Opa und Susannchen

Opa hatte wieder einmal seinen Hexenschuss, wie so oft, wenn es draußen kühl und feucht ist. Mann zeigt das nicht gern und hält sich tapfer. Deshalb wurde darüber auch nicht gesprochen.

Susannchen – das Enkeltöchterchen – war zu Besuch.
„Opi, spielst du Mens ärgere dich nit mit mir?“
„Aber natürlich“, erfolgte die prompte Antwort. „Holst du das Zeugs schon mal?“
Schon liefen zwei stämmige Beinchen Richtung Wohnzimmerschrank. Die aufgeweckte Vierjährige zog die Schublade heraus und schnappte sich das in einer Schachtel befindliche Spiel, um es auf dem Wohnzimmertisch abzulegen.
Mit heißen Köpfen herrschte dann ein erbitterter Kampf.
„Omaaa … der Opa schummelt schon wieder!“, ertönte das empörte Stimmchen laut krähend.
Natürlich hatte der Großvater gemogelt. Er wollte die Enkelin doch auch ein wenig fordern. Das schlaue Mädchen konnte schon zählen und hatte natürlich sofort bemerkt, dass ein Feld übersprungen worden war. Susis Näschen lag fast auf dem Karton, damit den aufmerksamen Augen wirklich nichts entging. Ihr Plappermäulchen stand sowieso nie still.
Nachdem nun der böse Opa gewonnen hatte, musste eine Weile Pause gemacht werden.
Aber schon gingen die Fragen los: Opa, warum fliegen Seifenblasen? Wieso ist der Himmel manchmal blau und manchmal grau? Wird der Mond auch müde? Und die Sonne? Warum ist diese Blume rot und die andere blau? Wann bin ich endlich groß?
Im noch kindlichen Kauderwelsch wurde der Großvater mit dem Was, Warum, Wieso, Wann und und und … bombardiert.
Da der Opa nicht gut drauf war, verwies er die Kleine an die Omi.
Diese erwiderte schmunzelnd: „Halt, nicht alles auf einmal!“ Und dann versuchte sie, so viele Fragen wie möglich zu beantworten. Aber auf diese Erklärungen folgten weitere Unklarheiten, die sofort beseitigt werden mussten.
Es schien eine unendliche Geschichte zu werden.

Zum Glück erschien in diesem Augenblick die Mutti.
„Komm, mein Schatz, aufräumen und dann geht’s heim zum Mittagessen.“
Schon war das Gesicht Klein-Susis trotzig verzogen und der rechte Fuß stampfte bockig auf den Boden.
„Na gut“, meinte die Mutter, „nachdem du keinen Hunger hast, geh ich halt wieder!“
In diesem Alter immer auf Anti eingestellt, schrie das Töchterchen natürlich sofort: „Doch ich hab Hunger!“ Wieder stampfte der Fuß energisch.
Aufgeräumt musste werden, Suschen wusste das nur zu gut, sonst lief nichts. Da konnte nun die Mama ihrerseits mehr als bockig sein. Somit schnappte die Kleine das Spiel, stopfte es widerwillig in die Schachtel, um diese in der untersten Schublade des Schrankes zu verstauen. Da das Kind noch immer sehr trotzig war, fiel ihr der Karton aus der Hand und alles verteilte sich im Zimmer. Opa, erfahren durch das Lebensalter, wollte die Situation entschärfen, indem er, sich am Tisch haltend, vorsichtig auf den Boden hinunter begab. Auf den Knien rutschte er über den Teppich und half dem Wirbelwind beim Aufsammeln.
Plötzlich schrie Suschen jubelnd: „Opi, reiten“. Und schon sprang sie mit Schwung auf Großvaters Rücken, Hü und Hott rufend. Man hörte nur einen einzigen entsetzlich lauten Schrei und dann lag der ältere Mann platt auf dem Boden.
Nicht nur die Erwachsenen, auch Susi erschrak. Mit weit aufgerissenen Augen lief sie weinend auf ihre Mama zu, die sie tröstend in den Arm nahm.
Eigentlich war der Opa selbst schuld, er hätte seiner Enkelin nur erklären müssen, dass er krank war.
Langsam rappelte sich der Mann hoch, stand auf und dehnte sich. Sein spitzbübisches Lächeln zeigte, dass die Hexe samt dem Schuss das Weite gesucht hatte.
„Ich glaube, diese Behandlung wenden wir nun in Zukunft immer an“, meinte er schmunzelnd. „Müsste ich bei unserem Doktor vorschlagen, der seine Patienten bei dieser Diagnose immer mit Spritzen traktiert.“

Heidi Gotti

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