Ein schreckliches Erlebnis

Wieder ist es Frühling, der 23. April, wie damals. Die Erinnerung überkommt Kathrin übermächtig, obwohl mittlerweile 2 Jahre vergangen sind.

Sie sieht sich im Auto sitzen, neben ihrem Mann. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint durch die Autoscheiben. Die Augen geschlossen genießt sie die Wärme auf ihrem Gesicht.
Ihre Gedanken kreisen um die letzten Wochen, ja Monate. Es war nicht leicht für sie und Jörg, ihren Mann. Plötzlich ging es ihm sehr schlecht, er war ja noch sehr jung, also warum?
Die Ärzte wussten keinen Rat, bis eines Tages ein junger Doktor in einer Klinik, die Ursache herausfand. Ein Virus, der bösartig über Jörgs Leben bestimmen wollte. Diese Schmerzen!!!
Nach der Diagnose konnten die Ärzte endlich die richtigen Medikamente verschreiben. Innerhalb weniger Wochen ging es Jörg schon viel besser und auch der kleine Sohn, bei dem dieselben Symptome festgestellt wurden, befand sich auf dem Weg der Besserung.
Kathrin öffnet ihre Augen und blickt glücklich und zufrieden zu ihrem Mann. Schnell muss sie seine Schulter berühren, zu ihrer Beruhigung, dass alles in Ordnung ist. Es ist also kein Traum. Beruhigt genießt sie die Landschaft.
Einen Ausflug zur Tante haben sie sich vorgenommen, die schon seit Wochen sehnsüchtig auf ihren Besuch wartet. Ihr Wagen biegt um die nächste Kurve und ... Kathrin schreit erschrocken auf. Ein Mann steht mitten auf Fahrbahn. Sie hat kein gutes Gefühl bei seinem Anblick und ruft hastig: Nicht anhalten, fahr weiter! Aber Jörg hat schon eine Vollbremsung eingeleitet. Außerdem ist er ein Mensch, der immer hilfsbereit ist in jeder Lebenslage.
Am rechten Fahrbahnrand, halb im Graben liegt ein rotes Auto. Ein Unfall??!!!
Schon taucht der Mann an Kathrins Wagenfenster auf. Sie hat die Scheibe noch nicht ganz offen, da zieht dieser Mensch plötzlich eine Pistole und schreit: Raus aus dem Auto.
Mit zitternden Händen öffnet Kathrin die Wagentüre. Der Mann ist schon bei Jörgs Türe und bedroht diesen ebenfalls. Mit den Worten: Raus aus dem Wagen und her mit dem Wagenschlüssel, reißt er die Fahrertüre auf. Jörg gehorcht widerspruchslos. Was soll er auch tun. Diesen Typ reizen? Kathrin versucht die hintere Wagentüre zu öffnen, aber der Mann sitzt bereits im Auto und gibt Gas. Kathrin fällt auf die Knie und blickt entsetzt dem Wagen hinterher. "Mein Kind", flüstert sie mit schreckensbleichen Lippen. Ihre Brust schnürt sich zusammen und dann fällt sie in Ohnmacht. Was dieser Mensch, der mit ihrem Auto davon fährt nicht weiß, löst auch bei Jörg das blanke Entsetzen aus. Auf dem Rücksitz schläft ihr kleiner Sohn - Bernd. Er ist von seiner Krankheit noch sehr geschwächt und steht unter dem Einfluss von Medikamenten. Die Eltern hatten ihn auf die Rückbank gelegt und gut zugedeckt, denn so warm war es für diese Jahreszeit noch nicht.
Als Kathrin zu sich kommt, überlegen die beiden fieberhaft, was sie tun können. In der dünnen Bluse, die Jacke liegt im Auto, friert sie entsetzlich. Die Angst und Aufregung lassen sie noch mehr zittern. Damals gab es noch keine Handys. Sie können sich, bedingt durch dieses schreckliche Erlebnis, auch nicht erinnern, ob der Rückweg oder die Straße vorwärts sie schneller zu einem Haus führen würde. Sie entscheiden sich, einfach los zu laufen. Ein Auto - aber der Fahrer fährt an ihnen vorbei, obwohl sie versuchen, ihn anzuhalten. Plötzlich sehen sie ein Haus, abseits der Straße. Sie rennen los, Kathrin zieht ihre Schuhe aus, es geht über eine Wiese, dann über einen Acker. Da es erst stark geregnet hatte, ist die Erde sehr nass, ja fast schlammig. Immer wieder sinken sie ein, aber sie geben nicht nach. Bis über die Knöchel taucht Kathrin ein und Jörg muss ihr immer wieder helfen, sonst würde sie stecken bleiben. Geschafft!!!
Hastig hämmern ihre Fäuste gegen die Türe und Kathrin schreit: Hilfe, Hilfe.
Mit einem Ruck geht die Türe auf und eine schreckensbleiche Frau steht ihnen gegenüber.
Kein Wort bringt Kathrin über ihre Lippen. Jörg keucht nur: Ein Telefon ...
Die Bewohnerin des Hauses zeigt in Richtung des Apparates. Jörg wählt den Notruf und teilt dem Beamten am anderen Ende der Leitung in hastigen und kurzen Worten den Sachverhalt mit. Die Autonummer will der Polizist noch wissen und wo sie sich befinden. Das lässt sich Jörg von der Hausbesitzerin noch mitteilen. Dann beginnt das bange Warten. Eine Viertelstunde später ist ein Polizeiauto da mit einem Arzt. Kathrin bekommt etwas zur Beruhigung. Die Beamten teilen Jörg mit: Die Fahndung läuft bereits auf Hochtouren.
Die Polizisten bringen die beiden Menschen nach Hause. Hier können sie ja doch nichts ausrichten. Nach bangen zwei Stunden klingelt das Telefon. Die Polizei hat das Auto gefunden, mit leerem Tank. Somit war das Fahrzeug für den Mann nutzlos geworden. Und der Junge ist wohlauf. Er lag die ganze Zeit hinten im Wagen und schlief.
Scheinbar hatte der Ganove das Kind gar nicht bemerkt. Gott sei Dank!
Nach einer Ringfahndung konnte die Polizei den Gesuchten finden. Er war aus einem Gefängnis getürmt und hatte einem Beamten die Pistole entwendet. Das rote Auto, das im Straßengraben lag, hatte er bereits vorher entwendet und zu Schrott gefahren.

Ja, und nun sitzt Kathrin wieder hier im Auto neben ihrer Familie und begreift, dass dieses schreckliche Erlebnis der Vergangenheit angehört.
Voller Dankbarkeit schließt sie die Augen und genießt das Jetzt.

Heidi Gotti

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