wer hat mich hierher geführt?", sprach er, nachdem er sich ein wenig erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. "Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern gehen." Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fünfzig Jahren war ich ein mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des Mannes, vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser Haupt auf die Erde legen. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich. Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen, und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer unterlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachte ich und alle meine Genossen, das Leben war zurückgekehrt; aber wir konnten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner Dankbarkeit."
Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn am Lande; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterland ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als ich habe das Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden. Ich ließ sie bei ihrem Glauben, von nun an aber mussten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und im Frieden, und alle fünf Jahre machte ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den Kapitano und seine Leute zu bitten, dass er sie in sein Paradies aufnehme.

Nach vielerlei gefährlichen Abenteuern hatte die Karawane das Ende
der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. Aber nicht genug, dass er seine Gefährten durch Spiel und Tanz erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an:

Die Geschichte von dem kleinen Muck

In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte, doch war er nur drei bis vier Schuh hoch; dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, denn sein Leib, so klein und zierlich er war, musste einen Kopf tragen, viel größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz allein in einem großen Haus und kochte für sich selbst; auch hätte man in der Stadt nicht gewusst, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging alle vier Wochen nur einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre; doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus glaubte man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck ausging. Wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus und warteten, bis er herauskam. Wenn dann die Türe aufging, und zuerst der große Kopf mit dem noch größeren Turban herausguckte, wenn dann das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern, und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, dass man nicht wusste, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber grüßte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Straße hinab. Dabei schlürfte er mit den Füßen, denn er hatte große, weite Pantoffeln an, wie ich sie sonst nie gesehen. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer: "Kleiner Muck, kleiner Muck!" Auch hatten wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hie und da sangen; es hieß:

"Kleiner Muck, kleiner Muck,
Wohnst in einem großen Haus,
Gehst nur all' vier Wochen aus,
Bist ein braver, kleiner Zwerg,
Hast ein Köpflein wie ein Berg;
Schau dich einmal um und guck,
Lauf und fang uns, kleiner Muck."

So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner Schande muss ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten, denn ich zupfte ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die großen Pantoffeln, dass er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an der Hand hielt und an der Tür unter vielen Bücklingen sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumut, ich blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich höre, den guten Muck geschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. "Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiss nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das Gewöhnliche." Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu aufrichtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich ärger als je zuvor.
Als die fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und erzählte mir von dem kleinen Muck: Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Mukrah heißt, war ein angesehener aber armer Mann, hier in Nicea. Er lebte beinahe so einsiedlerisch als jetzt sein Sohn. Diesen konnte er .nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und ließ ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen.
Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, dass er, der schon längst die Kinderschuhe zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei.
Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb und den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein großer, starker Mann gewesen, daher passten die Kleider nicht. Muck aber wusste bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, dass er auch in der Weite davon schneiden müsse, daher sein sonderbarer Anzug, wie er noch heute zu sehen ist; der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus.

Fröhlich wanderte er den ganzen Tag, denn er war ja ausgezogen, um sein Glück zu suchen; wenn er einen Scherben auf der Erde im Sonnenschein glänzen sah, so steckte er ihn gewiss zu sich, im Glauben, dass er sich in den schönsten Diamant verwandeln werde; sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, dass er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist, unter Hunger und Kummer, und verzweifelte, sein Glück zu finden; die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine große Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. Überrascht stand er stille und betrachtete die Stadt und Gegend. "Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden", sprach er zu sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, "dort oder nirgends". Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen, denn seine kleinen Glieder versagten ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und er musste sich oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer. Dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein. Er hatte schon einige Straßen durchwandert, aber nirgends öffnete sich ihm eine Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: "Kleiner Muck, komm herein, und iss und trink und lass deine Füßlein ausruhen." Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen schönen Haus hinauf, da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender Stimme:

"Herbei, herbei,
Gekocht ist der Brei,
Den Tisch ließ ich decken;
Drum lasst es euch schmecken;
Ihr Nachbarn herbei,
Gekocht ist der Brei."

Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen hineingehen. Er stand einige Augenblicke im Zweifel, ob er der Einladung folgen solle. Endlich aber fasste er sich ein Herz und ging in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er beschloss, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser wüssten als er.
Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an und fragte nach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen", antwortete der kleine Muck, "und weil ich so gar hungrig bin, bin ich auch gekommen." Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiß, dass ich für niemand koche als für meine lieben Katzen, und hie und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehst." Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen'. Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: "Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste, du hast geringe Mühe und sollst gut gehalten sein." Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und wurde also der Bediente der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier Katzen, diesen musste der kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau ausging, musste er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, musste er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts musste er sie auf seidene Polster legen und sie mit samtenen Decken umhüllen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen musste, doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. Übrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus, denn außer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut, er hatte immer zu essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein; aber nach und nach wurden die Katzen unartig: wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, das ihnen im Wege stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener.
Der kleine Muck war sehr traurig, dass er also auch hier sein Glück nicht gefunden habe und beschloss bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloss er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgend eine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war, und dessen Inneres er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, und er hätte für sein Leben gern gewusst, was sie dort versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, dass dort die Schätze der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Türe fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie beikommen.
Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines der Hündlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen solle. Muck, welcher gerne mit dem Hündchen spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hündchen führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi und vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hündlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und freudig war er überrascht, als er sah, dass er sich in dem Gemach befinde, das schon lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte überall umher, ob er kein Geld finden könnte, fand aber nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war von Kristall, und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, dass es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücke.
Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein Schicksal entschieden, jetzt musste er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könne. Da fielen ihm ein Paar mächtige große Pantoffeln ins Auge, sie waren zwar nicht schön, aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen, auch zogen ihn jene ihrer Größe wegen an, denn hatte er diese am Fuß, so mussten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, dass er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm hier auch allzu müßig in der Ecke zu stehen, er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so schnell als ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen, ja es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören zu rennen, denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureißen. Endlich bemerkte er, dass es mit den Pantoffeln eine eigene Bewandtnis haben müsse, denn diese schossen immer fort und führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen, aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie man den Pferden zuruft, sich selbst zu: ,,0 - o, halt, o!" Da hielten die Pantoffeln; und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder.
Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch seine Dienste etwas erworben, das ihm in der Welt, auf seinem Weg, das Glück zu suchen, fort helfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor Erschöpfung ein, denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum erschien ihm das Hündlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: "Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht: wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein kannst du Schätze finden; denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So träumte der kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloss, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, hob einen Fuß auf und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich glückte, besonders wenn man bedenkt, dass ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog.
Der arme Kleine fiel einige Mal tüchtig auf die Nase, doch ließ er sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in die nächste große Stadt, und - die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte, und ehe sich der kleine Muck noch besinnen konnte, befand er sich schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren, und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine einsamere Straße zu begeben, denn auf dem Markt trat ihn da bald einer auf die Pantoffeln, dass er beinahe umfiel, bald stieß er mit seinem weit hinaus stehenden Dolch einen oder den andern an, dass er mit Mühe den Schlägen entging.
Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könne, um sich ein Stück Geld zu verdienen. Er hatte zwar ein Stäblein, das ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not für Geld sehen lassen können, aber dazu war er doch zu stolz. Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein. Vielleicht, dachte er, können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren, und er beschloss, sich als Schnellläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, dass der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes .stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe? Auf seine Antwort, dass er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen vom Kopf bis zu den Füßen und sprach: "Wie, mit deinen Füßlein, die kaum so lang wie eine Spanne sind, willst du königlicher Schnellläufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ihm aber, dass es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag, und dass er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wolle. Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich vor. Er befahl ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereit zu halten, führte ihn in die Küche und sorgte dafür, dass ihm gehörig Speise und Trank gereicht wurde. Er selbst aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen Menschen und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr, daher gefiel es ihm wohl, dass der Aufseher der Sklaven den kleinen Muck zu einem Spaß behalten habe. Er befahl ihm, auf einer großen Wiese hinter dem Schloss Anstalten zu treffen, dass das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und befahl ihm nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein Schauspiel haben würden. Diese erzählten es wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen.
Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig wurde; eine solche Gestalt hatte man dort noch nie gesehen. Das Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein in den weiten Pantoffeln - nein! es war zu drollig anzusehen, als dass man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ sich aber durch das Gelächter nicht irre machen. Er stellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin, und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer über die Wiese hin.
Am Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, überfing ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: "Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!"
Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem König nieder und sprach: "Großmächtigster König, ich habe dir hier nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben, wolle nun gestatten, dass man mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe." Der König aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leibläufer und immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen."
So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte.
Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen, aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in so kurzer Zeit gebracht) setzte.
Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm sein Stäblein ein, das er in seinem Glücke außer acht gelassen hatte; wenn er Schätze finde, dachte er, werden ihm die Herren schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, dass der Vater des jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind sein Land überfallen: man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne dass er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort vorüberzugehen. wo das Geld des alten Königs vergraben sei. Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schlossgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den Boden. Nun wusste er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstehenden Bäume und schlich sich wieder in das Schloss; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab.
Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte. Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen großen eisernen Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und fand richtig einen großen Topf mit Goldstücken angefüllt. Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, soviel er zu tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit und lud es auf den Rücken, das übrige bedeckte er wieder sorgfältig. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füßen gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern seines Sofas.
Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt werde sich jetzt wenden, und er werde sich unter seinen Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon
daran konnte man erkennen, dass der gute Muck keine gar zu sorgfältige Erziehung genossen haben musste, sonst hätte er sich wohl nicht einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach! dass er damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll Gold aus dem Staub gemacht hätte!
Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbedienten. Der Küchenmeister Ahuli sagte: "Er ist ein Falschmünzer." Der Sklavenaufseher Achmet sagte: "Er hat's dem König abgeschwatzt." Archaz, der Schatzmeister aber, sein ärgster Feind, der selbst hie und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: "Er hat's gestohlen." Um nun ihrer Sache gewiss zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor den Augen des Königs. Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, dass ihn der König fragte, was ihm fehle. "Ach!" antwortete er, "ich bin traurig, dass ich die Gnade meines Herrn verloren habe."
"Was fabelst du, Freund Korchuz?", entgegnete ihm der König. "Seit wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, dass er ja den geheimen Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen treuen Dienern aber nichts gebe.
Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen brachten ihm leicht den Verdacht bei, dass Muck auf irgend eine Art das Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck acht zu geben, um ihn womöglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schlossgarten schlich, um dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein legen wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, empfing seinen armen geheimen Oberleibläufer sehr ungnädig, und stellte sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, dass er mit seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe.
Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei, und woher er das Gold, das er vergraben, bekommen habe?
Der kleine Muck, im Gefühle seiner Unschuld, sagte aus, dass er diesen Topf im Garten entdeckt habe, dass er ihn nicht habe ein-, sondern habe ausgraben wollen.
Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König aber, aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus: "Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und schändlich belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt?"
Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiss, so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit in dem königlichen Schatz, und er könnte einen Eid darauf ablegen, dass dies das Gestohlene sei.
Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in den Turm zu führen, dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang der Sache zog dieser ab und zählte zu Hause die blinkenden Goldstücke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, dass unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze; wer ihn auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er ihn nicht sogleich meinem Sohne ausliefert. König Sadi."
Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er wusste, dass auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem Könige nicht verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen, denn da er in engen Ketten in die Mauer geschlossen war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen.

Als ihm aber am andern Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben, als mit ihm zu sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das Geheimnis. Der König maß von Anfang seinem Geständnis keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestünde, dass er nicht getötet werden solle. Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden, denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte der König, dass ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenlande gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst erdrossle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir zwar dein Leben versprochen, aber es scheint mir, als ob du nicht nur allein dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit deinem Schnelllaufen hatte." Der kleine Muck, dem die einzige Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, dass seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz.
Der König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten, aber er wusste nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel.
Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit und Leben zu schenken, aber innerhalb zwölf Stunden musst du mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknüpfen." Die Pantoffeln und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen.
So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum Glück nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden an der Grenze, obgleich ihn das Gehen, da er an seine liebe Pantoffeln gewöhnt war, sehr sauer ankam.
Als er über die Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben, denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf einen Platz, der ihm zu dem Entschluss, den er gefasst hatte, ganz tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen schattigen Feigenbäumen umgeben, ein weicher .Rasen luden ihn ein, hier warf er sich nieder, mit dem Entschluss, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern hier den Tod zu erwarten. Ober traurigen Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte, und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er doch, dass der Hungertod eine gefährliche Sache sei und sah sich um, ob er nirgends etwas zu essen bekommen könne.
Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst zu. löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken langen Nase geschmückt zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang.
"Ich verdiene Eselsohren!" rief er aus. "Denn ich habe mein Glück wie ein Esel mit Füßen getreten." - Er wanderte unter den Bäumen umher, und als er wieder Hunger fühlte, musste er noch einmal zu den Feigen seine Zuflucht nehmen, denn sonst fand er nichts Essbares an den Bäumen. Als ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren nicht unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar zu lächerlich aussehe, fühlte er, dass seine Ohren verschwunden seien. Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu überzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige Gestalt, seine lange, unförmliche Nase hatte er nicht mehr. Jetzt merkte 'er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, dass ein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baume soviel er tragen konnte und ging in das Land zurück, das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch bald dort an.
Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des Palastes, denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, dass hier solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den Küchenmeister über den Hof herüber schreiten sah. Er musterte die Waren der Verkäufer, die sich am Tore des Palastes eingefunden hatten, endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. "Ah! Ein seltener Bissen", sagte er, "der Ihro Majestät gewiss behagen wird; was willst du für den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck machte sich einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück an den Köpfen des Hofes zeige, möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen und bestrafen.
Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem Küchenmeister einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wusste, welchen Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich und ließ nur einzelne Worte fallen: "Es ist noch nicht aller Tage Abend", oder: "Ende gut, alles gut", so dass die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber die schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. "Wie reif, wie appetitlich!", rief der König. "Küchenmeister, du bist ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!" Also sprechend teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire und Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und begann mit großem Behagen sie zu verschlingen.
"Aber lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater", rief auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an, ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit Staunen und Schrecken, alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmückt.
Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach allen Ärzten der Stadt, sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und Mixturen, aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen der Prinzen, aber die Ohren wuchsen nach.
Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, dass es jetzt Zeit sei; zu handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; ein langer Bart von Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig, als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloss er eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu folgen. "Hier sind meine Schätze", sprach der König, "wähle dir, was es auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem schmachvollen Übel befreist." Das war süße Musik in des kleinen Mucks Ohren; er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein Stäbchen, riss seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Mucks. "Treuloser König", sprach er, "der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe die Missgestalt, die du trägst. Die Ohren lass' ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen Muck." Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hilfe rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine Muck hier in großem Wohlstand, aber einsam, denn er verachtet die Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag, deine Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. -
So erzählte mir mein Vater. Ich bezeugte ihm meine Reue über mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief als vor Kadi und Mufti gebückt.

Die Reisenden beschlossen einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten sich mit allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich:

Das Märchen vom falschen Prinzen.

Das Märchen vom falschen Prinzen

Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle namens Labakan, der bei einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man konnte nicht sagen, dass Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt. Aber ganz richtig war es doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenlang in einem fort nähen, dass ihm die Nadel in der Hand glühend wurde und der Faden rauchte, da gab es ihm dann ein Stück wie keinem andern. Ein andermal aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen etwas so eigenes, dass sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem Zustande nie anders sprachen als: "Labakan hat wieder sein vornehmes Gesicht."
Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsamen und stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn ihm einer seiner Kameraden ein "Friede sei mit dir", oder "Wie geht es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spaß zu ihm sagte: "An dir ist ein Prinz verloren gegangen, Labakan", so freute er sich darüber und antwortete: "Habt Ihr das auch bemerkt?" oder: "Ich habe es schon lang gedacht!"
So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstätte zurück, wo das Kleid des kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er musste es anziehen, und siehe da, es passte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?", fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht der Meister selbst schon gesagt, dass ich zum Prinzen geboren sei?" Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz königliche Gesinnung angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloss er in die Welt zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen waren, unter der Hülle seines niedern Standes nicht seine angeborene Würde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt; er hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren.
Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen wollte gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, dass das seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, dass er sich durch seine Fußwanderungen lächerlich mache, kaufte er um geringen Preis ein altes Ross, welches sehr für ihn passte, da es ihn mit seiner gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in Verlegenheit brachte, sich als geschickten Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war.
Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er sein Ross genannt, seine Straße zog, schloss sich ein Reiter an ihn an und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der Weg viel kürzer werde im Gespräch mit einem andern. Der Reiter war ein fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über woher und wohin, und es traf sich, dass auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, des unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten. Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine Verhältnisse aus, er gab ihm zu verstehen, dass er von hoher Abkunft sei und zu seinem Vergnügen reise.
Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: "Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte den Omar seit seiner frühen Kindheit erzogen, und dieser hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden überfallen worden war und nach drei unglücklichen Schlachten tödlich verwundet fliehen musste, entdeckte er seinem Zögling, dass er nicht sein Neffe sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm aufs Bestimmteste aufgetragen, am vierten Tage des kommenden Monats Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der berühmten Säule EI-Serujah, vier Tagereisen östlich von Alessandria, einzufinden; dort solle er den Männern, die an der Säule stehen werden, einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den Worten: Hier bin ich, den ihr suchet; wenn sie antworten: Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt, - so solle er ihnen folgen, sie würden ihn zu seinem Vater führen."
Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung, er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, erzürnt darüber, dass das Schicksal jenem, obgleich er schon für den Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, ausgerüstet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleiche zwischen sich und dem Prinzen an. Er musste sich gestehen, es sei jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne lebhafte Augen, eine kühn gebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen, kurz, alle Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen können, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem Begleiter fand, so gestand er sich doch, dass ein Labakan dem fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte als der wirkliche Prinz.
Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen schlief er im nächsten Nachtlager ein; aber als er morgens aufwachte, und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig schlafen und von seinem gewissen Glück träumen konnte, da erwachte in ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erringen, was ihm das ungünstige Schicksal versagt hatte; der Dolch, das Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, stak in dem Gürtel des Schlafenden; leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des Eigentümers zu stoßen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die friedfertige Seele des Gesellen, er begnügte sich, den Dolch zu sich zu stecken, das schnellere Pferd des Prinzen für sich aufzäumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefährte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen.
Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch vier Tage, um zu der Säule EI-Serujah, welche ihm wohl bekannt war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Säule befand, höchstens noch zwei Tagereisen entfernt sein konnte, so beeilte er sich doch, hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren Prinzen eingeholt zu werden.
Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule EI-Semjah.
Sie stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch Zeit genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, nachzudenken, so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, aber der Gedanke, dass er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, so dass er getrösteter seinem Ziele entgegenging.
Die Gegend um die Säule EI-Serujah war unbewohnt und öde, und der neue Prinz wäre wegen seines Unterhaltes etwas in Verlegenheit gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er lagerte sich also neben seinem Pferde unter einigen Palmen und erwartete dort sein ferneres Schicksal.
Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden und Kamelen über die Ebene her auf die Säule EI-Serujah zukommen. Der Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man schlug prachtvolle Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, dass die vielen Leute, welche er sah, sich seinetwegen hierher bemüht hatten, und hätte ihnen gerne schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt, aber er mäßigte seine Begierde als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste Morgen seine kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen musste.
Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem wichtigsten Augenblicke seines Lebens, welcher ihn aus einem niedrigen Lose an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule hinzureiten, wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein, zwar führten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen Hoffnungen betrogenen Fürstensohnes vor, aber der Würfel war geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, und seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, dass er stattlich genug aussehe, um dem mächtigsten König sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen Gedanken schwang er sich auf sein Ross, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fuße des Hügels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf zog er den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuße der Säule standen sechs Männer um einen Greis von hohem, königlichem Ansehen; ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen Kaschmirschal umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen geschmückte Turban bezeichnete ihn als einen Mann von Reichtum und Würde.
Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem er ihm den Dolch darreichte: "Hier bin ich, den ihr suchet."
"Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt", antwortete der Greis mit Freudentränen; "umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!" Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten Fürsten.
Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel zueilen. Der Reiter und sein Ross gewährten einen sonderbaren Anblick; das Ross schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen: in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es daher; der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Ross Murva und den echten Prinzen Omar; aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren, und er beschloss, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine angemaßten Rechte zu behaupten.
Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen, jetzt war er trotz dem schlechten Trab des Rosses Murva am Fuße des Hügels angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. "Haltet ein", rief er, "wer ihr auch sein möget, haltet ein und lasst euch nicht von dem schändlichsten Betrüger täuschen; ich heiße Omar, und kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu missbrauchen!"
Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, indem er bald den einen, bald den andern fragend ansah. Labakan aber sprach mit mühsam errungener Ruhe: "Gnädigster Herr und Vater, lasst Euch nicht irre machen durch diesen Menschen das ist, soviel ich weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan geheißen, der mehr unser Mitleid als unsern Zorn verdient."
Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen. Schäumend vor Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach:
"Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt; man binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedare; vielleicht dass wir dem Unglücklichen Hilfe schaffen können."
Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu: "Mein Herz sagt mir, dass Ihr mein Vater seid, bei dem Andenken meiner Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!"
"Ei, Gott bewahre uns", antwortete dieser. "Er fängt schon wieder an, irre zu reden; wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel hinunter geleiten. Sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin. Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf einem Dromedar fest und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten.
Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem er sich solange gesehnt hatte. Aber die Sterndeuter, welche er um das Schicksal des Knaben befragte, taten den Ausspruch, dass er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt zu werden. Deswegen, um recht sicher zu gehen, hatte der Sultan den Prinzen seinem alten erprobten Freunde Elfi Bey zum Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt.
Dieses hatte der Sultan seinem vermeintlichen Sohne erzählt, und sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem würdevollen Benehmen gezeigt.
Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, waren Bogen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von allen Farben schmückten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto unglücklicher musste sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich bei dem allgemeinen Jubel um ihn, der doch ihm galt. Den Namen Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer oder der andere, wen man denn so fest gebunden mit fortführe, und schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter: es sei ein wahnsinniger Schneider.
Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saale des Schlosses. Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die Wände waren mit hellblauem Tuch geschmückt, das in goldenen Quasten und Schnüren an großen silbernen Haken hing.
Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale _ viele kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der Scheik von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von Pfaufedern Kühlung zu.
So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn; auch sie hatte ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsame Träume hatten ihr den Ersehnten gezeigt, dass sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die Tritte der Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, und durch die Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines Sohnes vor den Thron der Mutter. "Hier", sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich solange gesehnt." Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede. "Das ist mein Sohn nicht!", rief sie aus. "Das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume gezeigt hat!"
Gerade als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang die Türe des Saales auf, Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen hatte; er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: "Hier will ich sterben, lass mich töten, grausamer Vater; denn diese Schmach dulde ich nicht länger!" Alles war bestürzt über diese Reden, man drängte sich um den Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne aufsprang. "Haltet ein!", rief sie, "dieser und kein anderer ist der Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen, und den mein Herz doch gekannt hat!"
Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden. "Ich habe hier zu entscheiden", sprach er mit gebietender Stimme; "und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach gewissen, untrüglichen Zeichen; dieser hier (indem er auf Labakan zeigte) ist mein Sohn, denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht."
"Gestohlen hat er ihn", schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er zum Verrat missbraucht!" Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme seines Sohnes, denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit Gewalt aus dem Saale schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte.
Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war vollkommen überzeugt, dass ein Betrüger sich des Herzens des Sultans bemächtigt hatte, denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele bedeutsame Träume als ihren Sohn gezeigt.
Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings schwierig, denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht, und hatte auch, wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst sich erzählen lassen, dass er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte.
Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule EI-Serujah begleitet hatten, um sich alles gen au erzählen zu lassen, und hielt dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge Tscherkessin: "Wenn ich recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten Schneider?"

"Ja, so ist es", antwortete die Sultanin, "aber was willst du damit?"
"Was meint Ihr", fuhr jene fort, "wenn dieser Betrüger Eurem Sohn seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte? - und wenn dies ist, so gibt es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz im geheimen sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und diese flüsterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen.
Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten des Sultans kannte und sie zu benutzen verstand. Sie schien daher ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur eine Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: »Ich möchte gerne den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere würde sie vielleicht reiten, fechten und Speere werfen lassen, aber das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, wozu Scharfsinn gehört. Es soll nämlich jeder von ihnen einen Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die schönsten macht."
Der Sultan lachte und sprach: »Ei, da hast du ja etwas recht Kluges ausgesonnen. Mein Sohn soll mit deinem wahnsinnigen Schneider wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts."
Die Sultanin aber berief sich darauf, dass er ihr die Bedingung zum voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, gab endlich nach, obgleich er schwur, wenn der wahnsinnige Schneider seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für seinen Sohn erkennen.
Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben. Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere für den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden gegeben.
Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein Sohn zutage fördern werde; aber auch der Sultanin pochte unruhig das Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt; am dritten Tage ließ der Sultan seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er in jene zwei Zimmer, um die bei den Kaftane und ihre Verfertiger holen zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. "Sieh her, Vater", sprach er; "sieh her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein Meisterstück von einem Kaftan ist? Da lass ich es mit dem geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt."

Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: "Und was hast du herausgebracht, mein Sohn?" Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden. "Man hat mich gelehrt, ein Ross zu bändigen und einen Säbel zu schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel - aber die Künste der Nadel sind mir fremd, sie wären auch unwürdig für einen Zögling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo."
,,0 du echter Sohn meines Herrn", rief die Sultanin. "Ach! dass ich dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und Gebieter", sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "dass ich diese List gegen Euch gebraucht habe. Sehet Ihr jetzt noch nicht ein, wer Prinz und wer Schneider ist? Fürwahr, der Kaftan ist köstlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gern fragen, bei welchem Meister er gelernt habe?"
Der Sultan saß in tiefen Gedanken, misstrauisch bald seine Frau, bald Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, dass er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. "Auch dieser Beweis genügt nicht", sprach er. "Aber ich weiß, Allah sei es gedankt, ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht."
Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzuführen, schwang sich auf und ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte nach einer alten Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat beigestanden war; dorthin eilte der Sultan.
In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher diesen Platz; denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt.
Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit lauter Stimme: "Wenn es wahr ist, da du meinen Vätern gütigen Rat erteiltest in der Stunde der Not, so verschmähe nicht die Bitte ihres Enkels, und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist."
Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern öffnete, und eine verschleierte Frau in langen weißen Gewändern hervortrat. "Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille ist redlich, darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei Kästchen. Lass jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, wählen. Ich weiß, dass der, welcher der echte ist, das rechte nicht verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei kleine Kästchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf dem Deckel, welchen der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, standen Inschriften von eingesetzten Diamanten.
Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl in den Kästchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu eröffnen vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache, denn auf dem einen stand: Ehre und Ruhm, auf dem andern: Glück und Reichtum. Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich lockend seien.
Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung erfüllte sie, dass jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kästchen wählen würde, welches seine königliche Abkunft beweisen sollte.
Vor dem Throne des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kästchen, bestieg dann den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. Sie ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände entlang aufgestellt waren. Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum zweiten Mal, und Labakan wurde herbeigeführt. Mit stolzem Schritte ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder, und sprach: "Was befiehlt mein Herr und Vater?"
Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen erhoben worden; eines jener Kästchen enthält die Bestätigung deiner echten Geburt; wähle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!"
Labakan erhob sich und trat vor die Kästchen; er erwog lange, was er wählen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es Höheres geben, als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres, als den Reichtum deiner Gnade? Ich wähle das Kästchen, das die Aufschrift ,Glück und Reichtum' zeigt."
"Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast, einstweilen setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina", sagte der Sultan und winkte seinen Sklaven.
Omar wurde herbeigeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans.
Der Sultan deutete ihm an, dass er eines der Kästchen zu wählen habe; Omar stand auf und trat vor den Tisch.
Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: "Die letzten Tage haben mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, dass ein unzerstörbares Gut in der Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und dass der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone entsagen, der Würfel liegt, Ehre und Ruhm, ich wähle euch!"
Er setzte seine Hand auf das Kästchen, das er erwählt hatte; aber der Sultan befahl ihm, innezuhalten, er winkte Labakan, gleichfalls vor seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein Kästchen.
Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner Väter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht bewahrtest, gib nicht zu, dass ein Unwürdiger den Namen der Abassiden schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser Stunde der Prüfung."
Der Sultan erhob sich und bestieg wieder seinen Thron; allgemeine Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte ein Mäuschen über den Saal gehen hören können, so still und gespannt waren alle; die Hintersten machten lange Hälse, um über die Vordern nach den Kästchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan:
"Öffnet die Kästchen", und diese, die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, sprangen von selbst auf.
In dem Kästchen, das Omar gewählt hatte, lag auf einem samtnen Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans Kästchen - eine große Nadel und ein wenig Zwirn. Der Sultan befahl den beiden, ihre Kästchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen von dem Kissen in seine Hand, und, wunderbar war es anzusehen, wie er es nahm wurde es größer und größer, bis es die Größe einer rechten Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohne Omar, der vor ihm kniete, auf das Haupt, küsste ihn auf die Stirne und hieß ihn zu seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und sprach: "Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibt bei seinem Leisten! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat jemand für dich gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir dein armseliges Leben, aber wenn ich dir gut raten soll, so beeile dich, dass du aus meinem Land kommst."
Beschämt, vernichtet wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen drangen ihm aus den Augen. "Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er.
"Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden Stolz", antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob; "gehe hin in Frieden."
,,0 du mein echter Sohn!", rief gerührt der alte Sultan und sank an die Brust des Sohnes; die Emire und Bassas und alle Großen des Reiches standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Königssohn!" und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kästchen unter dem Arm, aus dem Saal.
Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kästchen, reich mit Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, dass er doch nicht geträumt habe.
Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus seines alten Meisters, stieg ab, band sein Rösslein an die Türe und trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein großes Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er aber den Gast näher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie wütend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewärtig war, stießen und schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen ihn mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er erschöpft auf einen Haufen alter Kleider niedersank.
Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, dass er nur deswegen wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den dreifachen Schadenersatz; der Meister und seine Gesellen fielen wieder über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt in eine Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt nieder und stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über das so oft verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller Güter. Er schlief mit dem Entschluss ein, aller Größe zu entsagen und ein ehrsamer Bürger zu werden.
Und den andern Tag gereute ihn sein Entschluss nicht; denn die schweren Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm herausgeprügelt zu haben.
Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kästchen an einen Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt zu seinem Gewerbe ein. Als er alles gut eingerichtet und auch ein Schild mit der Aufschrift: ,Labakan, Kleidermacher' vor sein Fenster gehängt hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die er in dem Kästchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, ohne von jemand geführt zu werden, sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte!
Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich und von großem Wert! Noch einen andern Wert hatte aber dies Geschenk; nämlich das Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so fleißig sein, als sie wollte.
Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider weit und breit; er schnitt die Gewänder und machte den ersten Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter, ohne Unterlass, bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu Kunden, denn er arbeitete schön und außerordentlich billig, und nur über eines schüttelten die Leute von Alessandria den Kopf, nämlich: dass er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen arbeite.
So war der Spruch des Kästchens, Glück und Reichtum verheißend, in Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, wenn er hörte, dass dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige Prinz bei sich: "Es ist doch besser, dass ich ein Schneider geblieben bin, denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache." So lebte Labakan zufrieden mit sich, geachtet von seinen Mitbürgern, und wenn die Nadel indes ihre Kraft nicht verloren, so näht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide.

Mit Sonnenuntergang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo war. Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bab el Falch, denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet hindurchgegangen ist.
Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen.

Der Zwerg Nase

In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und recht. Er saß bei Tage an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche anvertrauen mochte; doch musste er dann das Leder erst einkaufen, denn er war arm und hatte keine Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und Früchte, die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten und zu legen wusste.
Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht, wohlgestaltet, und für das Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groß. Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine schöne Blume oder ein Stückchen Geld, oder Kuchen; denn die Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn man den schönen Knaben mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich.
Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem Markt; sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderem Gemüse, allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen frühe Birnen, Äpfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der Knabe, saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: "Hierher, ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend diese Kräuter; frühe Birnen, ihr Frauen, frühe Äpfel und Aprikosen, wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da kam ein altes Weib über den Markt her; sie sah etwas zerrissen und zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte und wankte, es war, als habe sie Räder in den Beinen und könne alle Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen.
Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren jetzt doch schon sechzehn Jahre, dass sie täglich auf dem Markte saß, und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie erschrak unwillkürlich, als die Alte auf sie zu hinkte und an ihren Körben stille stand.
"Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?", fragte das alte Weib mit unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin und her schüttelte. "Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau; "ist Euch etwas gefällig?"
"Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen, Kräutlein schauen; ob du hast, was ich brauche?", antwortete die Alte, beugte sich nieder vor den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, hässlichen Händen in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte sie dann eines um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz abdrücken, wie sie das alte Weib so mit ihren seltenen Kräutern hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht des Käufers, die Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb durchgemustert hatte, murmelte sie:
"Schlechtes Zeug, schlechtes Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fünfzig Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!"
Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Höre, du bist ein unverschämtes, altes Weib", rief er unmutig; "erst fährst du mit deinen garstigen braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und drückst sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, dass sie niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des Herzogs alles bei uns!"
Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und sprach mit heiserer Stimme: "Söhnchen, Söhnchen! Also gefällt dir meine Nase, meine schöne, lange Nase? Sollst auch eine haben, mitten im Gesicht bis übers Kinn herab." Während sie so sprach, rutschte sie an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen, dass sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!"
"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her", rief der Kleine ängstlich, "dein Hals ist ja so dünn wie ein Kohlstängel, der könnte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den Korb; wer wollte dann noch kaufen?"
"Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?, murmelte die Alte lachend.
"Sollst gar keinen haben, Kopf muss in den Schultern stecken, dass er nicht herab fällt vom kleinen Körperlein!"
"Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da", sagte endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen, Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr verscheucht mir ja die andern Kunden."
"Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick, "ich will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muss mich auf den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, dass es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen."
Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte, denn ihm graute vor der hässlichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es doch für eine Sünde hielt, der alten schwächlichen Frau diese Last allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weib über den Markt hin.
Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe dreiviertel Stunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam und endlich vor einem kleinen baufälligen Hause stillhielt. Dort zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit geschickt in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er eintrat! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von Marmor war die Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten Ebenholz, mit Gold und geschliffenen Steinen eingelegt, der Boden aber war von Glas und so glatt, dass der Kleine einige Mal ausglitt und umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte. Da kamen sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es aber ganz sonderbar dünken, dass sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, Nussschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider angelegt und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?", rief die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, dass sie jammernd in die Höhe sprangen; "wie lange soll ich noch so dastehen?"
Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar Schalen von Kokosnuss, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten geschickt an die Füße steckten.
Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von sich und glitt mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in einem Zimmer stille, das, mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt, beinahe einer Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und die Sofas mit reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach passten. "Setze dich", sagte die Alte recht freundlich, indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch so vor ihn hinstellte, dass er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind nicht so leicht, nicht so leicht."
"Aber Frau, was sprecht Ihr so wunderlich?", rief der Kleine, "müde bin ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen, Ihr habt sie meiner Mutter abgekauft."
"Ei, das weißt du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf gefasst hatte. Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte nicht fassen, wie dies alles zuging, aber er dachte an seine Mutter. "Wenn jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde", dachte er bei sich, "da würde man gewiss meine Mutter dafür anklagen."
"Muss dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist", murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen in menschlichen Kleidern, sie hatten Küchenschürzen umgebunden und im Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge Eichhörnchen hereingehüpft, sie hatten weite türkische Beinkleider an, gingen aufrecht und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt. Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten mit großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen und Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen es auf den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, dass sie es sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. jetzt knisterte das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer, die Alte aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweinchen ihr nach, und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floss herab ins Feuer. Da nahm sie ihn weg, goss davon in eine silberne Schale und setzte sie dem kleinen Jakob vor.
"So, Söhnchen, so", sprach sie, "iss nur dieses Süppchen, dann hast du alles, was dir an mir so gefallen. Sollst auch ein geschickter Koch werden, dass du doch etwas bist, aber Kräutlein, nein, das Kräutlein sollst du nimmer finden, warum hat es deine Mutter nicht in ihrem Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise bereitet, aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von feinen Kräutern und Gewürzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie süß und säuerlich zugleich und sehr stark. Während er noch die letzten Tropfen der köstlichen Speise austrank, zündeten die Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken durch das Zimmer schwebte, dichter und immer dichter wurden diese Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauches wirkte betäubend auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, dass er zu seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank er immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein.
Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchenbalg. jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen um, die sehr artige, gesittete Leute waren, und hatte mit ihnen den Dienst der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines Schuhputzers gebraucht, das heißt, er musste die Kokosnüsse, welche die Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben und durch Reiben glänzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu ähnlichen Geschäften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der Hand. Etwa nach einem Jahre, träumte er weiter, wurde er zu feineren Geschäften gebraucht; er musste nämlich mit noch einigen Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten, solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt nämlich die Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beißen konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie ihr Brot aus Sonnenstäubchen zubereiten.
Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht, dass sie sich hierzu etwa eine Zisterne hatte graben lassen oder ein Fass in den Hof stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner zu; die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mussten mit Haselnussschalen den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der Alten. Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger schwere Arbeit. Nach einem Jahre wurde er zum innern Dienst des Hauses bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war es keine geringe Arbeit. Sie mussten sie bürsten und altes Tuch an die Füße schnallen und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten Jahre ward er endlich zur Küche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen konnte. Jakob diente dort vom Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, was die Küche betrifft, dass er sich oft über sich selbst wundern musste; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei Essenzen, Kräutersuppen von allen Kräutern der Erde zusammengesetzt, alles lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen.
So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er solle ein Hühnlein rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb rösten, bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, dass sie glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus, Sodann fing er an, die Kräuter zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen sollte. In der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein Wandschränkchen, dessen Türe halb geöffnet war, und das er sonst nie bemerkt hatte. Er ging neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte, und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen, von welchen ein starker, angenehmer Geruch ausging. Er öffnete eines dieser Körbchen und fand darin Kräutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die Stängel und Blätter waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume von brennendem Rot mit Gelb verbrämt; er betrachtete sinnend diese Blume, beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus, von dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber so stark war der Geruch, dass er zu niesen anfing, immer heftiger niesen musste und - am Ende niesend erwachte.
Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. "Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!", sprach er zu sich. "Hätte ich jetzt doch schwören wollen, dass ich ein schnödes Eichhörnchen, ein Kamerad von Meerschweinchen und anderm Ungeziefer, dabei aber ein großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, wenn ich ihr alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmälen, dass ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem Markte?" Mit diesem Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er musste auch selbst über sich lächeln, dass er so schlaftrunken war, denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich schnell umwandte, an einen Türpfosten. Die Eichhörnchen und Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, denn es waren niedliche Tierchen, aber sie fuhren auf ihren Nussschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie nur noch in der Ferne heulen.
Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es musste sich, wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall hörte er rufen: "Ei, seht den hässlichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg her? Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf in den Schultern steckt, und die braunen, hässlichen Hände!" Zu einer andern Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so musste er sich sputen, um zur Mutter zu kommen.
Es war ihm ganz ängstlich zumute, als er auf den Markt kam. Die Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viel Früchte im Korb, lange konnte er also nicht geschlafen haben, aber doch kam es ihm von weitem schon vor, als sei sie sehr traurig, denn sie rief die Vorübergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die Hand gestützt, und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei bleicher als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich fasste er sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand auf ihren Arm und sprach:
"Mütterchen, was fehlt dir? Bist du böse auf mich?"
Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des Entsetzens zurück: "Was willst du von mir, hässlicher Zwerg?", rief sie. "Fort, fort! Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden."
"Aber, Mutter, was hast du denn?", fragte Jakob ganz erschrocken; "dir ist gewiss nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir jagen?"
"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!", entgegnete Frau Hanne zürnend. "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien, hässliche Missgeburt."
"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!", sprach der Kleine bekümmert zu sich: "was fange ich nur an, um sie nach Haus zu bringen? Lieb' Mütterchen, so sei doch nur vernünftig; sieh mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob."
"Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt", rief Hanne ihrer Nachbarin zu; "seht nur den hässlichen Zwerg da, da steht er und vertreibt mir gewiss alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu spotten. Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob, der Unverschämte!"
Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg sie konnten, und Marktweiber, wisst ihr wohl, verstehen es, und schalten ihn, dass er des Unglückes der armen Hanne spotte, der vor sieben Jahren ihr bildschöner Knabe gestohlen worden sei, und drohten insgesamt über ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn er nicht alsobald ginge.
Der arme Jakob wusste nicht, was er von diesem allen denken sollte.
War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich mit der Mutter auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen verzehrt, ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da; und doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm vorgegangen? - Als er sah, dass die Mutter gar nichts mehr von ihm hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über Schuhe flickte. "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er mich auch nicht kennen will; unter die Türe will ich mich stellen und mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, stellte er sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er ihn gar nicht sah; als er aber einmal zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe, Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um Gottes willen, was ist das, was ist das!"
"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den Laden trat. "Wie geht es Euch?"
"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!", antwortete der Vater zu Jakobs großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das Geschäft will mir nicht mehr von der Hand. Bin so allein und werde jetzt alt, und doch ist mir ein Geselle zu teuer."
"Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand gehen könnte bei der Arbeit?", forschte der Kleine weiter.
"Ich hatte einen, der hieß Jakob, und müsste jetzt ein schlanker, gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die Arme greifen könnte. Ha! das müsste ein Leben sein; schon als er zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, dass ich bald nicht mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so geht's in der Welt!"
"Wo ist denn aber Euer Sohn?", fragte Jakob mit zitternder Stimme seinen Vater.
"Das weiß Gott", antwortete er; "vor sieben Jahren, ja, so lange ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weggestohlen."
"Vor sieben Jahren!", rief Jakob mit Entsetzen.
"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie habe überall geforscht und gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, dass es so kommen würde; der Jakob war ein schönes Kind, das muss man sagen, da war nun meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich beschenkt; aber, sagte ich, gib acht, die Stadt ist groß; viele schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein altes hässliches Weib auf den Markt, feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, dass sie es nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr den Jungen mit und - hat ihn von Stund an nicht mehr gesehen."
"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?"
"Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen, wir gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, das schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich allerlei einzukaufen."
So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und zog den Draht mit bei den Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, dass er nämlich nicht geträumt, sondern dass er sieben Jahre bei der bösen Fee als Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllte sein Herz so sehr, dass es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Dass er Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, dass er ein Zimmer mit gläsernem Fußboden rein machen konnte? Dass er von den Meerschweinchen alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile so da und dachte über sein Schicksal nach, da fragte ihn endlich sein Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er lächelnd hinzu, "vielleicht ein Futteral für Eure Nase?"
"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich denn ein Futteral dazu brauchen?"
"Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber das muss ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein Futteral ließe ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr verwahrt, kleiner Herr; so, weiß ich gewiss, stoßt Ihr Euch an jeden Türpfosten, an jeden Wagen, dem Ihr ausweichen wollt."
Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er betastete seine Nase, sie war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die Alte auch seine Gestalt verwandelt; darum kannte ihn also die Mutter nicht, darum schalt man ihn einen hässlichen Zwerg! "Meister!" sprach er halb weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin ich mich beschauen könnte?"
"Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewöhnt es Euch ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit."
"Ach, so lasst mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine, "gewiss, es ist nicht aus Eitelkeit!"
"Lasst mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen. Müsst Ihr aber durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban, der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf; guckt dort hinein, und indessen guten Morgen!" Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, schloss die Türe hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte. "Guten Morgen, Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu bitten, seid .so gut und lasst mich ein wenig in Euren Spiegel schauen."
"Mit Vergnügen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; aber beschaut Euch immer, man soll nicht von mir sagen, ich habe Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen."
So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter füllte die Baderstube. Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich beschaut. Tränen traten ihm in die Augen. "ja, so konntest du freilich deinen Jakob nicht wieder erkennen, liebe Mutter", sprach er zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein geworden, wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden zu sein, denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den .größten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen; sein Körper war noch so groß wie vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt war, aber wenn andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die Brust waren weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dickgefüllter Sack; dieser dicke Oberleib saß auf kleinen, schwachen Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so größer waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie die eines wohl gewachsenen Mannes, seine Hände waren grob und braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne dass er sich bückte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum missgestalteten Zwerg war er geworden.
Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr getadelt hatte, die lange Nase, die hässlichen Finger, alles hatte sie ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich weggelassen.
"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?", sagte der Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr, ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe und ladet die Leute ein, hereinzukommen; Ihr schlagt den Seifenschaum, reicht den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld." Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber musste er sich nicht diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher ganz ruhig, dass er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging weiter.
Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie doch seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan, nein, er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein; er trauerte nicht um seine verlorene Schönheit, nicht über diese hässliche Gestalt, sondern nur darüber, dass er wie ein Hund von der Türe seines Vaters gejagt werde. Darum beschloss er, noch einen Versuch bei seiner Mutter zu machen.
Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören. Er erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weib gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit, erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe bei der Fee, und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. Die Frau des Schusters wusste nicht, was sie denken sollte. Alles traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzählte, aber wenn er davon sprach, dass er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da sprach sie: "Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie ihn ansah, so verabscheute sie den hässlichen Zwerg und glaubte nicht, dass dies ihr Sohn sein könne. Endlich hielt sie es fürs beste, mit ihrem Manne darüber zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen und hieß ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters.
"Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser verlorener Jakob sein. Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor sieben Jahren gestohlen wurde, und wie er von einer Fee bezaubert worden sei."
"So?", unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzählt?
Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde, und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Bezaubert bist du worden, mein Söhnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei nahm er einen Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die langen Arme, dass der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend davonlief.
In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt, unterstützen. Daher kam es, dass der unglückliche Zwerg den ganzen Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen musste.
Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen. Er fühlte sich zu stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen lassen; was sollte er anfangen? Da fiel ihm bei, dass er als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, dass er es mit manchem Koch aufnehmen könne; er beschloss, seine Kunst zu benutzen.
Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem Palast begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so dass nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die Treppe des Palastes hinauf bewegte; die Stallknechte warfen ihre Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter vergaßen die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es war ein Gewühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: "Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?", füllte die Lüfte.
Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. "Um des Himmels willen, ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm! Wisst ihr nicht, dass der Herr noch schläft?", und dabei schwang er die Geißel und ließ sie unsanft auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhüter niederfallen. "Ach, Herr!", riefen sie, "seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut aufzulachen, als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen seiner Würde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen hinweg, führte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. Als er hörte, jener wolle zum Küchenmeister, erwiderte er: "Du irrst dich, mein Söhnchen, zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?"
"Nein, Herr!", antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen."
"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens bist du doch ein unbesonnener Junge. In die Küche! Als Leibzwerg hättest du keine Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich soweit reichen, als ein Mundkoch des Herrn nötig hat, und zum Küchenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer des Oberküchenmeisters.
"Gnädiger Herr!", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, dass er mit der Nase den Fußteppich berührte, "braucht Ihr keinen geschickten Koch?"
Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?", rief er, "du ein Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, dass du nur auf einen hinaufschauen kannst, wenn du dich auf die Zehen stellst und den Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? Oh, lieber Kleiner! Wer dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberküchenmeister und lachte weidlich, und mit ihm lachte der Aufseher des Palastes und alle Diener, die im Zimmer waren.
Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. "Was liegt an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und Gewürze, in einem Hause, wo man dessen genug hat?", sprach er. "Gebt mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schafft mir, was ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, und Ihr sollt sagen müssen: Er ist ein Koch nach Regel und Recht." Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Äuglein hervorblitzte, wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte, und seine dünnen Spinnenfinger seine Rede begleiteten. "Wohlan!" rief der Küchenmeister und nahm den Aufseher des Palastes unter dem Arme. "Wohlan, es sei um des Spaßes willen; lasst uns zur Küche gehen." Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen endlich in die Küche. Es war dies ein großes, weitläufiges Gebäude, herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten beständig Feuer, ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter diente, floss mitten durch sie, in Schränken von Marmor und köstlichem Holz waren die Vorräte aufgestellt, die man immer zur Hand haben musste, und zur Rechten und Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst im Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen erfunden. Küchenbediente aller Art liefen umher und rasselten und hantierten mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln; als aber der Oberküchenmeister in die Küche eintrat, blieben sie alle regungslos stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein rieseln. "Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen?", fragte der Meister den ersten Frühstücksmacher, einen alten Koch.
"Herr! Die dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen."
"Gut", sprach der Küchenmeister weiter; "hast du gehört, was der Herr speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu bereiten? Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist ein Geheimnis."
"Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der Zwerg, denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht, "nichts leichter, man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter, dies und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und Eier; zu den Klößchen aber", sprach er leiser, dass es nur der Küchenmeister und der Frühstückmacher hören konnten, "zu den Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heißt."
"Ha! Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?", rief der Koch mit Staunen. "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewusst; ja, das muss es noch angenehmer machen. 0 du Wunder von einem Koch!"
"Das hätte ich nicht gedacht", sagte der Oberküchenmeister, "doch lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt, Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten."
Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde zu; aber da fand es sich, dass der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen konnte. Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte eine Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein Kunststück zu beginnen. In einem großen Kreise standen die Köche, Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung fertig war, befahl er beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu zählen: eins, zwei, drei und so fort, und gerade als er fünfhundert gezählt hatte, rief er: "Halt!", die Töpfe wurden weggesetzt, und der Kleine lud den Küchenmeister ein, zu kosten.
Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister; dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen, kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge und sprach dann: "Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich! Wollt Ihr nicht auch ein Löfflein zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?" Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, kostete und war vor Vergnügen und' Lust außer sich. "Eure Kunst in Ehren, lieber Frühstückmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch, aber so herrlich habt Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Klöße machen können!" Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst, ja das Kräutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz."

In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche und berichtete, dass der Herr das Frühstück verlange. Die Speisen wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; der Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb solange da, als man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, 0 Herr, und dauert nicht halb solange als das Gebet der Gläubigen), so kam schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn. Er kleidete' sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten.
Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf den silbernen Schüsseln gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. "Höre, Küchenmeister", sprach er, "ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet? So köstlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage an, wie er heißt, der Koch, dass wir ihm einige Dukaten zum Geschenke schicken."
"Herr! Das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg gebracht, der durchaus Koch werden wollte, und wie sich dies alles begeben. Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei, und woher er komme. Da konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, dass er verzaubert worden sei und früher als Eichhörnchen gedient habe. Doch blieb er bei der Wahrheit, indem er erzählte, er sei jetzt ohne Vater und Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog fragte nicht weiter, sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt seines neuen Koches.
"Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jährlich fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies zwei Paar Beinkleider reichen lassen. Dafür musst du aber täglich mein frühstück selbst bereiten, musst angeben, wie das Mittagessen gemacht werden soll, und überhaupt dich meiner Küche annehmen. Da jeder in meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden."
Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland, küsste ihm die Füße und versprach ihm treu zu dienen.
So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt Ehre. Denn man kann sagen, dass der Herzog ein ganz anderer Mann war, während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den Köchen an den Kopf zu werfen; ja dem Oberküchenmeister selbst warf er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfuß, der nicht weich genug geworden war, so heftig an die Stirne, dass er umfiel und drei Tage zu Bette liegen musste. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, durch einige Händevoll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt.
Der Herr aß jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter.
Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg Nase rufen, setzte den einen rechts, den andern links zu sich und schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen wussten.
Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und einige der vornehmsten Männer hatten es soweit gebracht beim Herzog, dass ihre Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen durften, was nicht wenig Geld eintrug, denn jeder zahlte täglich einen halben Dukaten. Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht ihrer Köche zahlen mussten
So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre, und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn. So lebte er, ohne etwas Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. Der Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen Einkäufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer selbst auf den Markt, um Geflügel und Früchte einzuhandeln. Eines Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren, fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon einige Mal auf und abgegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht. Denn man erkannte ihn als den berühmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte sich glücklich, wenn er ihr die Nase zuwandte.
Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware anpries und nach Käufern schrie. Zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse. Sie waren, wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud sie auf seine breiten Schultern und trat den Rückweg an. Da kam es ihm sonderbar vor, dass nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und schrien, wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still und in sich gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein Mensch. "Die ist halb krank", sprach er vor sich hin, "ich muss eilen, dass ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz deutlich und laut:

"Stichst du mich.
So beiß' ich dich.
Drückst du mir die Kehle ab,
Bring' ich dich ins frühe Grab."

Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und die Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte. "Ei der Tausend!", rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das hätte ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht ängstlich! Man weiß zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. War ich ja selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen."
"Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in dieser schmachvollen Hülle geboren worden. Ach, an meiner Wiege wurde es mir nicht gesungen, dass Mimi, des großen Wetterbocks Tochter, in der Küche eines Herzogs getötet werden soll!"
"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", tröstete der Zwerg. "So wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen, den übrigen Küchenmenschen werde ich sagen, dass ich eine Gans mit allerlei besonderen Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich Gelegenheit findet, setze ich Sie in Freiheit."
Die Gans dankte ihm mit Tränen, der Zwerg aber tat, wie er versprochen, schlachtete die zwei andern Gänse, für Mimi aber baute er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter, sondern versah sie mit Backwerk und süßen Speisen. So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten und sie zu trösten. Sie erzählten sich auch gegenseitig ihre Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, dass die Gans eine Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Ränke und List überwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und weit hinweg, bis hierher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach sie: „Ich bin nicht unerfahren in diesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen Schwestern einige Anleitung gegeben, soviel er nämlich davon mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, deine plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch wenige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, dass du auf Kräuter bezaubert bist, das heißt: wenn du das Kraut auffindest, das sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst werden." Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo sollte er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schöpfte einige Hoffnung.
Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du zeigen musst, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. Dieser Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir am besten und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und ein weiser Mann. Sorge nun dafür, dass meine Tafel täglich also besorgt werde, dass er immer mehr in Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner Ungnade, solange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz backen musst, so tue es. Ich will lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm."
So sprach der Herzog. Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig verbeugte: "Es sei, wie du sagst, 0 Herr! So es Gott gefällt, werde ich alles' so machen, dass es diesem Fürsten der Gutschmecker wohlgefällt." Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt, und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche. Denn er befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! Ich könnte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen herrlich speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang all die Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große Sehnsucht und noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so dass diese unwillkürlich die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also.
Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges. Denn er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fünfzehnten Tage aber begab es sich, dass der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen ließ, ihn seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie er mit dem Zwerg zufrieden sei?
"Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fürst, "und weißt, was anständig essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, dass ich hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die Königin der Speisen, die Pastete Suzeräne?"
Der Zwerg war sehr erschrocken. Denn er hatte von dieser Pastetenkönigin nie gehört, doch fasste er sich und antwortete: ,,0 Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise. Denn womit sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens als mit der Königin der Pasteten!"
"So?", entgegnete der Herzog lachend. "Und bei mir wolltest du wohl warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen? Denn auch mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen anderen Scheidegruß, denn morgen musst du die Pastete auf die Tafel setzen."
"Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging. Aber er ging nicht vergnügt. Denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks war gekommen. Er wusste nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er ging daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal.
Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine Tränen", antwortete sie, als sie von der Pastete Suzeräne gehört, "dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiß ungefähr, was man dazu braucht, du nimmst dies und jenes, so und so viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu nötig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Königin der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberküchenmeister, dem er davon zu kosten gab, pries aufs Neue seine ausgebreitete Kunst.
Den andern Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und schickte sie, warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit Blumenkränzen geschmückt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als er eintrat, war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und seinem Gaste hinzureichen.
Der Herzog tat einen tüchtigen Biss hinein, schlug die Augen auf zur Decke und sprach, nachdem er geschluckt hatte: "Ah! ah! ah! Mit Recht nennt man dies die Königin der Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der König aller Köche, nicht also, lieber Freund?"
Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll. "Das Ding ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller hinwegrückte,. "aber die Suzeräne ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir wohl gedacht."
Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor Beschämung: "Hund von einem Zwerg!", rief er. "Wie wagst du es, deinem. Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei?"
"Ach Herr! um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiss nichts fehlen!", so sprach der Zwerg und zitterte.
"Es ist eine Lüge, du Bube!", erwiderte der Herzog und stieß ihn mit dem Fuße von sich. "Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete!"
"Habt Mitleiden!", rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem Gast, dessen Füße er umfasste. "Saget, was fehlt an dieser Speise, dass sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer Handvoll Fleisch und Mehl."
"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde mit Lachen; "das habe ich mir schon gestern gedacht, dass du diese Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust, ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie nie essen wie ich."
Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. "Und doch werde ich sie essen", rief er mit funkelnden Augen; "denn ich schwöre auf meine fürstliche Ehre, entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr sie verlanget - oder den Kopf dieses Burschen aufgespießt auf dem Tor meines Palastes. Geh, du Hund, noch einmal gebe ich dir vierundzwanzig Stunden Zeit."
So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder in sein Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal, und dass er sterben müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. "Ist es nur dies", sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle Kräuterkennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer andern Zeit des Todes gewesen, aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, und um diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch sage an, sind alte Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?"
,,0 ja!", erwiderte Nase mit leichterem Herzen; "am See, zweihundert Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?"
"Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein", sagte Mimi.
"Darum lass uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen."
Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. Dort aber streckte der Türhüter sein Gewehr vor und sprach: "Mein guter Nase, mit dir ist's vorbei, aus dem Hause darfst du nicht, ich habe den strengsten Befehl darüber."
"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?", erwiderte der Zwerg. "Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter suchen dürfe?" Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das Kräutlein nicht, so stand sein Entschluss fest, er stürzte sich dann lieber in den See, als dass er sich köpfen ließ. Die Gans suchte aber vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem Schnabel jedes Gräschen um, .es wollte sich nichts zeigen, und sie fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend dunkler, und die Gegenstände umher schwerer zu erkennen.
Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief er: "Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter Baum; lass uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein Glück." Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da blieb plötzlich die Gans stillstehen, schlug vor Freuden mit den Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel überreichte, und sprach: "Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine Menge davon, so dass es dir nie daran fehlen wird."
Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner Verwandlung erinnerte; die Stängel, die Blätter waren bläulich-grün, sie trugen eine brennendrote Blume mit gelbem Rande.
"Gelobt sei Gott!", rief er endlich aus, "welches Wunder! Wisse, ich glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen in diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?"
"Noch nicht", bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit dir, lass uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes versuchen."
Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und das Herz des Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig oder sechzig Dukaten, die er erspart, einige Kleider und Schuhe zusammen in einen Bündel geknüpft hatte, sprach er: "So es Gott gefällig ist, werde ich dieser Bürde los werden", streckte seine Nase tief in die Kräuter und zog ihren Duft ein.
Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust fingen an sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger.
Die Gans sah mit Erstaunen diesem allen zu. "Ha! was du groß, was du schön bist!", rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an dir von allem, was du vorher warst!" Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und betete. Aber seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans Mimi schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen, doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem anders als dir habe ich es zu danken, dass ich mir selbst wiedergeschenkt bin? Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht gar unter dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will es dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der so erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können." Die Gans vergoss Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat zu.
Was soll ich noch weiter erzählen, dass sie ihre Reise glücklich vollendeten, dass Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob mit Geschenken beladen entließ; dass er in seine Vaterstadt zurückkam, und dass seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren verlorenen Sohn erkannt, dass er von den Geschenken, die er von Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und glücklich wurde.
Nur soviel will ich noch sagen, dass nach seiner Entfernung aus dem Palast des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am andern Tag der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben, und klagte ihn an, dass er wortbrüchig sei. Dadurch entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der Geschichte unter dem Namen ,Kräuterkrieg' wohlbekannt ist; es wurde manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns den ,Pastetenfrieden', weil beim Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Suzeräne, die Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog trefflich schmecken ließ.

Das Wirtshaus im Spessart

Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch diesen Wald. Der eine mochte achtzehn Jahre alt sein und war ein Zirkelschmied, der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem Aussehen kaum sechzehn Jahre haben und machte wohl jetzt eben seine erste Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmied schritt wacker vorwärts und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munter, seinem Hund, und schien sich nicht viel darum zu kümmern, dass die Nacht nicht mehr fern, desto ferner aber die nächste Herberge war. Aber Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte, so war es ihm, als höre er Tritte hinter sich. Wenn das Gesträuch am Wege hin und her wankte und sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Büschen lauem zu sehen.
Der junge Goldschmied war sonst nicht abergläubisch oder mutlos.
In Würzburg, wo er gelernt hatte, galt er unter seinen Kameraden für einen unerschrockenen Burschen, dem das Herz am rechten Fleck sitze; aber heute war ihm doch sonderbar zumute. Man hatte ihm vom Spessart so mancherlei erzählt. Eine große Räuberbande solle dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen geplündert worden, ja man sprach sogar von einigen gräulichen Mordgeschichten, die vor nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. Da war ihm nun doch etwas bange für sein Leben, denn sie waren ja nur zu zwei und konnten gegen bewaffnete Räuber gar wenig ausrichten. Oft gereute es ihn, dass er dem Zirkelschmied gefolgt war, noch eine Station zu gehen, statt am Eingang des Waldes über Nacht zu bleiben.
"Und wenn ich heute Nacht totgeschlagen werde und um Leben und alles komme, was ich bei mir habe, so ist's nur deine Schuld, Zirkelschmied, denn du hast mich in den schrecklichen Wald hereingeschwatzt."
"Sei kein Hasenfuß", erwiderte der andere, "ein rechter Handwerksbursche solI sich eigentlich gar nicht fürchten. Und was meinst du denn? Meinst du, die Herren Räuber im Spessart werden uns die Ehre antun, uns zu überfallen und totzuschlagen? Warum sollten sie sich diese Mühe geben? Etwa wegen meines Sonntagsrocks, den ich im Ranzen habe, oder wegen des Zehrpfennigs von einem Taler? Da muss man schon mit Vieren fahren, in Gold und Seide gekleidet sein, wenn sie es der Mühe wert finden einen totzuschlagen."
"Halt! Hörst du nicht etwas pfeifen im Wald?", rief Felix ängstlich. "Das war der Wind, der um die. Bäume pfeift, geh nur rasch vorwärts, lange kann es nicht mehr dauern."
"Ja, du hast gut reden wegen des Totschlagens", fuhr der Goldarbeiter fort. "Dich fragen sie, was du hast, durchsuchen dich und nehmen dir allenfalls den Sonntagsrock und den Gulden und dreißig Kreuzer. Aber mich, mich schlagen sie gleich anfangs tot. Nur weil ich Gold und Geschmeide mit mir führe."
"Ei, warum sollten sie dich totschlagen deswegen? Kämen jetzt vier oder fünf dort aus dem Busch, mit geladenen Büchsen, die sie auf uns anlegten, und fragten ganz höflich: Ihr Herren, was habt ihr bei euch? und: Macht es euch bequem, wir wollen's euch tragen helfen, und was dergleichen anmutige Redensarten sind. Da wärst du wohl kein Tor, machtest dein Ränzchen auf und legtest die gelbe Weste, den blauen Rock, zwei Hemden und alle Halsbänder und Armbänder und Kämme, und was du sonst noch hast, höflich auf die Erde und bedanktest dich fürs Leben, das sie dir schenkte!"
"So?, meinst du", entgegnete Felix sehr eifrig, "den Schmuck für meine Frau Pate, die liebe Frau Gräfin, soll ich hergeben? Eher mein Leben; eher lass ich mich in kleine Stücke zerschneiden. Hat sie nicht Mutterstelle an mir vertreten und seit meinem zehnten Jahre mich aufziehen lassen? Hat sie nicht die Lehre für mich bezahlt und Kleider und alles? Und jetzt, da ich sie besuchen darf, und etwas mitbringe von meiner eigenen Arbeit, das sie beim Meister bestellt hat; jetzt, da ich ihr an dem schönen Geschmeide zeigen könnte, was ich gelernt habe, jetzt soll ich das alles hergeben und die gelbe Weste dazu, die ich auch von ihr habe? Nein, lieber sterben, als dass ich den schlechten Menschen meiner Frau Pate Geschmeide gebe!"
"Sei kein Narr!", rief der Zirkelschmied. "Wenn sie dich totschlagen, bekommt die Frau Gräfin den Schmuck dennoch nicht. Drum ist es besser, du gibst ihn her und erhältst dein Leben."
Felix antwortete nicht. Die Nacht war jetzt ganz heraufgekommen, und bei dem ungewissen Schein des Neumonds konnte man kaum auf fünf Schritte vor sich sehen. Er wurde immer ängstlicher, hielt sich näher an seinen Kameraden und war mit sich uneinig, ob er seine Reden und Beweise billigen sollte oder nicht. Noch eine Stunde beinahe waren sie so fortgegangen, da erblickten sie in der Ferne ein Licht. Der junge Goldschmied meinte aber, man dürfe nicht trauen, vielleicht könnte es ein Räuberhaus sein, aber der Zirkelschmied belehrte ihn, dass die Räuber ihre Häuser oder Höhlen unter der Erde haben, und dies müsse das Wirtshaus sein, das ihnen ein Mann am Eingang des Waldes beschrieben.
Es war ein langes, aber niedriges Haus, ein Karren stand davor, und nebenan im Stalle hörte man Pferde wiehern. Der Zirkelschmied winkte seinen Gesellen an ein Fenster, dessen Laden geöffnet waren. Sie konnten, wenn sie sich auf die Zehen stellten, die Stube übersehen. Am Ofen in einem Armstuhl schlief ein Mann, der seiner Kleidung nach ein Fuhrmann und wohl auch der Herr des Karrens vor der Tür sein konnte. An der andern Seite des Ofens saßen ein Weib und ein Mädchen und spannen. Hinter dem Tisch an der Wand saß ein Mensch, der ein Glas Wein vor sich, den Kopf in die Hände gestützt hatte, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnten. Der Zirkelschmied aber wollte aus seiner Kleidung bemerken, dass es ein vornehmer Herr sein müsse.
Als sie so noch auf der Lauer standen, schlug ein Hund im Hause an.
Munter, des Zirkelschmieds Hund, antwortete, und eine Magd erschien in der Türe und schaute nach den Fremden heraus.
Man versprach, ihnen Nachtessen und Betten geben zu können. Sie traten ein und legten die schweren Bündel, Stock und Hut in die Ecken und setzten sich zu dem Herrn am Tische. Dieser richtete sich bei ihrem Gruße auf, und sie erblickten einen feinen jungen Mann, der ihnen freundlich für ihren Gruß dankte.
"Ihr seid spät auf der Fahrt", sagte er, "habt ihr euch nicht gefürchtet, in so dunkler Nacht durch den Spessart zu reisen? Ich für meinen Teil habe lieber mein Pferd in dieser Schenke eingestellt, als dass ich nur noch eine Stunde weitergeritten wäre."
"Da habt Ihr allerdings recht gehabt, Herr!", erwiderte der Zirkelschmied. "Der Hufschlag eines schönen Pferdes ist Musik in den Ohren dieses Gesindels und lockt sie auf eine Stunde weit. Aber wenn ein paar Burschen wie wir durch den Wald schleichen, Leute, welchen die Räuber eher selbst etwas schenken könnten, da heben sie keinen Fuß auf!"
"Das ist wohl wahr", entgegnete der Fuhrmann, der, durch die Ankunft der Fremden erweckt, auch an den Tisch getreten war; "einem armen Mann können sie nicht viel anhaben seines Geldes willen. Aber man hat Beispiele, dass sie arme Leute nur aus Mordlust niederstießen oder sie zwangen, unter die Bande zu treten und als Räuber zu dienen."
"Nun, wenn es so aussieht mit diesen Leuten im Wald", bemerkte der junge Goldschmied, "so wird uns wahrhaftig auch dieses Haus wenig Schutz gewähren. Wir sind nur zu vier, und mit dem Hausknechte fünf; wenn es ihnen einfällt, zu zehn uns zu überfallen, was können wir gegen sie? Und überdies", setzte er leise flüsternd hinzu, "wer steht uns dafür, dass diese Wirtsleute ehrlich sind?"
"Da hat es gute Wege", erwiderte der Fuhrmann. "Ich kenne diese Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren und habe nie etwas Unrechtes darin verspürt. Der Mann ist selten zu Hause, man sagt, er treibe Weinhandel; die Frau aber ist eine stille Frau, die niemand Böses will; nein, dieser tut Ihr Unrecht, Herr!"
"Und doch", nahm der junge vornehme Herr das Wort, "doch möchte ich nicht so ganz verwerfen, was er gesagt. Erinnert Euch an die Gerüchte von jenen Leuten, die in diesem Wald auf einmal spurlos verschwunden sind. Mehrere davon hatten vorher gesagt, sie werden in diesem Wirtshaus übernachten, und als man nach zwei oder drei Wochen nichts von ihnen vernahm, ihrem Weg nachforschte und auch hier im Wirtshause nachfragte, da soll nun keiner gesehen worden sein; verdächtig ist es doch."
"Weiß Gott!", rief der Zirkelschmied, "da handelten wir ja vernünftiger, wenn wir unter dem nächsten besten Baum unser Nachtlager nähmen, als hier in diesen vier Wänden, wo an kein Entspringen zu denken ist, wenn sie einmal die Tür besetzt haben; denn die Fenster sind vergittert."
Sie waren alle durch diese Reden nachdenklich geworden. Es schien gar nicht unwahrscheinlich, dass die Schenke im Walde, sei es gezwungen oder freiwillig, im Einverständnis mit den Räubern war. Die Nacht schien ihnen daher gefährlich; denn wie manche Sage hatten sie gehört von Wanderern, die man im Schlaf überfallen und gemordet hatte; und sollte es auch nicht an ihr Leben gehen, so war doch ein Teil der Gäste in der Waldschenke von so beschränkten Mitteln, dass ihnen ein Raub an einem Teil ihrer Habe sehr empfindlich gewesen wäre. Sie schauten verdrießlich und düster in ihre Gläser. Der junge Herr wünschte auf seinem Ross durch ein sicheres, offenes' Tal zu traben, der Zirkelschmied wünschte sich zwölf seiner handfesten Kameraden, mit Knütteln bewaffnet, als Leibgarde; Felix, dem Goldarbeiter, war bange, mehr um den Schmuck seiner Wohltäterin, als um sein Leben; der Fuhrmann aber, der einige Mal den Rauch seiner Pfeife nachdenklich vor sich hingeblasen, sprach leise: "Ihr Herren, im Schlaf wenigstens sollen sie uns nicht überfallen. Ich für meinen Teil will, wenn nur noch einer mit mir hält, die ganze Nacht wach bleiben."
"Das will ich auch" – "ich auch", riefen die drei übrigen; "schlafen könnte ich doch nicht", setzte der junge Herr hinzu.
"Nun, so wollen wir etwas treiben, dass wir wach bleiben", sagte der Fuhrmann; "ich denke, weil wir doch gerade zu vier sind, könnten wir Karten spielen, das hält wach und vertreibt die Zeit."
"Ich spiele niemals Karten", erwiderte der junge Herr, "darum kann ich wenigstens nicht mithalten."
"Und ich kenne die Karten gar nicht", setzte Felix hinzu.
"Was können wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen?" sprach der Zirkelschmied. "Singen? Das geht nicht und würde nur das Gesindel herbeilocken; einander Rätsel und Sprüche aufgeben zum Erraten? Das dauert auch nicht lange. Wisst ihr was? Wie wäre es, wenn wir uns etwas erzählten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es hält doch wach und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel"
"Ich bin's zufrieden, wenn Ihr anfangen wollt", sagte der junge Herr lächelnd, "Ihr Herren vom Handwerk kommt in allen Ländern herum und könnt schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten."
"Ja, ja, man hört manches", erwiderte der Zirkelschmied, "dafür studieren Herren wie Ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüsstet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müsste alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter."
"Ein Gelehrter nicht", lächelte der junge Herr, "wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unsern Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was Ihr hier und dort gehört. Darum hebt immer an, wenn anders diese da gerne zuhören."
"Noch höher als Kartenspiel", erwiderte der Fuhrmann, "gilt bei mir, wenn einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der Landstraße lieber im elendesten Schritt und höre einem zu, der nebenher geht und etwas Schönes erzählt; manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, dass er etwas erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger dauern."
"So geht es auch mir", setzte der junge Goldarbeiter hinzu, "erzählen höre ich für mein Leben gerne, und mein Meister in Würzburg musste mir die Bücher ordentlich verbieten, dass ich nicht zu viel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte."
"Mir fiel da, während Ihr so redet, etwas ein", sagte der Student. ,,0 erzählt, erzählt!", baten der Zirkelschmied und Felix.
"Gut", antwortete jener, "ob die Reihe jetzt an mich kommt oder später ist gleichviel; ich muss ja doch heim geben was ich gehört. Das, was ich erzählen will, soll sich wirklich einmal begeben haben."
Er setzte sich zurecht und wollte eben anfangen zu erzählen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an den Tisch trat. "Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bett zu gehen", sagte sie. "Es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag."
"Ei, so gehe zu Bette", rief der Student, "setze noch eine Flasche Wein für uns hierher, und dann wollen wir dich nicht länger abhalten."
"Mitnichten", entgegnete sie grämlich, "solange noch Gäste in der Wirtsstube sitzen, können Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, macht, dass ihr auf eure Kammern kommt, mir wird die Zeit zu lang, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden."
"Was fällt Euch ein, Frau Wirtin?", sprach der Zirkelschmied staunend, "was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch längst schlaft? Wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts hinwegtragen, noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus ausbieten."
Die Frau rollte zornig die Augen: "Meint Ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem Straßenläufer, der mir zwölf Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung ändern? Ich sag' euch jetzt zum letzten Mal, dass ich den Unfug nicht leide!“
Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen, aber der Student sah ihn bedeutsam an und winkte mit den Augen den übrigen. "Gut", sprach er, "wenn es denn die Frau Wirtin nicht haben will, so lasst uns auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter möchten wir gerne haben, um den Weg zu finden."
"Damit kann ich nicht dienen", entgegnete sie finster, "die andern werden schon den Weg im Dunkeln finden, und für Euch ist dies Stümpchen hier hinlänglich; mehr habe ich nicht im Hause."
Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stand auf. Die andern folgten ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Bündel, um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinan leuchtete.
Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten, schloss sein Zimmer auf und winkte ihnen herein. "Jetzt ist kein Zweifel mehr", sagte er, "sie will uns verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie ängstlich sie uns zu Bett zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen, und dann werde sie umso leichteres Spiel haben."
"Aber meint ihr nicht, wir könnten noch entkommen?", fragte Felix.
"Im Wald kann man doch eher auf Rettung denken als hier im Zimmer."
"Die Fenster sind auch hier vergittert", rief der Student, indem er vergebens versuchte, einen der Eisenstäbe des Gitters loszumachen. "Uns bleibt nur ein Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die Haustüre; aber ich glaube nicht, dass sie uns fortlassen werden."
"Es käme auf den Versuch an", sprach der Fuhrmann; "ich will einmal probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies möglich, so kehre ich zurück und hol euch nach." Die übrigen billigten diesen Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den Zehen nach der Treppe; ängstlich lauschten seine Genossen oben im Zimmer, schon war er die eine Hälfte der Treppe glücklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich plötzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Höhe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht gegenüber, zwei Reihen langer, scharfer Zähne. Er wagte weder vor noch rückwärts auszuweichen; denn bei der geringsten Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und alsobald erschien der Hausknecht und die Frau mit Lichtern.
"Wohin? Was wollt Ihr?", rief die Frau.
"Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen", antwortete der Fuhrmann am ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter, Männer mit Büchsen in der Hand, im Zimmer bemerkt.
"Das hättet Ihr alles auch vorher abmachen können", sagte die Wirtin mürrisch. "Faßan, daher! Schließ' die Hoftüre zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren." Der Hund zog seine gräuliche Schnauze und seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurück und lagerte sich wieder quer über die Treppe, der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die nächste Stadt überbringen sollte. "Das Stümpchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern", sagte er zu sich, "und Licht müssen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in die Ärmel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute Nacht bedecken wolle.
Glücklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem großen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Männern, die er flüchtig gesehen, von allen Anstalten; die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloss damit, dass er seufzend sagte: "Wir werden diese Nacht nicht überleben."
"Das glaube ich nicht", erwiderte der Student, "für so töricht kann ich diese Leute nicht halten, dass sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns hätten, vier Menschen ans Leben sollten. Aber verteidigen dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Händen, es kostete mich fünfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies."
"Ihr habt gut reden", erwiderte der Fuhrmann; "solche Sachen, wie Ihr sie verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Güter auf meinem Karren und im Stall zwei schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum."
"Ich kann unmöglich glauben, dass sie Euch etwas zuleide tun werden", bemerkte der Goldschmied; "einen Boten zu berauben, würde schon viel Geschrei und Lärmen in das Land machen. Aber dafür bin ich auch, was der Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben, was ich habe, und mit einem Eid versprechen, nichts zu sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die Büchsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe wehren."
Der Fuhrmann hatte während dieser Reden seine Wachskerzen hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zündete sie an. "So lasst uns in Gottes Namen erwarten, was über uns kommen wird", sprach er, "wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den Schlaf abhalten."
"Das wollen wir", antwortete der Student, "und weil vorhin die Reihe an mir stehen geblieben war, will ich euch etwas erzählen."

Vom Wirtshaus im Spessart später weiter

Das kalte Herz - Erste Abteilung

Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Bäume wegen, obgleich man nicht überall solch unermessliche Menge herrlich aufgeschossener Tannen findet, sondern wegen der Leute, die sich von den andern Menschen ringsumher merkwürdig unterscheiden. Sie sind größer als gewöhnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch raueren Mut als den Bewohnern der Stromtäler und Ebenen gegeben hätte. Und nicht nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten und Trachten sondern sie sich von den Leuten, die außerhalb des Waldes wohnen, streng ab. Am schönsten kleiden sich die Bewohner des badischen Schwarzwaldes; die Männer lassen den Bart wachsen, wie er von Natur dem Mann ums Kinn gegeben ist, ihre schwarzen Wämser, ihre ungeheuren, enggefalteten Pluderhosen, ihre roten Strümpfe und die spitzen Hüte, von einer weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges, aber etwas Ernstes, Ehrwürdiges. Dort beschäftigen sich die Leute gewöhnlich mit Glasmachen; auch verfertigen sie Uhren und tragen sie in der halben Welt umher.
Auf der andern Seite des Waldes wohnt ein Teil desselben Stammes, aber ihre Arbeiten haben ihnen andere Sitten und Gewohnheiten gegeben als den Glasmachern. Sie handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar und von dem obern Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland, und am Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten an jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers, welche Schiffe daraus bauen. Diese Menschen nun sind an ein raues, wanderndes Leben gewöhnt. Ihre Freude ist, auf ihrem Holz die Ströme hinabzufahren, ihr Leid, am Ufer wieder heraufzuwandeln. Darum ist auch ihr Prachtanzug so verschieden von dem der Glasmänner im andern Teil des Schwarzwaldes. Sie tragen Wämser von dunkler Leinwand, einen handbreiten, grünen Hosenträger über die breite Brust, Beinkleider von schwarzem Leder, aus deren Tasche ein Zollstab von Messing wie ein Ehrenzeichen hervorschaut; ihr Stolz und ihre Freude aber sind ihre Stiefel, die größten wahrscheinlich, welche auf irgend einem Teil der Erde Mode sind; denn sie können zwei Spannen weit über das Knie hinaufgezogen werden, und die, Flößer' können damit in drei Schuh tiefem Wasser umherwandeln, ohne sich die Füße nass zu machen.
Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen törichten Aberglauben nehmen können. Sonderbar ist es aber, dass auch die Waldgeister, die der Sage nach im Schwarzwalde hausen, in diese verschiedenen Trachten sich geteilt haben. So hat man versichert, dass das Glasmännlein, ein gutes Geistchen von viereinhalb Fuß Höhe, sich nie anders zeige als in einem spitzen Hütlein mit großem Rand, mit Wams und Pluderhöschen und roten Strümpfchen. Der Holländer Michel aber, der auf der andern Seite des Waldes umgeht, soll ein riesengroßer, breitschultriger Kerl in der Kleidung der Flößer sein, und mehrere, die ihn gesehen haben wollen, versichern, dass sie die Kälber nicht aus ihrem Beutel bezahlen möchten, deren Felle man zu seinen Stiefeln brauchen würde. "So groß, dass ein gewöhnlicher Mann bis an den Hals hinein stehen könnte", sagten sie, und wollten nichts übertrieben haben.
Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwälder eine sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzählen will. Es lebte nämlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau Barbara Munkin; ihr Gatte war Kohlenbrenner gewesen, und nach seinem Tode hielt sie ihren sechzehnjährigen Knaben nach und nach zu demselben Geschäft an. Der junge Peter Munk, ein schlanker Bursche, ließ es sich gefallen, weil er es bei seinem Vater auch nicht anders gesehen hatte, die ganze Woche über am rauchenden Meiler zu sitzen oder, schwarz und berußt und den Leuten ein Abscheu, hinab in die Städte zu fahren und seine Kohlen zu verkaufen. Aber ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken über sich und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler saß, stimmten die dunkeln Bäume umher und die tiefe Waldesstille sein Herz zu Tränen und unbewusster Sehnsucht. Es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, er wusste nicht recht was. Endlich merkte er sich ab, was ihn ärgerte, und das war - sein Stand. "Ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner!", sagte er sich, "es ist ein elend Leben. Wie angesehen sind die Glasmänner, die Uhrmacher, selbst die Musikanten am Sonntagabend! Und wenn Peter Munk, rein gewaschen und geputzt, in des Vaters Ehrenwams mit silbernen Knöpfen und mit nagelneuen roten Strümpfen erscheint, und wenn dann einer hinter mir hergeht und denkt: Wer ist wohl der schlanke Bursche? und lobt bei sich die Strümpfe und meinen stattlichen Gang - sieh, wenn er vorübergeht und schaut sich um, sagt er gewiss: Ach, es ist bloß der Kohlenmunkpeter."
Auch die Flößer auf der andern Seite waren ein Gegenstand seines Neides. Wenn diese Waldriesen herüberkamen, mit stattlichen Kleidern, und an Knöpfen, Schnallen und Ketten einen halben Zentner Silber auf dem Leib trugen, wenn sie mit ausgespreizten Beinen und vornehmen Gesichtern dem Tanze zuschauten, holländisch fluchten und wie die vornehmsten Mynheers aus ellenlangen, kölnischen Pfeifen rauchten, da stellte er sich als das vollendetste Bild eines glücklichen Menschen solch einen Flößer vor. Und wenn diese Glücklichen dann erst in die Taschen fuhren, ganze Hände voll großer Taler herauslangten und um Sechsbätzner würfelten, fünf Gulden hin, zehn her, so wollten ihm die Sinne vergehen, und er schlich trübselig nach seiner Hütte; denn an manchem Feiertagabend hatte er einen oder den andern dieser ,Holzherren' mehr verspielen sehen, als der arme Vater Munk in einem Jahr verdiente. Es waren vorzüglich drei dieser Männer, von denen er nicht wusste, welchen er am meisten bewundern solle. Der eine war ein dicker, großer Mann mit rotem Gesicht und galt für den reichsten Mann in der Runde. Man hieß ihn den dicken Ezechiel. Er reiste alle Jahre zweimal mit Bauholz nach Amsterdam und hatte das Glück, es immer um so viel teurer als andere zu verkaufen, dass er, wenn die übrigen zu Fuß heimgingen, stattlich herauf fahren konnte. Der andere war der längste und magerste Mensch im ganzen Wald, man nannte ihn den langen Schlurker, und diesen beneidete Munk wegen seiner ausnehmenden Kühnheit; er widersprach den angesehensten Leuten, brauchte, wenn man noch so gedrängt im Wirtshaus saß, mehr Platz als vier der dicksten, denn er stützte entweder beide Ellbogen auf den Tisch, oder zog eines seiner langen Beine zu sich auf die Bank, und doch wagte ihm keiner zu widersprechen, denn er hatte unmenschlich viel Geld. Der dritte aber war ein schöner, junger Mann, der am besten tanzte weit und breit, und daher den Namen Tanzbodenkönig hatte. Er war ein armer Mensch gewesen und hatte bei einem Holzherren als Knecht gedient; da wurde er auf einmal steinreich; die. einen sagten, er habe unter einer alten Tanne einen Topf voll Geld gefunden, die andern behaupteten, er habe unweit Bingen im Rhein mit der Stechstange, womit die Flößer zuweilen nach den Fischen stechen, einen Pack mit Goldstücken heraufgefischt, und der Pack gehöre zu dem großen Nibelungenhort, der dort vergraben liegt; kurz, er war auf einmal reich geworden und wurde von jung und alt angesehen wie ein Prinz.
An diese drei Männer dachte Kohlenmunkpeter oft, wenn er einsam im Tannenwald saß. Zwar hatten alle drei einen Hauptfehler, der sie bei den Leuten verhasst machte, es war dies ihr unmenschlicher Geiz, ihre Gefühllosigkeit gegen Schuldner und Arme, denn die Schwarzwälder sind ein gutmütiges Völklein; aber man weiß, wie es mit solchen Dingen geht: Waren sie auch wegen ihres Geizes verhasst, so standen sie doch wegen ihres Geldes in Ansehen; denn wer konnte Taler wegwerfen wie sie, als ob man das Geld von den Tannen schüttele?
"So geht es nicht mehr weiter", sagte Peter eines Tages schmerzlich betrübt zu sich; denn tags zuvor war Feiertag gewesen und alles Volk in der Schenke; "wenn ich nicht bald auf den grünen Zweig komme, so tu' ich mir etwas zuleid; wär' ich doch nur so angesehen und reich wie der dicke Ezechiel, oder so kühn und so gewaltig wie der lange Schlurker, oder so berühmt und könnte den Musikanten Taler statt Kreuzer zuwerfen, wie der Tanzbodenkönig! Wo nur der Bursche das Geld her hat?" Allerlei Mittel ging er durch, wie man sich Geld erwerben könne, aber keines wollte ihm gefallen: endlich fielen ihm auch die Sagen von Leuten bei, die vor alten Zeiten durch den Holländer Michel und durch das Glasmännlein reich geworden waren. Solange sein Vater noch lebte, kamen oft andere arme Leute zum Besuch, und da wurde lang und breit von reichen Menschen gesprochen, und wie sie reich geworden; da spielte nun oft das Glasmännlein eine Rolle; ja, wenn er recht nachsann, konnte er sich beinahe noch des Versleins erinnern, das man am Tannenbühl in der Mitte des Waldes sprechen musste, wenn es erscheinen sollte. Es fing an:

Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn -

Aber er mochte sein Gedächtnis anstrengen wie er wollte, weiter konnte er sich keines Verses mehr entsinnen. Er dachte oft, ob er nicht diesen oder jenen alten Mann fragen sollte, wie das Sprüchlein heiße; aber immer hielt ihn eine gewisse Scheu, seine Gedanken zu verraten, ab, auch schloss er, es müsse die Sage vom Glasmännlein nicht sehr bekannt sein, und den Spruch müssten nur wenige wissen, denn es gab nicht viel reiche Leute im Wald, und - warum hatten denn nicht sein Vater und die andern armen Leute ihr Glück versucht? Er brachte endlich einmal seine Mutter auf das Männlein zu sprechen, und diese erzählte ihm, was er schon wusste, kannte auch nur noch die erste Zeile von dem Spruch und sagte ihm endlich, nur Leuten, die an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren seien, zeige sich das Geistchen. Er selbst würde wohl dazu passen, wenn er nur das Sprüchlein wüsste, denn er sei Sonntag mittags zwölf Uhr geboren.
Als dies der Kohlenmunkpeter hörte, war er vor Freude und vor Begierde, dies Abenteuer zu unternehmen, beinahe außer sich. Es schien ihm hinlänglich, einen Teil des Sprüchleins zu wissen und am Sonntag geboren zu sein, und Glasmännlein musste sich ihm zeigen. Als er daher eines Tages seine Kohlen verkauft hatte, zündete er keinen neuen Meiler an, sondern zog seines Vaters Staatswams und neue rote Strümpfe an, setzte den Sonntagshut auf, fasste seinen fünf Fuß hohen Schwarzdornstock in die Hand und nahm von der Mutter Abschied: "Ich muss
aufs Amt in die Stadt; denn wir werden bald spielen müssen, wer Soldat wird, und da will ich dem Amtmann nur noch einmal einschärfen, dass Ihr Witwe seid, und ich Euer einziger Sohn." Die Mutter lobte seinen Entschluss, er aber machte sich auf nach dem Tannenbühl. Der Tannenbühl liegt auf der höchsten Höhe des Schwarzwaldes, und auf zwei Stunden im Umkreis stand damals kein Dorf, ja nicht einmal eine Hütte, denn die abergläubischen Leute meinten, es sei dort unsicher. Man schlug auch, so hoch und prachtvoll dort die Tannen standen, ungern Holz in jenem Revier, denn oft waren den Holzhauern, wenn sie dort arbeiteten, die Äxte vom Stiel gesprungen und in den Fuß gefahren, oder die Bäume waren schnell umgestürzt und hatten die Männer mit umgerissen und verletzt oder gar getötet; auch hätte man die schönsten Bäume von dorther nur zu Brennholz brauchen können, denn die Floßherren nahmen nie einen Stamm aus dem Tannenbühl unter ein Floß auf, weil die Sage ging, dass Mann und Holz verunglücke, wenn ein Tannenbühler mit im Wasser sei. Daher kam es, dass im Tannenbühl die Bäume so dicht und so hoch standen, dass es am hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter Munk wurde es ganz schaurig dort zumute; denn er hörte keine Stimme, keinen Tritt als den seinigen, keine Axt; selbst die Vögel schienen diese dichte Tannennacht zu meiden.
Kohlenmunkpeter hatte jetzt den höchsten Punkt des Tannenbühls erreicht und stand vor einer Tanne von ungeheurem Umfang, um die ein holländischer Schiffsherr an Ort und Stelle viele hundert Gulden gegeben hätte. "Hier", dachte er, "wird wohl der Schatzhauser wohnen", zog seinen großen Sonntagshut, machte vor dem Baume eine tiefe Verbeugung, räusperte sich und sprach mit zitternder Stimme: "Wünsche glückseligen Abend, Herr Glasmann." Aber es erfolgte keine Antwort, und alles umher war still wie zuvor. "Vielleicht muss ich doch das Verslein sprechen", dachte er weiter und murmelte:

"Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn -"

Indem er diese Worte sprach, sah er zu seinem großen Schrecken eine ganz kleine, sonderbare Gestalt hinter der dicken Tanne hervorschauen; es war ihm, als habe er das Glasmännlein gesehen, wie man es beschrieben, das schwarze Wämschen, die roten Strümpfchen, das Hütchen, alles war so, selbst das blasse, aber feine und kluge Gesichtchen, wovon man erzählte, glaubte er gesehen zu haben. Aber ach, so schnell es hervorgeschaut hatte, das Glasmännlein, so schnell war es auch wieder verschwunden! "Herr Glasmann", rief nach einigem Zögern Peter Munk, "seid so gütig und haltet mich nicht für'n Narren. - Herr Glasmann, wenn Ihr meint, ich habe Euch nicht gesehen, so täuscht Ihr Euch sehr, ich sah Euch wohl hinter dem Baum hervorgucken." - Immer keine Antwort, nur zuweilen glaubte er ein leises, heiseres Kichern hinter dem Baum zu vernehmen. Endlich überwand seine Ungeduld die Furcht, die ihn bis jetzt noch abgehalten hatte. "Warte, du kleiner Bursche", rief er, "dich will ich bald haben", sprang mit einem Satz hinter die Tanne, aber da war kein Schatzhauser im grünen Tannenwald, und nur ein kleines, zierliches Eichhörnchen jagte an dem Baum hinauf.
Peter Munk schüttelte den Kopf; er sah ein, dass er die Beschwörung bis auf einen gewissen Grad gebracht habe, und dass ihm vielleicht nur noch ein Reim zu dem Sprüchlein fehle, so könne er das Glasmännlein hervorlocken; aber er sann hin, er sann her und fand nichts. Das Eichhörnchen zeigte sich an den untersten Ästen der Tanne und schien ihn aufzumuntern oder zu verspotten. Es putzte sich, es rollte den schönen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an, aber endlich fürchtete er sich doch beinahe, mit diesem Tier allein zu sein; denn bald schien das Eichhörnchen einen Menschenkopf zu haben und einen dreispitzigen Hut zu tragen, bald war es ganz wie ein anderes Eichhörnchen und hatte nur an den Hinterfüßen rote Strümpfe und schwarze Schuhe. Kurz, es war ein lustiges Tier, aber dennoch graute Kohlenpeter, denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen zu.
Mit schnelleren Schritten, als er gekommen war, zog Peter wieder ab.
Das Dunkel des Tannenwaldes schien immer schwärzer zu werden, die Bäume standen immer dichter, und ihm fing an so zu grauen, dass er im Trab davonjagte, und erst, als er in der ferne Hunde bellen hörte und bald darauf zwischen den Bäumen den Rauch einer Hütte erblickte, wurde er wieder ruhiger. Aber als er näher kam und die Tracht der Leute in der Hütte erblickte, fand er, dass er aus Angst gerade die entgegen gesetzte Richtung genommen und statt zu den Glasleuten zu den Flößern gekommen sei. Die Leute, die in der Hütte wohnten, waren Holzfäller; ein alter Mann, sein Sohn der Hauswirt und einige erwachsene Enkel. Sie nahmen Kohlenmunkpeter, der um ein Nachtlager bat, .gut auf, ohne nach seinem Namen und Wohnort zu fragen; gaben ihm Apfelwein zu trinken, und abends wurde ein großer Auerhahn, die beste 'Schwarzwaldspeise, aufgesetzt.
Nach dem Nachtessen setzten sich die Hausfrau und ihre Töchter mit ihren Kunkeln um den großen Lichtspan, den die Jungen mit dem feinsten Tannenharz unterhielten, der Großvater, der Gast und der Hauswirt rauchten und schauten den Weibern zu, die Burschen aber waren .beschäftigt, Löffel und Gabeln aus Holz zu schnitzeln. Draußen im Wald heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hörte da und dort -sehr heftige Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgeknickt würden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten hinaus
in den Wald laufen, und dieses furchtbar schöne Schauspiel mit ansehen, ihr Großvater aber hielt sie mit strengem Wort und Blick zurück. "Ich will keinem raten, dass er jetzt von der Tür geht", rief er ihnen zu, "bei Gott, der kommt nimmermehr wieder; denn der Holländer Michel haut sich heute Nacht ein neues G'stair (Floßgelenk) im Wald."
Die Kleinen staunten ihn an; sie mochten von dem Holländer Michel 'schon gehört haben, aber sie baten jetzt den Ähni, einmal recht schön von ihm zu erzählen. Auch Peter Munk, der vom Holländer Michel auf der andern Seite des Waldes nur undeutlich hatte sprechen gehört, stimmte mit ein und fragte den Alten, wer und wo er sei. "Er ist der Herr dieses Waldes, und nach dem zu schließen, dass Ihr in Eurem Alter dies noch nicht erfahren, müsst Ihr drüben über dem Tannenbühl oder wohl gar noch weiter zu Hause sein. Vom Holländer Michel will ich Euch aber erzählen, was ich weiß, und wie die Sage von ihm geht.
Vor etwa hundert Jahren, so erzählte es wenigstens mein Ähni, war weit und breit kein ehrlicheres Volk auf Erden als die Schwarzwälder. Jetzt, seit soviel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. Die jungen Burschen tanzen und johlen am Sonntag und fluchen, dass es ein Schrecken ist; damals war es aber anders, und wenn er jetzt zum Fenster dort hereinschaute, so sag' ich's, und hab' es oft gesagt, der Holländer Michel ist schuld an all dieser Verderbnis. Es lebte also vor hundert Jahren und darüber ein reicher Holzherr, der viel Gesinde hatte; er handelte bis weit in den Rhein hinab, und sein Geschäft war gesegnet, denn er war ein frommer Mann. Kommt eines Abends ein Mann an seine Türe, desgleichen er noch nie gesehen. Seine Kleidung war wie die der Schwarzwälder Burschen, aber er war einen guten Kopf höher als alle, und man hatte noch nie geglaubt, dass es einen solchen Riesen geben könne. Dieser bittet um Arbeit bei dem Holzherrn, der ihm ansah, dass er stark und zu großen Lasten tüchtig sei, rechnet mit ihm seinen Lohn, und sie schlagen ein. Der Michel war ein Arbeiter, wie selbiger Holzherr noch keinen gehabt. Beim Baumschlagen galt er für drei, und wenn sechs am einen Ende schleppten, trug er allein das andere. Als er aber ein halb Jahr Holz geschlagen, trat er eines Tages vor seinen Herrn und begehrte von ihm: "Hab' jetzt lange genug hier Holz gehackt, und so möcht' ich auch sehen, wohin meine Stämme kommen, und wie wär' es, wenn Ihr mich auch einmal auf den Floß ließet?"
Der Holzherr antwortete: "Ich will dir nicht im Weg sein, Michel, wenn du ein wenig hinaus willst in die Welt; zwar beim Holzfällen brauche ich starke Leute, wie du bist, auf dem Floß aber kommt es auf Geschicklichkeit an, doch es sei für diesmal."
Und so war es; der Floß, mit dem er abgehen sollte, hatte acht Glaich (Glieder), und waren im letzten von den größten Zimmerbalken. Aber was geschah? Am Abend zuvor bringt der lange Michel noch acht Balken ans Wasser, so dick und lang, als man keinen je sah, und jeden trug er so leicht auf der Schulter wie eine Flößerstange, so dass sich alles entsetzte. Wo er sie gehauen, weiß bis heute noch niemand. Dem Holzherrn lachte das Herz, als er dies sah, denn er berechnete was, diese Balken kosten könnten. Michel aber sagte: "So, die sind für mich zum Fahren, auf den kleinen Spänen dort kann ich nicht fortkommen." Sein Herr wollte ihm zum Dank ein Paar Flößerstiefel schenken, aber er warf sie auf die Seite und brachte ein Paar hervor, wie es sonst noch keine gab; mein Großvater hat versichert, sie hätten hundert Pfund gewogen und seien fünf Fuß lang gewesen.
Das Floß fuhr ab, und hatte der Michel früher die Holzhauer in Verwunderung gesetzt, so staunten jetzt die Flößer; denn statt dass das Floß, wie man wegen der ungeheuren Balken geglaubt hatte, langsamer auf dem Fluss ginge, flog es, sobald sie in den Neckar kamen, wie ein Pfeil; machte der Neckar eine Wendung, und hatten sonst die Flößer Mühe gehabt, das Floß in der Mitte zu halten und nicht auf Kies oder Sand zu stoßen, so sprang jetzt Michel allemal ins Wasser, rückte mit einem Zug das Floß links oder rechts, so dass es ohne Gefahr vorüber glitt, und kam dann eine gerade Stelle, so lief er aufs erste G'stair vor, ließ alle ihre Stangen beisetzen, steckte seinen ungeheuren Weberbaum in den Kies, und mit einem Druck flog das Floß dahin, dass Land und Bäume und Dörfer vorbeizujagen schienen. So waren sie in der Hälfte der Zeit, die man sonst brauchte, nach Köln am Rhein gekommen, wo sie sonst ihre Ladung verkauft hatten; aber hier sprach Michel: "Ihr seid mir rechte Kaufleute und versteht euren Nutzen! Meint ihr denn, die Kölner brauchen all dies Holz, das aus dem Schwarzwald kommt, für sich? Nein, um den halben Wert kaufen sie es euch ab und verhandeln es teuer nach Holland. Lasst uns die kleinen Balken hier verkaufen und mit den großen nach Holland gehen; was wir über den gewöhnlichen Preis lösen, ist unser eigener Gewinn."
So sprach der arglistige Michel, und die andern waren es zufrieden; die einen, weil sie gern nach Holland gezogen wären, es zu sehen, die andern des Geldes wegen. Nur ein einziger war redlich und mahnte sie ab, das Gut ihres Herrn der Gefahr auszusetzen, oder ihn um den höheren Preis zu betrügen, aber sie hörten nicht auf ihn und vergaßen seine Worte, aber der Holländer Michel vergaß sie nicht. Sie fuhren auch mit dem Holz den Rhein hinab, Michel leitete das Floß und brachte sie schnell bis nach Rotterdam. Dort bot man ihnen das Vierfache von dem früheren Preis, und besonders die ungeheuren Balken des Michel wurden mit schwerem Geld bezahlt. Als die Schwarzwälder soviel Geld sahen, wussten sie sich vor Freude nicht zu fassen. Michel teilte ab, einen Teil dem Holzherrn, die drei andern unter die Männer. Und nun setzten sie sich mit Matrosen und anderem schlechten Gesindel in die Wirtshäuser, verschlemmten und verspielten ihr Geld, den braven Mann aber, der ihnen abgeraten, verkaufte der Holländer Michel an einen Seelenverkäufer, und man hat nichts mehr von ihm gehört. Von da an war den Burschen im Schwarzwald Holland das Paradies und Holländer Michel ihr König; die Holzherren erfuhren lange nichts von dem Handel, und unvermerkt kamen Geld, Flüche, schlechte Sitten, Trunk und Spiel aus Holland herauf.
Der Holländer Michel war, als die Geschichte herauskam, nirgends zu finden, aber tot ist er auch nicht; seit hundert Jahren treibt er seinen Spuk im Wald, und man sagt, dass er schon vielen behilflich gewesen sei, reich zu werden, aber - auf Kosten ihrer armen Seele, und mehr will ich nicht sagen. Aber so viel ist gewiss, dass er noch jetzt in solchen Sturmnächten im Tannenbühl, wo man nicht hauen soll, überall die schönsten Tannen aussucht, und mein Vater hat ihn eine vier Schuh dicke umbrechen sehen wie ein Rohr. Mit diesen beschenkt er die, welche sich vom Rechten abwenden und zu ihm gehen; um Mitternacht bringen sie dann die G'stair ins Wasser, und er rudert mit ihnen nach Holland. Aber wäre ich Herr und König in Holland, ich ließe ihn mit Kartätschen in den Boden schmettern, denn alle Schiffe, die von dem Holländer Michel auch nur einen Balken haben, müssen untergehen. Daher kommt es, dass man von soviel Schiffbrüchen hört; wie könnte denn sonst ein schönes, starkes Schiff, so groß als eine Kirche, zugrunde gehen auf dem Wasser? Aber so oft Holländer Michel in einer Sturmnacht im Schwarzwald eine Tanne fällt, springt eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes; das Wasser dringt ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren. Das ist die Sage vom Holländer Michel, und wahr ist es, alles Böse im Schwarzwald schreibt sich von ihm her; oh! er kann einen reich machen!" setzte der Greis geheimnisvoll hinzu, "aber ich möchte nichts von ihm haben; ich möchte um keinen Preis in der Haut des dicken Ezechiel und des langen Schlurkers stecken; auch der Tanzbodenkönig soll sich ihm ergeben haben!"
Der Sturm hatte sich während der Erzählung des Alten gelegt; die Mädchen zündeten schüchtern die Lampen an und gingen weg; die Männer aber legten Peter Munk einen Sack voll Laub als Kopfkissen auf die Ofenbank und wünschten ihm gute Nacht.
Kohlenmunkpeter hatte noch nie so schwere Träume gehabt, wie in dieser Nacht; bald glaubte er, der finstere, riesige Holländer Michel reiße die Stubenfenster auf und reiche mit seinem ungeheuer langen Arm einen Beutel voll Goldstücke herein, die er untereinander schüttelte, dass es hell und lieblich klang; bald sah er wieder das kleine, freundliche Glasmännlein auf einer ungeheuren grünen Flasche im Zimmer umher reiten, und er meinte das heisere Lachen wieder zu hören wie im Tannenbühl; dann brummte es ihm wieder ins linke Ohr:

"In Holland gibt's Gold,
könnt's haben, wenn Ihr wollt,
um geringen Sold, Gold, Gold!"

Dann hörte er wieder in sein rechtes Ohr das Liedchen vom Schatzhauser im grünen Tannenwald klingen, und eine zarte Stimme flüsterte:
"Dummer Kohlenpeter, dummer Peter Munk, kannst kein Sprüchlein reimen auf stehen, und bist doch am Sonntag geboren Schlag zwölf Uhr. Reime, dummer Peter, reime!"
Er ächzte, er stöhnte im Schlaf, er mühte sich ab, einen Reim zu finden, aber da er in seinem Leben noch keinen gemacht hatte, war seine Mühe im Traume vergebens. Als er aber mit dem ersten Frührot erwachte, kam ihm doch sein Traum sonderbar vor; er setzte sich mit verschränkten Armen hinter den Tisch und dachte über die Einflüsterungen nach, die ihm noch immer im Ohr lagen. "Reime, dummer Kohlenmunkpeter, reime", sprach er zu sich und pochte mit dem Finger an seine Stirne, aber es wollte kein Reim hervorkommen. Als er noch so dasaß, trübe vor sich hinschaute und an den Reim auf stehen dachte, da zogen drei Burschen vor dem Haus vorbei in den Wald, und einer sang im Vorbeigehen:
"Am Berge tat ich stehen Und schaute in das Tal, Da hab' ich sie gesehen Zum allerletzten Mal."
Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr und hastig raffte er sich auf, stürzte aus dem Haus, weil er meinte, nicht recht gehört zu haben, sprang den drei Burschen nach und packte den Sänger hastig und unsanft am Arm. "Halt, Freund", rief er, "was habt Ihr da auf stehen gereimt? Tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen."
„Was ficht's dich an, Bursche?" entgegnete der Schwarzwälder. "Ich kann singen, was ich will, und lass gleich meinen Arm los, oder -"
„Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!", schrie Peter beinahe außer sich und packte ihn noch fester an, die zwei andern aber, als sie dies sahen, zögerten nicht lange, sondern fielen mit derben Fäusten über den armen Peter her und walkten ihn derb, bis er vor Schmerzen das Gewand des dritten ließ und erschöpft in die Knie sank. "Jetzt hast du dein Teil", sprachen sie lachend, "und merk' dir, toller Bursche, dass du Leute, wie wir sind, nimmer anfällst auf offenem Wege."
"Ach, ich will mir es gewisslich merken!", erwiderte Kohlenpeter seufzend. "Aber, so ich die Schläge habe, seid so gut und sagt deutlich, was jener gesungen."
Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus; aber der das Lied gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen sie weiter.
"Also sehen", sprach der arme Geschlagene, indem er sich mühsam aufrichtete; "sehen auf stehen, jetzt, Glasmännlein, wollen wir wieder ein Wort zusammen sprechen." Er ging in die Hütte, holte seinen Hut und den langen Stock, nahm Abschied von den Bewohnern der Hütte und trat seinen Rückweg nach dem Tannenbühl an. Er ging langsam und sinnend seine Straße, denn er musste ja einen Vers ersinnen; endlich, als er schon in dem Bereich des Tannenbühls ging, und die Tannen höher und dichter wurden, hatte er auch seinen Vers gefunden und machte vor Freuden einen Sprung in die Höhe. Da trat ein riesengroßer Mann in Flößerkleidung, und eine Stange so lang wie ein Mastbaum in der Hand, hinter den Tannen hervor. Peter Munk sank beinahe in die Knie, als er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er dachte, das ist der Holländer Michel und kein anderer. Noch immer schwieg die furchtbare Gestalt, und Peter schielte zuweilen furchtsam nach ihm hin. Er war wohl einen Kopf größer als der längste Mann, den Peter je gesehen, sein Gesicht war nicht mehr jung, doch auch nicht alt, aber voll Furchen und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die ungeheuren Stiefel, über die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren Peter aus der Sage wohl bekannt.
"Peter Munk, was tust du im Tannenbühl?", fragte der Waldkönig endlich mit tiefer, dröhnender Stimme.
"Guten Morgen, Landsmann", antwortete Peter, indem er sich unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte, "ich will durch den Tannenbühl nach Haus zurück."
"Peter Munk", erwiderte jener und warf einen furchtbaren Blick nach ihm herüber, "dein Weg geht nicht durch diesen Hain."
"Nun, so gerade just nicht", sagte jener, "aber es macht heute warm, da dachte ich, es wird hier kühler sein."
"Lüge nicht, du Kohlenpeter!", rief Holländer Michel mit donnernder Stimme, "oder ich schlag' dich mit der Stange zu Boden; meinst, ich hab' dich nicht betteln sehen bei dem Kleinen?", setzte er sanft hinzu. "Geh, geh, das war ein dummer Streich, und gut ist es, dass du das Sprüchlein nicht wusstest; er ist ein Knauser, der kleine Kerl, und gibt nicht viel, und wem er gibt, der wird seines Lebens nicht froh. - Peter, du bist ein armer Tropf und dauerst mich in der Seele; so ein munterer, schöner Bursche, der in der Welt was anfangen könnte, und sollst Kohlen brennen! Wenn andere große Taler oder Dukaten aus dem Ärmel schütteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden; 's ist ein ärmlich Leben."
"Wahr ist's und recht habt Ihr, ein elendes Leben."
"Na, mir soll's nicht darauf ankommen", fuhr der schreckliche Michel fort, "hab' schon manchem braven Kerl aus der Not geholfen, und du wärest nicht der erste. Sag' einmal, wie viel hundert Taler brauchst du fürs erste?"
Bei diesen Worten schüttelte er das Geld in seiner ungeheuren Tasche untereinander, und es klang wieder wie diese Nacht im Traum. Aber Peters Herz zuckte ängstlich und schmerzhaft bei diesen Worten, es wurde ihm kalt und warm, und der Holländer Michel sah nicht aus, wie wenn er ans Mitleid Geld wegschenkte, ohne etwas dafür zu verlangen. Es fielen ihm die geheimnisvollen Worte des alten Mannes über die reichen Menschen ein, und von unerklärlicher Angst und Bangigkeit gejagt, rief er: "Schön' Dank, Herr! Aber mit Euch will ich nichts zu schaffen haben, und ich kenn' Euch schon", und lief, was er laufen konnte. - Aber der Waldgeist schritt mit ungeheuren Schritten neben ihm her und murmelte dumpf und drohend: "Wirst's noch bereuen, Peter, auf deiner Stirne steht's geschrieben, in deinem Auge ist's zu lesen; du entgehst mir nicht. - Lauf nicht so schnell, höre nur noch ein vernünftig Wort, dort ist schon meine Grenze." Aber als Peter dies hörte, und unweit vor sich einen kleinen Graben sah, beeilte er sich nur noch mehr, über die Grenze zu kommen, so dass Michel am Ende schneller laufen musste und unter Flüchen und Drohungen ihn verfolgte. Der junge Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung über den Graben, denn er sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte und sie auf ihn niederschmettern lassen wollte; er kam glücklich jenseits an, und die Stange zersplitterte in der Luft wie an einer unsichtbaren Mauer, und ein langes Stück fiel zu Peter herüber.
Triumphierend hob er es auf, um es dem groben Holländer Michel zuzuwerfen; aber in diesem Augenblick fühlte er das Stück Holz in seiner Hand sich bewegen, und zu seinem Entsetzen sah er, dass es eine ungeheure Schlange sei, was er in der Hand hielt, die sich schon mit geifernder Zunge und mit blitzenden Augen an ihm hinaufbäumte. Er ließ sie los, aber sie hatte sich schon fest um seinen Arm gewickelt und kam mit schwankendem Kopfe seinem Gesicht immer näher; da rauschte auf einmal ein ungeheurer Auerhahn nieder, packte den Kopf der Schlange mit dem Schnabel, erhob sich mit ihr in die Lüfte, und Holländer Michel, der dies alles von dem Graben aus gesehen hatte, heulte und schrie und raste, als die Schlange von einem Gewaltigeren entführt ward.
Erschöpft und zitternd setzte Peter seinen Weg fort; der Pfad wurde steiler, die Gegend wilder, und bald fand er sich an der ungeheuren Tanne. Er machte wieder wie gestern seine Verbeugung gegen das unsichtbare Glasmännlein und hub dann an:

"Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt.
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Lässt dich nur Sonntagskindern sehn."


"Hast's zwar nicht ganz getroffen, aber weil du es bist, Kohlenmunkpeter, so soll es so hingehen", sprach eine zarte Stimme neben ihm. Erstaunt sah er sich um, und unter jener Tanne saß ein kleines, altes Männlein, in schwarzem Wams und roten Strümpfen, und den großen Hut auf dem Kopfe. Er hatte ein feines, freundliches Gesichtchen und ein Bärtchen, so zart wie aus Spinnweben; er rauchte, was sonderbar anzusehen war, aus einer Pfeife von blauem Glas, und als Peter näher trat, sah er zu seinem Erstaunen, dass auch Kleider, Schuhe und Hut des Kleinen aus gefärbtem Glas bestanden; aber es war geschmeidig, als ob es noch heiß wäre, denn es schmiegte sich wie ein Tuch nach jeder Bewegung des Männleins.
"Du bist dem Flegel begegnet, dem Holländer Michel?", sagte der Kleine, indem er zwischen jedem Worte sonderbar hüstelte. "Er hat dich recht ängstigen wollen, aber seinen Kunstprügel habe ich ihm abgejagt, den soll er nimmer wiederkriegen."

"Ja, Herr Schatzhauser", erwiderte Peter mit einer tiefen Verbeugung, "es war mir recht bange. Aber Ihr seid wohl der Herr Auerhahn gewesen, der die Schlange tot gebissen; da bedanke ich mich schönstens. - Ich komme aber, um mir Rat zu holen bei Euch; es geht mir gar schlecht und hinderlich; ein Kohlenbrenner bringt es nicht weit, und da ich noch jung bin, dächte ich doch, es könnte noch was Besseres aus mir werden; und wenn ich oft andere sehe, wie weit die es in kurzer Zeit gebracht haben: wenn ich nur den Ezechiel nehme und den Tanzbodenkönig; die haben Geld wie Heu."
"Peter", sagte der Kleine sehr ernst und blies den Rauch aus seiner Pfeife weit hinweg, "Peter, sag' mir nichts von diesen. Was haben sie davon, wenn sie hier ein paar Jahre dem Schein nach glücklich und dann nachher desto unglücklicher sind? Du musst dein Handwerk nicht verachten; dein Vater und Großvater waren Ehrenleute und haben es auch getrieben, Peter Munk! Ich will nicht hoffen, dass es Liebe zum Müßiggang ist, was dich zu mir führt."
Peter erschrak vor dem Ernst des Männleins und errötete. "Nein", sagte er, "Müßiggang, weiß ich wohl, Herr Schatzhauser im Tannenwald, Müßiggang ist aller Laster Anfang, aber das könnt Ihr mir nicht übelnehmen, wenn mir ein anderer Stand besser gefällt als der meinige. Ein Kohlenbrenner ist halt so gar etwas Geringes auf der Welt, und die Glasleute und Flößer und Uhrmacher und alle sind angesehener."
"Hochmut kommt oft vor dem Fall", erwiderte der kleine Herr vom Tannenwald etwas freundlicher, "ihr seid ein sonderbar Geschlecht, ihr Menschen! Selten ist einer mit dem Stand ganz zufrieden, in dem er geboren und erzogen ist; und was gilt's, wenn du ein Glasmann wärest, möchtest du gern ein Holzherr sein, und wärest du Holzherr, so stünde dir des Försters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an? Aber es sei; wenn du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir zu etwas Besserem verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind, das sich zu mir zu finden weiß, drei Wünsche zu gewähren. Die ersten zwei sind frei. Den dritten kann ich verweigern, wenn er töricht ist. So wünsche dir also jetzt etwas. Aber - Peter, etwas Gutes und Nützliches."
"Heisa! Ihr seid ein treffliches Glasmännlein, und mit Recht nennt man Euch Schatzhauser, denn bei Euch sind die Schätze zu Hause. Nu - und also darf ich wünschen, dass ich noch besser tanzen könne als der Tanzbodenkönig, und immer soviel Geld in der Tasche habe als der dicke" Ezechiel."
"Du Tor!", erwiderte der Kleine zürnend. "Welch ein erbärmlicher Wunsch ist dies, gut tanzen zu können und Geld zum Spiel zu haben! Schämst du dich nicht, dummer Peter, dich selbst so um dein Glück zu betrügen? Was nützt es dir und deiner armen Mutter, wenn du tanzen kannst? Was nützt dir dein Geld, das nach deinem Wunsch nur für das Wirtshaus ist und wie das des elenden Tanzbodenkönigs dort bleibt? Dann hast du wieder die ganze Woche nichts und darbst wie zuvor. Noch einen Wunsch gebe ich dir frei, aber sieh dich vor, dass du vernünftiger wünschest."
Peter kratzte sich hinter den Ohren und sprach nach einigem Zögern:
"Nun, so wünsche ich mir die schönste und reichste Glashütte im ganzen Schwarzwald mit allem Zubehör und Geld, sie zu leiten."
"Sonst nichts?", fragte der Kleine mit besorglicher Miene. "Peter, sonst nichts?"
"Nun - Ihr könntet noch ein Pferd dazutun und ein Wägelchen."
"Oh, du dummer Kohlenmunkpeter!", rief der Kleine und warf seine gläserne Pfeife mit Unmut an die dicke Tanne, dass sie in hundert Stücke sprang. "Pferde? Wägelchen? Verstand, sag' ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand und Einsicht hättest du dir wünschen sollen, aber nicht Pferdchen und Wägelchen. Nun, werde nur nicht so traurig, wir wollen sehen, dass es auch so nicht zu deinem Schaden ist; denn der zweite Wunsch war im ganzen nicht töricht. Eine gute Glashütte nährt auch ihren Mann und Meister, nur hättest du Einsicht und Verstand dazu mitnehmen können, Wagen und Pferde wären dann wohl von selbst gekommen."
"Aber, Herr Schatzhauser", erwiderte Peter. "Ich habe ja noch einen Wunsch übrig. Da könnte ich ja Verstand wünschen, wenn er mir so überaus nötig ist, wie Ihr meint."
"Nichts da. Du wirst noch in manche Verlegenheit kommen, wo du froh sein wirst, wenn du noch einen Wunsch frei hast. Und nun mache dich auf den Weg nach Hause. Hier sind", sprach der kleine Tannengeist, indem er ein kleines Beutelein aus der Tasche zog, "hier sind zweitausend Gulden, und damit genug, und komm mir nicht wieder, um Geld zu fordern, denn dann müsste ich dich an die höchste Tanne aufhängen. So hab' ich's gehalten, seit ich in dem Wald wohne. Vor drei Tagen aber ist der alte Winkfritz gestorben, der die große Glashütte gehabt hat im Unterwald. Dorthin gehe morgen früh und mach' ein Bot auf das Gewerbe, wie es recht ist. Halt' dich wohl, sei fleißig, und ich will dich zuweilen besuchen und dir mit Rat und Tat an die Hand gehen, weil du dir doch keinen Verstand erbeten. Aber, und das sag' ich dir ernstlich, dein erster Wunsch war böse. Nimm dich in acht vor dem Wirtshauslaufen, Peter! 's hat noch bei keinem lange gut getan." Das Männlein hatte, während es dies sprach, eine neue Pfeife vom schönsten Beinglas hervorgezogen, sie mit gedörrten Tannenzapfen gestopft und in den kleinen, zahnlosen Mund gesteckt. Dann zog er ein ungeheures Brennglas hervor, trat in die Sonne und zündete seine Pfeife an. Als er damit fertig war, bot er dem Peter freundlich die Hand, gab ihm noch ein paar gute Lehren auf den Weg, rauchte und blies immer schneller und verschwand endlich in einer Rauchwolke, die nach echtem holländischem Tabak roch und langsam sich kräuselnd in den Tannenwipfeln verschwebte.
Als Peter nach Haus kam, fand er seine Mutter sehr in Sorgen um ihn, denn die gute Frau glaubte nicht anders, als ihr Sohn sei zum Soldaten ausgehoben worden. Er aber war fröhlich und guter Dinge und erzählte ihr, wie er im Wald einen guten Freund getroffen, der ihm Geld vorgeschossen habe, um ein anderes Geschäft als Kohlenbrennen anzufangen. Obgleich seine Mutter schon seit dreißig Jahren in der Köhlerhütte wohnte und an den Anblick berußter Leute so gewöhnt war, wie jede Müllerin an das Mehlgesicht ihres Mannes, so war sie doch eitel genug, sobald ihr Peter ein glänzenderes Los zeigte, ihren früheren Stand zu verachten und sprach: "Ja, als Mutter eines Mannes, der eine Glashütte besitzt, bin ich doch was andres als Nachbarin Grete und Bete, und setze mich in Zukunft vorne hin in der Kirche, wo rechte Leute sitzen." Ihr Sohn aber wurde mit den Erben der Glashütte bald handelseinig. Er behielt die Arbeiter, die er vorfand, bei sich und ließ nun Tag und Nacht Glas machen. Anfangs gefiel ihm das Handwerk wohl. Er pflegte gemächlich in die Glashütte hinabzusteigen, ging dort. mit vornehmen Schritten, die Hände in die Taschen gesteckt, hin und her, guckte dahin, guckte dorthin, sprach dies und jenes, worüber seine Arbeiter oft nicht wenig lachten, und seine größte Freude war, das Glas blasen zu sehen, und oft machte er sich an die Arbeit und formte aus der noch weichen Masse die sonderbarsten Figuren. Bald aber war ihm die Arbeit entleidet, und er kam zuerst nur noch eine Stunde des Tages in die Hütte, dann nur alle zwei Tage, endlich die Woche nur einmal, und seine Gesellen machten, was sie wollten. Das alles kam aber nur vom Wirtshauslaufen. Den Sonntag, nachdem er vom Tannenbühl zurückgekommen war, ging er ins Wirtshaus, und wer schon auf dem Tanzboden sprang, war der Tanzbodenkönig, und der dicke Ezechiel saß auch schon hinter der Maßkanne und knöchelte um Kronentaler. Da fuhr Peter schnell in die Tasche, zu sehen, ob ihm das Glasmännlein Wort gehalten, und siehe, seine Tasche strotzte von Silber und Gold. Auch in seinen Beinen zuckte und drückte es, wie wenn sie tanzen und springen wollten, und als der erste Tanz zu Ende war, stellte er sich mit seiner Tänzerin obenan neben den Tanzbodenkönig, und sprang dieser drei Schuh hoch, so flog Peter vier, und machte dieser wunderliche und zierliche Schritte, so verschlang und drehte Peter seine Füße, dass alle Zuschauer vor Lust und Verwunderung beinahe außer sich kamen. Als man aber auf dem Tanzboden vernahm, dass Peter eine Glashütte gekauft habe, als man sah, dass er, so oft er an den Musikanten vorbeitanzte, ihnen einen Sechsbätzner zuwarf, da war des Staunens kein Ende. Die einen glaubten, er habe einen Schatz im Wald gefunden, die andern meinten, er habe eine Erbschaft getan, aber alle verehrten ihn jetzt und hielten ihn für einen gemachten Mann, nur weil er Geld hatte. Verspielte er doch noch an demselben Abend zwanzig Gulden, und nichts desto minder rasselte und klang es in seiner Tasche, wie wenn noch hundert Taler darin wären.
Als Peter sah, wie angesehen er war, wusste er sich vor Freude und Stolz nicht zu fassen. Er warf das Geld mit vollen Händen weg und teilte es den Armen reichlich mit, wusste er doch, wie ihn selbst einst die Armut gedrückt hatte. Des Tanzbodenkönigs Künste wurden vor den übernatürlichen Künsten des neuen Tänzers zuschanden, und Peter führte jetzt den Namen Tanzkaiser. Die unternehmendsten Spieler am Sonntag wagten nicht soviel wie er, aber sie verloren auch nicht soviel. Und je mehr er verlor, desto mehr gewann er. Das verhielt sich aber ganz so, wie er es vom kleinen Glasmännlein verlangt hatte. Er hatte sich gewünscht, immer soviel Geld in der Tasche zu haben wie der dicke Ezechiel, und gerade dieser war es, an welchen er sein Geld verspielte. Und wenn er zwanzig, dreißig Gulden auf einmal verlor, so hatte er sie alsobald wieder in der Tasche, wenn sie Ezechiel einstrich. Nach und nach brachte er es aber im Schlemmen und Spielen weiter als die schlechtesten Gesellen im Schwarzwald, und man nannte ihn öfter Spielpeter als Tanzkaiser, denn er spielte jetzt auch beinahe an allen Werktagen. Darüber kam aber seine Glashütte nach und nach in Verfall, und daran war Peters Unverstand schuld. Glas ließ er machen, soviel man
immer machen konnte, aber er hatte mit der Hütte nicht zugleich das Geheimnis gekauft, wohin man es am besten verschleißen könne. Er wusste am Ende mit der Menge Glas nichts anzufangen und verkaufte es um den halben Preis an herumziehende Händler, nur um seine Arbeiter bezahlen zu können.
Eines Abends ging er auch wieder vom Wirtshaus heim und dachte trotz des vielen Weines, den er getrunken, um sich fröhlich zu machen, mit Schrecken und Gram an den Verfall seines Vermögens. Da bemerkte er auf einmal, dass jemand neben ihm gehe, er sah sich um, und siehe da - es war das Glasmännlein. Da geriet er in Zorn und Eifer, vermaß sich hoch und teuer und schwur, der Kleine sei an all seinem Unglück schuld. "Was tu' ich nun mit Pferd und Wägelchen?" rief er. "Was nutzt mich die Hütte und all mein Glas? Selbst als ich noch ein elender Köhlersbursch war, lebte ich froher und "hatte keine Sorgen. Jetzt weiß ich nicht, wann der Amtmann kommt und meine Habe schätzt und mich pfändet der Schulden wegen!"
"So?", entgegnete das Glasmännlein. "So? Ich also soll schuld daran sein, wenn du unglücklich bist? Ist dies der Dank für meine Wohltaten? Wer hieß dich auch so töricht wünschen? Ein Glasmann wolltest du sein und wusstest nicht, wohin dein Glas verkaufen? Sagte ich dir nicht, du solltest behutsam wünschen? Verstand, Peter, Klugheit hat dir gefehlt."
"Was, Verstand und Klugheit!", rief jener, "ich bin ein so kluger Bursche als irgend einer und will es dir zeigen, Glasmännlein", und bei diesen Worten fasste er das Männlein unsanft am Kragen und schrie:
"Hab' ich dich jetzt, Schatzhauser im grünen Tannenwald? Und den dritten Wunsch will ich jetzt tun, den sollst du mir gewähren. Und so will ich hier auf der Stelle zweimalhunderttausend harte Taler und ein Haus und - o weh?" schrie er und schüttelte die Hand, denn das Waldmännlein hatte sich in glühendes Glas verwandelt und brannte in seiner Hand wie sprühendes Feuer. Aber von dem Glasmännlein war nichts mehr zu sehen. Mehrere Tage lang erinnerte ihn seine geschwollene Hand an seine Undankbarkeit und Torheit. Dann aber übertäubte er sein Gewissen und sprach: "Und wenn sie mir die Glashütte und alles verkaufen, so bleibt mir doch immer der dicke Ezechiel. Solange der Geld hat am Sonntag, kann es mir nicht fehlen."
Ja, Peter! Aber wenn er keines hat? Und so geschah es eines Tages und war ein wunderliches Rechenexempel. Denn eines Sonntags kam er angefahren ans Wirthaus, und die Leute streckten die Köpfe durch die Fenster, und der eine sagte: "Da kommt der Spielpeter", und der andere: "ja, der Tanzkaiser, der reiche Glasmann", und ein dritter schüttelte den Kopf und sprach: "Mit dem Reichtum kann man es machen, man sagt allerlei von seinen Schulden, und in der Stadt hat einer gesagt, der Amtmann werde nicht mehr lange säumen zum Auspfänden." Indessen grüßte der reiche Peter die Gäste am Fenster vornehm und gravitätisch, stieg vom Wagen und schrie: "Sonnenwirt, guten Abend, ist der dicke Ezechiel schon da?" Und eine tiefe Stimme rief: "Nur herein, Peter! Dein Platz ist dir aufbehalten, wir sind schon da und bei den Karten." So trat Peter Munk in die Wirtsstube, fuhr gleich in die Tasche und merkte, dass Ezechiel gut versehen sein müsse, denn seine Tasche war bis obenan gefüllt.
Er setzte sich hinter den Tisch zu den andern und spielte und gewann und verlor hin und her, und so spielten sie, bis andere ehrliche Leute, als es Abend wurde, nach Hause gingen, und spielten bei Licht, bis zwei andere Spieler sagten: "Jetzt ist's genug, und wir müssen heim zu Frau und Kind." Aber Spielpeter forderte den dicken Ezechiel auf, zu bleiben. Dieser wollte lange nicht, endlich aber rief er: "Gut, jetzt will ich mein Geld zählen, und dann wollen wir knöcheln, den Satz um fünf Gulden, denn niedriger ist es doch nur Kinderspiel." Er zog den Beutel und zählte, und fand hundert Gulden bar, und Spielpeter wusste nun, wie viel er selbst habe, und brauchte es nicht erst zu zählen. Aber hatte Ezechiel vorher gewonnen, so verlor er jetzt Satz für Satz und fluchte gräulich dabei. Warf er einen Pasch, gleich warf Spielpeter auch einen, und immer zwei Augen höher. Da setzte er endlich die letzten fünf Gulden auf den Tisch und rief: "Noch einmal, und wenn ich auch den noch verliere, so höre ich doch nicht auf, dann leihst du mir von deinem Gewinn, Peter, ein ehrlicher Kerl hilft dem andern!"
"Soviel du willst und wenn es hundert Gulden sein sollten", sprach der Tanzkaiser, fröhlich über seinen Gewinn, und der dicke Ezechiel schüttelte die Würfel und warf fünfzehn. "Pasch!" rief er, "jetzt wollen wir sehen!" Peter aber warf achtzehn, und eine bekannte Stimme hinter ihm sprach: "So, das war der letzte."
Er sah sich, um, und riesengroß stand der Holländer Michel hinter ihm. Erschrocken ließ er das Geld fallen, das er schon eingezogen hatte. Aber der dicke Ezechiel sah den Waldmann nicht, sondern verlangte, der Spielpeter solle ihm zehn Gulden vorstrecken zum Spiel. Halb im Traum fuhr dieser mit der Hand in die Tasche, aber da war kein Geld, er suchte in der andern Tasche, aber auch da fand sich nichts, er kehrte den Rock um, aber es fiel kein roter Heller heraus, und jetzt erst gedachte er seines eigenen ersten Wunsches, immer soviel Geld zu haben als der dicke Ezechiel. Wie Rauch war alles verschwunden.
Der Wirt und Ezechiel sahen ihn staunend an, als er immer suchte und sein Geld nicht finden konnte; sie wollten ihm nicht glauben, dass, er keines mehr habe; aber als sie endlich selbst in seinen Taschen suchten, wurden sie zornig und schwuren, der Spielpeter sei ein böser Zauberer und habe all das gewonnene Geld und sein eigenes nach Hause gewünscht. Peter verteidigte sich standhaft, aber der Schein war gegen ihn. Ezechiel sagte, er wolle die schreckliche Geschichte allen Leuten im Schwarzwald erzählen, und der Wirt versprach ihm, morgen mit dem frühesten in die Stadt zu gehen und Peter Munk als Zauberer anzuklagen, und er wolle es erleben, setzte er hinzu, dass man ihn verbrenne. Dann fielen sie wütend über ihn her, rissen ihm das Wams vom Leib· und warfen ihn zur Türe hinaus.
Kein Stern schien am Himmel, als Peter trübselig seiner Wohnung' zuschlich, aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen, die neben ihm her schritt und endlich sprach: "Mit dir ist's aus, Peter Munk, all deine Herrlichkeit ist zu Ende, und das hätt' ich dir schon damals sagen können, als du nichts von mir hören wolltest und zu dem dummen Glaszwerg liefst. Da siehst du jetzt, was man davon hat, wenn man meinen Rat verachtet. Aber versuch' es einmal mit mir, ich habe Mitleid mit deinem Schicksal. Noch keinen hat es gereut, der sich an mich wandte, und wenn du den Weg nicht scheust, morgen den ganzen Tag bin ich am Tannenbühl zu sprechen, wenn du mich rufst." Peter merkte wohl, wer so zu ihm spreche, aber es kam ihm ein Grauen an. Er antwortete nichts, sondern lief seinem Haus zu.

Bei diesen Worten wurde der Erzähler durch ein Geräusch vor der Schenke unterbrochen. Man hörte einen Wagen anfahren, mehrere Stimmen riefen nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor gepocht, und dazwischen heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die man dem Fuhrmann und den Handwerksburschen angewiesen hatte, ging nach der Straße hinaus; die vier Gäste sprangen auf und liefen dorthin, um zu sehen, was vorgefallen sei. Soviel sie beim Schein einer Laterne sehen konnten, stand ein großer Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein großer Mann beschäftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu heben, und einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen, ein Bedienter aber schnallte den Koffer los. "Diesen sei Gott gnädig", seufzte der Fuhrmann, "wenn diese mit heiler Haut aus dieser Schenke kommen, so ist mir um meinen Karren auch nicht mehr bange."
"Still!" flüsterte der Student, "mir ahnt, dass man eigentlich nicht uns, sondern diesen Damen auflauert. Wahrscheinlich waren sie unten schon von ihrer Reise unterrichtet. Wenn man sie nur warnen könnte! Doch halt! Es ist im ganzen Wirtshaus kein anständiges Zimmer für die Damen als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie führen. Bleibt ihr ruhig in dieser Kammer, ich will die Bedienten zu unterrichten suchen."
Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, löschte die Kerzen aus und ließ nur das Licht brennen, das ihm die Wirtin gegeben. Dann lauschte er an der Türe.
Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe herauf und führte sie mit freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan. Sie redete ihren Gästen zu, sich bald niederzulegen, weil sie von der Reise erschöpft sein werden. Dann ging sie wieder hinab. Bald darauf hörte der Student schwere männliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er öffnete behutsam die Türe und erblickte durch eine kleine Spalte den großen Mann, welcher die Damen aus dem Wagen gehoben. Er trug ein Jagdkleid, hatte einen Hirschfänger an der Seite und war wohl der Reisestallmeister oder Begleiter der fremden Damen. Als der Student bemerkte, dass dieser allein heraufgekommen war, öffnete er schnell die Türe und winkte dem Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser näher, und ehe er noch fragen konnte, was man von ihm wolle, flüsterte ihm Jener zu: "Mein Herr! Sie sind heute Nacht in eine Räuberschenke geraten."
Der Mann erschrak. Der Student zog ihn aber vollends in seine Türe und erzählte ihm, wie verdächtig es in diesem Hause aussehe.
Der Jäger wurde sehr besorgt, als er dies hörte. Er belehrte den jungen Mann, dass die Damen, eine Gräfin und die Kammerfrau, anfänglich die ganze Nacht hätten durchfahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde von dieser Schenke sei ihnen ein Reiter begegnet, der sie angerufen und gefragt habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, dass sie gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen, habe er ihnen abgeraten, indem es gegenwärtig sehr unsicher sei. "Wenn Ihnen am Rate eines redlichen Mannes etwas liegt", habe er hinzugesetzt, "so sehen Sie ab von diesem Gedanken; es liegt nicht weit von hier eine Schenke; so schlecht und unbequem sie auch sein mag, so übernachten Sie lieber daselbst, als dass Sie sich in dieser dunklen Nach unnötig der Gefahr preisgeben." Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich und rechtlich ausgesehen, und die Gräfin habe in der Angst vor einem Räuberanfall befohlen, an dieser Schenke stillzuhalten.
Der Jäger hielt es für seine Pflicht, die Damen von der Gefahr, worin sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in das andere Zimmer, und bald darauf öffnete er die Türe, welche von dem Zimmer der Gräfin in das des Studenten führte. Die Gräfin, eine Dame von etwa vierzig Jahren, trat vor Schrecken bleich zu dem Studenten heraus und ließ sich alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser misslichen Lage zu tun sei und beschloss, so behutsam als möglich die zwei Bedienten, den Fuhrmann und die Handwerksburschen herbei. Zu holen, um im Falle eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu können. Als dies bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Gräfin gegen den Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stühlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bett, und die zwei Bedienten hielten bei ihr Wache. Die früheren Gäste aber und der Jäger setzten sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die Gefahr zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause war alles ruhig und still, und noch machte man keine Miene die Gäste zu stören. Da sprach der Zirkelschmied: „Um wach zu bleiben, wäre es wohl das beste, wir machten es wieder wie zuvor. Wir erzählten nämlich, was wir von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jäger nichts dagegen hat, so könnten wir weiter fortfahren."

Der Jäger aber hatte nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern um seine Bereitwilligkeit zu zeigen, versprach er, selbst etwas zu erzählen. Er hub an:

Saids Schicksale

Zur Zeit Harun Al-Raschids, des Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann in Balsora, mit Namen Benezar. Er hatte gerade soviel Vermögen, um für sich bequem und ruhig leben zu können, ohne ein Geschäft oder einen Handel zu treiben. Auch als ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von dieser Weise nicht ab. "Warum soll ich in meinem Alter noch schachern und handeln", sprach er zu seinen Nachbarn, "um vielleicht Said, meinem Sohn, tausend Goldstücke mehr hinterlassen zu können, wenn es gut geht, und geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird auch ein dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er nur sonst ein guter Junge wird, soll es ihm an nichts fehlen." So sprach Benezar und hielt sein Wort. Denn er ließ auch seinen Sohn nicht zum Handel oder einem Gewerbe erziehen; doch unterließ er nicht, die Bücher der Weisheit mit ihm zu lesen, und da nach seiner Ansicht einen jungen Mann außer Gelehrsamkeit und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr zierte als ein gewandter Arm und Mut, so ließ er ihn frühe in den Waffen unterweisen, und Said galt bald unter seinen Altersgenossen, ja selbst unter älteren Jünglingen für einen gewaltigen Kämpfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm keiner zuvor.
Als er achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grab des Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine religiösen Übungen zu verrichten, wie es Sitte und Gebot erfordern. Ehe er abreiste, ließ ihn sein Vater noch einmal vor sich kommen, lobte seine Aufführung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld und sprach dann: "Noch etwas, mein Sohn Said! Ich bin ein Mann, der über die Vorurteile des Pöbels erhaben ist. Ich höre zwar gerne Geschichten von Feen und Zauberern erzählen, weil mir die Zeit dabei angenehm vergeht; doch bin ich weit entfernt, daran zu glauben, wie so viele unwissende Menschen tun, dass diese Genien, oder wer sie sonst sein mögen, Einfluss auf das Leben und Treiben der Menschen haben. Deine Mutter aber, sie ist jetzt zwölf Jahre tot, deine Mutter glaubte so fest daran als an den Koran; ja sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr geschworen, es niemand als ihrem Kind zu entdecken, vertraut, dass sie selbst von ihrer Geburt an mit einer Fee in Berührung gestanden habe. Ich habe sie deswegen ausgelacht, und doch muss ich gestehen, Said, dass bei deiner Geburt einige Dinge vorfielen, die mich selbst in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen Tag geregnet und gedonnert, und der Himmel war so schwarz, dass man nichts lesen konnte ohne Licht. Aber um vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein Knäblein geboren. Ich eilte nach den Gemächern deiner Mutter, um meinen Erstgeborenen zu sehen und zu segnen, aber alle ihre Zofen standen vor der Türe, und auf meine Fragen antworteten sie, dass jetzt niemand in das Zimmer treten dürfe; Zemira, deine Mutter, habe alle hinausgehen heißen, weil sie allein sein wolle.
Ich pochte an die Türe, aber umsonst, sie blieb verschlossen. Während ich halb unwillig unter den Zofen vor der Türe stand, klärte sich der Himmel so plötzlich auf, wie ich es nie gesehen hatte, und das Wunderbarste war, dass nur über unserer lieben Stadt Balsora eine reine, blaue Himmelswölbung erschien, ringsum aber lagen die Wolken schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und schlängelten sich in diesem Umkreis. Während ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog die Türe meiner Gattin auf; ich aber ließ die Mägde noch außen harren und trat allein in das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich eingeschlossen habe. Als ich eintrat, quoll mir ein so betäubender Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen entgegen, dass ich beinahe verwirrt wurde. Deine Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich auf ein silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen Kette, so fein wie Seide, trugst. Die gütige Frau, von welcher ich dir einst erzählte, ist dagewesen, sprach deine Mutter, sie hat deinem Knaben dieses Angebinde gegeben. Das war also die Hexe, die das Wetter schön machte und diesen Rosen- und Nelkenduft hinterließ, sprach ich lachend und ungläubig. Aber sie hätte etwas Besseres bescheren können als dieses Pfeifchen; etwa einen Beutel voll Gold, ein Pferd oder dergleichen. Deine Mutter beschwor mich, nicht zu spotten, weil die Feen leicht erzürnt ihren Segen in Unsegen verwandeln.
Ich tat es ihr zu Gefallen und schwieg, weil sie krank war, wir sprachen auch nicht mehr von dem sonderbaren Vorfall, bis sechs Jahre nachher, als sie fühlte, dass sie, so jung sie noch war, sterben müsse. Da gab sie mir das Pfeifchen, trug mir auf, es einst, wenn du zwanzig Jahre alt seiest, dir zu geben, denn keine Stunde zuvor dürfe ich dich von mir lassen. Sie starb. Hier ist nun das Geschenk", fuhr Benezar fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer langen goldenen Kette aus einem Kästchen hervorsuchte, "und ich gebe es dir in deinem achtzehnten, statt in deinem zwanzigsten Jahre, weil du abreist und ich vielleicht, ehe du heimkehrst, zu meinen Vätern versammelt werde. Ich sehe keinen vernünftigen Grund ein, warum du noch zwei Jahre hier bleiben sollst, wie es deine besorgte Mutter wünschte. Du bist ein guter und gescheiter Junge, führst die Waffen so gut als einer von vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich heute ebensogut für mündig erklären, als wärest du schon zwanzig. Und nun ziehe in Frieden und denke in Leid und Unglück, vor welchem der Himmel dich bewahren wolle, an deinen Vater."
So sprach Benezar von Balsora, als er seinen Sohn entließ. Said nahm bewegt von ihm Abschied, hing die Kette um den Hals. steckte das Pfeifchen in den Gürtel, schwang sich aufs Pferd und ritt nach dem Ort, wo sich die Karawane nach Mekka versammelte. In kurzer Zeit waren an achtzig Kamele und viele hundert Reiter beisammen; die Karawane setzte sich in Marsch, und Said ritt aus dem Tor von Baisora, seiner Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen sollte. Das Neue einer solchen Reise und die mancherlei nie gesehenen Gegenstände, die sich ihm aufdrängten, zerstreuten ihn anfangs; als man sich aber der Wüste näherte und die Gegend immer öder und einsamer wurde, da fing er an, über manches nachzudenken, und unter anderem auch über die Worte, womit ihn Benezar, sein Vater, entlassen hatte.
Er zog das Pfeifchen hervor, beschaute es hin und her und setzte es endlich an den Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen recht hellen und schönen Ton von sich gäbe; aber siehe, es tönte nicht; er blähte die Backen auf und blies aus Leibeskräften, aber er konnte keinen Ton hervorbringen, und unwillig über das nutzlose Geschenk, steckte er das Pfeifchen wieder in den Gürtel. Aber bald richteten sich alle seine Gedanken wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter; er hatte von Feen manches gehört, aber nie hatte er erfahren, dass dieser oder jener Nachbar in Balsora mit einem übernatürlichen Genius in Verbindung gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen Geistern immer in weit entfernte Länder und alte Zeiten versetzt, und so glaubte er, es gäbe heutzutage keine solchen Erscheinungen mehr, oder die Feen hätten aufgehört, die Menschen zu besuchen und an ihren Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also dachte, so war er doch immer wieder von neuem versucht, an irgend etwas Geheimnisvolles und Übernatürliches zu glauben, was mit seiner Mutter vorgegangen sein könnte, und so kam es, dass er beinahe einen ganzen Tag wie ein Träumender zu Pferde saß und weder an den Gesprächen der Reisenden teilnahm, noch auf ihren Gesang oder ihr Gelächter achtete.
Said war ein sehr schöner Jüngling; sein Auge war mutig und kühn, sein Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in seinem ganzen Wesen schon eine gewisse Würde, die man in diesem Alter nicht so oft trifft, und der Anstand, womit er leicht aber sicher und in vollem kriegerischem Schmuck zu Pferde saß, zog die Blicke manches der Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite ritt, fand Wohlgefallen an ihm und versuchte durch manche Fragen auch seinen Geist zu prüfen. Said, welchem Ehrfurcht gegen das Alter eingeprägt worden war, antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so dass der Alte eine große Freude an ihm hatte. Da aber der Geist des jungen Mannes schon den ganzen Tag nur mit einem Gegenstand beschäftigt war, so geschah es, dass man bald auf das geheimnisvolle Reich der Feen zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten geradezu, ob er glaube, dass es Feen, gute oder böse Geister geben könne, welche den Menschen beschützen oder verfolgen.
Der alte Mann strich sich den Bart, neigte seinen Kopf hin und her und sprach dann: "Leugnen lässt es sich nicht, dass es solche Geschichten gegeben hat, obgleich ich bis heute weder einen Geisterzwerg noch einen Genius als Riesen, weder einen Zauberer noch eine Fee gesehen habe." Der Alte hub dann an und erzählte dem jungen Mann so viele und wunderbare Geschichten, dass ihm der Kopf schwindelte und er nicht anders dachte, als alles, was bei seiner Geburt vorgegangen, die Änderung des Wetters, der süße Rosen- und Hyazinthenduft, sei von großer und glücklicher Vorbedeutung, er selbst stehe unter dem besonderen Schutz einer mächtigen, gütigen Fee, und das Pfeifchen sei zu nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im Fall der Not zu pfeifen. Er träumte die ganze Nacht von Schlössern, Zauberpferden, Genien und dergleichen und lebte in einem wahren Feenreich.
Doch leider musste er schon am folgenden Tage die Erfahrung machen, wie nichtig all seine Träume im Schlafen oder Wachen seien. Die Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten es für Sandhügel, die andern für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen, denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefasst. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herbeistürmten und auf die Karawane einhieben.
Die Männer wehrten sich tapfer, aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und - ließ es schmerzlich wieder sinken, denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung zielte er und schoss einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd.
"Allah! Was habt Ihr gemacht, junger Mensch!", rief der Alte an seiner Seite. "Jetzt sind wir alle verloren." Und so schien es auch; denn kaum sahen die Räuber diesen Mann fallen, als sie ein schreckliches Geschrei erhoben und mit solcher Wut eindrangen, dass die wenigen noch unverwundeten Männer bald zersprengt wurden. Said sah sich in einem Augenblick von fünf bis sechs umschwärmt. Er führte seine Lanze so gewandt, dass keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff gefasst, aber ehe er sich dessen versah, hatte ihm einer der Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und so sehr er sich bemühte, das Seil zu zerreißen; so war doch alles umsonst, die Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen.
Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben oder gefangen worden, und die Araber, welche nicht zu einem Stamm gehörten, teilten jetzt die Gefangenen und die übrige Beute und zogen dann, der eine Teil nach Süden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen über ihn ausstießen; er merkte, dass es ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei, welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod, darum wünschte er sich im stillen Glück, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben, denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er· sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spießen; einmal aber, als das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten, welchen er unter den Toten geglaubt hatte.
Endlich sah man in der Ferne Bäume und Zelte; als sie näher kamen, strömte ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen, aber kaum hatten diese einige Worte mit den Räubern gewechselt, als sie in ein schreckliches Geheul ausbrachen und alle nach Said hinblickten, die Arme gegen ihn aufhoben und Verwünschungen ausstießen. "Jener ist es", schrien sie, "der den großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten aller Männer; er muss sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der Wüste zur Beute geben." Dann drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen und was sie zur Hand hatten, so furchtbar auf Said ein, dass sich die Räuber selbst ins Mittel legen mussten. "Hinweg, ihr Unmündigen, fort, ihr Weiber!", riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen auseinander; "er hat den großen Almansor erschlagen im Gefecht und er muss sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der Tapfern."
Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt waren, machten sie Halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die Beute in die Zelte gebracht. Said aber wurde einzeln gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort saß ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkündete, dass er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said führten, traten traurig und mit gesenktem Haupt vor ihn hin. "Das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen ist", sprach der majestätische Mann, indem er die Räuber der Reihe nach anblickte; "eure Mienen bestätigen es Almansor ist gefallen,"
"Almansor ist gefallen", antworteten die Männer, "aber hier, Selim, Beherrscher der Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn, damit du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben? Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von Lanzen jagen, oder willst du, dass er an einem Strick aufgehängt oder von Pferden zerrissen werde?"
"Wer bist du?", fragte Selim, düster auf den Gefangenen blickend, der zum Tod bereit, aber mutig vor ihm stand.
Said beantwortete seine Frage kurz und offen.
"Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?"
"Nein, Herr!", entgegnete Said, "ich habe ihn in offenem Kampf beim Angriff auf unsere Reihen von vorne getötet, weil er schon acht meiner Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte."
"Ist es also, wie er sprach?", fragte Selim die Männer, die ihn gefangen hatten.
"Ja, Herr, er hat Almansor in offenem Kampf getötet", sprach einer von den Gefragten.
"Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan haben würden", versetzte Selim, "er hat seinen Feind, der ihm Freiheit und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen; drum löset
schnell seine Bande!"
Die Männer sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. "So soll der Mörder deines Sohnes, des tapfern Almansar, nicht sterben?", fragte einer, indem er wütende Blicke auf Said warf. "Hätten wir ihn lieber gleich umgebracht!"
"Er soll nicht sterben!", rief Selim, "und ich nehme ihn sogar in mein eigenes Zelt auf, ich nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der Beute, er sei mein Diener."
Said fand keine Worte, dem Alten zu danken; die Männer aber verließen murrend das Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die draußen versammelt waren und auf Saids Hinrichtung warteten, den Entschluss des alten Selim mitteilten, erhoben sie ein schreckliches Geheul und Geschrei und riefen, sie würden Almansors Tod an seinem Mörder rächen, weil sein eigener Vater die Blutrache nicht üben wolle.
Die übrigen Gefangenen wurden an die Horden verteilt, einige entließ man, um Lösegeld für die Reicheren einzutreiben, andere wurden zu den Herden als Hirten geschickt, und manche, die vorher von zehn Sklaven sich bedienen ließen, mussten die niedrigsten Dienste in diesem Lager versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges, heldenmäßiges Aussehen oder der geheimnisvolle Zauber einer gütigen Fee, was den alten Selim für den Jüngling einnahm? Man wusste es nicht zu sagen, aber Said lebte in seinem Zelt mehr als Sohn, denn als Diener. Aber die unbegreifliche Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der übrigen Diener zu. Er begegnete überall nur feindlichen Blicken, und wenn er allein durchs Lager ging, so hörte er ringsumher Schimpfworte und Verwünschungen ausstoßen, ja, einige Mal flogen Pfeile an seiner Brust vorüber, die offenbar ihm gegolten hatten, und dass sie ihn nicht trafen, schrieb er nur dem geheimnisvollen Schutz des Pfeifchens zu, das er noch immer auf der Brust trug. Oft beklagte er sich bei Selim über diese Angriffe auf sein Leben, aber vergebens suchte dieser die Meuchelmörder ausfindig zu machen, denn die ganze Horde schien gegen den begünstigten Fremdling verbunden zu sein. Da sprach eines Tages Selim zu ihm: "Ich hatte gehofft, du werdest mir vielleicht den Sohn ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an dir und mir liegt nicht die Schuld, dass es nicht sein konnte; alle sind gegen dich erbittert, und ich selbst kann dich in Zukunft nicht mehr schützen, denn was hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich getötet haben, die Schuldigen zur Strafe zu ziehen? Darum, wenn die Männer von ihrem Streifzug heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe mir Lösegeld geschickt, und ich werde dich durch einige treue Männer durch die Wüste geleiten lassen."
"Aber kann ich irgend einem außer dir trauen?", fragt Said bestürzt. "Werden sie mich nicht unterwegs töten?"
"Davor schützt dich der Eid, den sie mir schwören müssen, und den noch keiner gebrochen hat", erwiderte Selim mit großer Ruhe. Einige Tage nachher kehrten die Männer ins Lager zurück, und Selim hielt sein Versprechen. Er schenkte dem Jüngling Waffen, Kleider und ein Pferd, versammelte die streitbaren Männer, wählte fünf zur Begleitung Saids aus, ließ sie einen furchtbaren Eid ablegen, dass sie ihn nicht töten wollten, und entließ ihn dann mit Tränen.
Die fünf Männer ritten finster und schweigend mit Said durch die Wüste; der Jüngling sah, wie ungern sie den Auftrag erfüllten, und es machte ihm nicht wenig Besorgnis, dass zwei von ihnen bei jenem Kampf zugegen waren, wo er Almansor tötete. Als sie etwa acht Stunden zurückgelegt hatten, hörte Said, dass sie untereinander flüsterten, und bemerkte, dass ihre Mienen noch düsterer wurden als vorher. Er strengte sich an, aufzuhorchen, und vernahm, dass sie sich in einer Sprache unterhielten, die nur von dieser Horde, und immer nur bei geheimnisvollen oder gefährlichen Unternehmungen gesprochen wurde; Selim, der den Plan gehabt hatte, den jungen Mann auf immer in seinem Zelt zu behalten, hatte sich manche Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen Worte zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt vernahm.
"Hier ist die Stelle", sprach einer; "hier griffen wir die Karawane an, und hier fiel der tapferste Mann von der Hand eines Knaben."
"Der Wind hat die Spuren seines Pferdes verweht", fuhr ein anderer fort, "aber ich habe sie nicht vergessen."
"Und zu unserer Schande soll der noch leben und frei sein, der Hand an ihn legte? Wann hat man je gehört, dass ein Vater den Tod seines einzigen Sohnes nicht rächte? Aber Selim wird alt und kindisch."
"Und wenn es der Vater unterlässt", sagte ein vierter, "so ist es Freundespflicht, den gefallenen Freund zu rächen. Hier an dieser Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist es Recht und Brauch seit den ältesten Zeiten."
"Aber wir haben dem Alten geschworen", rief ein fünfter, "wir dürfen ihn nicht töten, unser Eid darf nicht gebrochen werden."
"Es ist wahr", sprachen die andern, "wir haben geschworen, und der Mörder darf frei aus den Händen seiner Feinde."
"Halt!" rief einer, der finsterste von allen. "Der alte Selim ist ein kluger Kopf, aber doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir ihm geschworen, diesen Burschen da oder dorthin zu bringen? Nein, er nahm uns nur den Schwur auf sein Leben ab, und dieses wollen wir ihm schenken. Aber die brennende Sonne und die scharfen Zähne des Schakals werden unsere Rache übernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir ihn gebunden liegen lassen." So sprach der Räuber, aber schon seit einigen Minuten hatte sich Said auf das äußerste gefasst gemacht, und indem jener noch die letzten Worte sprach, riss er sein Pferd auf die Seite, trieb es mit einem tüchtigen Hieb an und flog wie ein Vogel über die Ebene hin. Die fünf Männer staunten einen Augenblick, aber wohl bewandert in solchen Verfolgungen, teilten sie sich, jagten rechts und links nach, und weil sie die Art und Weise, wie man in der Wüste reiten muss, besser kannten, hatten zwei von ihnen den Flüchtling bald überholt, wandten sich gegen ihn um, und als er auf die Seite floh, fand er auch dort zwei Gegner, und den fünften in seinem Rücken. Der Eid, ihn nicht zu töten, hielt sie ab, ihre Waffen zu gebrauchen; sie warfen ihm auch jetzt wieder von hinten eine Schlinge über den Kopf, zogen ihn vom Pferd, schlugen unbarmherzig auf ihn los, banden ihn dann an Händen und Füßen und legten ihn in den glühenden Sand der Wüste.
Said flehte sie um Barmherzigkeit an, er versprach ihnen schreiend ein großes Lösegeld, aber lachend schwangen sie sich auf und jagten davon. Noch einige Augenblicke lauschte er auf die leichten Tritte ihrer Rosse, dann aber gab er sich verloren. Er dachte an seinen Vater, an den Gram des alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre; er dachte an sein eigenes Elend, dass er so frühe sterben müsse; denn nichts war ihm gewisser, als dass er in dem heißen Sand den martervollen Tod des Verschmachtens erleiden müsse, oder dass er von einem Schakal zerrissen werde. Die Sonne stieg immer höher und brannte glühend auf seine Stirne; mit unendlicher Mühe gelang es ihm, sich umzuwälzen; aber es gab ihm wenig Erleichterung. Das Pfeifchen an der Kette war durch diese Anstrengung aus seinem Kleid gefallen. Er mühte sich so lange, bis er es mit dem Mund erfassen konnte; endlich berührten es seine Lippen, er versuchte zu blasen, aber auch in dieser schrecklichen Not versagte es den Dienst. Verzweiflungsvoll ließ er den Kopf zurücksinken, und endlich beraubte ihn die stechende Sonne der Sinne; er fiel in eine tiefe Betäubung.
Nach vielen Stunden erwachte Said an einem Geräusch in seiner Nähe; er fühlte zugleich, dass seine Schulter gepackt wurde, und er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, denn er glaubte nicht anders, als ein Schakal sei herangekommen, ihn zu zerreißen. Jetzt wurde er auch an den Beinen angefasst, aber er fühlte, dass es nicht die Krallen eines Raubtiers seien, die ihn umfassten, sondern die Hände eines Mannes, der sich sorgsam mit ihm beschäftigte und mit zwei oder drei andern sprach. "Er lebt", flüsterten sie, "aber er hält uns für Feinde."
Endlich schlug Said die Augen auf und erblickte über sich das Gesicht eines kleinen, dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser sprach ihm freundlich zu, half ihm sich aufrichten, reichte ihm Speise und Trank und erzählte ihm, während er sich stärkte, er sei ein Kaufmann aus Bagdad, heiße Kalum-Bek und handle mit Schals und feinen Schleiern für die Frauen. Er habe eine Handelsreise gemacht, sei jetzt auf der Rückkehr nach Hause begriffen und habe ihn elend und halbtot im Sand liegen gesehen. Sein prachtvoller Anzug und die blitzenden Steine seines Dolches hätten ihn aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt, ihn zu beleben, und es sei ihm also gelungen. Der Jüngling dankte ihm für sein Leben, denn er sah wohl ein, dass er ohne die Dazwischenkunft dieses Mannes elend hätte sterben müssen; und da er weder Mittel hatte, sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu Fuß und allein durch die Wüste zu wandern, so nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwer beladenen Kamele des Kaufmanns an und beschloss fürs erste, mit nach Bagdad zu ziehen, vielleicht könnte er dort sich an eine Gesellschaft, die nach Balsora reiste, anschließen.
Unterwegs erzählte der Kaufmann seinem Reisegefährten manches von dem trefflichen Beherrscher der Gläubigen, Harun Al-Raschid. Er erzählte ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und seinem Scharfsinn, wie er die verwickeltsten Prozesse auf einfache und bewundernswürdige Weise zu schlichten wisse; unter anderem führte er die Geschichte von dem Seiler, die Geschichte von dem Topf mit Oliven an, Geschichten, die jedes Kind weiß, die aber Said sehr bewunderte. "Unser Herr, der Beherrscher der Gläubigen", fuhr der Kaufmann fort, "unser Herr ist ein wunderbarer Mann. Wenn Ihr meint, er schlafe, wie andere gemeine Leute, so täuscht Ihr Euch sehr. Zwei, drei Stunden in der Morgendämmerung ist alles. Ich muss das wissen, denn Messour, sein erster Kämmerer, ist mein Vetter, und obgleich er so verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse seines Herrn anbelangt, so lässt er doch der guten Verwandtschaft zulieb hin und wieder einen Wink fallen, wenn er sieht, dass einer aus Neugierde beinahe vom Verstand kommen könnte. Statt nun wie andere Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch die Straßen von Bagdad, und selten verstreicht eine Woche, worin er nicht auf ein Abenteuer stößt; denn Ihr müsst wissen, wie ja auch aus der Geschichte mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist als das Wort des Propheten, dass er nicht mit der Wache und zu Pferd in vollem Putz und mit hundert Fackelträgern seine Runde macht, wie er wohl tun könnte, wenn er wollte, sondern angezogen bald als Kaufmann, bald als Schiffer, bald als Soldat, bald als Mufti geht er umher und schaut, ob alles recht und in Ordnung sei.
Daher kommt es aber auch, dass man in keiner Stadt nachts so Höfe lieh gegen jeden Narren ist, auf den man stößt, wie in Bagdad; denn es könnte ebensogut der Kalif wie ein schmutziger Araber aus der Wüste sein und es wächst Holz genug, um allen Menschen in und um Bagdad die Bastonade zu geben."
So sprach der Kaufmann, und Said, so sehr ihn hin und wieder die Sehnsucht nach seinem Vater quälte, freute sich doch, Bagdad und den berühmten Harun AI-Raschid zu sehen.
Nach zehn Tagen kamen sie in Bagdad an, und Said staunte und bewunderte die Herrlichkeit dieser Stadt, die damals gerade in ihrem höchsten Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu kommen, und Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter dem Gewühl der Menschen fiel es ihm ein, dass hier wahrscheinlich außer der Luft und dem Wasser des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer Moschee nichts umsonst zu haben sein werde.
Den Tag nach seiner Ankunft, als er sich eben angekleidet hatte und sich gestand, dass er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich in Bagdad wohl sehen lassen könne und vielleicht manchen Blick auf sich ziehe, trat der Kaufmann in sein Zimmer. Er betrachtete den schönen Jüngling mit schelmischem Lächeln, strich sich den Bart und sprach dann: "Das ist alles recht schön, junger Herr! Aber was soll denn nun aus Euch werden? Ihr seid, kommt es mir vor, ein großer Träumer und denkt nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr soviel Geld bei Euch, um dem Kleid gemäß zu leben, das Ihr tragt?"
"Lieber Herr Kalum-Bek", sprach der Jüngling verlegen und errötend, "Geld habe ich freilich nicht, aber vielleicht streckt Ihr mir etwas vor, womit ich heimreisen kann. Mein Vater wird es gewiss richtig erstatten."
"Dein Vater, Bursche?", rief der Kaufmann laut lachend. "Ich glaube, die Sonne hat dir das Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so aufs Wort das ganze Märchen, das du mir in der Wüste erzähltest, dass dein Vater ein reicher Mann in Balsora sei, du sein einziger Sohn, und den Anfall der Araber und dein Leben in ihrer Horde und dies und jenes. Schon damals ärgerte ich mich über deine frechen Lügen und deine Unverschämtheit. Ich weiß, dass in Balsora alle reichen Leute Kaufleute sind, habe schon mit allen gehandelt und müsste von einem Benezar gehört haben, und wenn er nur sechstausend Tomans im Vermögen hätte. Es ist also entweder erlogen, dass du aus Balsora bist, oder dein Vater ist ein armer Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine Kupfermünze leihen mag. Sodann der Überfall in der Wüste! Wann hat man gehört, seit der weise Kalif Harun die Handelswege durch die Wüste gesichert hat, dass es Räuber gewagt haben, eine Karawane zu plündern und sogar Menschen hinwegzuführen? Auch müsste es bekannt geworden sein, aber auf meinem ganzen Weg und auch hier in Bagdad, wo Menschen aus allen Gegenden der Welt zusammenkommen, hat man nicht davon gesprochen. Das ist die zweite Lüge, junger, unverschämter Mensch!"
Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said dem kleinen bösen Mann in die Rede fallen, jener aber schrie stärker als er, und focht dazu mit den Armen. "Und die dritte Lüge, du frecher Lügner, ist die Geschichte im Lager Selims. Selims Name ist wohlbekannt unter allen, die jemals einen Araber gesehen haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste und grausamste Räuber, und du wagst zu erzählen, du habest seinen Sohn getötet und seiest nicht sogleich in Stücke zerhauen worden; ja du treibst die Frechheit so weit, dass du das Unglaubliche sagst, Selim habe dich gegen seine Horde beschützt, in sein eigenes Zelt aufgenommen und ohne Lösegeld entlassen, statt dass er dich aufehängt hätte an den nächsten besten Baum, er, der oft Reisende gehenkt hat, nur um zu sehen, welche Gesichter sie machen, wenn sie aufgehängt sind. 0 du abscheulicher Lügner!"
"Und ich kann nichts weiter sagen", rief der Jüngling, "als dass alles wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!"
"Was! bei deiner Seele willst du schwören?", schrie der Kaufmann, "bei deiner schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?"
"Ich habe freilich keinen Zeugen", fuhr Said fort, "aber habt Ihr mich nicht gefesselt und elend gefunden?"
"Das beweist mir gar nichts", sprach jener, "du bist gekleidet wie ein stattlicher Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der stärker war als du, und dich besiegte und band"
"Den einzelnen oder sogar zwei möchte ich sehen", entgegnete Said, "die mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstützt, so muss ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade an flehen; an den Kalifen will ich mich wenden."
"So?", sprach der Kaufmann höhnisch lächelnd, "an niemand anders wollt Ihr Euch wenden als an unsern allergnädigsten Herrn? Das heiß ich vornehm betteln! Ei, ei. Bedenkt aber, junger, vornehmer Herr, dass der Weg zum Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht, und dass es mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr lügen könnt. - Aber mich dauert deine Jugend, Said. Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will dich in mein Gewölbe im Basar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst, nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die Reisekosten, die du mir verursachtest, und den Platz auf dem Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt und werfe dich auf die Straße; dann kannst du beim Kalifen oder beim Mufti, an der Moschee oder im Basar betteln."
Mit diesen Worten verließ der böse Mann den unglücklichen Jüngling. Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört über die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mitgenommen und in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekäme. Er versuchte, ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war vergittert und die Türe verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich lange dagegen gesträubt hatte, beschloss er, fürs erste den Vorschlag des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe zu dienen. Er sah ein, dass ihm nichts Besseres zu tun übrig bleibe; denn wenn er auch entfloh, so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich vor, sobald als möglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen.
Den folgenden Tag führte Kalum-Bek seinen neuen Diener in sein Gewölbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen Dienst an. Dieser bestand darin, dass Said, angekleidet wie ein Kaufmannsdiener und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der andern einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand, die vorübergehenden Männer oder Frauen anrief, seine Waren vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Bek zu diesem Geschäft bestimmt habe. Er war ein kleiner, hässlicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stand und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben spotteten seiner und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah gerne den jungen, schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wusste.
Als Kalum-Bek sah, dass sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.
Eines Tages war im Gewölbe vieles gekauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. "In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken", antwortete Kalum-Bek, "nur solange müsst Ihr Euch gedulden oder irgend einen anderen Packer nehmen."
"Seid Ihr ein Kaufmann und wollt Euren Kunden fremde Packer mitgeben?", rief die Frau. "Kann nicht ein solcher Bursche im Gedränge mit meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann und will ich mich halten."
"Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!", sprach der Kaufmann, sich immer ängstlicher drehend, "alle meine Packknechte sind verschickt -"
"Das ist ein schlechtes Gewölbe, das nicht Immer einige Knechte übrig hat", entgegnete das böse Weib. "Aber dort steht ja noch solch ein junger Müßiggänger; komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn mir nach."
"Halt, halt!", schrie Kalum-Bek. "Das ist mein Aushängeschild, mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!"
"Was da!", erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm. "Das ist ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen."
"So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister", murmelte Kalum-Bek seinem Magnet zu, "und siehe zu, dass du bald wiederkommst; die alte Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich länger weigern."
Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes als man ihrem Alter hätte zutrauen sollen, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück und hieß ihn gehen.
Er war schon an der Türe, als eine helle, feine Stimme "Said" rief; verwundert, dass man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung.
"Said, mein lieber Junge", sprach die Dame, "so sehr ich die Unfälle bedaure, die dich nach Bagdad führten, so war doch dies der einzige vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verließest, dein Schicksal lösen würde. Said, hast du noch dein Pfeifchen?"
"Wohl hab' ich es noch", rief er freudig, indem er die goldene Kette hervorzog; "und Ihr seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses Angebinde gab als ich geboren wurde?"
"Ich war die Freundin deiner Mutter", antwortete die Fee, "und bin auch deine Freundin, solange du gut bleibst. Ach! dass dein Vater, der leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du würdest vielen Leiden entgangen sein."
"Nun, es hat wohl so kommen müssen!", erwiderte Said. "Aber, gnädigste Fee, lasst einen tüchtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen, nehmt mich auf und führt mich in ein paar Minuten nach Balsora zu meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten Jahre geduldig dort ausharren."
Die Fee lächelte. "Du hast eine gute Weise, mit uns zu sprechen", antwortete sie, "aber, armer Said, es ist nicht möglich; ich vermag jetzt, wo du außer deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares für dich zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Bek vermag ich dich zu befreien! Er steht unter dem Schutz deiner mächtigen Feindin."
"Also nicht nur eine gütige Freundin habe ich", fragte Said, "auch eine Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluss schon öfter erfahren zu haben. Aber mit Rat dürft Ihr mich doch unterstützen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird mich gegen Kalum-Bek beschützen."
"Ja, Harun ist ein weiser Mann!" erwiderte die Fee, "aber leider ist er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour soviel als sich selbst, und er hat recht, denn er hat Messour erprobt und treu gefunden. Messour aber traut seinem Freund Kalum-Bek auch wie sich selbst, und darin hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter Mann, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein verschlagener Kopf und hat, sobald er hierher kam, seinem Vetter Großkämmerer eine Fabel über dich erdichtet und angeheftet, und dieser hat sie wieder dem Kalifen erzählt, so dass du, kämst du auch jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden würdest, denn er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, dass du seine Gnade erwerben sollst."
"Das ist freilich schlimm", sagte Said wehmütig, "da werde ich schon noch einige Zeit der Ladenhüter des elenden Kalum-Bek sein müssen. Aber eine Gnade, verehrte Fee, könnt Ihr mir doch gewähren. Ich bin zum Waffenwerk erzogen, und meine höchste Freude ist ein Kampfspiel, wo recht tüchtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert.
Nun halten die edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten Schmuck, und überdies nur freie Männer dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein Diener aus dem Basar. Wenn Ihr nun bewirken könntet, dass ich alle Wochen ein Pferd, Kleider, Waffen haben könnte, und dass man mein Gesicht nicht so leicht erkennte -"
"Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler, junger Mann wohl wagen darf", sprach die Fee; "der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden und ein Waschwasser für dein Gesicht, das dich für alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft! In sechs Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und Zulimas Ohr wird für seine Töne offen sein."
Der Jüngling schied von seiner wunderbaren Beschützerin mit Dank und Verehrung; er merkte sich das Haus und die Straße genau und ging dann wieder nach dem Basar.
Als Said in den Basar zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um seinen Herrn und Meister Kalum-Bek zu unterstützen und zu retten. Ein großes Gedränge war um den Laden, Kinder tanzten um den Kaufmann her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten, hässlichen Burschen kaufen.
Da gingen zwei Männer den Basar herab und wollten für ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einige Mal auf und niedergegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder herab gehen.
Kalum-Bek, der dies bemerkte, wollte es sich zunutze machen und rief:' "Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne Ware?"
"Guter Alter", erwiderte einer, "deine Waren mögen recht gut sein, aber unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem schönen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen wir dir ein andermal ab."
"Allahit Allah!" rief Kalum-Bek freundlich grinsend. "Euch hat der Prophet vor die rechte Türe geführt. Zum schönen Ladendiener wollt ihr, um Schleier zu kaufen? Nun, tretet nur ein, hier ist sein Gewölbe.
Der eine dieser Männer lachte über Kalums kleine und hässliche Gestalt und seine Behauptung, dass er der schöne Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle sich über ihn lustig machen, blieb ihm nichts schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Bek außer sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, dass man keinen andern Laden als den seinigen das Gewölbe des schönen Ladendieners nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten hiervon nichts wissen, und die beiden Männer gingen nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leibe. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte als durch seine Faust; und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden gönnten ihm die Püffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der bei den Männer am Bart, als eben dieser am Arm gefasst und mit einem einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so dass sein Turban herab fiel und seine Pantoffeln weit hinweg flogen.
Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen hätte, wenn Kalum-Bek misshandelt worden wäre, murrte laut, der Gefährte des Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kräftigen Jüngling mit blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht, ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie: "Nun, was wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schöne Ladendiener." Die Leute umher lachten, weil sie wussten, dass Kalum-Bek vorhin Unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen.
,,0 du Stern aller Ladendiener, du Krone des Basar!", rief Kalum, als er seinen Diener in den Laden führte. "Wahrlich, das heiße ich zur rechten Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden wäre, und ich - ich hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kämmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten später kamst; womit kann ich es dir vergelten?"
Es war nur das schnelle Gefühl des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es ihn fast, dass er die Züchtigung dem bösen Mann erspart hatte; ein Dutzend Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf zwölf Tage sanft und geschmeidig gemacht; er suchte aber dennoch die günstige Stimmung des Kaufmanns zu benützen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle Wochen einen Abend für sich benützen zu dürfen zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei; Kalum gab es zu, denn er wusste wohl, dass sein gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld und gute Kleider zu entfliehen.
Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am nächsten Mittwoch, dem Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen Übungen zu halten, sagte er zu Kalum, er wolle diesen Abend für sich benützen, und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die Diener schienen auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein, denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn die Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn unkenntlich machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe selbst nicht mehr, denn er war jetzt von der Sonne gebräunt, trug einen schönen schwarzen Bart und sah zum mindesten zehn Jahre älter aus, als er in der Tat zählte.
Hierauf führten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollständige und prachtvolle Kleidung fand, an welcher sich der Kalif von Bagdad selbst nicht hätte schämen dürfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Außer einem Turban vom feinsten Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reihenfedern, einem Kleid von schwerem, rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen durchwirkt, fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet war, dass er sich jeder Bewegung des Körpers anschmiegte, und doch zugleich so fest war, dass ihn weder Lanze noch Schwert durchdringen konnten. Eine Damaszenerklinge in reich verzierter Scheide, mit einem Griff, dessen Steine Said unschätzbar deuchten, vollendeten seinen kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet wieder aus der Tür trat, überreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, dass die Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke; wenn er damit sein Gesicht abwische, so werde der Bart und die braune Farbe verschwinden.
In dem Hof des Hauses standen drei schöne Pferde; das schönste bestieg Said, die beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er in den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glänzende Versammlung der tapfersten und edelsten Jünglinge Bagdads; selbst die Brüder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwingen. Als Said heran ritt, und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des Großwesirs mit einigen Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig, lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heiße Almansor und komme von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit und Geschicklichkeit der jungen Edlen von Bagdad so vieles gehört, dass er nicht gesäumt habe, sie zu sehen und kennen zu lernen. Den jungen Leuten gefiel der Anstand und das mutige Wesen Said-Almansors; sie ließen ihm eine Lanze reichen und ihn seine Partei wählen, denn die ganze Gesellschaft hatte sich in zwei Parteien geteilt, um einzeln und in Scharen gegeneinander zu fechten.
Aber hatte schon Saids Äußeres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so staunte man jetzt noch mehr über seine ungewöhnliche Geschicklichkeit und Behändigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert schwirrte noch behänder umher. Er warf die Lanze so leicht, weit und sicher ans Ziel, als wäre sie ein Pfeil, den er von einem sicheren Bogen abgeschnellt hätte. Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte er, und am Schluss der Spiele war er so allgemein als Sieger anerkannt, dass einer der Brüder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, die auf Saids Seite gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt, aber der Sohn des Großwesirs widerstand ihm so tapfer, dass sie es nach langem Kampf für besser hielten, die Entscheidung für das nächste Mal aufzusparen.
Den Tag nach diesen Spielen sprach man in Bagdad von nichts als dem schönen, reichen und tapferen Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja selbst die er besiegt hatte, waren entzückt von seinen edlen Sitten, und sogar vor seinen eigenen Ohren im Gewölbe Kalum-Beks wurde über ihn gesprochen; und man beklagte nur, dass niemand wisse, wo er wohne. Das nächste Mal fand er im Hause der Fee ein noch schöneres Kleid und noch köstlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb Bagdad zugedrängt, selbst der Kalif sah von einem Balkon herab dem Schauspiel zu; auch er bewunderte den Fremdling Almansor und hing ihm, als die Spiele geendet hatten, eine große Denkmünze von Gold an einer goldenen Kette um den Hals, um ihm seine Bewunderung zu bezeigen. Es konnte nicht anders kommen, als dass dieser zweite, noch glänzendere Sieg den Neid der jungen Leute von Bagdad aufregte. "Ein Fremdling", sprachen sie untereinander, "soll hierher kommen nach Bagdad, uns Ruhm, Ehre und Sieg zu entreißen? Er soll sich an andern Orten damit brüsten können, dass unter der Blüte von Bagdads Jünglingen keiner gewesen sei, der es entfernt hätte mit ihm aufnehmen können?" So sprachen sie und beschlossen, beim nächsten Kampfspiel, als wäre es durch Zufall geschehen, zu fünf oder sechs über ihn herzufallen.
Saids scharfen Blicken entgingen diese Zeichen des Unmuts nicht; er sah, wie sie in der Ecke zusammenstanden, flüsterten und mit bösen Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, dass außer dem Bruder des Kalifen und dem Sohn des Großwesirs keiner sehr freundlich gegen ihn gesinnt sein möchte, und diese selbst wurden ihm durch ihre Fragen lästig: wo sie ihn aufsuchen könnten, womit er sich beschäftige, was ihm in Bagdad wohl gefallen habe und dergleichen.
Es war ein sonderbarer Zufall, dass derjenige ser jungen Männer, welcher Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand anderes war als der Mann, den er vor einiger Zeit vor Kalum-Beks Bude niedergeworfen hatte, als er gerade im Begriff war, dem unglücklichen Kaufmann den Bart auszureißen. Dieser Mann betrachtete ihn immer aufmerksam und neidisch; Said hatte ihn zwar schon einige Mal besiegt, aber dies war kein hinlänglicher Grund zu solcher Feindseligkeit, und Said fürchtete schon, jener möchte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme als Kalum-Beks Ladendiener erkannt haben, eine Entdeckung, die ihn dem Spott und der Rache dieser Leute aussetzen würde. Der Anschlag, welchen seine Neider auf ihn gemacht hatten, scheiterte sowohl an seiner Vorsicht und Tapferkeit, als auch an der Freundschaft, womit ihm der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs zugetan waren. Als diese sahen, dass er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn vom Pferd zu werfen oder zu entwaffnen suchten, sprengten sie herbei, jagten den ganzen Trupp auseinander und drohten den jungen Leuten, welche so verräterisch gehandelt hatten, sie aus der Kampfbahn zu stoßen. Mehr denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum Erstaunen Bagdads seine Tapferkeit erprobt, als er eines Abends beim Nachhausegehen von dem Kampfplatz einige Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm gingen vier Männer, die sich langsamen Schrittes über etwas zu beraten schienen. Als Said leise näher trat, hörte er, dass sie den Dialekt der Horde Selims in der Wüste sprachen, und ahnte, dass die vier Männer auf irgend eine Räuberei ausgingen. Sein erstes Gefühl war, sich von diesen vieren zurückzuziehen; als er aber bedachte, dass er irgend etwas Böses verhindern könnte, schlich er sich noch näher herzu, diese Männer zu behorchen.
"Der Türsteher hat ausdrücklich gesagt, die Straße rechts vom Basar", sprach der eine, "dort werde und müsse er heute Nacht mit dem Großwesir durchkommen."
"Gut", antwortete ein anderer, "den Großwesir fürchte ich nicht; er ist alt und wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein gutes Schwert führen, und ich traue ihm nicht; es schleichen ihm gewiss zehn oder zwölf von der Leibwache nach."
"Keine Seele", entgegnete ihm ein dritter. "Wenn man ihn je gesehen und erkannt hat bei Nacht, war er immer nur allein mit dem Wesir oder mit dem Oberkämmerling. Heute Nacht muss er unser sein, aber es darf ihm kein Leid geschehen."
"Ich denke, das beste ist", sprach der erste, "wir werfen ihm eine Schlinge über den Kopf; töten dürfen wir ihn nicht, denn für seinen Leichnam würden sie ein geringes Lösegeld geben, und überdies wären wir nicht sicher, es zu bekommen."
"Also eine Stunde vor Mitternacht!", sagten sie zusammen und schieden, der eine hierhin, der andere dorthin.
Said war über diesen Anschlag nicht wenig erschrocken. Er beschloss, sogleich zum Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die ihm drohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch mehrere Straßen gelaufen war, fielen ihm die Worte der Fee bei, die ihm gesagt hatte, wie schlecht er bei dem Kalifen angeschrieben sei: er bedachte, dass man vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch, bei dem Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln, ansehen könnte, und so hielt er seine Schritte an und achtete es für das beste, sich auf sein gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen persönlich aus den Händen der Räuber zu retten.
Er ging daher nicht in Kalum-Beks Haus zurück, sondern setzte sich auf die Stufen einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht völlig angebrochen war; dann ging er am Basar vorbei in jene Straße, welche die Räuber bezeichnet hatten, und verbarg sich hinter dem Vorsprung eines Hauses. Er mochte ungefähr eine Stunde dort gestanden sein, als er zwei Männer langsam die Straße herabkommen hörte; anfänglich glaubte er, es sei der Kalif und sein Großwesir, aber einer der Männer klatschte in die Hand, und sogleich eilten zwei andere sehr leise die Straße herauf vom Basar her. Sie flüsterten eine Weile und verteilten sich dann; drei versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in der Straße auf und ab. Die Nacht war sehr finster aber still, und so musste sich Said auf sein scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen.
Wieder war etwa eine halbe Stunde vergangen, als man gegen den Basar hin Schritte vernahm. Der Räuber mochte sie auch gehört haben; er schlich an Said vorüber dem Basar zu. Die Schritte kamen näher, und schon konnte Said einige dunkle Gestalten erkennen, als der Räuber in die Hand klatschte, und in demselben Augenblick stürzten die drei aus dem Hinterhalt hervor. Die Angegriffenen mussten übrigens bewaffnet sein, denn er vernahm den Klang von aneinander geschlagenen Schwertern. Sogleich zog er seine Damaszenerklinge und stürzte sich mit dem Ruf: "Nieder mit den Feinden des großen Harun!“ auf die Räuber, streckte mit dem ersten Hieb einen zu Boden und drang dann auf zwei andere ein, die eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen Strick geworfen hatten, zu entwaffnen. Er hieb blindlings auf den Strick ein, um ihn zu zerschneiden, aber er traf dabei einen der Räuber so heftig über den Arm, dass er ihm die Hand abschlug; der Räuber stürzte mit fürchterlichem Geschrei auf die Knie. Jetzt wandte sich der vierte, der mit einem andern Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit dem dritten im Kampf war, aber der Mann, um welchen man die Schlinge geworfen hatte, sah sich nicht sobald frei, als er seinen Dolch zog und ihn dem Angreifenden von der Seite in die Brust stieß. Als dies der noch übergebliebene sah, warf er seinen Säbel weg und floh.
Said blieb nicht lange in Ungewissheit, wen er gerettet habe; denn der größere der bei den Männer trat zu ihm und sprach: "Das eine ist so sonderbar wie das andere, dieser Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wusstet Ihr, wer ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewusst?"
"Beherrscher der Gläubigen", antwortete Said, "denn ich zweifle nicht, dass du es bist, ich ging heute Abend durch die Straße EI Malek hinter einigen Männern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst kennen gelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangen zu nehmen und den würdigen Mann, deinen Wesir, zu töten. Weil es nun zu spät war, dich zu warnen, beschloss ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um dir beizustehen."
"Danke dir", sprach Harun, "an dieser Stätte ist übrigens nicht gut weilen; nimm diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir, hier ist nicht gut bleiben, sie könnten wiederkommen."
Er sprach es und wollte den Großwesir fortziehen, nachdem er dem Jüngling einen Ring an den Finger gesteckt hatte; dieser aber bat ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem überraschten Jüngling einen schweren Beutel: "Junger Mann", sprach er, "mein Herr, der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst zu meinem Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann, geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel. Das soll meinen Dank übrigens nicht abkaufen. So oft du irgendeinen Wunsch hast, komm getrost zu mir."
Ganz trunken vor Glück eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er übel empfangen; Kalum-Bek wurde über sein langes Ausbleiben zuerst unwillig und dann besorgt, denn er dachte, er könnte leicht den schönen Aushängeschild seines Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit Schmähworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger. Aber Said, der einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, dass er lauter Goldstücke enthalte, bedachte, dass er jetzt nach seiner Heimat reisen könne, auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiss nicht geringer wäre als der Dank seines Wesirs, und so blieb er ihm kein Wort schuldig, sondern erklärte ihm rund und deutlich, dass er keine Stunde länger bei ihm bleiben werde. Am Anfang erschrak Kalum-Bek hierüber sehr, dann aber lachte er höhnisch und sprach: "Du Lump und Landläufer, du ärmlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen, und wo ein Nachtlager?"
"Das soll Euch nicht bekümmern, Herr Kalum-Bek", antwortete Said trotzig, "gehabt Euch wohl, mich seht Ihr nicht wieder!"
Er sprach es und lief zur Türe hinaus, und Kalum-Bek schaute ihm sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und ließ überall nach dem Flüchtling spähen. Lange suchten sie umsonst, endlich aber kam einer zurück und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz verändert: trage ein schönes Kleid, einen Dolch und Säbel und einen prachtvollen Turban.
Als Kalum-Bek dies hörte, schwur er und rief: "Bestohlen hat er mich und sich dafür gekleidet. 0 ich geschlagener Mann!" Dann lief er zum Aufseher der Polizei, und da man wusste, daß er ein Verwandter von Messour, dem Oberkämmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften. Said saß vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann, den er da gefunden, über eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt, da fielen plötzlich einige Männer über ihn her und banden ihm, trotz seiner Gegenwehr, die Hände auf den Rücken. Er fragte sie, was sie zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im Namen der Polizei und seines rechtmäßigen Gebieters Kalum-Bek. Zugleich trat der kleine, hässliche Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said, griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold heraus.
"Seht! Das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte Mensch!", rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen: "Wie! Noch so jung, so schön und doch so schlecht! Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade erhalte!" So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Ständen schloss sich an, sie riefen: "Seht, das ist der schöne Ladendiener vom Basar; er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen; zweihundert Goldstücke hat er gestohlen."
Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene; Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und verhörte nur den kleinen Kaufmann .. Er zeigte ihm den Beutel und fragte ihn, ob ihm dieses Gold gestohlen worden sei; Kalum-Bek beschwor es; aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem schönen Ladendiener, der ihm tausend Goldstücke wert war, denn der Richter sprach: "Nach einem Gesetz, das mein großmächtigster Herr, der Kalif, erst vor wenigen Tagen verschärft hat, wird jeder Diebstahl, der hundert Goldstücke übersteigt und auf dem Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher Burschen voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See geführt."
Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhören, ihn nur ein Wort mit dem Kalifen sprechen zu lassen; aber er fand keine Gnade. Kalum-Bek, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls für ihn, aber der Richter antwortete: "Du hast dein Gold und kannst zufrieden sein, geh nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich für jeden Widerspruch um zehn Goldstücke." Kalum schwieg bestürzt, der Richter aber winkte, und der unglückliche Said wurde abgeführt.
Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefängnis; neunzehn elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren Leidensgefährten mit rohem Gelächter und Verwünschungen gegen den Richter und den Kalifen. So schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so fürchterlich der Gedanke war, auf eine wüste Insel verbannt zu werden, so fand er doch noch einigen Trost darin, schon am folgenden Tage aus diesem schrecklichen Gefängnis erlöst zu werden. Aber er täuschte sich sehr, als er glaubte, sein Zustand auf dem Schiff werde besser sein. In den untersten Raum, wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die zwanzig Verbrecher hinabgeworfen, und dort stießen und schlugen sie sich um die besten Plätze.
Die Anker wurden gelichtet, und Said weinte bittere Tränen, als das Schiff, das ihn von seinem Vaterland entführen sollte, sich zu bewegen anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig Brot und Früchte und einen Trunk süßen Wassers aus, und so dunkel war es in dem Schiffsraum, dass man immer Lichter herab bringen musste, wenn die Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei, drei Tage fand man einen Toten unter ihnen, so ungesund war die Luft in diesem Wasserkerker, und Said wurde nur durch seine Jugend und seine feste Gesundheit erhalten.
Vierzehn Tage waren sie schon auf dem Wasser, als eines Tages die Wellen heftiger rauschten, und ein ungewöhnliches Treiben und Rennen auf dem Schiffe entstand.
Said ahnte, dass ein Sturm im Anzuge sei; es war ihm sogar angenehm, denn er hoffte dann zu sterben.
Heftiger wurde das Schiff hin und her geworfen, und endlich saß es mit schrecklichem Krachen fest. Geschrei und Geheul scholl von dem Verdeck herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes. Endlich wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit entdeckte auch einer der Gefangenen, dass das Wasser in das Schiff eindringe. Sie pochten an der Falltüre nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher das Wasser immer heftiger eindrang, stemmten sie sich mit vereinigten Kräften gegen die Türe und sprengten sie auf.
Sie stiegen die Treppe hinan, aber oben fanden sie keinen Menschen mehr. Die ganze Schiffsmannschaft hatte sich in Booten gerettet. Jetzt gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der Sturm wütete immer heftiger, das Schiff krachte und senkte sich. Noch einige Stunden saßen sie auf dem Verdeck und hielten ihre letzte Mahlzeit von den Vorräten, die sie im Schiff gefunden, dann erneuerte sich auf einmal der Sturm, das Schiff wurde von der Klippe, worauf es festsaß, hinweggerissen und brach zusammen.
Said hatte sich am Mast angeklammert und hielt ihn, als das Schiff geborsten war, noch immer fest. Die Wellen warfen ihn hin und her, aber er hielt sich, mit den Füßen rudernd, immer wieder oben. So schwamm er in immerwährender Todesgefahr eine halbe Stunde, da fiel die Kette mit dem Pfeifchen wieder aus seinem Kleid, und noch einmal wollte er versuchen, ob es nicht töne. Mit der einen Hand klammerte er sich fest, mit der andern setzte er es an seinen Mund, blies, ein heller, klarer Ton erscholl, und augenblicklich legte sich der Sturm, und die Wellen glätteten sich, als hätte man Öl darauf ausgegossen. Kaum hatte er sich mit leichterem Atem umgesehen, ob er nicht irgendwo Land erspähen könnte, als der Mast unter ihm sich auf eine sonderbare Weise auszudehnen und zu bewegen anfing, und zu seinem nicht geringen Schrecken nahm er wahr, dass er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber kehrte seine Fassung zurück, und da er sah, dass der Delphin zwar schnell, aber ruhig und gelassen seine Bahn fort schwimme, schrieb er seine wunderbare Rettung dem silbernen Pfeifchen und der gütigen Fee zu und rief seinen feurigsten Dank in die Lüfte.
Pfeilschnell trug ihn sein wunderbares Pferd durch die Wogen, und noch ehe es Abend wurde, sah er Land und erkannte einen breiten Fluss, in welchen der Delphin auch sogleich einbog. Stromaufwärts ging es langsamer, und um nicht verschmachten zu müssen, nahm Said, der sich aus alten Zaubergeschichten erinnerte wie man zaubern müsse, das Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft und wünschte sich dann ein gutes Mahl. Sogleich hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser tauchte ein Tisch, so wenig nass, als ob er acht Tage an der Sonne gestanden wäre, und reich besetzt mit köstlichen Speisen. Said griff weidlich zu, denn seine Kost während der Gefangenschaft war schmal und elend gewesen, und als er sich hinlänglich gesättigt hatte, sagte er Dank; der Tisch tauchte nieder, er aber stauchte den Delphin in die Seite, und sogleich schwamm dieser weiter den Fluss hinauf.
Die Sonne fing schon an zu sinken, als Said in dunkler Ferne eine große Stadt erblickte, deren Minaretts ihm Ähnlichkeit mit denen von Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war ihm nicht sehr angenehm, aber sein Vertrauen auf die gütige Fee war so groß, dass er fest glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Hände des schändlichen Kalum-Bek fallen lassen.
Zur Seite, etwa eine Meile von der Stadt und nahe am Fluss, erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner großen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem Hause hin.
Auf dem Dach des Hauses standen mehrere schön gekleidete Männer, und am Ufer sah Said eine große Menge Diener, und alle schauten nach ihm und schlugen vor Verwunderung die Hände zusammen. An einer Marmortreppe, die vom Wasser nach dem Lustschloss hinaufführte, hielt der Delphin an, und kaum hatte Said einen Fuß auf die Treppe gesetzt, so war auch schon der Fisch spurlos verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die Treppe herab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm hinauf zu kommen, und boten ihm trockene Kleider an. Er kleidete sich schnell um und folgte dann den Dienern auf das Dach, wo er drei Männer fand, von welchen der größte und schönste ihm freundlich und huldreich entgegenkam. "Wer bist du, wunderbarer Fremdling", sprach er, "der du die Fische des Meeres zähmst und sie links und rechts leitest, wie der beste Reiter sein Streitross? Bist du ein Zauberer oder ein Mensch wie wir?"
"Herr!", antwortete Said, "mir ist es in den letzten Wochen schlecht ergangen, wenn Ihr aber Vergnügen daran findet, so will ich Euch erzählen." Und nun hub er an und erzählte den drei Männern seine Geschichte von dem Augenblick an, wo er seines Vaters Haus verlassen hatte, bis zu seiner wunderbaren Rettung. Oft wurde er von ihnen mit Zeichen des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; als er aber geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn so freundlich empfangen hatte: "Ich traue deinen Worten, Said! Aber du erzähltest uns, dass du im Wettkampfe eine Kette gewonnen, und dass dir der Kalif einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns zeigen?"
"Hier auf meinem Herzen habe ich beide verwahrt", sprach der Jüngling, "und nur mit meinem Leben hätte ich so teure Geschenke hergegeben, denn ich achte es für die ruhmvollste und schönste Tat, dass ich den großen Kalifen aus den Händen seiner Mörder befreite." Zugleich zog er Kette und Ring hervor und übergab bei des den Männern.
"Beim Bart des Propheten, er ist's, es ist mein Ring!", rief der hohe, schöne Mann. "Großwesir, lass uns ihn umarmen, denn hier steht unser Retter." Said war es wie ein Traum, als diese zwei ihn umschlangen, aber alsobald warf er sich nieder und sprach: "Verzeihe, Beherrscher der Gläubigen, dass ich so vor dir gesprochen habe, denn du bist kein anderer als Harun AI-Raschid, der große Kalif von Bagdad."
"Der bin ich, dein Freund!", antwortete Harun, "und von dieser Stunde an sollen sich alle deine trüben Schicksale wenden. Folge mir nach Bagdad, bleibe in meiner nächsten Umgebung und sei einer meiner vertrautesten Beamten, denn wahrlich, du hast in jener Nacht gezeigt, dass dir Harun nicht gleichgültig ist, und nicht jeden meiner treuesten Diener möchte ich auf gleiche Probe stellen!"
Said dankte dem Kalifen; er versprach ihm, auf immer bei ihm zu bleiben, wenn er zuvor eine Reise zu seinem Vater, der in großen Sorgen um ihn sein müsse, gemacht haben werde, und der Kalif fand dies gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd und kamen noch vor Sonnenuntergang in Bagdad an. Der Kalif ließ Said eine lange Reihe prachtvoll geschmückter Zimmer in seinem Palast anweisen und versprach ihm noch überdies, ein eigenes Haus für ihn erbauen zu lassen.
Auf die erste Kunde von diesem Ereignis eilten die alten Waffenbrüder Saids, der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, herbei. Sie umarmten ihn als Retter dieser teuren Männer und baten ihn, er möchte ihr Freund werden. Aber sprachlos wurden sie vor Erstaunen, als er sagte: "Euer Freund bin ich längst", als er die Kette, die er als Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie an dieses und jenes erinnerte. Sie hatten ihn immer nur schwärzlichbraun und mit langem Bart gesehen, und erst, als er erzählte, wie und warum er sich entstellt habe, als er zu seiner Rechtfertigung stumpfe Waffen herbeibringen ließ, mit ihnen focht und ihnen den Beweis gab, dass er Almansor der Tapfere sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich glücklich, einen solchen Freund zu haben.
Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Großwesir bei Harun saß, trat Messour, der Oberkämmerer, herein und sprach: "Beherrscher der Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich dich um eine Gnade bitten,"
"Ich will zuvor hören", antwortete Harun.
"Draußen steht mein lieber leiblicher Vetter Kalum-Bek, ein berühmter Kaufmann auf dem Basar", sprach er, "der hat einen sonderbaren Handel mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei Kalum-Bek diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiß wohin. Nun will aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch nicht. Er wünscht daher und bittet um die Gnade, du möchtest Kraft deiner großen Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus Balsora und ihm."
"Ich will richten", erwiderte der Kalif, "in einer halben Stunde möge dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten."
Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: "Das ist niemand anders als dein Vater, Said, und da ich nun glücklicherweise alles, wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said, verbirgst dich hinter dem Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe, und du, Großwesir, lässt mir sogleich den schlechten und voreiligen Polizeirichter holen. Ich werde ihn im Verhör brauchen."
Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte stärker, als er seinen Vater bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Beks schlaues, zuversichtliches Lächeln, womit er zu seinem Vetter Oberkämmerer flüsterte, machte ihn so grimmig, dass er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestürzt wäre. Denn seine größten Leiden und Kümmernisse hatte er diesem schlechten Menschen zu danken.
Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechen hören wollten. Der Großwesir gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille, und fragte, wer hier als Kläger vor seinem Herrn erscheine.
Kalum-Bek trat mit frecher Stirne vor und sprach: "Vor einigen Tagen stand ich unter der Türe meines Gewölbes im Basar, als ein Ausrufer, einen Beutel in der Hand und diesen Mann hier neben sich, durch die Buden schritt und rief: Einen Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann über Said aus Balsora. Dieser Said war in meinen Diensten gewesen, und ich rief daher: Hierher, Freund! ich kann den Beutel verdienen. Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und fragte, was ich wüsste. Ich antwortete: Ihr seid wohl Benezar, sein Vater? und als er dies freudig bejahte, erzählte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den Beutel. Aber hört diesen unsinnigen Menschen! Wie ich ihm nun weiter erzählte, dass sein Sohn bei mir gedient habe, dass er schlechte Streiche gemacht, gestohlen habe und davongegangen sei, will er es nicht glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn und sein Geld zurück, und bei des kann ich nicht geben, denn das Geld gebührt mir für die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich nicht herbeischaffen."
Jetzt sprach auch Benezar. Er schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei, und dass er nie habe so schlecht sein können zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf streng zu untersuchen.
"Ich hoffe", sprach Harun, "du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt, Kalum-Bek?"
"Ei freilich!" rief jener lächelnd, "vor den Polizeirichter habe ich ihn geführt."
"Man bringe den Polizeirichter!", befahl der Kalif.
Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handels erinnere, und dieser gestand den Fall zu.
"Hast du den jungen Mann verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?", fragte Harun.
"Nein, er war sogar so verstockt, dass er niemand als Euch selbst gestehen wollte!", erwiderte der Richter.
"Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben", sagte der Kalif. "Ei warum auch! da müsste ich alle Tage einen ganzen Pack solches Gesindel zu Euch schicken, die Euch sprechen wollen."
"Du weißt, dass mein Ohr für jeden offen ist", antwortete Harun, "aber wahrscheinlich waren die Beweise über den Diebstahl so klar, dass es nicht nötig war, den jungen Menschen vor mein Angesicht zu bringen. Du hattest wohl Zeugen, dass das Geld, das dir gestohlen wurde, dir gehörte, Kalum?"
"Zeugen ?", fragte dieser erbleichend, "nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisst ja, Beherrscher der Gläubigen, dass ein Goldstück aussieht wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, dass diese hundert Stücke in meiner Kasse fehlen?"
"An was erkanntest du denn, dass jene Summe gerade dir gehöre?", fragte der Kalif.
"An dem Beutel, in welchem sie war", erwiderte Kalum. "Hast du den Beutel hier?", forschte jener weiter.
"Hier ist er", sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Großwesir, damit er ihn dem Kalifen gebe.
Doch der Wesir rief mit verstelltem Erstaunen: "Beim Bart des Propheten! der Beutel soll dein sein, du Hund? Mir gehörte dieser Beutel, und ich gab ihn mit hundert Goldstücken gefüllt einem braven jungen Mann, der mich aus einer großen Gefahr befreite."
"Kannst du darauf schwören?", fragte der Kalif.
"So gewiss, als ich einst ins Paradies kommen will", antwortete der Wesir, "denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt."
"Ei! ei!", rief Harun, "so wurdest du also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, dass der Beutel diesem Kaufmann gehöre?"
"Er hat geschworen", antwortete der Polizeirichter furchtsam.
"So hast du falsch geschworen?", donnerte der Kalif den Kaufmann an, der erbleichend und zitternd vor ihm stand.
"Allah, Allah!", rief jener, "ich will gewiss nichts gegen den Herrn Großwesir sagen, er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach! der Beutel gehört doch mir, und der nichtswürdige Said hat ihn gestohlen. Tausend Tomans wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle wäre."
"Was hast du denn mit diesem Said angefangen?", fragte der Kalif.
"Sag' an, wohin man schicken muss, damit er vor mir Bekenntnis ablege!"
"Ich habe ihn auf eine wüste Insel geschickt", sprach der Polizeirichter.
,,0 Said! mein Sohn, mein Sohn!", rief der unglückliche Vater und weinte.
"So hat er also das Verbrechen bekannt?", fragte Harun.
Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er: "Wenn ich mich noch recht erinnern kann - ja."
"Du weißt es also nicht gewiss?", fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme fort, "so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du, Kalum-Bek, zahlst vor allem tausend Goldstücke, weil er jetzt hier zur Stelle ist."
Kalum und der Polizeirichter glaubten ein Gespenst zu sehen. Sie stürzten nieder und riefen: "Gnade! Gnade!" Benezar, vor Freude halb ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif: "Polizeirichter, hier steht Said, hat er eingestanden?"
"Nein, nein!", heulte der Polizeirichter, "ich habe nur Kalums Zeugnis gehört, weil er ein angesehener Mann ist."
"Habe ich dich darum als Richter über alle bestellt, dass du nur den Vornehmen hörst?", rief Harun AI-Raschid mit edlem Zorn. "Auf zehn Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel, mitten im Meer, da kannst du über Gerechtigkeit nachdenken, und du, elender Mensch, der du Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du sie versprochen, wenn Said käme, um für dich zu zeugen."
Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem bösen Handel zu kommen und wollte eben dem gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: "Für den falschen Eid wegen der hundert Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf die Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er dein ganzes Gewölbe und dich als Lastträger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstücken für jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist."
"Lasst den Elenden laufen, Kalif!", rief der Jüngling, "ich will nichts, was ihm gehörte."
"Nein", antwortete Harun, "ich will, dass du entschädigt werdest.
Ich wähle statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag, und du magst berechnen, wieviel Tage du in seinen Klauen warst. jetzt fort mit diesen Elenden."
Sie wurden abgeführt, und der Kalif führte Benezar und Said in einen andern Saal; dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Beks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstücke auf die Fußsohlen zählte.
Der Kalif lud Benezar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu leben. Er sagte es zu und reiste nur noch einmal nach Hause, um sein großes Vermögen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast, den ihm der dankbare Kalif erbaut hatte, wie ein Fürst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs waren seine Gesellschafter, und es war in Bagdad zum Sprichwort geworden: Ich möchte so gut und so glücklich sein als Said, der Sohn Benezars.

"Mitternacht ist längst vorüber", sagte der Student, als der junge
Goldarbeiter seine Erzählung geendigt hatte, "jetzt hat es wohl keine Gefahr mehr, und ich für meinen Teil bin so schläfrig, dass ich allen raten möchte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen."
"Vor zwei Uhr morgens möcht' ich doch nicht trauen", entgegnete der Jäger; "das Sprichwort sagt: von elf bis zwei Uhr ist des Diebes Zeit."
"Das glaube ich auch", bemerkte der Zirkelschmied; "denn wenn man uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach Mitternacht. Drum meine ich, der Studiosus könnte an seiner Erzählung fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat."
"Ich sträube mich nicht", sagte dieser, "obgleich unser Nachbar, der Herr Jäger, den Anfang nicht gehört hat."
"Ich muss ihn mir hinzudenken, fangt nur an", rief der Jäger.
"Nun denn", wollte eben der Student beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden, alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stürzte einer der Bedienten aus dem Zimmer der Gräfin und rief, dass wohl zehn bis zwölf bewaffnete Männer von der Seite her auf die Schenke zukämen.
Der Jäger griff nach seiner Büchse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksburschen nach ihren Stöcken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an.
"Lasst uns an die Treppe gehen!", rief der Student, "zwei oder drei dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir überwältigt werden." Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und riet, dass sie nur einer nach dem andern schießen wollten. Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jäger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwärts neben dem Jäger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich über das Geländer, indem er die Mündung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt. Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das ihrige zu tun.
So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung; endlich hörte man die Haustüre aufgehen, sie glaubten auch das Flüstern mehrerer Stimmen zu vernehmen.
Jetzt hörte man die Tritte vieler Menschen der Treppe nahen, man kam die Treppe herauf, und auf der ersten Hälfte zeigten sich drei Männer, die wohl nicht auf den Empfang gefasst waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jäger mit starker Stimme: "Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des Todes. Spannt die Hähne, Freunde, und gut gezielt.“
Die Räuber erschraken, zogen sich eilig zurück und berieten sich mit den übrigen.
Nach einer Weile kam einer davon zurück und sprach: "Ihr Herren! Es wäre Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen, denn wir sind unserer genug, um euch völlig aufzureiben; aber zieht euch zurück, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen."
"Was wollt ihr denn sonst?" rief der Student. "Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes Namen so kommt, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirne, dass er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!"
"Gebt uns die Dame heraus, gutwillig", antwortete der Räuber. "Es soll ihr nichts geschehen, wir wollen sie an einen sichern und bequemen Ort führen, ihre Leute können zurück reiten und den Herrn Grafen bitten, er möge sie mit zwanzigtausend Gulden auslösen."
"Solche Vorschläge sollen wir uns machen lassen?", entgegnete der Jäger knirschend vor Wut und spannte den Hahn. "Ich zähle bis drei, und wenn du da unten nicht bei drei hinweg bist, so drücke ich los, eins, zwei –„
"Halt!" schrie der Räuber mit donnernder Stimme, "ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schießen, der mit euch friedlich unterhandelt? Törichter Bursche, du kannst mich totschießen, und dann hast du erst keine große Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich rächen werden. Was nützt es dann deiner Frau Gräfin, wenn ihr tot oder verstümmelt auf der Flur liegt? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden, aber wenn du, bis ich drei zähle, nicht den Hahn in Ruhe setzest, so soll es ihr übel ergehen. Hahn in Ruh', eins, zwei, drei!"
"Mit diesen Hunden ist nicht zu spaßen", flüsterte der Jäger, indem er den Befehl des Räubers befolgte; "wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts, aber wenn ich einen niederschieße, könnten sie meine Dame um so härter behandeln. Ich will die Gräfin um Rat fragen. Gebt uns", fuhr er mit lauter Stimme fort, "gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Gräfin vorzubereiten, sie würde, wenn sie es so plötzlich erfährt, den Tod davon haben."
"Zugestanden", antwortete der Räuber und ließ zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Mann besetzen.
Bestürzt und verwirrt folgten die unglücklichen Reisenden dem Jäger in das Zimmer der Gräfin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, dass ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig, aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben: "Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braver Leute aufs Spiel setzen?", sagte sie. "Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennt? Nein, ich sehe, dass keine andere Rettung ist als den Elenden zu folgen."
Man war allgemein von dem Mut und dem Unglück der Dame ergriffen; der Jäger weinte und schwur, dass er diese Schmach nicht überleben könne. Der Student aber schmähte auf sich und seine Größe von sechs Fuß. "Wäre ich nur um einen halben Kopf kleiner", rief er, "und hätte ich keinen Bart, so wüsste ich wohl, was ich zu tun hätte, ich ließe mir von der Frau Gräfin Kleider geben, und diese Elenden sollten spät genug erfahren, welchen Missgriff sie getan." Auch auf Felix hatte das Unglück dieser Frau großen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so rührend und bekannt vor, es war ihm, als sei es seine frühe verstorbene Mutter, die sich in dieser schrecklichen Lage befände. Er fühlte sich so gehoben, so mutig, dass er gerne sein Leben für das ihrige gegeben hätte. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergaß alle Angst, alle Rücksichten, und er dachte nur an die Rettung dieser Frau. "Ist es nur dies", sprach er, indem er schüchtern und errötend hervortrat, "gehört nur ein kleiner Körper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnädige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; zieht in Gottes Namen meinen Rock an, setzt meinen Hut auf Euer schönes Haar, und nehmt mein Bündel auf den Rücken und - zieht als Felix der Goldarbeiter Eure Straße."
Alle waren erstaunt über den Mut des Jünglings, der Jäger aber fiel ihm freudig um den Hals. "Goldjunge", rief er, "das wolltest du tun? Wolltest dich in meiner gnädigen Frau Kleider stecken lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen, ich will mich mit gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite, als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben dürfen."
"Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!", rief der Student.
Es kostete lange Überredung, bis die Gräfin in diesen Vorschlag einwilligte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ein fremder Mensch für sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Fall einer späteren Entdeckung die Rache der Räuber, die ganz auf den Unglücklichen fallen würde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Überzeugung, im Fall sie gerettet würde, alles aufbieten zu können, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein. Der Jäger und die übrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Gräfin überwarf. Der Jäger setzte ihm noch zum Überfluss einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, dass man ihn nicht erkennen würde. Selbst der Zirkelschmied schwur, dass, wenn er ihm auf der Straße begegnete, würde er flink den Hut abziehen und nicht ahnen, dass er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache.
Die Gräfin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem Ränzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief in die Stirn gedrückt, der Reisestock in der Hand, das etwas leichter gewordene Bündel auf dem Rücken machten sie völlig unkenntlich, und die Reisenden würden zu jeder andern Zeit über diese komische Maskerade nicht wenig gelacht haben.
Der neue Handwerksbursche dankte Felix mit Tränen und versprach die schleunigste Hilfe.
"Nur noch eine Bitte habe ich", antwortete Felix, "in diesem Ränzchen, das Sie auf dem Rücken tragen, befindet sich eine kleine Schachtel; verwahren Sie diese sorgfältig, - wenn sie verloren ginge, wäre ich auf immer und ewig unglücklich; ich muss sie meiner Pflegemutter bringen und -"
"Gottfried, der Jäger, weiß mein Schloss", entgegnete sie, "es soll Euch alles unbeschädigt wieder zurückgestellt werden; denn ich hoffe, Ihr kommt dann selbst, edler junger Mann, um den Dank meines Gatten und den meinigen zu empfangen."
Ehe noch Felix darauf antworten konnte, ertönten von der Treppe her die rauen Stimmen der Räuber; sie riefen, die Frist sei verflossen und alles zur Abfahrt der Gräfin bereit. Der Jäger ging zu ihnen hinab und erklärte ihnen, dass er die Dame nicht verlassen werde und lieber mit ihnen gehe, wohin es auch sei, ehe er ohne seine Gebieterin vor seinem Herrn erscheine. Auch der Student erklärte, diese Dame begleiten zu wollen. Sie beratschlagten sich über diesen Fall und gestanden es endlich zu, unter der Bedingung, dass der Jäger sogleich seine Waffen abgebe. Zugleich befahlen sie, dass die übrigen Reisenden sich ruhig verhalten sollten, wenn die Gräfin hinweggeführt werde.
Felix ließ den Schleier nieder, der über seinen Hut gebreitet war, setzte sich in eine Ecke, die Stirne in die Hand gestützt, und in dieser Stellung eines tief Betrübten erwartete er die Räuber. Die Reisenden hatten sich in das andere Zimmer zurückgezogen, doch so, dass sie, was vorging, überschauen konnten; der Jäger saß anscheinend traurig, aber auf alles lauernd in der andern Ecke des Zimmers, das die Gräfin bewohnt hatte. Nachdem sie einige Minuten so gesessen, ging die Türe auf, und ein schöner, stattlich gekleideter Mann von etwa sechsunddreißig Jahren trat in das Zimmer. Er trug eine Art von militärischer Uniform, einen Orden auf der Brust, einen langen Säbel an der Seite, und in der Hand hielt er einen Hut, von welchem schöne Federn herabwallten. Zwei seiner Leute hatten gleich nach seinem Eintritt die Türe besetzt.
Er ging mit einer tiefen Verbeugung auf Felix zu; er schien vor einer Dame dieses Ranges etwas in Verlegenheit zu sein, er setzte mehrere Male an, bis es ihm gelang, geordnet zu sprechen. "Gnädige Frau", sagte er, "es gibt Fälle, worein man sich in Geduld schicken muss. Ein solcher ist der Ihrige. Glauben Sie nicht, dass ich den Respekt vor einer so ausgezeichneten Dame auch nur auf einen Augenblick aus den Augen setzen werde; Sie werden alle Bequemlichkeit haben, Sie werden über nichts klagen können als vielleicht über den Schrecken, den Sie diesen Abend gehabt." Hier hielt er inne, als erwartete er eine Antwort; als aber Felix beharrlich schwieg, fuhr er fort: "Sehen Sie in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlabschneider. Ich bin ein unglücklicher Mann, den widrige Verhältnisse zu diesem Leben zwangen. Wir wollen uns auf immer aus dieser Gegend entfernen; aber wir brauchen Reisegeld. Es wäre uns ein leichtes gewesen, Kaufleute oder Postwagen zu überfallen, aber dann hätten wir vielleicht mehrere Leute auf immer ins Unglück gestürzt. Der Herr Graf, Ihr Gemahl, hat vor sechs Wochen eine Erbschaft von fünfmalhunderttausend Talern gemacht. Wir erbitten uns zwanzigtausend Gulden von diesem Überfluss, gewiss eine gerechte und bescheidene Forderung. Sie werden daher die Gnade haben, jetzt sogleich einen offenen Brief an Ihren Gemahl zu schreiben, worin Sie ihm melden, dass wir Sie zurückgehalten, dass er die Zahlung sobald als möglich leisten möge, widrigenfalls - Sie verstehen mich, wir müssen dann etwas härter mit Ihnen selbst verfahren. Die Zahlung wird nicht angenommen, wenn sie nicht unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit von einem einzelnen Mann hierher gebracht wird."
Diese Szene wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit von allen Gästen der Waldschenke, am ängstlichsten wohl von der Gräfin, beobachtet. Sie glaubte jeden Augenblick, der Jüngling, der sich für sie geopfert, könnte sich verraten. Sie war fest entschlossen, ihn um einen großen Preis loszukaufen; aber ebenso fest stand ihr Gedanke, um keinen Preis der Welt auch nur einen Schritt weit mit den Räubern zu gehen. Sie hatte in der Rocktasche des Goldarbeiters ein Messer gefunden. Sie hielt es geöffnet krampfhaft in der Hand, bereit, sich lieber zu töten, als eine solche Schmach zu erdulden. Jedoch nicht minder ängstlich war Felix selbst. Zwar stärkte und tröstete ihn der Gedanke, dass es eine männliche und würdige Tat sei, einer bedrängten, hilflosen Frau auf diese Weise beizustehen; aber er fürchtete, sich durch jede Bewegung, durch seine Stimme zu verraten. Seine Angst steigerte sich, als der Räuber von einem Briefe sprach, den er schreiben sollte.
Wie sollte er schreiben? Welche Titel dem Grafen geben, welche Form der Briefe, ohne sich zu verraten? Seine Angst stieg aber aufs höchste, als der Anführer der Räuber Papier und Feder vor ihn hinlegte, ihn bat, den Schleier zurückzuschlagen und zu schreiben.
Felix wusste nicht, wie hübsch ihm die Tracht passte, in welche er gekleidet war; hätte er es gewusst, er würde sich vor einer Entdeckung nicht im mindesten gefürchtet haben. Denn als er endlich notgedrungen den Schleier zurückschlug, schien der Herr in Uniform, betroffen von der Schönheit der Dame und ihren etwas männlichen, mutigen Zügen, sie nur noch ehrfurchtsvoller zu betrachten. Dem klaren Blicke des jungen Goldschmieds entging dies nicht; getrost, dass wenigstens in diesem gefährlichen Augenblick keine Entdeckung zu fürchten sei, ergriff er die Feder und schrieb an seinen vermeintlichen Gemahl nach einer Form, wie er sie einst in einem alten Buche gelesen; er schrieb:
"Mein Herr und Gemahl!
Ich unglückliche Frau bin auf meiner Reise mitten in der Nacht plötzlich angehalten worden, und zwar von Leuten, welchen ich keine gute Absicht zutrauen kann. Sie werden mich so lange zurückhalten, bis Sie, Herr Graf, die Summe von 20000 Gulden für mich niedergelegt haben.
Die Bedingung ist dabei, dass Sie nicht im mindesten über die Sache sich bei der Obrigkeit beschweren, noch ihre Hilfe nachsuchen, dass Sie das Geld durch einen einzelnen Mann in die Waldschenke im Spessart schicken; widrigenfalls ist mir mit längerer und harter Gefangenschaft gedroht.
Es fleht Sie um schleunige Hilfe an
Ihre unglückliche Gemahlin."
Er reichte den merkwürdigen Brief dem Anführer der Räuber, der ihn durchlas und billigte. "Es kommt nun ganz auf Ihre Bestimmung an", fuhr er fort, "ob Sie Ihre Kammerfrau oder Ihren Jäger zur Begleitung wählen werden. Die eine dieser Personen werde ich mit dem Briefe an Ihren Herrn Gemahl zurückschicken."
"Der Jäger und dieser Herr hier werden mich begleiten", antwortete Felix.
"Gut", entgegnete jener, indem er an die Türe ging und die Kammerfrau herbeirief, "so unterrichten Sie diese Frau, was sie zu tun habe."
Die Kammerfrau erschien mit Zittern und Beben. Auch Felix erblasste, wenn er bedachte, wie leicht er sich auch jetzt wieder verraten könnte. Doch ein unbegreiflicher Mut, der ihn in jenen gefährlichen Augenblicken stärkte, gab ihm auch jetzt wieder seine Reden ein. "Ich habe dir nichts weiter aufzutragen", sprach er, "als dass du den Grafen bittest, mich so bald als möglich aus dieser unglücklichen Lage zu reißen."
"Und", fuhr der Räuber fort, "dass Sie dem Herrn Grafen aufs genaueste und ausdrücklichste empfehlen, dass er alles verschweige und nichts gegen uns unternehme, bis seine Gemahlin in seinen Händen ist. Unsere Kundschafter würden uns bald genug davon unterrichten, und ich möchte dann für nichts stehen."
Die zitternde Kammerfrau versprach alles. Es wurde ihr noch befohlen, einige Kleidungsstücke und Leinenzeug für die Frau Gräfin in einen Bündel zu packen, weil man sich nicht mit vielem Gepäck beladen könne, und als dies geschehen war, forderte der Anführer der Räuber die Dame mit einer Verbeugung auf, ihm zu folgen. Felix stand auf, der Jäger und der Student folgten Ihm, und alle drei stiegen, begleitet von dem Anführer der Räuber, die Treppe hinab.
Vor der Waldschenke standen viele Pferde; eines wurde dem Jäger angewiesen, ein anderes, ein schönes, kleines Tier, mit einem Damensattel versehen, stand für die Gräfin bereit, ein drittes gab man dem Studenten. Der Hauptmann hob den jungen Goldschmied in den Sattel, schnallte ihn fest und bestieg dann selbst sein Ross. Er stellte sich zur Rechten der Dame auf, zur Linken hielt einer der Räuber; auf gleiche Weise waren auch der Jäger und der Student umgeben. Nachdem sich auch die übrige Bande zu Pferde gesetzt hatte, gab der Anführer mit einer hell tönenden Pfeife das Zeichen zum Aufbruch, und bald war die ganze Schar im Walde verschwunden.
Die Gesellschaft, die im obern Zimmer versammelt war, erholte sieb nach diesem Auftritt allmählich von ihrem Schrecken. Sie wären, wie es nach großem Unglück oder plötzlicher Gefahr zu geschehen pflegt, vielleicht sogar heiter gewesen, hätte sie nicht der Gedanke an ihre drei Gefährten beschäftigt, die man vor ihren Augen hinweggeführt hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die Gräfin vergaß Tränen der Rührung, wenn sie bedachte, dass sie einem Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es für alle, dass der heldenmütige Jäger und der wackere Student ihn begleitet hatten konnten sie ihn doch trösten, wenn sich der junge Mann unglücklich fühlte, ja der Gedanke lag nicht gar zu ferne, dass der verschlagene Waidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden könnte. Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Gräfin beschloss, da ja sie kein Schwur gegen den Räuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurückzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach nach Aschaffenburg zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Räuber aufzurufen. Der Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen.
Die Reisenden wurden in dieser Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bedienten der Gräfin zu dem Wirt hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertig zu machen, kehrten sie schnell zurück und berichteten, dass sie
die Wirtin und ihr Gesinde in einem elenden Zustande gefunden hätten. Sie lägen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand.
Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an. "Wie?" rief der Zirkelschmied, "so sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So hätten wir ihnen unrecht getan, und sie standen nicht im Einverständnis mit den Räubern?"
"Ich lasse mich aufhängen statt ihrer", erwiderte der Fuhrmann, "wenn wir nicht dennoch recht hätten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht überwiesen werden zu können. Erinnert ihr euch nicht der verdächtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, wie ich hinabgehen wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losließ, wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und mürrisch fragten, was ich denn noch zu tun hätte? Doch es war unser, wenigstens der Frau Gräfin, Glück. Hätte es in der Schenke weniger verdächtig ausgesehen, hätte uns die Wirtin nicht so misstrauisch gemacht, wir wären nicht zusammengestanden, wären nicht wach geblieben. Die Räuber hätten uns überfallen im Schlafe, hätten zum wenigsten unsere Türe bewacht, und diese Verwechselung des braven, jungen Burschen wäre nimmer möglich geworden."
Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle überein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bedienten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, lösten die Bande der Diebeshehler auf und bezeigten sich so mitleidig und bedauernd als möglich. Um ihre Gäste noch mehr zu versöhnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung für jeden und lud sie ein recht bald wiederzukommen.
Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Straße. Nach diesem machten sich die bei· den Handwerksburschen auf den Weg. So leicht das Bündel des Goldschmieds war, so drückte es doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustüre die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte um Abschied zu nehmen. "Ei, was seid Ihr doch für ein junges Blut", rief sie beim Anblick des zarten Jungen, "noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiss ein verdorbenes Kräutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an, schenkt mir die Ehre bei der Heimkehr, glückliche Reise!"
Die Gräfin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fürchtete sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es, nahm seinen Gefährten unter den Arm, sagte der Wirtin Ade und stimmte ein lustiges Lied an, während er dem Walde zuschritt.
"Jetzt erst bin ich in Sicherheit!", rief die Gräfin, als sie etwa hundert Schritte entfernt waren. "Noch immer glaubte ich, die Frau werde mich erkennen und durch ihre Knechte festnehmen. Oh, wie will ich euch allen danken! Kommt auch ihr auf mein Schloss, ihr müsst doch euren Reisegenossen bei mir wieder abholen."
Der Zirkelschmied sagte zu und während sie noch sprachen, kam der Wagen der Gräfin ihnen nachgefahren; schnell wurde die Tür geöffnet, die Dame schlüpfte hinein, grüßte den jungen Handwerksburschen noch einmal, und der Wagen fuhr weiter.
Um dieselbe Zeit hatten die Räuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz der Bande erreicht. Sie waren durch eine ungebahnte Waldstraße in schnellstem Trab weggeritten; mit ihren Gefangenen wechselten sie kein Wort, auch unter sich flüsterten sie nur zuweilen, wenn die Richtung des Weges sich veränderte. Vor einer tiefen Waldschlucht machte man endlich Halt. Die Räuber saßen ab, und ihr Anführer hob den Goldarbeiter vom Pferd, indem er sich über den harten und eiligen Ritt entschuldigte und fragte, ob doch die gnädige Frau nicht gar zu sehr angegriffen sei.
Felix antwortete ihm so zierlich als möglich, dass er sich nach Ruhe sehne, und der Hauptmann bot ihm den Arm, ihn in die Schlucht zu führen. - Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fußpfad, welcher hinunterführte, war so schmal und abschüssig, dass der Anführer oft seine Dame unterstützen musste, um sie vor der Gefahr, hinabzustürzen, zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von höchstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch hinaufstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Hütten waren in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Bäumen aufgebaut. Einige schmutzige Weiber schauten neugierig aus diesen Höhlen hervor, und ein Rudel von zwölf großen Hunden und ihren unzähligen jungen umsprang heulend und bellend die Angekommenen. Der Hauptmann führte die vermeintliche Gräfin in die beste dieser Hütten und sagte ihr, diese sei ausschließlich zu ihrem Gebrauch bestimmt; auch erlaubte er auf Felix' Verlangen, dass der Jäger und der Student zu ihm gelassen wurden.
Die Hütte war mit Rehfellen und Matten ausgelegt, die zugleich zum Fußboden und als Sitze dienen mussten. Einige Krüge und Schüsseln, aus Holz geschnitzt, eine alte Jagdflinte, und in der hintersten Ecke ein Lager, aus ein paar Brettern gezimmert und mit wollenen Decken bekleidet, welchem man den Namen eines Bettes nicht geben konnte, waren die einzigen Geräte dieses gräflichen Palastes. Jetzt erst, allein gelassen in dieser elenden Hütte, hatten die drei Gefangenen Zeit, über ihre sonderbare Lage nachzudenken. Felix, der zwar seine edelmütige Handlung keinen Augenblick bereute, aber doch für seine Zukunft im Fall einer Entdeckung bange war, wollte sich in lauten Klagen Luft machen; der Jäger aber rückte ihm schnell näher und flüsterte ihm zu:
"Sei um Gottes willen stille, lieber Junge; glaubst du denn nicht, dass man uns behorcht?"
"Aus jedem Wort, aus dem Ton deiner Sprache könnten sie Verdacht schöpfen", setzte der Student hinzu. Dem armen Felix blieb nichts übrig, als stille zu weinen.
"Glaubt mir, Herr Jäger", sagte er, "ich weine nicht aus Angst vor diesen Räubern, oder aus Furcht vor dieser elenden Hütte, nein, es ist ein ganz anderer Kummer, der mich drückt! Wie leicht kann die Gräfin vergessen, was ich ihr schnell noch sagte, und dann hält man mich für einen Dieb, und ich bin elend auf immer!"
"Aber was ist es denn, was dich so ängstigt?", fragte der Jäger, verwundert über das Benehmen des jungen Menschen, der sich bisher so mutig und stark betragen hatte. .
"Höret zu, und ihr werdet mir recht geben", antwortete Felix. "Mein Vater war ein geschickter Goldarbeiter in Nürnberg und meine Mutter hatte früher bei einer vornehmen Frau gedient als Kammerfrau, und als sie meinen Vater heiratete, wurde sie von der Gräfin, welcher sie gedient hatte, trefflich ausgestattet. Diese blieb meinen Eltern immer gewogen, und als ich auf die Welt kam, wurde sie meine Patin und beschenkte mich reichlich. Aber als meine Eltern bald nacheinander an einer Seuche starben, und ich ganz allein und verlassen in der Welt stand und ins Waisenhaus gebracht werden sollte, da vernahm die Frau Patin unser Unglück, nahm sich meiner an und gab mich in ein Erziehungshaus; und als ich alt genug war, schrieb sie mir, ob ich nicht des Vaters Gewerbe lernen wollte. Ich war froh darüber und sagte zu, und so gab sie mich einem Meister in Würzburg in die Lehre. Ich hatte Geschick zur Arbeit und brachte es bald so weit, dass mir der Lehrbrief ausgestellt wurde und ich auf die Wanderschaft mich rüsten konnte. Dies schrieb ich der Frau Patin, und flugs antwortete sie, dass sie das Geld zur Wanderschaft gebe. Dabei schickte sie prachtvolle Steine mit und verlangte, ich solle sie fassen zu einem schönen Geschmeide, ich solle dann solches als Probe meiner Geschicklichkeit selbst überbringen und das Reisegeld in Empfang nehmen. Meine Frau Patin habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und ihr könnt denken, wie ich mich auf sie freute. Tag und Nacht arbeitete ich an dem Schmuck, er wurde so schön und zierlich, dass selbst der Meister darüber erstaunte. Als er fertig war, packte ich alles sorgfältig auf den Boden meines Ränzels, nahm Abschied vom Meister und wanderte meine Straße nach dem Schlosse der Frau Patin. Da kamen", fuhr er in Tränen ausbrechend fort, "diese schändlichen Menschen und zerstörten alle meine Hoffnung. Denn wenn Eure Frau Gräfin den Schmuck verliert oder vergisst, was ich ihr sagte, und das schlechte Ränzchen wegwirft, wie soll ich dann vor meine gnädige Frau Patin treten? Womit soll ich mich ausweisen? Woher die Steine ersetzen? Und das Reisegeld ist dann auch verloren, und ich erscheine als ein undankbarer Mensch, der anvertrautes Gut so leichtsinnig weggegeben. Und am Ende - wird man mir glauben, wenn ich den wunderbaren Vorfall erzähle?"
"Über das letztere seid getrost!", erwiderte der Jäger. "Ich glaube nicht, dass bei der Gräfin Euer Schmuck verloren gehen kann; und wenn auch, so wird sie sicherlich ihn ihrem Retter wiedererstatten und ein Zeugnis über diese Vorfälle ausstellen. - Wir verlassen Euch jetzt auf einige Stunden, denn wahrhaftig, wir brauchen Schlaf, und nach den Anstrengungen dieser Nacht werdet Ihr ihn auch nötig haben. Nachher lasst uns im Gespräch unser Unglück auf Augenblicke vergessen, oder besser noch, auf unsere Flucht denken."
Sie gingen; Felix blieb allein zurück und versuchte dem Rat des Jägers zu folgen.
Als nach einigen Stunden der Jäger mit dem Studenten zurückkam, fand er seinen jungen Freund gestärkter und munterer als zuvor. Er erzählte dem Goldschmied, dass ihm der Hauptmann alle Sorgfalt für die Dame empfohlen habe, und in wenigen Minuten werde eins der Weiber, die sie unter den Hütten gesehen hatten, der gnädigen Gräfin Kaffee bringen und ihre Dienste zur Aufwartung anbieten. Sie beschlossen, um ungestört zu sein, diese Gefälligkeit nicht anzunehmen, und als das alte, hässliche Zigeunerweib kam, das Frühstück vorsetzte und mit grinsender Freundlichkeit fragte, ob sie nicht sonst noch zu Diensten sein könnte, winkte ihr Felix zu gehen, und als sie noch zauderte, scheuchte sie der Jäger aus der Hütte. Der Student erzählte dann weiter, was sie sonst noch von dem Lager gesehen. "Die Hütte, die Ihr bewohnt, schönste Gräfin", sprach er, ,,scheint ursprünglich für den Hauptmann bestimmt. Sie ist nicht so geräumig, aber schöner als die übrigen. Außer dieser sind noch sechs andere da, in welchen die Weiber und Kinder wohnen, denn von den Räubern sind selten mehr als sechs zu Hause. Einer steht nicht weit von dieser Hütte Wache, der andere unten am Weg in der Höhe, und ein dritter hat den Lauerposten oben am Eingang in die Schlucht. Von zwei Stunden zu zwei Stunden werden sie von den drei übrigen abgelöst. Jeder hat überdies zwei große Hunde neben sich liegen, und sie alle sind so wachsam, dass man keinen Fuß aus der Hütte setzen kann, ohne dass sie anschlagen. Ich habe keine Hoffnung, dass wir uns durchstehlen können."
"Macht mich nicht traurig, ich bin nach dem Schlummer mutiger geworden", entgegnete Felix; "gebt nicht alle Hoffnung auf, und fürchtet ihr Verrat, so lasst uns lieber jetzt von etwas anderem reden und nicht lange voraus schon kummervoll sein. Herr Student, in der Schenke habt Ihr angefangen, etwas zu erzählen, fahrt jetzt fort, denn wir haben Zeit zum Plaudern."
"Kann ich mich doch kaum erinnern, was es war", antwortete der junge Mann.
"Ihr erzähltet die Sage von dem kalten Herzen, und seid stehen geblieben, wie der Wirt und der andere Spieler den Kohlenpeter aus der Türe warfen."
"Gut, jetzt entsinne ich mich wieder", entgegnete er, "nun, wenn ihr weiter hören wollt, will ich fortfahren."

Das kalte Herz - Zweiter Teil

Als Peter am Montagmorgen in seine Glashütte ging, da waren nicht nur seine Arbeiter da, sondern auch andere Leute, die man nicht gerne sieht, nämlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der Amtmann wünschte Petern einen guten Morgen, fragte, wie er geschlafen, und zog dann ein langes Register heraus, und darauf waren Peters Gläubiger verzeichnet. "Könnt Ihr zahlen oder nicht?" fragte der Amtmann mit strengem Blick. "Und macht es nur kurz, denn ich habe nicht viel Zeit zu versäumen, und in den Turm ist es drei gute Stunden." Da verzagte Peter, gestand, dass er nichts mehr habe und überließ es dem Amtmann, Haus und Hof, Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen; und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prüften und schätzten, dachte er, bis zum Tannenbühl ist's nicht weit, hat mir der Kleine nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem Großen versuchen. Er lief dem Tannenbühl zu, so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären; es war ihm, als er an dem Platz vorbei rannte, wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen, als halte ihn eine unsichtbare Hand auf, aber er riss sich los und lief weiter, bis an die Grenze, die er sich früher wohl gemerkt hatte, und kaum hatte er, beinahe atemlos: "Holländer Michel! Herr Holländer Michel!", gerufen, als auch schon der riesengroße Flößer mit seiner Stange vor ihm stand.
"Kommst du?" sprach dieser lachend. "Haben sie dir die Haut abziehen und deinen Gläubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig; dein ganzer Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen Glasmännlein, von dem Eigenbrödler und Frömmler her. Wenn man schenkt, muss man gleich recht schenken, und nicht wie dieser Knauser. Doch komm", fuhr er fort und wandte sich gegen den Wald, "folge mir in mein Haus, dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig werden."
"Handelseinig?", dachte Peter. "Was kann er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will er?" Sie gingen zuerst über einen steilen Waldsteig hinan und standen dann mit einemmal an einer dunklen, tiefen, abschüssigen Schlucht; Holländer Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte Marmortreppe wäre; aber bald wäre Peter in Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war, machte er sich so groß wie ein Kirchturm und reichte ihm einen Arm, so lang als ein Weberbaum, und eine Hand daran, so breit als der Tisch im Wirtshaus, und rief mit einer Stimme, die heraufschallte wie eine tiefe Totenglocke: "Setz dich nur auf meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen." Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand und hielt sich am Daumen des Riesen.
Es ging weit und tief hinab, aber dennoch ward es zu Peters Verwunderung nicht dunkler; im Gegenteil, die Tageshelle schien sogar zuzunehmen in der Schlucht, aber er konnte sie lange in den Augen nicht ertragen.
Der Holländer Michel hatte sich, je weiter Peter herabkam, wieder kleiner gemacht, und stand nun in seiner früheren Gestalt vor einem Haus, so. gering oder gut, als es reiche Bauern auf dem Schwarzwald haben. Die Stube, worein Peter geführt wurde, unterschied sich durch nichts von den Stuben anderer Leute als dadurch, dass sie einsam schien.
Die hölzerne Wanduhr, der ungeheure Kachelofen, die breiten Bänke, die Gerätschaften auf den Gesimsen waren hier wie überall. Michel wies ihm einen Platz hinter dem großen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald mit einem Krug Wein und Gläsern wieder. Er goss ein, und nun schwatzten sie, und Holländer Michel erzählte von den Freuden der Welt, von fremden Ländern, schönen Städten und Flüssen, dass Peter, am Ende große Sehnsucht danach bekommend, dies auch offen dem Holländer sagte.
"Wenn du im ganzen Körper Mut und Kraft, etwas zu unternehmen, hattest, da konnten ein paar Schläge des dummen Herzens dich zittern machen; und dann die Kränkungen der Ehre, das Unglück, wozu soll sich ein vernünftiger Kerl um dergleichen bekümmern? Hast du's im Kopf empfunden, als dich letzthin einer einen Betrüger und schlechten Kerl nannte? Hat es dir im Magen wehe getan, als der Amtmann kam, dich aus dem Hause zu werfen? Was, sag' an, was hat dir wehe getan?"
"Mein Herz", sprach Peter, indem er die Hand auf die pochende Brust presste; denn es war ihm, als ob sein Herz sich ängstlich hin und her wendete.
"Du hast, nimm mir es nicht übel, du hast viele hundert Gulden an schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es dich genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen gesunden Leib gewünscht; ja bist du deswegen gesünder geworden? Um die Hälfte des verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt gehalten. Segen, ja ein schöner Segen, wenn man ausgepfändet und ausgestoßen wird! Und was war es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, so oft ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte? - Dein Herz, auch wieder dein Herz, und weder deine Augen, noch deine Zunge, deine Arme, noch deine Beine, sondern dein Herz; du hast es dir, wie man richtig sagt, zu sehr zu Herzen genommen."

„Aber wie kann man sich denn angewöhnen, dass es nicht mehr so ist? Ich gebe mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, und dennoch pocht mein Herz und tut mir wehe."
"Du freilich", rief jener mit Lachen, "du armer Schelm kannst nichts dagegen tun; aber gib mir das dumme pochende Ding, und du wirst sehen, wie gut du es dann hast."
"Euch, mein Herz?" schrie Peter mit Entsetzen, "da müsste ich ja sterben auf der Stelle! Nimmermehr!"
"Ja, wenn dir einer eurer Herren Chirurgen das Herz aus dem Leibe operieren wollte, da müsstest du wohl sterben; bei mir ist dies ein anderes Ding; doch komm herein und überzeuge dich selbst." Er stand bei diesen Worten auf, öffnete eine Kammertür und führte Peter hinein. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er über die Schwellt trat, aber er achtete es nicht, denn der Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und überraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein Herz, auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las.; da war das Herz des Amtmanns in F., das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters; da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werbeoffizieren, drei von Geldmäklern - kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgegend von zwanzig Stunden.
"Schau!" sprach Holländer Michel, "diese alle haben des Lebens Ängste und Sorgen weggeworfen; keines dieser Herzen schlägt mehr ängstlich und besorgt, und ihre ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, dass sie den unruhigen Gast aus dem Hause haben."
"Aber was tragen sie denn jetzt dafür in der Brust?" fragte Peter, den dies alles, was er gesehen, beinahe schwindeln machte.
"Dies", antwortete jener und reichte ihm aus einem Schubfach - ein steinernes Herz.
"So?", erwiderte er und konnte sich eines Schauers, der ihm über die Haut ging, nicht erwehren, "ein Herz von Marmelstein? Aber, horch' einmal, Herr Holländer Michel, das muss doch gar kalt sein in der Brust."
"Freilich. aber ganz angenehm kühl. Warum soll denn ein Herz warm sein? Im Winter nützt dir die Wärme nichts, da hilft ein guter Kirschgeist mehr als ein warmes Herz, und im Sommer, wenn alles schwül und heiß ist, - du glaubst nicht, wie dann ein solches Herz abkühlt. Und wie gesagt, weder Angst noch Schrecken, weder törichtes Mitleiden noch anderer Jammer pocht an solch ein Herz."
"Und das ist alles, was Ihr mir geben könnt?", fragte Peter unmutig, „ich hoff' auf Geld, und Ihr wollt mir einen Stein geben!"
"Nu, ich denke, an hunderttausend Gulden hättest du fürs erste genug. Wenn du es geschickt umtreibst, kannst du bald Millionär werden."
"Hunderttausend?", rief der arme Köhler freudig, "nun, so poche doch nicht so ungestüm in meiner Brust, wir werden bald fertig sein miteinander. Gut, Michel; gebt mir den Stein und das Geld, und die Unruh könnt Ihr aus dem Gehäuse nehmen."
"Ich dachte es doch, dass du ein vernünftiger Bursche seiest", antwortete der Holländer freundlich lächelnd; "komm, lass uns noch eins trinken, und dann will ich das Geld auszahlen."
So setzten sie sich wieder in die Stube zum Wein, tranken und tranken wieder, bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel.
Kohlenmunkpeter erwachte beim fröhlichen Schmettern eines Posthorns, und siehe da, er saß in einem schönen Wagen, fuhr auf einer breiten Straße dahin, und als er sich aus dem Wagen bog, sah er in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald liegen. Anfänglich wollte er gar nicht glauben, dass er es selbst sei, der in diesem Wagen sitze. Denn auch seine Kleider waren gar nicht mehr dieselben, die er gestern getragen, aber er erinnerte sich doch an alles so deutlich, dass er endlich sein Nachsinnen aufgab und rief: "Der Kohlenmunkpeter bin ich, das ist ausgemacht, und kein anderer."
Er wunderte sich über sich selbst, dass er gar nicht wehmütig werden konnte, als er jetzt zum ersten Mal aus der stillen Heimat, aus den Wäldern, wo er so lange gelebt, auszog. Selbst nicht, als er an seine Mutter dachte, die jetzt wohl hilflos und im Elend saß, konnte er eine Träne aus dem Auge pressen oder nur seufzen; denn es war ihm alles so gleichgültig.
"Ach freilich", sagte er dann, "Tränen und Seufzer, Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und dank dem Holländer Michel - das meine ist kalt und von Stein."
Er legte seine Hand auf die Brust, und es war ganz ruhig dort und rührte sich nichts. "Wenn er mit den Hundertlausenden so gut Wort hielt wie mit dem Herz, so soll es mich freuen", sprach er und fing an, seinen Wagen zu untersuchen. Er fand Kleidungsstücke von aller Art, wie er sie nur wünschen konnte, aber kein Geld. Endlich stieß er auf eine Tasche und fand viele tausend Taler in Gold und Scheinen auf Handlungshäuser in allen großen Städten. "Jetzt hab' ich's, wie ich wollte", dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des Wagens und fuhr in die weite Welt.
Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als den Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher und ließ sich die schönsten Merkwürdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz, sein Herz von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für alles Schöne. Nichts war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langeweile schlief. Hie und da erinnerte er sich zwar, dass er fröhlicher, glücklicher gewesen sei, als er noch arm war und arbeiten musste, um sein Leben zu fristen. Da hatte ihn jede schöne Aussicht ins Tal, Musik und Gesang hatten ihn ergötzt, da hatte er sich stundenlang auf die einfache Kost, die ihm die Mutter zu dem Meiler bringen sollte, gefreut. Wenn er so über die Vergangenheit nachdachte, so kam es ihm ganz sonderbar vor, dass er jetzt nicht einmal lachen konnte, und sonst hatte er über den kleinsten Scherz gelacht. Wenn andere lachten, so verzog er nur aus Höflichkeit den Mund, aber sein Herz - lächelte nicht mit. Er fühlte dann, dass er zwar überaus ruhig sei, aber zufrieden fühlte er sich doch nicht. Es war nicht Heimweh, sondern öde, Überdruss, freudenloses Leben, was' ihn endlich wieder zur Heimat trieb.
Als er von Straßburg herüberfuhr und den dunklen Wald seiner Heimat erblickte, als er zum ersten Mal wieder jene kräftigen Gestalten, jene freundlichen, treuen Gesichter der Schwarzwälder sah, als sein Ohr die heimatlichen Klänge, stark, tief, aber wohltönend vernahm, da fühlte er schnell an sein Herz, denn sein Blut wallte stärker, und er glaubte, er müsse sich freuen und müsse weinen zugleich, aber - wie konnte er nur so töricht sein, er hatte ja ein Herz von Stein. Und Steine sind tot und lächeln und weinen nicht.
Sein erster Gang war zum Holländer Michel, der ihn mit alter Freundlichkeit aufnahm. "Michel", sagte er zu ihm, "gereist bin ich nun und habe alles gesehen, ist aber alles dummes Zeug, und ich hatte nur Langeweile. Überhaupt, Euer steinernes Ding, das ich in der Brust trage, schützt mich zwar vor manchem. Ich erzürne mich nie, bin nie traurig, aber ich freue mich auch nie, und es ist mir, als wenn ich nur halb lebte. Könnt Ihr das Steinherz nicht ein wenig beweglicher machen? Oder - gebt mir lieber mein altes Herz. Ich hatte mich in fünfundzwanzig Jahren daran gewöhnt, und wenn es zuweilen auch einen dummen Streich machte, so war es doch munter und ein fröhliches Herz."
Der Waldgeist lachte grimmig und bitter. "Wenn du einmal tot bist, Peter Munk", antwortete er, "dann soll es dir nicht fehlen; dann sollst du dein weiches, rührbares Herz wieder haben, und du kannst dann fühlen, was kommt, Freud oder Leid. Aber hier oben kann es nicht mehr dein werden! Doch, Peter! gereist bist du wohl, aber so wie du lebtest, konnte es dir nichts nützen. Setze dich jetzt hier irgendwo im Wald, bau' ein Haus, heirate, treibe dein Vermögen um, es hat dir nur an Arbeit gefehlt; weil du müßig warst, hattest du Langeweile, und schiebst jetzt alles auf dieses unschuldige Herz." Peter sah ein, dass Michel recht habe, was den Müßiggang beträfe, Und nahm sich vor, reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm noch einmal hunderttausend Gulden und entließ ihn als seinen guten Freund.
Bald vernahm man im Schwarzwald die Märe, der Kohlenmunkpeter oder Spielpeter sei wieder da und noch viel reicher als zuvor. Es ging auch jetzt wie immer; als er am Bettelstab war, wurde er in der "Sonne" zur Türe hinausgeworfen, und als er nun an einem Sonntagnachmittag seinen ersten Einzug dort hielt, schüttelten sie ihm die Hand, lobten sein Pferd, fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der Achtung so hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr das Glashandwerk, sondern den Holzhandel, aber nur zum Schein. Sein Hauptgeschäft war, mit Korn und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach schuldig, aber er lieh Geld nur auf zehn Prozent aus oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen Wert. Mit dem Amtmann stand er jetzt in enger Freundschaft, und wenn einer Herrn Peter Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann mit seinen Schergen hinaus, schätzte Haus und Hof, verkaufte es flugs und trieb Vater, Mutter und Kind in den Wald. Anfangs machte dies dem reichen Peter einige Unlust, denn die armen Ausgepfändeten belagerten dann haufenweise seine Tür, die Männer flehten um Nachsicht, die Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen, und die Kinder winselten um ein Stücklein Brot. Aber als er sich ein paar tüchtige Fleischerhunde angeschafft hatte, hörte diese Katzenmusik, wie er es nannte, bald auf.
Er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander.
Am meisten Beschwerde machte ihm das ,alte Weib'. Das war aber niemand anders als Frau Munkin, Peters Mutter. Sie war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof verkauft hatte, und ihr Sohn, als er reich zurückgekehrt war, hatte nicht mehr nach ihr umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und gebrechlich an einem Stock vor das Haus. Hinein wagte sie sich nicht mehr, denn er hatte sie einmal weggejagt; aber es tat ihr wehe, von den Guttaten anderer Menschen leben zu müssen, da der eigene Sohn ihr ein sorgloses Alter hätte bereiten können. Aber das kalte Herz wurde nimmer gerührt von dem Anblicke der bleichen wohlbekannten Züge, von den bittenden Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der hinfälligen Gestalt. Mürrisch zog er, wenn sie sonnabends an die Türe pochte, einen Sechsbätzner hervor, schlug ihn in ein Papier und ließ ihn hinausreichen durch einen Knecht. Er vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und ihm wünschte, es möge ihm wohlgehen auf Erden, er hörte sie hüstelnd von der Türe schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als dass er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben.
Endlich kam Peter auf den Gedanken zu heiraten. Er wusste, dass im ganzen Schwarzwald jeder Vater ihm gerne seine Tochter geben werde; aber er war schwierig in seiner Wahl, denn er wollte, dass man auch hierin sein Glück und seinen Verstand preisen sollte; daher ritt er umher im ganzen Wald, schaute hier, schaute dort, und keine der schönen Schwarzwälderinnen deuchte ihm schön genug. Endlich, nachdem er auf allen Tanzböden umsonst nach der Schönsten ausgeschaut hatte, hörte er eines Tages, die Schönste und Tugendsamste im ganzen Wald sei eines armen Holzhauers Tochter. Sie lebe still und für sich, besorge geschickt und emsig ihres Vaters Haus und lasse sich nie auf dem Tanzboden sehen, nicht einmal zu Pfingsten oder Kirchweih. Als Peter von diesem Wunder des Schwarzwalds hörte, beschloss er um sie zu werben und ritt nach der Hütte, die man ihm bezeichnet hatte. Der Vater der schönen Lisbeth empfing den vornehmen Herrn mit Staunen und erstaunte noch mehr, als er hörte, es sei dies der reiche Herr Peter und er wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann sich auch nicht lange, denn er meinte, all seine Sorge und Armut werde nun ein Ende nehmen, sagte zu, ohne die schöne Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so folgsam, dass sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin wurde.
Aber es wurde der Armen nicht so gut, als sie sich geträumt hatte.
Sie glaubte ihr Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn Peter nichts zu Dank machen, sie hatte Mitleiden mit armen Leuten, und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei keine Sünde, einem armen Bettelweib einen Pfennig oder einem alten Mann einen Schnaps zu reichen; aber als Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit zürnenden Blicken und rauer Stimme: "Warum verschleuderst du mein Vermögen an Lumpen und Straßenläufer? Hast du was mitgebracht ins Haus, das du wegschenken könntest? Mit deines Vaters Bettelstab kann man keine Suppe wärmen, und wirfst das Geld aus wie eine Fürstin. Noch einmal lass dich betreten, so sollst du meine Hand fühlen!" Die schöne Lisbeth weinte in ihrer Kammer über den harten Sinn ihres Mannes, und sie wünschte oft, lieber daheim zu sein in ihres Vaters ärmlicher Hütte, als bei dem reichen, aber geizigen, hartherzigen Peter zu hausen. Ach, hätte sie gewusst, dass er ein Herz von Marmor habe und weder sie noch irgend einen Menschen lieben könne, so hätte sie sich wohl nicht gewundert. So oft sie aber jetzt unter der Türe saß, und es ging ein Bettelmann vorüber und zog den Hut und hub an seinen Spruch, so drückte sie die Augen zu, das Elend nicht zu schauen, sie ballte die Hand fester, damit sie nicht unwillkürlich in die Tasche fahre, ein Kreuzerlein herauszulangen. So kam es, dass die schöne Lisbeth im ganzen Wald verschrien wurde, und es hieß, sie sei noch geiziger als Peter Munk. Aber eines Tages saß Frau Lisbeth wieder vor dem Haus und spann und murmelte ein Liedchen dazu, denn sie war munter, weil es schön Wetter und Herr Peter ausgeritten war über Feld. Da kommt ein altes Männlein des Weges daher, das trägt einen großen, schweren Sack, und sie hört es schon von weitem keuchen. Teilnehmend sieht ihm Frau Lisbeth zu und denkt, einem so alten kleinen Manne sollte man nicht mehr so schwer aufladen.
Indes keucht und wankt das Männlein heran, und als es gegenüber von Frau Lisbeth war, brach es unter dem Sacke beinahe zusammen. "Ach, habt die Barmherzigkeit, Frau, und reicht mir nur einen Trunk Wasser", sprach das Männlein; "ich kann nicht weiter, muss elend verschmachten."
"Aber Ihr solltet in Eurem Alter nicht mehr so schwer tragen", sagte Frau Lisbeth.
"Ja, wenn ich nicht Boten gehen müsste, der Armut halber und um mein Leben zu fristen", antwortete er; "ach, so eine reiche Frau wie Ihr weiß nicht, wie wehe Armut tut, und wie wohl ein frischer Trunk bei solcher Hitze."
Als sie dies hörte, eilte sie ins Haus, nahm einen Krug vom Gesims und füllte ihn mit Wasser; doch als sie zurückkehrte und nur noch wenige Schritte von ihm war, und das Männlein sah, wie es so elend und verkümmert auf dem Sack saß, da fühlte sie inniges Mitleid, bedachte, dass ja ihr Mann nicht zu Hause sei, und so stellte sie den Wasserkrug beiseite, nahm einen Becher und füllte ihn mit Wein, legte ein gutes Roggenbrot darauf und brachte es dem Alten. "So, und ein Schluck Wein mag Euch besser frommen als Wasser, da Ihr schon so gar alt seid", sprach sie; "aber trinkt nicht so hastig und esst auch Brot dazu."
Das Männlein sah sie staunend an, bis große Tränen in seinen alten Augen standen, er trank und sprach dann: "Ich bin alt geworden, aber ich hab' wenige Menschen gesehen, die so mitleidig wären, und ihre Gaben so schön und herzig zu spenden wussten wie Ihr, Frau Lisbeth Aber es wird Euch dafür auch recht wohl gehen auf Erden; solch ein Herz bleibt nicht unbelohnt."
"Nein, und den Lohn soll sie zur Stelle haben", schrie eine schreckliche Stimme, und als sie sich umsahen, war es Herr Peter mit blutrotem Gesicht.
"Und sogar meinen Ehrenwein gießest du aus an Bettelleute, und meinen Mundbecher gibst du an die Lippen der Straßenläufer? Da nimm deinen Lohn!" Frau Lisbeth stürzte zu seinen Füßen und bat um Verzeihung, aber das steinerne Herz kannte kein Mitleid, er drehte die Peitsche um, die er in der Hand hielt, und schlug sie mit dem Handgriff von Ebenholz so heftig vor die schöne Stirne, dass sie leblos dem alten Mann in die Arme sank. Als er dies sah, war es doch, als reute ihn die Tat auf der Stelle; er bückte sich herab, zu schauen, ob noch Leben in ihr sei, aber das Männlein sprach mit wohlbekannter Stimme: "Gib dir keine Mühe, Kohlenpeter; es war die schönste und lieblichste Blume im Schwarzwald, aber du hast sie zertreten, und nie mehr wird sie wieder blühen."
Da wich alles Blut aus Peters Wangen, und er sprach: "Also Ihr seid es, Herr Schatzhauser? Nun, was geschehen ist, ist geschehen, und es hat wohl so kommen müssen. Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht bei dem Gericht anzeigen als Mörder."
"Elender!", erwiderte das Glasmännlein, "was würde es mir frommen, wenn ich deine sterbliche Hülle an den Galgen brächte? Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu fürchten hast, sondern andere und strengere; denn du hast deine Seele an den Bösen verkauft."
"Und hab' ich mein Herz verkauft", schrie Peter, "so ist niemand daran schuld, als du, und deine betrügerischen Schätze; du tückischer Geist hast mich ins Verderben geführt, mich getrieben, dass ich bei einem andern Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze Verantwortung." Aber kaum hatte er dies gesagt, so wuchs und schwoll das Glasmännlein und wurde hoch und breit, und seine Augen sollen so groß gewesen sein wie Suppenteller, und sein Mund war wie ein geheizter Backofen und Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schützte ihn nicht, dass nicht seine Glieder zitterten wie eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken, drehte ihn um, wie ein Wirbelwind dürres Laub, und warf ihn dann zu Boden, dass ihm alle Rippen knackten. "Erdenwurm!", rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte; "ich könnte dich zerschmettern, wenn ich wollte, denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt. Aber um dieses toten Weibes willen, das mich gespeist und getränkt hat, gebe ich dir acht Tage Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich und zermalme dein Gebein, und du fährst hin in deinen Sünden."
Es war schon Abend, als einige Männer, die vorbeigingen, den reichen Peter Munk an der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und suchten, ob noch Atem in ihm sei, aber lange war ihr Suchen vergebens. Endlich ging einer in das Haus und brachte Wasser herbei und besprengte ihn. Da holte Peter tief Atem, stöhnte und schlug die Augen auf, schaute lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth, aber keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Männern für ihre Hilfe, schlich sich in sein Haus und suchte überall, aber Frau Lisbeth war weder im Keller noch auf dem Boden, und das, was er für einen schrecklichen Traum gehalten, war bittere Wahrheit. Wie er nun so ganz allein war, da kamen ihm sonderbare Gedanken; er fürchtete sich vor nichts, denn sein Herz war ja kalt; aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte, kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und wie belastet er dahinfahren werde, schwer belastet mit Tränen der Armen, mit Tausenden ihrer Flüche, die sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der Elenden, auf die er seinen Hund gehetzt, belastet mit der stillen Verzweiflung seiner Mutter, mit dem Blute der schönen, guten Lisbeth; und konnte er doch nicht einmal dem alten Mann, ihrem Vater, Rechenschaft geben, wenn er käme und fragte :"Wo ist meine Tochter, dein Weib?" Wie wollte er einem andern Frage stehen, dem alle Wälder, alle Seen, alle Berge gehören und die Leben der Menschen?
Es quälte ihn auch nachts im Traume, und alle Augenblicke wachte er auf an einer süßen Stimme, die ihm zurief: "Peter, schaff' dir ein wärmeres Herz!" Und wenn er erwacht war, schloss er doch schnell wieder die Augen, denn der Stimme nach musste es Frau Lisbeth sein, die ihm diese Warnung zurief.
Den andern Tag ging er ins Wirtshaus, um seine Gedanken zu zerstreuen, und dort traf er den dicken Ezechiel. Er setzte sich zu ihm, sie sprachen dies und jenes, vom schönen Wetter, vom Krieg, von den Steuern und endlich auch vom Tod, und wie da und dort einer so schnell gestorben sei. Da fragte Peter den Dicken, was er denn vom Tod halte, und wie es nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, dass man den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf zum Himmel oder hinab in die Hölle.
"Also begräbt man das Herz auch?", fragte der Peter gespannt. "Ei freilich, das wird auch begraben."
"Wenn aber einer sein Herz nicht mehr hat?", fuhr Peter fort. Ezechiel sah ihn bei diesen Worten schrecklich an. "Was willst du damit sagen? Willst du mich foppen? Meinst du, ich habe kein Herz?"
"Oh, Herz genug, so fest wie Stein", erwiderte Peter.
Ezechiel sah ihn verwundert an, schaute sich um, ob es niemand gehört habe, und sprach dann: "Woher weißt du es? Oder pocht vielleicht das deinige auch nicht mehr?"
"Pocht nicht mehr, wenigstens nicht hier in meiner Brust!", antwortete Peter Munk. "Aber sag' mir, da du jetzt weißt, was ich meine, wie wird es gehen mit unseren Herzen?"
"Was kümmert dich dies, Gesell?", fragte Ezechiel lachend, "hast ja auf Erden vollauf zu leben und damit genug. Das ist ja gerade das bequeme in unsern kalten Herzen, dass uns keine Furcht befällt vor solchen Gedanken."
"Wohl wahr, aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne, so weiß ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor der Hölle gefürchtet, als ich noch ein kleiner unschuldiger Knabe war."
"Nun - gut wird es uns gerade nicht gehen", sagte Ezechiel. "Hab' mal einen Schulmeister darüber gefragt, der sagte mir, dass nach dem Tode die Herzen gewogen würden, wie schwer sie sich versündigt hätten. Die leichten steigen auf, die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere Steine werden ein gutes Gewicht haben."
"Ach freilich", erwiderte Peter, "und es ist mir oft selbst unbequem, dass mein Herz so teilnahmslos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an solche Dinge denke."
So sprachen sie; aber in der nächsten Nacht hörte er fünf- oder sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: "Peter, schaff' dir ein wärmeres Herz!" Er empfand keine Reue, dass er sie getötet, aber wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer dabei: "Wohin mag sie wohl gereist sein?"
Sechs Tage hatte er es so getrieben, und immer hörte er nachts diese Stimme, und immer dachte er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung; aber am siebenten Morgen sprang er auf von seinem Lager und rief: "Nun ja, will sehen, ob ich mir ein wärmeres schaffen kann, denn der gleichgültige Stein in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und öde."
Er zog schnell seinen Sonntagsrock an und setzte sich auf sein Pferd und ritt dem Tannenbühl zu.
Im Tannenbühl, wo die Bäume dichter standen, saß er ab, band sein Pferd an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu, und als er vor der dicken Tanne stand, hub er seinen Spruch an:

"Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist viele hundert Jahre alt,
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Lässt dich nur Sonntagskindern sehn."

Da kam das Glasmännlein hervor, aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern düster und traurig; es hatte ein Röcklein an von schwarzem Glas und ein langer Trauerflor flatterte herab vom Hut, und Peter wusste wohl, um wen es traure.
"Was willst du von mir, Peter Munk?", fragte es mit dumpfer Stimme. "Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser", antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen.
"Können Steinherzen noch wünschen?", sagte jener. "Du hast alles, was du für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfüllen."
"Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt; einen hab' ich immer noch übrig."
"Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist", fuhr der Waldgeist fort; "aber wohlan, ich will hören, was du willst."
"So nehmt mir den toten Stein heraus und gebt mir mein lebendiges Herz", sprach Peter.
"Hab' ich den Handel mit dir gemacht?", fragte das Glasmännlein.
"Bin ich der Holländer Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort, bei ihm mu,,t du dein Herz suchen."
"Ach, er gibt es nimmer zurück", antwortete Peter traurig.
"Du dauerst mich, so schlecht du auch bist", sprach das Männlein nach einigem Nachdenken, "aber weil dein Wunsch nicht töricht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So höre, dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht nicht schwer halten; denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe denn geradeswegs zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße." Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas:
"Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich frei lassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du dann, was du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu mir an diesen Ort."
Peter Munk nahm das Kreuzlein, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging weiter nach Holländer Michels Behausung. Er rief dreimal seinen Namen, und alsobald stand er Riese vor ihm. "Du hast dein Weib erschlagen?", fragte er ihn mit schrecklichem Lachen. "Hätt' es auch so gemacht, sie hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht. Aber du wirst auf einige Zeit außer Landes gehen müssen, denn es wird Lärm machen, wenn man sie nicht findet; und du brauchst wohl Geld und kommst, um es zu holen?"
"Du hast's erraten", erwiderte Peter, "und nur recht viel diesmal, denn nach Amerika ist's weit."
Michel ging voran und brachte ihn in seine Hütte, dort schloss er eine Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen Goldes heraus. Während er es so auf den Tisch hinzählte, sprach Peter: "Du bist ein loser Vogel, Michel, dass du mich belogen hast, ich hätte einen Stein in der Brust, und du habest mein Herz!"
"Und ist es denn nicht so?", fragte Michel staunend, "fühlst du denn dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram, kann dich etwas reuen?"
"Du hast mein Herz nur stille stehen lassen, aber ich hab' es noch wie sonst in meiner Brust, und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, dass du uns angelogen hast; du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz so unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reißen könnte; da müsstest du zaubern können."
"Aber ich versichere dich", rief Michel unmutig, "du und Ezechiel und alle reichen Leute, die es mit mir gehalten, haben solche kalte Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer."
"Ei, wie dir das Lügen von der Zunge geht!", lachte Peter. "Das mach' du einem andern weis. Meinst du, ich hab' auf meinen Reisen nicht solche Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer. Du bist ein reicher Kerl, das geb' ich zu; aber zaubern kannst du nicht."
Da ergrimmte der Riese und ri,, die Kammertüre auf. "Komm herein und lies die Zettel alle, und jenes dort, schau, das ist Peter Munks Herz; siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?"
"Und doch ist es aus Wachs", antwortete Peter, "so schlägt ein rechtes Herz nicht, ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern kannst du nicht!"
"Aber ich will es dir beweisen!" rief jener ärgerlich. "Du sollst es selbst fühlen, dass dies dein Herz ist." Er nahm es, riss Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und alsobald fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darüber freuen. "Wie ist es dir jetzt?", fragte Michel lächelnd.
"Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt", antwortete Peter, indem er behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. "Hätt' ich doch nicht geglaubt, dass man dergleichen tun könne!"
"Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du; aber komm, jetzt will ich dir den Stein wieder hineinsetzen."
"Gemach, Herr Michel!", rief Peter, trat einen Schritt zurück und hielt ihm das Kreuzlein entgegen, "mit Speck fängt man Mäuse, und diesmal bist du der Betrogene." Und zugleich fing er an zu beten, was ihm nur beifiel.
Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm, und ächzte und stöhnte, und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, dass es tönte wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, es wurde ihm ganz unheimlich zumute, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klomm, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan, denn er hörte, dass Michel sich aufraffte, stampfte und tobte, und ihm schreckliche Flüche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu; ein schreckliches Gewitter zog auf, Blitze fielen rechts und links an ihm nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten in dem Revier des Glasmännleins an.
Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet, er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an Glasmännleins Hügel kam.
Schatzhauser saß unter dem Tannenbaum und rauchte aus einer kleinen Pfeife, doch sah er munterer aus als zuvor. "Warum weinst du, Kohlenpeter?", fragte er. "Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in deiner Brust?"
"Ach, Herr!" seufzte Peter, "als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie, meine Augen waren so trocken als das Land im Juli; jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wisst es ja selbst - wie meine Peitsche auf ihre schöne Stirne fiel!"
"Peter! Du warst ein großer Sünder!", sprach das Männlein. "Das Geld und der Müßiggang haben dich verderbt, bis dein Herz zu Stein wurde, nicht Freud, nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt, und wenn ich nur wüsste, dass dir dein Leben recht leid tut, so könnte ich schon noch etwas für dich tun."
"Will nichts mehr", antwortete Peter und ließ traurig sein Haupt sinken. "Mit mir ist es aus; kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen; was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir nimmer, was ich ihr getan, und vielleicht hab' ich sie unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth, meine Frau! Schlagt mich lieber auch tot, Herr Schatzhauser, dann hat mein elend Leben mit einem Male ein Ende."
"Gut", erwiderte das Männlein, "wenn du nicht anders willst, so kannst du es haben; meine Axt habe ich bei der Hand." Er nahm ganz ruhig sein Pfeiflein aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr, und er wartete geduldig den Todesstreich. Nach einiger Zeit hörte er leise Tritte hinter sich und dachte: "Jetzt wird er kommen."
"Schau dich noch einmal um, Peter Munk!", rief das Männlein. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute sich um, und sah - seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten. Da sprang er freudig auf: "So bist du nicht tot, Lisbeth? Und auch Ihr seid da, Mutter, und habt mir vergeben?"
"Sie wollen dir verzeihen", sprach das Glasmännlein, "weil du wahre Reue fühlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor; bist du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als wenn du zehn Tonnen Goldes hättest." So sprach das Glasmännlein und nahm Abschied von ihnen.
Die drei lobten und segneten es und gingen heim.
Das prachtvolle Haus des reichen Peter stand nicht mehr; der Blitz hatte es angezündet und mit all seinen Schätzen niedergebrannt; aber nach der väterlichen Hütte war es nicht weit; dorthin ging jetzt ihr Weg, und der große Verlust bekümmerte sie nicht.
Aber wie staunten sie, als sie an die Hütte kamen! Sie war zu einem schönen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und reinlich.
"Das hat das gute Glasmännlein getan!", rief Peter.
"Wie schön!" sagte Frau Lisbeth, "und hier ist mir viel heimlicher als in dem großen Haus mit dem vielen Gesinde."
Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleißiger und wackerer Mann. Er war zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und so kam es, dass er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den Armen, die an seine Türe pochten. Als nach Jahr und Tag Frau Lisbeth von einem schönen Knaben genas, ging Peter nach dem Tannenbühl und sagte sein Sprüchlein. Aber das Glasmännlein zeigte sich nicht. "Herr Schatzhauser!", rief er laut, "hört mich doch, ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem Söhnlein!" Aber er gab keine Antwort; nur ein kurzer Windstoß sauste durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. "So will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil Ihr Euch doch nicht sehen lassen wollt", rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach Hause; aber als er zu Hause das Sonntagswams auszog, und seine Mutter die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie öffnete, waren es lauter gute, neue badische Taler, und kein einziger falscher darunter. Und das war das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald für den kleinen Peter.
So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: "Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter haben und ein kaltes Herz."

Das Wirthaus im Spessart - das Ende

Es mochten schon etwa fünf Tage vergangen sein, während Felix, der Jäger und der Student noch immer unter den Räubern gefangen saßen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung, denn je mehr die Zeit fortrückte, desto höher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend des fünften Tages erklärte der Jäger seinen Leidensgenossen, dass er entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihm auch das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefährten zum gleichen Entschluss auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen könnten. "Den, der uns zunächst steht, nehme ich auf mich; es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot, er muss sterben."
"Sterben!", rief Felix entsetzt, "ihr wollt ihn totschlagen?"
"Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben zu retten. Wisst, dass ich die Räuber mit besorglicher Miene habe flüstern hören, im Walde werde nach ihnen gestreift, und die Weiber verrieten in ihrem Zorn die böse Absicht der Bande; sie schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Räuber angegriffen würden, so müssten wir ohne Gnade sterben."
"Gott im Himmel!", schrie der Jüngling entsetzt und verbarg sein Gesicht in die Hände.
"Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt", fuhr der Jäger fort; "drum lasst uns ihnen zuvorkommen. Wenn es dunkel ist, schleiche ich auf die nächste Wache zu, sie wird anrufen; ich werde ihr zuflüstern, die Gräfin sei plötzlich sehr krank geworden, und indem sie sich umsieht, stoße ich sie nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann, und der zweite kann uns ebensowenig entgehen; und beim dritten haben wir zu drei leichtes Spiel."
Der Jäger sah bei diesen Worten schrecklich aus, dass Felix sich vor ihm fürchtete. Er wollte ihn bereden, von diesem blutigen Gedanken abzustehen, als die Türe der Hütte leise aufging und schnell eine Gestalt hereinschlüpfte.
Es war der Hauptmann. Behutsam schloss er wieder zu und winkte den Gefangenen, sich ruhig zu verhalten.
Er setzte sich neben Felix nieder und sprach: "Frau Gräfin, Ihr seid in schlimmer Lage. Euer Herr Gemahl hat nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Lösegeld nicht geschickt, sondern er hat auch die Regierungen umher aufgeboten, bewaffnete Mannschaft streift von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine Leute aufzuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu töten, wenn er Miene mache, uns anzugreifen; doch es muss ihm entweder an Eurem Leben wenig liegen, oder er traut unsern Schwüren nicht. Euer Leben ist in unserer Hand, ist nach unsern Gesetzen verwirkt. Was wollt Ihr dagegen einwenden?"
Bestürzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wussten nicht zu antworten, denn Felix erkannte wohl, dass ihn das Geständnis über seine Verkleidung nur noch mehr in Gefahr setzen könnte.
"Es ist mir unmöglich", fuhr der Hauptmann fort, "eine Dame, die meine vollkommene Hochachtung hat, also in Gefahr zu setzen. Darum will ich euch einen Vorschlag zur Rettung machen, es ist der einzige Ausweg, der euch übrig bleibt: Ich will mit euch entfliehen."
Erstaunt, überrascht blickten ihn alle an; er aber sprach weiter: "Die Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, sich nach Italien zu ziehen und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir für meinen Teil behagt es nicht, unter einem andern zu dienen, und darum werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir nun Euer Wort geben wolltet, Frau Gräfin, für mich gut zu sprechen, Eure mächtigen Verbindungen zu meinem Schutze anzuwenden, so kann ich Euch noch frei machen, ehe es zu spät ist."
Felix schwieg verlegen; sein redliches Herz sträubte sich, den Mann, der ihm das Leben retten wollte, geflissentlich einer Gefahr auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schützen könnte. Als er noch immer schwieg, fuhr der Hauptmann fort: "Man sucht gegenwärtig überall Soldaten; ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein. Ich weiß, dass Ihr viel vermögt; aber ich will ja nichts weiter als Euer Versprechen, etwas für mich in dieser Sache zu tun."
"Nun denn", antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, "ich verspreche Euch, was ich tun kann, was in meinen Kräften steht, anzuwenden, um Euch nützlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch auch ergehe, ein Trost für mich darin, dass Ihr diesem Räuberleben Euch selbst freiwillig entzogen habt."
Gerührt küsste der Hauptmann die Hand dieser gütigen Dame, flüsterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereit zu halten, und verließ dann ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Hütte. Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. "Wahrlich", rief der Jäger, "dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir errettet werden! Hätte ich mir träumen lassen, dass in der Welt noch etwas dergleichen geschehen könnte, und dass mir ein solches Abenteuer begegnen sollte?"
"Wunderbar, allerdings!", erwiderte Felix, "aber habe ich auch recht getan, diesen Mann zu betrügen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Sagt selbst, Jäger, heißt es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm nicht gestehe, wer ich bin?"
"Ei, wie mögt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!", entgegnete der Student, "nachdem Ihr Eure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein, darüber dürft Ihr Euch nicht ängstigen, das ist nichts anderes als erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau schändlicherweise von der Straße hinwegführen zu wollen, und wärt Ihr nicht gewesen, wer weiß, wie es um das Leben der Gräfin stünde? Nein, Ihr habt nicht unrecht getan; übrigens glaube ich, er wird bei den Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses Gesindels, sich selbst ausliefert."
Dieser letztere Gedanke tröstete den jungen Goldschmied. Freudig bewegt und doch wieder voll banger Besorgnis über das Gelingen des Planes durchlebten sie die nächsten Stunden. .
Es war schon dunkel, als der Hauptmann auf einen Augenblick in die Hütte trat, ein Bündel Kleider niederlegte und sprach: "Frau Gräfin, um unsere Flucht zu erleichtern, müsst Ihr notwendig diese Männerkleidung anlegen. Macht Euch fertig. In einer Stunde treten wir den Marsch an." Nach diesen Worten verließ er die Gefangenen, und der Jäger hatte Mühe, nicht laut zu lachen. "Das wäre nun die zweite Verkleidung", rief er, "und ich wollte schwören, diese steht Euch noch besser als die erste!"
Sie öffneten das Bündel und fanden ein hübsches Jagdkleid mit allem Zubehör, das Felix trefflich passte. Nachdem er sich gerüstet, wollte der Jäger die Kleider der Gräfin in einen Winkel der Hütte werfen. Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen Bündel zusammen und äußerte, er wolle die Gräfin bitten, sie ihm zu schenken, und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese merkwürdigen Tage aufbewahren.
Endlich kam der Hauptmann. Er war vollständig bewaffnet und brachte dem Jäger die Büchse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn. Auch dem Studenten gab er eine Flinte und Felix reichte er den Hirschfänger, mit der Bitte, ihn für den Fall der Not umzuhängen. Es war ein Glück für die drei, dass es sehr dunkel war, denn leicht hätten die leuchtenden Blicke, womit Felix diese Waffe empfing, dem Räuber seinen wahren Stand verraten können. Als sie behutsam aus der Hütte getreten waren, bemerkte der Jäger, dass der gewöhnliche Posten an der Hütte diesmal nicht besetzt war. So war es möglich, dass sie unbemerkt an den Hütten vorbei schleichen konnten, doch schlug der Hauptmann nicht den gewöhnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald hinaufführte, sondern er näherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und wie es schien unzugänglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Büchse auf den Rücken und stieg zuerst hinan, dann rief er der Gräfin zu, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hilfe, der Jäger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fußpfad, den sie einschlugen und rasch vorwärts gingen.
"Dieser Fußpfad", sprach der Hauptmann, "führt nach der Aschaffenburger Straße. Dorthin wollen wir uns begeben, denn ich habe genau erfahren, dass Ihr Herr Gemahl, der Graf, sich gegenwärtig dort aufhält." ,
Schweigend zogen sie weiter, der Räuber immer voran, die drei andern dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog Brot, .eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermüdeten an. "Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon stoßen, den das Militär durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall bitte ich Sie, mit dem Anführer der Soldaten zu sprechen und gute Behandlung für mich zu verlangen."
Felix sagte auch dies zu, obwohl er sich von seiner Verwendung geringen Erfolg versprach. Sie ruhten noch eine halbe Stunde und brachen dann auf. Sie mochten etwa wieder eine Stunde gegangen sein und näherten sich schon der Landstraße, der Tag fing an heraufzukommen und die Dämmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte plötzlich durch ein lautes "Halt! Steht!" gefesselt wurden. Sie hielten, und fünf Soldaten rückten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie müssten folgen und vor dem kommandierenden Major sich über ihre Reise ausweisen. Als sie noch etwa fünfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und rechts im Gebüsch Gewehre blitzen, eine große Schar schien den Wald besetzt zu haben. Der Major saß mit mehreren Offizieren und andern Männern unter einer Eiche. Als die Gefangenen vor ihn gebracht wurden und er eben anfangen wollte, sie zu examinieren über das "Woher" und "Wohin", sprang einer der Männer auf und rief: "Mein Gott, was sehe ich, das ist ja Gottfried, unser Jäger!"
"Jawohl, Herr Amtmann!", antwortete der Jäger mit freudiger Stimme, "da bin ich, und wunderbar gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels."
Die Offiziere erstaunten, ihn hier zu sehen; der Jäger aber bat den Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzählte in kurzen Worten, wie sie errettet wurden, und wer der vierte sei, welcher sie begleitete.
Erfreut über diese Nachricht traf der Major sogleich seine Maßregeln, den wichtigen Gefangenen weiter transportieren zu lassen, den jungen Goldschmied aber führte er zu seinen Kameraden, stellte ihn als den heldenmütigen Jüngling vor, der die Gräfin durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet habe, und alle schüttelten Felix freudig die Hand, lobten ihn und konnten nicht satt werden, sich von ihm und den andern ihre Schicksale erzählen zu lassen.
Indessen war es völlig Tag geworden. Der Major beschloss, die Befreiten selbst bis in die Stadt zu begleiten; er ging mit ihnen und dem Amtmann der Gräfin in das nächste Dorf, wo ein Wagen stand, und dort musste sich Felix zu ihm in den Wagen setzen; der Jäger, der Student, der Amtmann und viele andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht von dem Überfall in der Waldschenke, von der Aufopferung des jungen Goldarbeiters in der Gegend verbreitet, und ebenso reißend ging jetzt die Kunde von seiner Befreiung von Mund zu Mund. Es war daher nicht zu verwundern, dass in der Stadt, wohin sie zogen, die Straßen gedrängt voll Menschen standen, die den jungen Helden sehen wollten. Alles drängte sich zu, als der Wagen langsam hereinfuhr. "Das ist er", riefen sie, "seht ihr ihn dort im Wagen neben dem Offizier! Es lebe der brave Goldschmiedsjunge!" - und ein tausendstimmiges "Hoch!" füllte die Lüfte.
Felix war beschämt, gerührt von der rauschenden Freude der Menge.
Aber noch ein rührenderer Anblick stand ihm auf dem Rathause der Stadt bevor. Ein Mann von mittleren Jahren, in reichen Kleidern, empfing ihn an der Treppe und umarmte ihn mit Tränen in den Augen. "Wie kann ich dir vergelten, mein Sohn!", rief er. "Du hast mir viel gegeben, als ich nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin, meinen Kindern die Mutter gerettet, denn ihr zartes Leben hätte die Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen." Es war der Gemahl der Gräfin, der diese Worte sprach. So sehr sich Felix sträuben mochte, einen Lohn für seine Aufopferung zu bestimmen, so unerbittlich schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Jüngling das unglückliche Schicksal des Räuberhauptmanns ein; er erzählte, wie er ihn gerettet, wie diese Rettung eigentlich der Gräfin gegolten habe. Der Graf, gerührt nicht sowohl von der Handlung des Hauptmanns, als von dem neuen Beweis einer edlen Uneigennützigkeit, den Felix durch die Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Räuber zu retten.
Noch an demselben Tage aber führte der Graf, begleitet von dem wackern Jäger, den jungen Goldschmied nach seinem Schlosse, wo die Gräfin, noch immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, der sich für sie geopfert, sehnsuchtsvoll auf Nachrichten wartete. Wer beschreibt ihre Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat? Sie fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken; sie ließ ihre Kinder herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Jüngling, dem ihre Mutter so unendlich viel verdanke, und die Kleinen fassten seine Hände, und der zarte Sinn ihres kindlichen Dankes, ihre Versicherungen, dass er ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde der Liebste sei, waren ihm die schönste Entschädigung für manchen Kummer, für die schlaflosen Nächte in der Hütte der Räuber.
Als die ersten Augenblicke des frohen Wiedersehens vorüber waren, winkte die Gräfin einem Diener, der bald darauf jene Kleider und das wohlbekannte Ränzchen herbeibrachte, welche Felix der Gräfin in der Waldschenke überlassen hatte. "Hier ist alles", sprach sie mit gütigem Lächeln, "was Ihr mir in jenen furchtbaren Augenblicken gegeben; es ist der Zauber, womit Ihr mich umhüllt habt, um meine Verfolger mit Blindheit zu schlagen. Es steht Euch wieder zu Diensten; doch will ich Euch den Vorschlag machen, diese Kleider, die ich zum Andenken an Euch aufbewahren möchte, mir zu überlassen, und zum Tausch dafür die Summe anzunehmen, welche die Räuber zum Lösegeld für mich bestimmten."
Felix erschrak über die Größe dieses Geschenkes; sein edler Sinn sträubte sich, einen Lohn für das anzunehmen, was er aus freiem Willen getan. "Gnädige Gräfin", sprach er bewegt, "ich kann dies nicht gelten lassen. Die Kleider sollen Euer sein, wie Ihr es befehlt; jedoch die Summe, von der Ihr sprecht, kann ich nicht annehmen. Doch, weil ich weiß, dass Ihr mich durch irgend etwas belohnen wollt, so erhaltet mir Euer Wohlwollen statt anderen Lohnes, und sollte ich in den Fall kommen, Eurer Hilfe zu bedürfen, so könnt Ihr darauf rechnen, dass ich Euch darum bitten werde." Noch lange drang man in den jungen Mann, aber nichts vermochte seinen Sinn zu ändern. Die Gräfin und ihr Gemahl gaben endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Ränzchen wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im Gefühl so vieler freudiger Vorgänge so ganz vergessen hatte.
"Halt!", rief er, "nur etwas müsst Ihr mir noch aus meinem Ränzchen zu nehmen erlauben, gnädige Frau, das übrige ist dann ganz und völlig Euer."
"Schaltet nach Belieben", sprach sie, "obgleich ich gerne alles zu Eurem Gedächtnis behalten hätte, so nehmt nur, was Ihr etwa davon nicht entbehren wollt. Doch, wenn man fragen darf, was liegt Euch so sehr am Herzen, dass Ihr es mir nicht überlassen mögt?"
Der Jüngling hatte während dieser Worte sein Ränzchen geöffnet und ein Kästchen von rotem Saffian herausgenommen. "Was mein ist, könnt Ihr alles haben", erwiderte er lächelnd, "doch dies gehört meiner lieben Frau Patin; ich habe es selbst gefertigt und muss es ihr bringen Es ist ein Schmuck, gnädige Frau", fuhr er fort, indem er das Kästchen öffnete und ihr hinbot, "ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe."
Sie nahm das Kästchen; aber nachdem sie kaum einen Blick darauf geworfen, fuhr sie betroffen zurück. "Wie! Diese Steine!", rief sie, "und für Eure Patin sind sie bestimmt, sagt Ihr?"
"Jawohl", antwortete Felix, "meine Frau Patin hat mir die Steine geschickt, ich habe sie gefasst und bin auf dem Wege, sie selbst zu überbringen."
Gerührt sah ihn die Gräfin an; Tränen drangen aus ihren Augen.
"So bist du Felix Perner aus Nürnberg?" rief sie.
"Jawohl! Aber woher wisst Ihr so schnell meinen Namen?", fragte der Jüngling und sah sie bestürzt an.
,,0 wundervolle Fügung des Himmels!", sprach sie gerührt zu ihrem staunenden Gemahl, "das ist ja Felix, unser Patchen, der Sohn unserer Kammerfrau Sabine! Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest; so hast du deine Patin gerettet, ohne es zu wissen."
"Wie? Seid denn Ihr die Gräfin Sandau, die so viel an mir und meiner Mutter getan? Und dies ist das Schloss Maienburg, wohin ich wandern wollte? Wie danke ich dem gütigen Geschick, das mich so wunderbar mit Euch zusammentreffen ließ; so habe ich Euch doch durch die Tat, wenn auch in geringem Maße, meine große Dankbarkeit bezeigen können!"
"Du hast mehr an mir getan", erwiderte sie, "als ich je an dir hätte tun können; doch solange ich lebe, will ich dir zu zeigen suchen, wie unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater, meine Kinder deine Geschwister, ich selbst will deine treue Mutter sein, und dieser Schmuck, der dich zu mir führte in der Stunde der höchsten Not, soll meine beste Zierde werden, denn er wird mich immer an dich und deinen Edelmut erinnern."
So sprach die Gräfin und hielt Wort. Sie unterstützte den glücklichen Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurückkam als ein geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nürnberg ein Haus, richtete es vollständig ein, und ein nicht geringer Schmuck in seinem besten Zimmer waren schön gemalte Bilder, welche die Vorgänge in der Wald schenke und Felix' Leben unter den Räubern vorstellten.
Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter, der Ruhm seiner Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und verschaffte ihm Kunden im ganzen Reiche. Viele Fremde, wenn sie durch die schöne Stadt Nürnberg kamen, ließen sich in die Werkstatt des berühmten Meisters Felix führen, um ihn zu sehen, zu bewundern, wohl auch ein schönes Geschmeide bei ihm zu bestellen. Die angenehmsten Besuche waren ihm aber der Jäger, der Zirkelschmied, der Student und der Fuhrmann. So oft der letztere von Würzburg nach Fürth fuhr sprach er bei Felix ein; der Jäger brachte ihm beinahe alle Jahre Geschenke von der Gräfin, der Zirkelschmied aber ließ sich, nachdem er in allen Ländern umhergewandert war, bei Meister Felix nieder. Eines Tages besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann im Staat geworden, schämte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle Vorgänge der Waldschenke, und der ehemalige Student erzählte, er habe den Räuberhauptmann in Italien wiedergesehen; er habe sich gänzlich gebessert und diene als braver Soldat dem König von Neapel.
Felix freute sich, als er dies hörte. Ohne diesen Mann wäre er zwar vielleicht nicht in jene gefährliche Lage gekommen, aber ohne ihn hätte er sich auch nicht aus Räuberhand befreien können. Und so geschah es, dass der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurückdachte an das Wirtshaus im Spessart.

Abner der Jude, der nichts gesehen hatte

Als der großmächtige Kaiser Muley Ismael über Fes und Marokko herrschte, hat sich diese Geschichte zugetragen. Wie überall, so gab es auch in jenem Lande Juden, und sie waren pfiffig, verschlagen und allerwege auf ihren Vorteil bedacht. Dass aber ein Jude durch seine Pfiffe auch einmal zu Schaden
kommen kann, bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus spazieren ging.
Er schritt einher, mit der spitzigen Mütze auf dem Kopfe, in den bescheidenen, nicht sehr reinlichen Mantel gehüllt. Von Zeit zu Zeit nahm er verstohlen eine Prise aus seiner goldenen Dose, die er aber, ihres hohen Wertes wegen, nicht gern sehen ließ. Obwohl seine Augen teils furchtsam, teils unternehmungslustig hin und her wanderten, leuchtete doch Zufriedenheit aus seinen Mienen, und er strich sich häufig den Knebelbart. Er hatte gute Geschäfte gemacht, und er hatte auch Gelegenheit dazu gehabt; denn er war Arzt, Kaufmann, Wechsler, kurz alles, was Geld eintrug. So hatte er heute einen Sklaven verkauft, der einen heimlichen Fehler hatte; er hatte billig eine Kamelladung Gummi erworben, und er hatte einem reichen, kranken Manne die letzte Arzenei vor seinem Tode bereitet.
Soeben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Palmengehölz getreten, da hörte er lautes Geschrei herbeilaufender Menschen hinter sich. Es war ein Haufe kaiserlicher Stallknechte. Der Oberstallmeister lief an der Spitze, und sie warfen nach allen Seiten unruhige Blicke umher, wie Menschen, die etwas Verlorenes eifrig suchen.
"He, Bursche", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du nicht ein kaiserliches Pferd mit Sattel und Zaumzeug vorüber rennen sehen?"
Abner antwortete: "Es ist der beste Galoppläufer, den es gibt. Zierlich ist sein Huf; seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber. Sein Haar leuchtet golden. Fünf Fuß ist er hoch; sein Schweif ist drei und einen halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von dreiundzwanzigkarätigem Golde."
"Er ist's!", rief erfreut der Oberstallmeister.
"Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte.
"Es ist der Emir!", rief ein alter Bereiter. "Ich habe es dem Prinzen Abdallah zehnmal vorausgesagt, dass er ihn abwerfen würde, doch er hat nicht hören wollen! - Aber schnell: Wohin ist er gelaufen?"
"Wohin gelaufen?", erwiderte Abner lächelnd. "Ja, das weiß ich nicht! Ich habe doch gar kein Pferd gesehen!"
Erstaunt über diesen Widerspruch, wollten die Herren vom Stalle eben weiter in Abner dringen, als ein anderes Ereignis dazwischenkam.
Durch einen sonderbaren Zufall war gerade auch der liebste Schoßhund der Kaiserin entlaufen. Ein Haufe schwarzer Sklaven kam herbei gerannt, und sie schrie schon von weitem: "Habt ihr Aline, den Schoßhund der Kaiserin, nicht gesehen?"
Abner antwortete sofort: "Es ist ein kleiner Wachtelhund, hat langes Behänge, einen Federschwanz und hinkt auf dem rechten Vorderbein."
"Sie ist's, wie sie leibt und lebt!", rief der Chor der Schwarzen.
"Es ist Aline! Die Kaiserin ist in Ohnmacht gefallen, sobald das Tierchen vermisst wurde. Wir dürfen nicht heimkehren ohne es. Sprich geschwind, wohin hast du es laufen sehen?"
"Wohin? Ja, das weiß ich nicht!", erwiderte Abner. "Ich habe gar keinen Hund gesehen und wusste bisher nicht einmal, dass die Kaiserin ein Wachtelhündchen besitzt!"
Da ergrimmten die Leute vom Stalle und die Sklaven der Kaiserin; denn sie meinten, Abner wollte über kaiserliches Eigentum seinen Scherz treiben, und weil sie es sich nicht anders erklären konnten, so glaubten sie sogar, dass er Pferd und Hund gestohlen habe. Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der Stallmeister und der Anführer der Sklaven den Juden und führten ihn vor das Angesicht des Kaisers.
Als Muley Ismael den Hergang vernommen, wurde er zornig und berief sogleich den Rat des Palastes, und wegen der Wichtigkeit der Sache führte er selbst den Vorsitz. Bevor die eigentliche Verhandlung begann, wurden dem Angeschuldigten erst einmal ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen zuerkannt. Abner mochte schreien und seine Unschuld beteuern oder versprechen, alles nach der Wahrheit zu erzählen, es half ihm nichts, er musste die Schläge erdulden. Der Kaiser aber schwur beim Barte des Propheten, der Jude sollte die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Ohnmacht der Kaiserin mit dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder herbeigebracht würden.
Noch erschallte der Palast von dem Schmerzgeschrei des Gezüchtigten, als die Nachricht einlief, Hund und Pferd seien wiedergefunden worden. Alinen überraschte man in der Gesellschaft einiger Möpse, und Emir, der sich wohl müde gelaufen hatte, war auf einer Wiese entdeckt worden, deren Gras er wohlschmeckender gefunden hatte als den kaiserlichen Hafer.
Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Verhaltens, und dieser begann, nachdem er vor dem Throne die Erde dreimal mit der Stirn berührt hatte: "Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Stern der Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, ich schwöre bei dem Gott meiner Väter, bei Mose und den Propheten, dass ich dein erhabenes Pferd und meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund nicht mit meines Leibes Augen gesehen habe! Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, in dem Gehölze vorm Tore der Stadt, da gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines Tieres. Ich erkannte sie alsbald als die Fußstapfen eines kleinen Hundes. Einige Spuren neben den Vordertatzen, wo der Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, dass das Tier schöne, weit herabhängende Ohren besitzen müsse. Da ich weiterhin' bemerkte, dass in längeren Zwischenräumen der Sand stärker aufgewühlt war, dachte ich: Einen schönen, lang behaarten Schwanz hat der Kleine, fast wie ein Federbusch muss er sein! Auch entging mir nicht, dass eine Pfote sich stets weniger tief in den Sand eingedrückt hatte; leider konnte mir da nicht verborgen bleiben, dass das Hündlein meiner gnädigsten Kaiserin - wenn es erlaubt ist, es auszusprechen: - etwas hinke.
Was das Ross Deiner Hoheit betrifft, so wisse, dass ich in dem Gebüsche auf die Spuren eines Pferdes aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edeln, kleinen Huf bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Das kann nur ein Ross der vornehmsten Rasse gewesen sein, wie sie allein im kaiserlichen Stalle gehalten wird! Als ich dann auf der Erde etwas glänzen sah, bückte ich mich, und siehe, es war ein Marmelstein, darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, und ich erkannte aus langer Erfahrung, dass sie von vierzehnlötigem Silber sein mussten. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß breit, und das Pferd hatte mit dem Schweife rechts und links den Staub von den Palmen gestreift; also musste der Schweif drei und einen halben Fuß lang sein. Unter Bäumen, deren Gezweig etwa fünf Fuß über dem Boden anfing, sah ich frisch abgestreifte Blätter; so hoch also war das galoppierende Ross, sagte ich mir. Es lag da auch ein Büschel goldglänzender Haare; so war es denn also ein Goldfuchs gewesen! Eben trat ich aus dem Gebüsch; da sah ich an einer Felswand einen haarfeinen Goldstrich, da, wo das Pferd mit seinen Gebissstangen angestreift sein musste, und ein Blick lehrte mich, dass es dreiundzwanzigkarätiges Gold gewesen war. So, 0 König der Könige, habe ich dein edles Ross beschreiben können!"
"Nun, bei Mekka und Medina!", rief Muley Ismael, "das nenne ich Augen! Solche Augen könnten dir auf der Jagd nicht schaden, Oberjägermeister, und du, Polizeiminister, könntest damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser! Nun, Abner, wir wollen dich wegen deines ungemeinen Scharfsinnes, der uns wohl gefallen hat, gnädig behandeln. Die fünfzig Prügel, die du erhalten hast, sind fünfzig Goldstücke wert; denn du brauchst jetzt nur noch fünfzig bar zu zahlen!"
Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn; denn der Kaiser hatte ihn ja gelobt. Das tröstete aber den Juden nicht über seine Goldstücke. Stöhnend und seufzend zog er eines nach dem anderen aus dem Beutel, bis die richtige Summe bezahlt war. -
Nicht lange nach diesem schmerzlichen Ereignis ging Abner wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem einher stürmenden Haufen bewaffneter Männer eingeholt, und der Anführer schrie ihn an: "He, guter Freund, hast du nicht Gero, den schwarzen Leibschützen des Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen und muss diesen Weg ins Gebirge genommen haben."
"Ich weiß es nicht, Herr General", antwortete Abner.
"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Goldfuchs und den Hund gesehen hatte? Bedenke, der Sklave muss herbei; denn er ist unübertrefflich im Sperlingschießen mit dem Blaserohr, und das ist Seiner Majestät Lieblingszeitvertreib! Sprich, oder ich lasse dich sogleich krummfesseln!"
Abner jedoch wandte ein: "Wie kann ich sagen, ich habe ihn gesehen, wenn ich ihn doch wirklich nicht gesehen habe?"
Der Anführer aber wurde zornig und schrie: "Sage mir jetzt, wohin der Sklave gelaufen ist! Denk' an deine Fußsohlen, denk' an deine Goldstücke!"
Nun merkte Abner wohl, dass es ihm nur schaden würde, wenn er keine Auskunft gäbe, und so sagte er in seiner Angst: „Wenn ihr ihn denn durchaus haben wollt, so lauft dorthin", und dabei zeigte er aufs Geratewohl in die Gegend hinein, "und wenn er dort nicht ist, so ist er anderswo!"
Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung.
Abner aber ging heim und war froh, dass er sich so geschickt aus der Not hatte helfen können. Doch schon am nächsten Tage drang ein Haufe der Palastwache in sein Haus, nahm ihn fest und schleppte ihn vor den Kaiser.
"Du Hund", schnaubte ihn Muley Ismael an, "du hast es gewagt, kaiserliche Bediente auf falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der Meeresküste zueilte und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen wäre! Greift ihn, Soldaten! Hundert Schläge auf die Sohlen, hundert Goldstücke aus dem Beutel!"
Im Reiche Fes und Marokko liebte man schnelle Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner nach des Kaisers Befehl geprügelt und besteuert. Und ob er auch schrie und jammerte, was konnte es ihm helfen? Er musste alles erdulden, und das rohe Hofvolk sah vergnügt zu, und als er schließlich brummend und seufzend aus dem Saale hinkte, lachte es so laut hinter ihm drein, dass es ihm noch lange in den Ohren gellte.

Der Reußenstein

Der Reußenstein liegt auf jähem Felsen weit oben in der Luft und hat keine Nachbarschaft als die Wolken und bei Nacht den Mond. Gerade gegenüber der Burg, auf einem Berg, der Heimenstein genannt, liegt eine Höhle, darinnen wohnte vor alters ein Riese. Er hatte ungeheuer viel Gold und hätte herrlich und in Freuden leben können, wenn es noch mehr Riesen und Riesinnen außer ihm gegeben hätte. Da fiel es ihm ein, er wollte sich ein Schloss bauen, wie es die Ritter haben auf der Alb. Der Felsen gegenüber schien ihm gerade recht dazu.
Er selbst aber war ein schlechter Baumeister. Er grub mit den Nägeln haushohe Felsen aus der Alb und stellte sie aufeinander; aber sie fielen immer wieder ein und wollten kein geschicktes Schloss geben. Da legte er sich auf den Beurener Felsen und schrie ins Tal hinab nach Handwerkern; Zimmerleute, Maurer und Steinmetzen, Schlosser, alles solle kommen und ihm helfen, er wolle gut bezahlen. Man hörte ein Geschrei im ganzen Schwabenland, vom Kocher hinauf bis zum Bodensee, vom Neckar bis an die Donau, und überallher kamen die Meister und Gesellen, um dem Riesen das Schloss zu bauen. Nun war es lustig anzusehen, wie er vor seiner Höhle im Sonnenschein saß und über dem Tal drüben auf dem hohen Felsen sein Schloss bauen sah; die Meister und Gesellen waren flink an der Arbeit und bauten, wie er ihnen über das Tal hinüber zuschrie; sie hatten allerlei fröhlichen Schwank und Kurzweil mit ihm, weil er von der Bauerei nichts verstand.
Endlich war der Bau fertig, und der Riese zog ein und schaute aus dem höchsten Fenster aufs Tal hinab, wo die Meister und Gesellen versammelt waren, und fragte, ob ihm das Schloss gut anstehe, wenn er so zum Fenster herausschaue. Als er sich aber umsah, ergrimmte er, denn die Meister hatten geschworen, es, sei alles fertig, aber an dem obersten Fenster, wo er hinaussah, fehlte noch ein Nagel.
Die Schlossermeister entschuldigten sich und sagten, es habe keiner gewagt, sich vors Fenster hinaus in die Luft zu setzen und den Nagel einzuschlagen. Der Riese aber wollte nichts davon hören, sondern zahlte den Lohn nicht aus, bis der Nagel eingeschlagen sei.
Da zogen sie alle wieder in die Burg. Die wildesten Burschen vermaßen sich hoch und teuer, es sei ihnen ein geringes, den Nagel einzuschlagen. Wenn sie aber an das oberste Fenster kamen und hinausschauten und hinab ins Tal, das so tief unter ihnen lag, und ringsum nichts als Fesen, da schüttelten sie den Kopf und zogen beschämt ab. Da boten die Meister zehnfachen Lohn, wer den Nagel einschlage; aber es fand sich lange keiner.
Nun war ein flinker Schlossergeselle dabei, der hatte die Tochter seines Meisters lieb und sie ihn auch; aber der Vater war ein harter Mann und wollte sie ihm nicht zum Weibe geben, weil er arm war. Er fasste sich ein Herz und dache, er könne hier seine Braut verdienen oder sterben; denn das Leben war ihm verleidet, ohne sie. Er trat vor den Meister, ihren Vater, und sprach: „Gebt Ihr mir Eure Tochter, wenn ich den Nagel einschlage?“
Der aber gedachte seiner auf diese Art loszuwerden, wenn er auf die Felsen hinabstürze und den Hals breche, und sagte ja.
Der flinke Schlossergeselle nahm den Nagel und seinen Hammer, sprach ein frommes Gebet und schickte sich an, zum Fenster hinauszusteigen und den Nagel einzuschlagen für sein Mädchen. Da erhob sich ein Freudengeschrei unter den Bauleuten, dass der Riese vom Schlaf erwachte und fragte, was es gebe. Und als er hörte, dass sich einer gefunden habe, der den Nagel einschlagen wolle, kam er, betrachtete den jungen Schlosser lange und sagte: „Du bist ein braver Kerl und hast mehr Herz als das Lumpengesindel; komm, ich will dir helfen.“
Da nahm er ihn beim Genick, dass es allen durch Mark und Bein ging, hob ihn zum Fenster hinaus in die Luft und sagte: „Jetzt hau drauf zu! Ich lasse dich nicht fallen.“
Und der Knecht schlug den Nagel in den Stein, dass er festsaß; der Riese aber küsste und streichelte ihn, dass er beinahe ums Leben kam, führte ihn zum Schlossermeister und sprach: „Diesem gibst du dein Töchterlein.“
Dann ging er hinüber in seine Höhle, langte einen Geldsack heraus und zahlte jeden aus bei Heller und Pfennig. Endlich kam er auch an den flinken Schlossergesellen; zu diesem sagte er: „Jetzt geh heim, du herzhafter Bursche, hole deines Meisters Töchterlein und ziehe ein in diese Burg, denn sie ist dein.“

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