Meine Tochter - 40 Jahre Muttertag

 

Erschöpft und glücklich hielt ich das kleine Wesen im Arm - meine Tochter. Mit fest geschlossenen Augen und noch ganz runzelig, schnärchelte sie vor sich hin. Dann wurde sie mir von der Schwester abgenommen, mit der Bemerkung, ich müsse mich jetzt ausruhen. Beim nächsten Stillen stellte ich fest, es muss eine Prinzessin sein - meine Prinzessin - ein Sonntagskind. Mit silbernen Löckchen auf dem Kopf blickte sie mich aus strahlend blauen Augen an. Es entschädigte mich für die schmerzhaften Stunden der Geburt.

Und dann ging alles sehr schnell. Der begeisterte Vater holte uns aus der Klinik ab. Zuhause war alles schon vorbereitet. Die Babyausstattung wurde bereits Monate vorher liebevoll zusammen gestellt. Auch Fläschchen und Schnuller durften nicht fehlen. Den Stubenwagen hatte ich mit einem wunderschön geblümten Stoff bespannt und er stand bereit. Nur der Kinderwagen musste noch abgeholt werden, wir ließen ihn im Geschäft beiseite legen.
Unser Prinzesschen nahm Besitz von ihrem neuen Reich. Staunend standen wir vor dem Gefährt und schauten auf dieses Wunder, das uns zuteil wurde.

Es begann der Rhythmus, den jede Mutter kennt. Schlafen, wachen, schreien - Hunger.
Das erste Lächeln! Kräftig wurde schon der Kopf gehoben und die ersten Sitzversuche unternommen. Zahnweh - die ersten Zähnchen machten sich bemerkbar. Dann eines Tages - unser Sonnenschein stand im Kinderbett. Nicht sehr lange, aber immerhin. Nun wurde die Wohnung erobert. Die unteren Bereiche mussten ausgeräumt werden. Es ging mit Krabbeln und Rutschen voran. Mit Festhalten und Aufstehen immer ein paar Schritte weiter bis zum nächsten Plumpser.
Bald der erste Geburtstag - eine Kerze wurde mit großen, erstaunten Augen registriert und mit unserer Hilfe ausgeblasen.

Krankheiten haben uns erschreckt und die ersten Streiche erfreuten uns. Aber nicht immer! Eines Tages, beim Staubsaugen, bemerkte ich nicht rechtzeitig, dass sich das quirlige Mädchen selbstständig gemacht hatte. Die Wohnungstür auf, die Treppen hinunter, raus auf die Straße und die Freundin auf der anderen Straßenseite besucht. Das waren schreckliche Augenblicke. Bei der anschließenden Suche blieb mir fast das Herz stehen. Plötzlich - ich hörte doch etwas?! Große Erleichterung, als ich die beiden Mädchen lachen und kichern hörte.

Die nächsten Jahre vergingen wie im Flug. Die kleine Eva kam zum Vorschein. Einschulung eines sehr selbstbewussten Persönchens, das sich seines Charmes bewusst war. Schon in der Trotzzeit hatte es sich in einem starken Willen geäußert.
Die ersten zarten "Beziehungen", der Blick von unten mit einem koketten Augenaufschlag.
Da das Lernen kein Problem bereitete, war eine weiterführende Schule im Gespräch. Die "Liebe" erfasste unsere Tochter und damit auch der damit verbundene "Kummer". Trösten war immer wieder angesagt, zumindest anfangs. Dann war da eine gewisse Scheu und unsere Prinzessin verschloss sich, um diesen Schmerz mit sich alleine auszumachen. Natürlich tut so etwas der Mutter weh, aber man muss es akzeptieren.

Die Zugfahrten in die nächste Stadt mit der S-Bahn zur neuen Schule waren sehr anstrengend.
Zwei Stunden vorher aufstehen. Duschen, Haare waschen, föhnen und dann der Lockenstab. Auch ein Make-up musste sein. Ich kannte meine Tochter nicht mehr, wusste aber, dass es zwecklos war, etwas zu entgegnen. Die zwei Stunden waren natürlich wie im Flug vergangen und auf die letzte Sekunde, keuchend, wurde das Haus verlassen. Hinten am Wald erschien schon der Zug und es reichte gerade im Galopp über die Gleise in den nächststehenden Waggon.
Der Schaffner drohte anfangs noch, gewöhnte sich aber mit der Zeit daran, zumal der anschließende Augenaufschlag seine Wirkung nicht verfehlte.
Es entstanden auch Situationen, die mir als Mutter viel Kummer bereiteten. Musste ich doch erfahren: Kleine Kinder - kleine Sorgen, große Kinder - große Sorgen.
Zeitweise entfernte sich meine Tochter innerlich sehr von mir. Dann war wieder "Familie" angesagt und so ging es fort bis zum heutigen Tag. Feststellen musste ich, dass ich als "Frau" mit einer "Tochter" erheblich schwieriger umgehen konnte und kann, als mit meinen beiden Söhnen, denen ihre Schwester teilweise auch sehr fremd war und ist. Vielleicht begründet es sich auch in der extrem künstlerischen Begabung, die sie von mir geerbt hat.
Ich denke oft, sie stellt sich immer wieder selbst ein Bein, über das sie stolpert, um dann schmerzhaft auf den Boden der Wirklichkeit zu fallen.

Aber sie ist meine Tochter, die ich liebe und sie wird es immer bleiben bis an mein Lebensende.
Heidi Gotti - Muttertag 2004

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